Dirk Maxeiner / 26.06.2016 / 06:15 / Foto: JFK Library / 8 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Nachhaltige britische Bewegung

Ein Bekannter von mir ist sehr anglophil. Am Freitag nach dem Brexit-Referendum bin ich gleich zu ihm geeilt und habe eine rote Rose auf der Haube seines Landrover abgelegt. Doch sowohl mein Bekannter als auch sein Landrover blieben erstaunlich gelassen. Sie sehen das britisch-pragmatisch: Bei einem sinkenden Pfund werden die Ersatzteile billiger. Wenn es dann so bleibt.

Ein Liebhaber eigenwilliger britischer Gepflogenheiten und Automobile lässt sich von den Rachegelüsten gekränkter EU-Liebhaber ohnehin nicht ins Bockshorn jagen. Da hält er es lieber mit Winston Churchill, den die vornehme Lady Astor  einst mit den Worten tadelte: „Sir, wenn Sie mein Ehemann wären, würde ich Ihren Drink vergiften.“ Churchill nahm das sportlich und antwortete: „Madam, wenn Sie meine Ehefrau wären, würde ich das sofort austrinken.“ 
So damit hätten wir das Thema Wutbürger und Brexit abgehandelt.

Churchills  Lieblingsauto war - klar doch - ein Landrover der Serie 1. Das Fahrzeug gilt als aufrechter Charakter, der sich nicht wegduckt.  An ihm ist fast alles ziemlich senkrecht, sogar die Windschutzscheibe. Im Windkanal, so schrieb mal jemand, sei der Landrover dazu angetan, "der Windmaschine die Flügel zu brechen". In Verbindung mit einem Gewicht von rund zwei Tonnen ergibt das eine ziemlich träge Masse. Doch wen interessiert das? Der wahre Fort­schritt, das lehrt die Geschichte der Menschheit, kommt oft durch den Kriechgang zustande.

Als sportliches Zubehör genügt ein Betäubungsgewehr

Und der Landy bleibt fit bis ins hohe Alter. Als sportliches Zubehör genügt eine Mauser 98-Magnum, ein Fernglas und ein Betäubungsgewehr. Letzteres lässt sich im Verkehrsgeschehen vielfach einsetzen. Ersatzkanister und Reservereifen auf dem Dach passen ebenso dazu wie eine frisch geschossene Hirschkuh, die  auf der Haube festgezurrt wurde. Der Landrover ist also auch ein Sportwagen, allerdings in politisch nicht ganz korrekten Zusammenhängen. Churchill war ein großer Anhänger der Fuchsjagd.

Hinterm Steuer eines Landrover muß der Fahrer zunächst eine Serengeti-Gedächtnisminute einlegen. Motor star­ten und Augen schließen. Das sanfte Tuckern des Motors. Seine kernige Resonanz im Tropendach. Der Geruch von englischem Schmierfett aus den Sitzschienen. Ostafrika 1957. Serengeti. Giraffen, Gnus, Löwen, Hyänen. Der Frankfurter Zoologie Professor Grzi­mek dreht den weltberühmten Film "Serengeti darf nicht sterben". Grzimek kurvt in einem Landrover mit Zebra­streifen über die Leinwand. Jedes Kind meiner Generation kannte dieses Auto. Seitdem habe ich die Serengeti und den Rover ein wenig aus den Augen verloren. Die Serengeti ist übrigens nicht gestorben. Es gibt dort wieder vielmehr Tiere als 1957. Und auch der Landrover genießt offen­sichtlich Artenschutz. Von 1,5 Millionen gebau­ten Exemplaren sind Dreiviertel noch im Dienst. Also ich würde England mal nicht verfrüht abschreiben.

Das Design des Landy  verrät, daß er als Arbeitstier einer ko­lonialen Großmacht gedacht war. Er sollte mit wenig Aufwand zu bauen, stabil und einfach zu bedienen sein. Er wurde sogar als Landmaschine und Pflug getestet. Da damals in England der Stahl knapp war, nieteten die Arbeiter - sie hatten in der Fabrik zuvor Flugzeuge gebaut -  kurzerhand Aluminiumbleche auf das Karosseriegerüst.

Der Landrover ist einer der wenigen nicht-peinlichen Geländewagen

Der Mangel und die Bescheidenheit der Mittel führten wie so oft zu einer zeitlosen Lösung. Dieses Auto hat keine Beulen sondern es trägt würdige Narben. Auch vom Wind abgeschliffener Lack und von der Hitze spröde Dichtungen verhelfen Landrovern zum sonnengegerbten Charaktergesicht des Abenteurers. Der Landrover ist bis heute einer der wenigen nicht-peinlichen Geländewagen. Während andere Modelle der Gattung Freizeit- und Gelän­demobil eigentlich überall unpassend sind, ist der Landro­ver nirgendwo unpassend. Dafür sorgt schon der königliche Hof in Großbritannien, der eine ganze Flotte dieser Mobile betreibt.

