Dirk Maxeiner / 05.01.2025 / 06:00 / Foto: Alberto-g-rovi / 105 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Schumi darf kein Vorbild sein

Die Stadt Kerpen hat Michael Schumacher viel zu verdanken. Zum Ehrenbürger will man den seit einem tragischen Skiunfall schwer Gehandicapten aber nicht ernennen. Stattdessen gibt dort der deutsche Kleingeist Vollgas.

Die Stadt Kerpen zählt 70.000 Einwohner, liegt im Kölner Umland an der Autobahn A4 Richtung Aachen. Sie besitzt eine überschaubare Anzahl an Sehenswürdigkeiten, darunter ein Dutzend Kneipen und eine hohe Anzahl von Kreisverkehren, welche die Kurventüchtigkeit der Einheimischen fördern. Hinzu kommt das „Michael Schumacher Kart & Event-Center“ in Kerpen-Manheim.

Der einstige Stadteil Manheim musste dem Braunkohletagebau weichen, das Areal des einschlägig beleumundeten Hambach grenzt gleich an. Solche Mondlandschaften bilden mitunter Rückzugsorte für Lurche und Amphibien, und auch die Kart Bahn ist in einer ehemaligen Kiesgrube gelegen. Sie erwies sich als Biotop für die Aufzucht des wohl größten Rennfahrer-Talents der Automobilrepublik Deutschland. Schumacher wurde gleichsam freilaufend und in Bodenhaltung gezüchtet, denn er stammt aus sehr bescheidenen Verhältnissen.

Seine Mutter Elisabeth verkaufte Kölsch und Fritten in der Kart-Kneipe, Vater Rolf, ehemaliger Maurer, fungierte als „Bahnwart“ – man kam von ziemlich weit unten, und der Junior sollte und wollte ganz nach oben. Schumacher hat dann später in seiner Formel-1-Karriere so ziemlich alles gewonnen, was man gewinnen kann. Siebenmal wurde er Weltmeister. Er errang 91 Siege bei 307 Formel-1-Rennen. Und – ich erinnere mich – bei jedem wichtigen Rennen gab es eine Fernseh-Direktschalte nach Kerpen in die Kneipe, um den Enthusiasmus seiner Anhänger der Welt mitzuteilen. 

Schumacher machte dabei nie einen Hehl daraus, woher er kam, die Eitelkeiten der talkenden Klasse umfuhr er auch als sehr reicher Mann weiträumig. Die akademische Durchblickerfraktion betrachtete den populären jungen Mann mit dem rheinischen Akzent stets sublim mitleidig und von oben herab, weil er seine Zeit mit dem Feilen an Rundenzeiten verbrachte und nicht mit der Lektüre von Adorno. 

Der Mann war ein Virtuose hinter dem Lenkrad, im sprachlichen Ausdruck aber ganz Kerpener, also mitunter ein wenig ungelenk. Ich erinnere mich an die Doppel-CD „Michael Schumachers Powerformel", die mich seinerzeit ziemlich amüsierte. Darauf stand: „Hits zum Durchstarten", Genesis, Queen, Meat Loaf oder Tina Turner waren versammelt. Dazu ein halbstündiges Gespräch mit Schumi, was nicht so sein Ding war. Als repräsentativ mag der folgende Dialog gelten. Moderator: „Das wollte ich gerade sagen". Daraufhin Schumi: „Absolut richtig".

Formel 1 und katholische Soziallehre

Kerpen war Schumi-Stadt und alle stolz darauf, jeder zweite betrachtet ihn dort als persönlichen Kumpel respektive geistigen Verwandten ersten Grades. Leider konnten sie Kerpen nicht in "Schumistadt" umbennen, weil sie sich 2012 etwas voreilig den Namenszusatz „Kolpingstadt“ gegönnt hatten. In Kerpen wurde vor gut 200 Jahren der Gründer des Katholischen Gesellenvereins und des Kolpingwerks, Adolph Kolping, geboren. In seinen Gesellenvereinen gab Kolping jungen Menschen in bedrängter Situation Hilfestellung. Auf adolphkolping.de heißt es: „Hier erleben Sie Gemeinschaft und Geborgenheit, allgemeine, berufsbezogene und religiöse Bildung, ergänzt durch geselliges Miteinander“.

