Dirk Maxeiner / 28.02.2021 / 06:15 / Foto: Christoph Kramer / 42 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Querfahren und Querbeten

Mein Philosoph des Monats heißt Walter Röhrl. Der Mann chauffierte einst gesegnete Herrschaften als „Bischöflicher Sekretär“ durch die Umgebung von Regensburg. Dann wurde er vom Herrgott zum mehrfachen Rallye-Weltmeister bestellt, damit es da unten mal voran geht. Eine gewisse Eile ist dem Querfahrer erhalten geblieben, und so sprach er vor kurzem den göttlichen Satz: „Ich bin 74 und habe keine Zeit mehr, die ich an Ladesäulen verschwenden könnte.“ 

Es ging dabei scheinbar um elektrische Autos. Der niederbayrische Philosoph schafft es damit aber zugleich, die Frage nach dem Sinn des Lebens zu stellen, die in einfacher Sprache lautet: Wo ist mein Platz zwischen Ladesäule, Zapfsäule und Notrufsäule? Die von tiefer Weisheit geprägte Einstellung des bischöflichen Boten scheint mir so recht nach dem Geschmack seines chinesischen Kollegen Konfuzius zu sein: „Gewöhnlich bekommt dieser Mann den Mund nicht auf. Spricht er aber, dann trifft er ins Schwarze“.

Walter Röhrl hat mich schon einmal persönlich schwer beindruckt, ebenfalls ohne Worte. Man schrieb das Jahr 1977, ich fand damals als Brummbrumm-Journalist Verwendung und folgte einer Einladung der Firma Fiat in die Seealpen. Dort übte Röhrl mit dem Fiat 131 – eigentlich eine Familienkutsche vom Format eines Übersee-Containers – für die Rallye Monte Carlo. Die Mitfahr-Strecke war in einen steilen Berghang hineingesprengt und entsprach dem Grundverlauf des menschlichen Lebens: Erst ein kurzes Stück bergauf, dann lang anhaltend bergab. Und das im Rhythmus einer Ziehharmonika: Zwei Kilometer geradeaus, Spitzkehre, wieder zwei Kilometer geradeaus, Spitzkehre, und so weiter und so fort immer schön runterwärts. 

Die Eisdecke auf der Straße schien mir deutlich solider als das filigrane Mäuerchen zum Abgrund hin. Ich merkte Röhrl dennoch eine tiefe Freude an. Programmpunkt: Heute lehren wir Journalisten mal, nachhaltig die Luft anzuhalten. Die Passagiere wurden festgeschnallt und bekamen einen Helm übergestülpt wie die Astronauten eines Apollo-Fluges. Röhrl stürzte sich dann den Hang hinunter wie ein Falke, der ein Mäuslein gesichtet hat. Vor jeder Spitzkehre fühlte ich mich wie beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre und spürte den sehnlichen Wunsch nach einem Bremsfallschirm. In der Retroperspektive sehe ich die kleine Lektion allerdings mit Altersmilde: Mit Walter Röhrl bergab zu fahren ist deutlich lustiger, als im Bus von Angela Merkel zu sitzen und den letzten Ölwechsel von Pater Altmaier zu erhalten.

Es ist da nix zu holen, außer Deinem Häuschen, mein Freund 

Dies verleitete mich zu dem Gedanken, selbst mal wieder Rallye zu fahren. An der Börse war ja in den letzten Wochen richtig was los. Besonders der Bitcoin überwand die Schwerkraft. Innerhalb von fünf Jahren hat sich dessen Kurs um zehntausend Prozent erhöht, alleine im letzten Monat mal eben verdoppelt. Der Bitcoin ist wohl im Wesentlichen eine gleichsam private Währung, die einzig auf dem Vertrauen basiert, das ihr von den Anlegern entgegengebracht wird. Ansonsten ist da nix zu holen. Das ist beim Euro allerdings genauso. Er basiert auf dem Vertrauen in einschlägig vorbestraftes Personal wie Christine Lagarde und der Annahme, dass die Bürger irgendwann so blöd sind, die von diesen Gestalten angehäuften Schulden zu begleichen. Es ist da nämlich auch nix zu holen, außer Deinem Häuschen, mein Freund. Ich folgte also der Maxime: Wenn ich schon beschissen werde, dann möchte ich dabei wenigstens was verdienen. 

