Am vergangenen Wochenende erhellte eine Meldung des Berliner Tagesspiegel mein Gemüt wie früher mein Dackel, wenn er einem ungeliebten Nachbarn direkt an die Haustür pinkelte. „Hausverbot für Merkel, Scholz, Söder und andere Politiker“, berichtete der Tagesspiegel. Als Reaktion auf die Schließung aller Gaststätten ab Montag wolle die legendäre Berliner Polit-Kneipe „Ständige Vertretung“ (StäV) der Bundeskanzlerin, dem Finanzminister und weiteren Spitzenpolitikern kein Kölsch mehr ausschenken und auch kein Eisbein mehr servieren.
Die „Ständige Vertretung“ wagte es sogar, ihre unerwünschten Gäste in einem Video namentlich zu würdigen, so ähnlich wie mein alter Lateinlehrer, wenn er genüsslich und coram publico diejenigen aufzählte, die in der Klassenarbeit das Ergebnis „mangelhaft“ und „ungenügend“ erzielt hatten. Die erneute Zwangsschließung der Gaststätten sei eine Katastrophe für die Gastronomie, die Corona-Politik von Aktionismus statt überlegtem Handeln getrieben. Außer Merkel, Scholz und Söder erhielten noch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) und Karl Lauterbach (SPD) mangelhaft bis ungenügend.
Ich empfehle das anderen Betroffenen zur Nachahmung, bei nächster Gelegenheit könnte man beispielsweise in Bayreuth auf dem Hügel die Aufführung einstellen, wenn Mutti und Söder in der Loge auftauchen und einen auf Hochkultur machen. Wie sprach der olle Wagner so schön: "Nicht der versteckte Groll, sondern eine offen erklärte und bestimmt motivierte Feindschaft ist fruchtbar; denn sie bringt die nötige Erschütterung hervor, die die Elemente reinigt, das Lautere vom Unlauteren sondert, und sichtet, was zu sichten ist".
Politische Lokalverbote sind hierzulande bislang eigentlich eher Ausweise von Gratismut, in der Regel im Kampf gegen räächts, also AfD, Pegida und die üblichen Verdächtigen. Dass diesmal unser tadelloses Spitzenpersonal draußen bleiben soll, wie sonst nur die Halter eines deutschen Schäferhundes, ist hingegen neu. Statt Gratismut war hier wahrscheinlich der Mut der Verzweiflung im Spiel, allerdings währte er nicht lange. Inzwischen ruderte man zurück und will lieber mit Angela Merkel, die nebenan am Schiffbauerdamm eine Wohnung hat, „das Gespräch suchen“. Das ist sowas ähnliches, wie die Lesebrille suchen, um den Vollstreckungsbefehl besser lesen zu können.
„Kühn und unartig“
Als Autor trug ich mich übrigens immer mal wieder mit dem Gedanken, eine Weltgeschichte der Lokalverbote zu schreiben. Einen unterhaltsameren Plot über die Irrungen des Zeitgeistes kann ich mir kaum vorstellen – zumal ich einen reichhaltigen eigenen Erfahrungsschatz beisteuern kann. Mein Onkel, der sich der Ahnenforschung gewidmet hatte, entdecke in den Analen unseres Geschlechts schon früh Kneipenschlägereien, die mitunter letal endeten („mit einer Grubenlaterne erschlagen“) sowie gewisse Charaktereigenschaften, die in einem Schulzeugnis aus dem 18. Jahrhundert mit „kühn und unartig“ umschrieben wurden.
Mein Vater setze diese Tradition engagiert fort. So wird aus den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts berichtet, dass er in der Stadt meiner Jugend eine NPD-Versammlung in einer seiner Stammkneipen zu verhindern trachtete. Als der Wirt nicht einsichtig war, versenkte er heimlich einen Harzer Käse in der Jukebox, der die Versammlung zu einem olfaktorischen Höhepunkt der NPD-Geschichte machte.
„Walter, sag mir wo hast Du den Harzer versteckt?“, fragte ein aufgeregter Wirt am Telefon. Allerdings nicht meinen Vater, sondern mich, der ich unschuldigerweise am Apparat war und vom Wirt mit meinem Erzeuger verwechselt wurde. Ich klärte den Irrtum allerdings nicht auf, sondern quittierte die Beschimpfungen mit der zugegebnermaßen rotzlöffelhaften und außerdem erkennbar rhetorischen Frage: „Haben Sie überhaupt Abitur?“. Es folgte ein kollektives Lokalverbot, das sogar für meinen Bruder galt, der zumindest in diesem Falle nun wirklich die reine Unschuld war. Wie singt der Wiener Wolfgang Ambros so schön: „In jed'm Häusl in der Stodt, Wes a bissl a Niveau no hot, Dort hob i Lokalverbot, Lokalverbot“.