Es war also genau wie auf Schumis Kartbahn, beten inklusive (zumindest als Michael Schumacher 1992 im Regen des belgischen Spa-Fancorchamps sein erstes Formel-1-Rennen gewann). Danach hörte er nicht mehr auf mit dem Siegen. Aber „Schumistadt“ war Kerpen dann wohl doch zu gewagt und Schumi 200 Jahre zu jung, obwohl „Schumistadt“ ja deutlich besser klingt als Karl-Marx- oder Ho-Chi-Minh-Stadt. Aber ich will nix gegen "Kolpingstadt" sagen, die katholische Soziallehre möge auf Kerpen abfärben. Wobei da noch Luft nach oben ist, wie die nun folgende Begebenheit zeigt.

2013 erlitt Michael Schumacher beim Skifahren einen schweren Unfall. Die Familie betreut ihn seitdem und schirmt ihn konsequent gegen die Öffentlichkeit ab, was man respektieren sollte. Dennoch bleiben ihm Millionen Anhänger in aller Welt verbunden, sie bewundern seine Perfektion und auch sein Gewinnenwollen um jeden Preis. Und so kam die nicht sehr fern liegende Idee auf, den siebenfachen Weltmeister zum Ehrenbürger von Kerpen zu machen, als kleines Dankeschön gewissermaßen. Der Michael-Schumacher-Fanclub Kerpen e.V. hatte sich laut "Bild" Anfang 2024 mit einer Petition für die Ehrenbürgerschaft ihres Idols stark gemacht.

Boris Becker ist seit seinem 18. Lebensjahr Ehrenbürger von Leimen, Louis Hamilton wurde von den Briten zum Ritter geschlagen und heißt seitdem „Sir Lewis Hamilton“. Fritz Walter ist Ehrenbürger von Kaiserlautern, Uwe Seeler von Hamburg, Biathlet Sven Fischer von Schmalkalden. Doch für Michael Schumacher kam es nicht zu dieser recht selbstverständlichen Geste, sondern zu einer ziemlich unwürdigen Aufführung: Die Kolpingstadt Kerpen will ihrem prominenten Gesellen die Ehre nicht erweisen, was Adolph Kolping garantiert nicht gefallen hätte.

"Das ist typisch Deutschland und unsere Politik"

Bruder Ralf, selbst ein erfolgreicher Rennfahrer, sagt: „Das ist typisch Deutschland und unsere Politik. Bei der SPD wundert mich nichts mehr. Leistung ist scheinbar nicht mehr wichtig. Wenn man sich überlegt, was mein Bruder durch seinen Erfolg für Kerpen getan hat, fehlen mir bei sowas einfach nur die Worte.“ Als die Bildzeitung bei der Stadt die Gründe in Erfahrung bringen wollte, versteckte sich Bürgermeister Dieter Spürck (CDU) sogleich im Paragraphendschungel: „Kerpen verfügt über keine Ehrenordnung. Die Entscheidung über die Einführung einer Ehrenordnung mit entsprechender Ehrenbürgerschaft und dessen Kriterien obliegt dem Stadtrat.“ Dem kann geholfen werden: Eine einfache Google-Suche fördert sofort die Ehrenordnungen von Bottrop, Paderborn, Willich, Wuppertal und Neuss zutage, sie sind mehr oder weniger gleichlautend. Man nehme also einfach die Ehrenordnung von Bottrop hier, ersetze im Entwurf Bottrop durch Kerpen, lege sie dem Stadtrat vor und der Käs’ ist gegessen. Darum geht es aber offenbar gar nicht.

SPD-Fraktionschef Andreas Lipp sagte dem „Kölner Stadtanzeiger“ dass es „derzeit keinen Sinn“ ergebe und dass die Stadt „einfach andere Baustellen“ habe. Ich kann mir nicht helfen, aber irgendwie scheint der Kerpener Stadtrat sich mit einem philosophischen Seminar zu verwechseln und möchte daher auf ähnlich hohem Niveau zurückfragen: „Kann man einen Sinn und ein Ziel der Geschichte erkennen oder nicht?“ Auch Peter Abels (Grüne) schwankt zwischen Platon und Aristoteles: „Wo fängt man bei Ehrenbürgerschaften an, wo hört man auf?“ Man könnte den Herrn Stadtrat genauso gut zurückfragen: „Was ist das Wesen des Menschen? Was ist seine Aufgabe in der Welt?" Oder weil es sich um einen Grünen handelt auch: „Warum bin ich so, wie ich bin? Was ist ein Gedanke? Was sind Gefühle? Warum tanzen Menschen?“ Kurz gesagt: Die Beteiligten erzählen kompletten Bullshit, sie haben schlicht keine Lust, Michael Schumacher die Ehre zu erweisen.