Der Besitzer des Landrover wird von seiner Mitwelt irgendwo zwi­schen Gutsbesitzer und Straßenbau-Ingenieur, Jäger und Umweltschützer, Forscher und Ölsucher verortet. Mittlerweile ist der Landrover auch ungeheuer schick: In Sardinien bei­spielsweise, wo stinkreiche Italiener ihre zurückgezoge­nen Landhäuser besitzen, gilt er als einzig senkrechte Form der Fortbewegung.

Die Landrover-Art der Fortbewegung wird am besten durch folgendes Wort charakterisiert: Unerschütterlich. Dem Motor scheint es völlig egal welcher Gang gerade einge­legt ist. Bei Vollgas geht sogar ein leichter Ruck durch die Kraftübertragung, wie beim Autoscooter, wenn der Strom eingeschaltet wird.  Die Geräuschkulisse ist hurrikanartig und erspart den Be­such des Kinostreifens "Twister". Die Karosserie verdient dabei die Bezeichnung Resonanzkörper. Richtig gemütlich wird es, wenn dann noch Regen aufs Dach prasselt. Wäh­rend eines Gewitters habe ich einmal in einem australi­schen Wellblech-Schafstall Zuflucht gefunden. Das Ge­prassel war zwar Ohren betäubend aber irgendwie auch beruhigend. Jedenfalls bin ich eingeschlafen. Auch im Landrover kommt kein Mensch auf die Idee, dass er den Krach selbst verursacht. Nein, man hat ständig das Gefühl, er nehme einem vor einem Sturm in Schutz.

Der Landrover liegt in der Ener­giebilanz um Lichtjahre vor einem deutschen Vorort­zug

Er ist in Deutschland für bis zu neun Personen zugelassen, wobei die hinte­ren vier sich auf zwei kleinen Längsbänken ins Gesicht schauen. In Afrika dienen die seitlichen Trittbretter weiteren sechs Personen als Mitfahrgelegenheit. Eine Belegung, die dann nach den Maßstäben der indischen Eisenbahnen bis zur Endauslastung gesteigert werden kann: Acht Personen auf dem Dach, drei auf der Haube und einer auf dem Reser­verad. Dies ergibt eine Beförderungszahl von 27 Personen. Der Landrover liegt damit in der Ener­giebilanz um Lichtjahre besser als ein deutscher Vorort­zug.

Wo wir gerade bei der ökologischen Komponente sind: Schon der Blick auf das Armaturenbrett verrät die Unzer­störbarkeit eines lebenslangen Produktes.  Die verstreuten Schalter, Hebel und Bleche wurden nicht nach kurzlebi­gen ergonomischen Gesichtspunkten angeordnet. Nein hier zählte einzig das  Kriterium, wo der Mechaniker einen Platz dafür fand. Überall schimmert das Arbeitsgerät durch. Mähdrescherfahrer und Baggerführer finden sich auf Anhieb zurecht, auch frühe russische Kosmonauten, deren Kapseln von ähnlich robuster Charakteristik waren, das habe ich im russischen Raumfahrtmuseum von Kaluga höchstpersönlich überprüft. Ein „Landy“ bildet eine gut verschraubte Formation quali­tativ hochwertiger Ersatz­teile. Er kann in der Regel mit einem Hammer und einem Schraubenschlüssel repariert werden.

Wer einen kauft, muss wissen: Dies ist ein Bund für's Leben. Dieses Auto kann er nicht einfach wieder ver­kaufen. Lan­drover werden nicht verkauft, sondern vererbt. Denn der Landrover wird niemals alt. Er muss höchstens einmal repariert wer­den. Und das funktioniert immer und immer wieder. Überlegen Sie es sich also gut. Mich jedenfalls überkommt der fiebrige Wunsch nach Anschaffung eins gut erhaltenen Exemplares wellenartig und in immer kürzeren Abständen. Im Moment auch als politisches Statement der Bewegung „nachhaltiges Großbritannien“. Als Gegenmittel erprobe ich eine Ma­laria-Prophylaxe.

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Test 45: 41424

Herbert Dietl / 26.06.2016

Herr Maxeiner, mir aus dem Herzen geschrieben! Noch ist die Liebe platonisch, aber wer weiß?

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