Muttis Käse wird sozusagen zwangsweise verordnet
Rein juristisch unterliegt ein Lokalverbot im Übrigen gewissen Regularien. Deshalb ein kleiner Exkurs: Das Lokalverbot leitet sich aus dem Grundgesetz ab. Aus dem Grundrecht des Artikels 13 des Grundgesetzes („Unverletzlichkeit der Wohnung“) folgt das sogenannte Hausrecht. Wenn es sich um Geschäftsräume oder eine Lokalität handelt, die für den allgemeinen Publikumsverkehr geöffnet sind, ist aufgrund des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und dem Gleichheitsgrundsatz ein willkürlicher Ausschluss von Personen nicht möglich. In solchen Fällen muss ein sachlicher Grund für den Ausschluss gegeben sein. Als sachliche Gründe kommen in Betracht vor allem Straftaten, die der Betroffene verübt hat, beispielsweise Diebstahl oder Sachbeschädigung. Als weiterer sachlicher Grund käme auch die Belästigung anderer Kunden in Betracht.
Der Wirt meines Vaters könnte also legitimerweise die „Belästigung anderer Kunden“ anführen, soweit sie Harzer Käse nicht mögen. Und der Wirt der „ständigen Vertretung“ dürfte ebenfalls gute Argumente haben, schließlich ist die Schließung seines Lokals auf den göttlichen Wink der Bundeskanzlerin hin ebenfalls eine Belästigung seiner Kunden, Muttis Käse wird sozusagen zwangsweise verordnet.
Ich habe inzwischen einen kleinen Anekdotenvorrat mit Lokalverboten gesammelt, der seiner literarischen Verarbeitung harrt. Helmut Berger ging in „Lauras Kings Club“ Jungs, die seinem Beuteschema entsprachen, allzu stürmisch an die Wäsche und brillierte mit der Entschuldigung „Ich bin Hollywood, und was seid ihr?“ Franz Josef Strauß hatte im Münchner Promi-Schuppen „Alter Simpel“ aus leider ungeklärten Gründen „lebenslang Lokalverbot“, man versöhnte sich aber rechtzeitig und der Zoff konnte weitergehen. Bernhard Grzimek („Ein Herz für Tiere“, „Serengeti darf nicht sterben“), klebte in Restaurants, die Froschschenkel anboten, despektierliche Artenschutz-Aufkleber in die Speisekarten und wurde dabei mitunter in flagranti erwischt und mit Verbannung bestraft.
Die „Stäv“ mit ihrem rheinländischem Flair gegenüber dem Bahnhof Friedrichstraße am Schifferbaudamm ist übrigens 1997 von zwei Bonner Gastwirten gegründet worden – zunächst vor allem für die Umzügler aus Ministerien, die schon in der legendären Bonner „Ständigen Vertretung“ ein Wohnzimmer gefunden hatten. Prominente Befürworter des Umzugs der Bundeshauptstadt nach Berlin – wie Willi Brandt oder Richard Weizsäcker – erhielten damals in einigen Bonner Kneipen Lokalverbot. Die Kneipe als Vorbereitungsraum beziehungsweise Austragungsort parlamentarischer Debatten hat ja eine lange und weltweite Tradition. Vielleicht stören die Tresen als virale Orte der politischen Meinungsbildung ja gerade deshalb so, jedenfalls ist nun Schluss mit "Öffnungsdiskussionsorgien”. Und wer nicht spurt, wird zuhause von Mutti mit dem Nudelbrett erwartet.
Die Leute von der Ständigen Vertretung sahen sich jedenfalls genötigt, wieder brav zu sein und verwahrten sich gegen „Beifall aus der falschen Ecke“. Aber wo ist die richtige Ecke? Nehmen wir einmal an, Borussia Dortmund spielt gegen den Lokalrivalen Schalke 04 und schießt ein Tor. Daraufhin applaudiert die Schalke-Kurve heimtückisch. Und was macht dann Borussia Dortmund? Lassen die das Tor etwa annulieren? Wegen Beifalls aus der falschen Kurve? Und die Sturmspitzen wollen lieber das Gespräch suchen? Nicht doch Jungs. Ihr habt Mutti und ihre Gurkentruppe ganz wunderbar auf dem falschen Fuß erwischt. Und Volltreffer kann man nicht zurückholen.
Von Dirk Maxeiner ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Portofrei zu beziehen hier.