Die herablassende Bemerkung man habe "einfach andere Baustellen" des SPD-Fraktionschefs deutet darüber hinaus darauf hin, dass der Mann zu viele grobe Leberwurst nach Gutsherrenart zu sich genommen hat. Mich wundert lediglich, dass keiner von den Herrschaften auf die Idee gekommen ist, alternativ einen neuen Fahrradweg nach Michael Schumacher zu benennen.

Aber zurück zu den Baustellen. Die wohl größte hat damit zu tun, wie sich das ehemalige Braunkohlerevier seine Zukunft so vorstellt. Dafür sind die Stadtwerke Kerpen zuständig: „Die Kolpingstadt Kerpen hat in Zusammenarbeit mit den Stadtwerken Kerpen, Siemens Energy, Westenergie AG, dem Forschungszentrum Jülich sowie weiteren Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft ein innovatives Energiekonzept – SpeicherStadtKerpen – entworfen“ Das könne in seiner Art ein Modell für "viele Städte und Regionen in Europa" sein.

Schauen Sie sich dieses großartige Zukunfts-Panorama an, gegen das ein Go-Kart-Kurs wie Hobbitland im Vergleich zu Mordor ausschaut. Die dicht an dicht gereihten Windräder reichen bis hinter den Horizont, endlose Solarzellen und Rapsölfelder geben der Landschaft den Rest. "Future Kerpen" sieht aus wie die Öko-Version von Dantes-Inferno. Und „grüner Wasserstoff“ darf selbstverständlich auch nicht fehlen, denn das Kerpener Industriegebiet soll „dekarbonisiert“ werden – samt des Aldi-Auslieferungslagers mit täglich hunderten von Lastwagen. Es handelt sich um ein innovatives Subventionsabzock-Modell, das ziemlich sicher in einer hübschen Wasserstoff-Pleite enden wird, so wie im November in Lubmin und im Oktober in Augsburg. In Erinnerung bleibt auch das „Solarvalley“ bei Bitterfeld, das den dortigen Braunkohletagebau in eine halluzinierte Zukunft führen sollte, wobei ein paar hundert Millionen vergraben und nie wieder aufgefunden wurden.

Eine Kart-Rennbahn, auf der junge Leute mit ihren sausenden Vehikeln einfach nur Spaß haben wollen, harmoniert nicht mit Kerpens Zukunft. Sowas ist den Großtuern und Kleingeistern der Stadt peinlich. Menschen die sich am Motorsport begeistern, gelten in diesen Kreisen als geistig nicht satisfaktionsfähig, weil sie sich dem grünen Zeitgeist so offensichtlich verweigern.

Der deutsche Kleingeist hat im grünen Millieu seinen festen Wohnsitz genommen und nimmt einfach nur noch übel. Er nimmt übel, dass Menschen das Auto mögen, dass Menschen den Wettbewerb mögen, dass Menschen nach oben kommen wollen, dass Menschen ihr Leben verbessern und Wohlstand erringen wollen, dass Menschen reisen und es sich gutgehen lassen wollen.

Sie verachten Menschen, die von unten kommen und es ablehnen, sich von ihnen als Mündel vereinnahmen zu lassen. Sie verachten Menschen, die es ablehnen, im Tausch gegen Alimente nach ihrer Pfeife zu tanzen. Sie tarnen ihren Neid auf die Erfolgreichen als Moral. Sie blicken auf Menschen herab, die mit etwas durchstarten, das ihrer Ideologie zuwiderläuft. Sie blicken auf jene herab, die ihre formale Bildung nicht erreichen, dafür aber über praktischen Verstand und herausragende Fähigkeiten verfügen. Sie fürchten das Beispiel jener, die beweisen, dass es auch ganz anders geht, als sie es gerne hätten.

All dies trifft auf Michael Schumacher zu, dem sie genau deshalb nicht die Ehre erweisen wollen.

 

Dirk Maxeiner ist einer der Herausgeber von Achgut.com. Von ihm ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Zu beziehen hier.