Kaum hatte ich diesen Gedanken gefasst, passierte das, was immer passiert, wenn ich Rallye fahren will: Es ging rapide bergab mit dem Bitcoin, ähnlich wie mit Walter Röhrl auf der letzten Sonderprüfung. Ich konnte jedoch im letzten Moment die Handbremse ziehen. Mein Gehirn sendet offenbar irgendwelche kosmischen Signale aus, die Börsenkurse zum sofortigen Richtungswechsel veranlassen, sobald ich auch nur den Hauch eines Gedanken in mir trage, mein Erspartes in dieser oder jener Form anzulegen. Dadurch habe ich schon schwere Schuld auf mich geladen. So erinnere ich mich noch sehr gut daran, wie Eichborn – mein ehemaliger Verlag – an die Börse ging. Ich beschloss, die Buch-Tantiemen todsicher in Eichborn zu investieren. Einige Zeit später war der Verlag pleite. Sorry Leute, jetzt kann ich es ja verraten: Ich war das.

Auf diese Art und Weise lernt der Mensch zumindest, bescheiden und demütig zu bleiben. Ich tröste mich stets mit wunderbaren Tagträumen. Tommy Bayer schrieb 2007 den Roman „Eine kurze Geschichte vom Glück“. Darin geht es um die Frage: Was würde ich tun, wenn ich im Lotto gewinne und plötzlich mehrere Millionen reicher bin? Ein Gedankenspiel also, das jeder schon einmal gespielt hat. Wenn ich statt Eichborn Bitcoin erworben hätte, könnte ich heute reihenweise einst stolze, inzwischen aber marode Zeitungen und Magazine kaufen und die Leserschaft mit erbaulichem Schrifttum versorgen. Ich stelle mir nichts erheiternder vor, als in diesem Lande die linientreuen Glaubensbekenntnisse ein wenig querzubeten. Der gemeine Medienkonsument weiß gar nicht, was ihm entgeht. Ach ja: Das Neue Deutschland ist gerade zu haben, die Auflagenkurve strebt zu Boden und ähnelt einem Sprung vom Dache des Palastes der Republik. Sollten Sie im Lotto gewonnen oder rechtzeitig Bitcoin gekauft haben, melden Sie sich bei mir. Ich verspreche Ihnen neuen deutschen Unterhaltungswert bis zum jüngsten Tage.

 

Von Dirk Maxeiner ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Portofrei zu beziehen hier.

Foto: Christoph Kramer

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Wolf von Fichtenberg / 28.02.2021

@Archi W Bechlenberg (Ich will es nicht zum Zwiegespräch ausarten lassen, aber die Fähigkeiten das Ändern müssen ausgenutzt werden. Dringend!): >>> Wir alle haben gelernt. Kompetenzen und Echsperten (ich schreibe das mal so, denn “Experten”  klingt zu sehr nach “Ex und hopp”, obwohl “Echs… hm… Nee! Sie denken allesamt falsch. Ich meine das Echs1- Genom. Nix mit “Dino-Baumschubser regieren uns”...Egal. )—- Also diese Kompetenz erklärt uns in medialer Dauerschleife: Ein umaskierter Windhauch genügt um den Planeten ins Covidkoma zu pusten. Und ihnen glaube ich. Sind ja die Fachleute. So wie man den Arzt am weißen Kittel erkennt und weiß: “Ja, er hat es drauf!  (Wie? Anstreicher tragen sowas auch? Pfui, Sie Sie sind ein Defätist!) - Somit erwäge ich diese Möglichkeit: Schalten Sie die Glotze ein und schalten sie diese sofort wieder aus. Vielleicht reicht es ja schon. Aber Vorsicht! Nicht dass der Netzkobold sich erschreckt, wenn er den Hahn zum Speicher immer wieder öffnen und schließen muss.  Das wäre ungewohnt. Arbeiten. Das überlässt man lieber anderen und träumt die menschen in eine Wohnschublade hinein. Natürlich mit einem Flachbildschrirm, dem - wie bereits vorhin gesagt - an das Programm angepassten Gerät. ——- Ha! Ich sehe es. Es flackert am Horizont…  Danke!  Und so füstere ich zu meiner Frau. “Archi is there… .”

Frank Stricker / 28.02.2021

War schon eine tolle Generation, Walter Röhrl, Jochen Mass und “Striezel Stuck”, intuitives und handwerkliches Können am Lenkrad, aber dennoch mit Witz und Intellekt bei der Sache, Chapeau !

Sebastian Weber / 28.02.2021

Vorschlag: ACHGUT ((Autoren und Leser) kaufen „Neues Deutschland“, die Redaktion wird durch die ACHGUT-Autoren ausgetauscht und es gibt endlich richtig „ach“gute Artikel. Die Linken werden sagen: Nazisprech. Tja, wenn die Linken Experten es nicht schaffen, eine Zeitung am Leben zu halten, müssen halt die kapitalistischen Rechten ran. Was mich am meisten freuen würde: das sonore Brummen, also das Geräusch, wie Erich Honnecker im Grabe rotiert ...

Clemens Jäkel / 28.02.2021

Ihr Sonntagsfahrer ist wie immer ein Genuß. Ein Tipp für Ihr Bitcoin-Investment: An der Börse sollte man sich antizyklisch verhalten. Dazu braucht man mindestens soviel Chuzpe, wie Walter Röhrl. Schon Börsen-Guru Kostolany sagte sinngemäß: “Wer die Aktie nicht hat, wenn sie fällt, der hat sie auch nicht, wenn sie steigt.”

Volker Kleinophorst / 28.02.2021

@ F. Royale AchGut kauft das Neue Deutschland. Das hätte was. ;) Preis kann nicht so hoch liegen. Aber Links hat ja immer viele Schulden. Bei nem Lottogewinn wäre ich sofort selber aktiv. Wäre mir ein innerer “SED-Parteitag”. @ A. Bechlenberg Das Unbesiegbare eben nicht unbesiegbar sind, macht den Reiz des Sportes aus. Das kann sich bei einem Match kaum erschließen. Nicht auf Sport zu stehen, ist übrigens ebenso wenig eine Leistung wie Frau- oder POC-sein, keine Schlager oder Opern zu mögen oder Knoblauch. “Sport-Hass” ist das traurige Schicksal der Unsportlichen. Ich kann zum Beispiel kein Musik-Instrument spielen. Als Leistung betrachte ich das aber nicht.

Archi W Bechlenberg / 28.02.2021

Lieber Wolf von Fichtenberg, Sie dürfen davon ausgehen, dass mir Ihr subversiver Gedanke schon lange gekommen ist, zudem die beschriebenen Ereignisse auch noch ohne persönliche Anwesenheit geschahen; ich sah weit entfernt per Glotze zu. Natürlich sind zwei Treffer noch nicht sehr aussagekräftig, es bedürfte weiterer Versuche. Und daran scheitert es. Ein laufender Fernseher versetzt mich heute in sofortigen Stupor, verschärft durch gewisse Anblicke und Stimmen. Ich habe vor längerem noch einmal einen Versuch unternommen; beim Anschauen einer Dokumentation über niedliche Tierbabys. Das erschien mir gefahrlos, zumindest für mich. Doch die Moderation begann damit, dass das Wort “Klimawandel” fiel. Sofortige Starre trat ein. Ich musste aus dem Zimmer getragen werden, um außer Reichweite des TV Gerätes zu gelangen und wieder zu erwachen.

Frances Johnson / 28.02.2021

Sehr schöne Schilderung. Falls es der Col da la Bonnette war, sind die inneren Stimmen über den Verlauf des Lebens sicherlich berechtigt gewesen: “Jausiers : l’effroyable accident du col de la Bonette en images”. Aber vielleicht war es ja auch in Italien, wo heute alles etwas besser gesichert ist als in Frankreich. Auf den Col de l’Iseran, ohne Mäuerchen und mit atemberaubenden Ausblicken in den Abgrund versehen, dürfen leider Wohnmobile fahren, was zu Kalamitäten führt. Einen deutschen Motorradfahren musste man vor einigen Jahren weiter unten wieder aufsammeln, um ihn später zu beerdigen. Pässe können durchaus angsteinflößender sein als Covid. Das mit der Zeit an Ladesäulen gilt fast für jeden von uns, und die e-Karre im Winter soll eine Katastrophe sein, nicht ohne deine Decke und Thermoskanne, denn manchmal soll der ADAC etwas brauchen. Schön zu lesen, erheiternd nach dem melancholischen Casula-Stück, das aber wichtig ist. Ich sitze gerade über einer Karte mit ozeanischen Spreading Zones, ultraslow, slow, intermediate, fast and superfast (South Pacific Rise) und überlege, wie diese Prozesse wärmefrei unterseeisch ablaufen sollen, während die Wärme nur von uns sichtbaren Menschen kommt, die in fast bösartig zu nennender Manier zu Sündern umgeformt werden, die sich was schämen sollen. Es erschließt sich mir nicht, wie der Deutsche in seinem Gedankenkäfig mehr Einfluss auf die Antarktis haben soll als The South Pacific Rise. Genießen Sie trotzdem den Sonntag.

Eberhard Berger / 28.02.2021

Danke, ein schöner Bericht! An Walter Röhrl denke ich immer noch gerne zurück, er war in jeder Beziehung einer der Grössten auf dem Fahrersitz eines Sportautos und für mich ein wirklicher Sympathieträger. Und mit seinem Ladesäulen-Spruch hat er Angela Gesslers Apfel im Kern getroffen.

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