Foto: Alberto-g-rovi CC BY 3.0 via Wikimedia Commons

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netiquette:

Peter Faethe / 05.01.2025

Viel schlimmere, ähnliche Fälle. Meinem mathem. Gewissen ist grob widerwärtig, dass es ehem. Ehrenbürger gibt, die zweimal diese Würde verloren – durch Tod und durch Aberkennung, aber nur einmal erhielten. Problem-Lösung: Nachträgliche Verleihung der Ehrenbürger-Auszeichnung an den ehem. Führer und Reichskanzler A. Hitler, den ehem. Feldmarschall und Reichspräsidenten P. von Hindenburg, den ehem. General der DVP R. Rösner usw.

Sam Lowry / 05.01.2025

“Die Ära der Erbärmlichen” passt mMn besser; und zwar alle. Von ganz oben bis zum kleinsten Pförtnervertreter…

Sam Lowry / 05.01.2025

Klasse die furchtbare scheinheilige Mentalität der “Derzeitigen” offen gelegt, Herr Maxeiner. Darauf direkt ein Sangria-5%-Mischgetränk. Prosit!

Karl Loberan / 05.01.2025

Ich war nie ein großer Schuhmacher Fan, habe es immer eher mit Häkkinen und Mercedes gehalten. Tatsächlich habe ich Michael Schumacher aber mal getroffen, und zwar in Österreich. Wir haben dort Urlaub gemacht und gerieten zufällig in örtliches Fußball Spiel - der Grill hatte uns angelockt. Plötzlich meinte einer meiner Freunde, dort drüben stände Michael Schumacher. Wir haben es natürlich nicht geglaubt, sind aber trotzdem hin und haben nach einem Autogramm gefragt. Er war es tatsächlich und reagierte auch sehr freundlich. Ein Autogramm haben wir leider nicht bekommen, weil er meinte, er sie privat hier und wolle kein Aufsehen. Er sagte, wenn er das anfängt, stünden in 10 Minuten die Medien auf der Matte und tausend Fans. Wir haben uns bedankt, ihm einen schönen Tag gewünscht und uns verzogen.

Gus Schiller / 05.01.2025

Vielleicht benennt Ferrari sein nächstes Modell nach Schumi. Wäre doch auch was.

Talman Rahmenschneider / 05.01.2025

@ Eberhard Sturm: 1995 kollidierte Hill dagegen absichtlich mit Schumacher (Monza). Die beiden waren zwar Konkurrenten, respektierten sich jedoch gegenseitig. Einmal, allerdings davor, gingen sie zusammen tauchen. Das hat also wenig zu bedeuten.

Ralf Pöhling / 05.01.2025

Dass ein Rennfahrer aus aktueller Generation, also ein ECHTER Leistungsträger für den Sport, die Wirtschaft und damit das ganze Land, stiefmütterlich behandelt wird gegenüber den “Vorbildern” verkrusteter Strukturen von vorgestern, wundert nicht. Denn die Profiteure dieser verkrusteten Strukturen von vorgestern wollen keine neuen Vorbilder und deshalb auch keine neuen Strukturen, in denen sie keine zentrale Rolle mehr spielen können, deswegen keinen zentralen Einfluss mehr haben und dort auch nicht mehr so einfach die Hand aufhalten können. Darum geht es hier. Um nichts anderes. Und das Problem hat es überall in Deutschland. Deutschland ist das Land der Vereine, Verbände und Parteien. Wer da nicht direkt Mitglied ist, sich freiwillig in die alten Strukturen einbindet und sie so auch noch festigt, seien sie auch noch so rückwärtsgewandt und dysfunktional, wird nicht gewürdigt. Egal, was er oder sie auch leistet. Den berühmten Kollektivismus, den man in Deutschland fälschlich immer nur links verortet, hat es über das ganze gesellschaftliche Spektrum. Kein Land tickt so anti-individualistisch und anti-freiheitlich wie Deutschland. Auch wenn das zwischenzeitlich hier und da mal anders aussehen mag. Hier muss man immer irgendwo örtlich bei irgendwas Mitglied sein, wo irgendwer anders bestimmt, wie der Hase läuft. In Deutschland will man keine freiheitlichen Vorbilder, in Deutschland will man Schäfchen die nicht aufmucken und Sklaven, die das tun, was andere von ihnen wollen. Da sind freiheitliche Vorbilder nicht geeignet, um dieses “System” aufrechtzuerhalten.

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