Dirk Maxeiner / 23.10.2016 / 06:20 / Foto: Pujanak / 2 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Links telefonieren und rechts überholen

Es wurde ja auch Zeit. Karl Benz erfand 1888 das Auto­mobil. Vier Jahre später er­öffnete Alexander Graham Bell die erste Telefonverbin­dung zwischen New York und Chicago. Beide Erfin­dungen waren mit Geräusch verbun­den, und beide überwanden mit hoher Geschindigkeit große Entfernungen: Die eine röhrend die andere plap­pernd. Jetzt, nach gut 120 Jah­ren, sind Röhren und Plappern endlich in einem rauschenden Finale vereint. "Das Mo­biltelefon ermög­licht es denen, deren Lebensführung be­reits von Beschleu­nigung und Ver­dich­tung gekennzeich­net ist, diese Pro­zesse zu verstärken", heißt es in dem klugen Buch "Flim­mernde Zeiten".

Beschleunigung und Verdichtung sto­ßen - soweit es das Automobil und den Verbrennungsmotor anbelangt - allmählich an ihre Grenzen. Folglich kommt der Mensch auf die Idee, die Zeit zu verdich­ten. Sie läßt sich effi­zienter nutzen, wenn man mehrere Dinge gleichzeitig tut, also beispiels­weise Radiohören beim Lesen, Essen beim Fernsehen oder Telefonie­ren beim Autofahren. Mann und Frau, jung und alt, arm und reich: Sie alle haben das Handy als ul­timative Ver­längerung des Gaspedals entdeckt. Den Witz, an den Sie jetzt bei „ultimativer Verlängerung“ denken, erspare ich mir. Grundsätzlich halte ich den dahinter stehenden Gedanken aber nicht für ausgeschlossen.

Lediglich elitäre Spielver­derber wehren sich störrisch gegen die Zei­chen der Zeit: Bei­spielsweise unser al­ler Prinz Charles, der sein Mobiltelefon vor längerer Zeit mal ge­feuert hat - wutent­brannt  und aus dem Fenster seines fahrenden Bent­ley. Was brachte den Prinzen so in Rage? Sprach er mit der Queen? Mit Camilla? Oder mit einer Biokartof­fel vom kö­niglichen Ökohof? Die Bildzei­tung be­richtete jedenfalls, daß Polizi­sten später die Landstrasse absuchen mußten, "weil auf dem Telefon Ge­heimnum­mern der königlichen Familie gespei­chert waren".

Der Ver­kehrs­melder ist der Flakhel­fer der Automobilgesellschaft

Das wäre in Deutschland nicht pas­siert. Die Radiostationen der Na­tion rekrutierten inzwischen über 40.000 Ver­kehrsmelder. Mit Handy und Pflicht­bewußtsein leisten diese "meldewilli­gen Personen", ihren Dienst am Vaterland. Der Moment, in dem Prinz Charles die Contenance verlor, wäre in deutschen Landen so­fort be­merkt worden: "Hier spricht Ver­kehrsmelder 750, auf der A8 bei Ki­lometer 43,5 kommt ih­nen ein her­ren­loses Handy entgegen."

Der Ver­kehrs­melder ist uner­schrocken und wach­sam, gleich­sam der Flakhel­fer der Automobilgesellschaft. "Werden Sie Staumelder" fordert der ADAC seine Mitglieder auf, der Titel klingt ja geradezu amtlich. "Sie erhalten dann Ihre persönliche Meldernummer sowie die kostenfreie Rufnummer für Ihre Meldungen", schreibt der Automobilclub. Ich will auch so eine persönliche Staumeldernummer, das kommt vom Sozialprestige her gleich nach Hatespeech-Melder bei Anetta Kahane. Von wegen Rechtsfahren und so. Die­sen gewis­senhaften Aufsichtspersonen ent­geht nicht der geringste Vorfall. Wer in höchster Not an einen Chaussee­baum pinkelt, hat große Chan­cen ins Radio zu kom­men ("Zwischen Unterhausen und Obergriesbach irrt eine hilflose Person umher, Unfall- und Rettungs­dienste wur­den bereits ver­stän­digt").

Ich erinnere mich noch an Zeiten, in denen das Auto ein Rückzugsgebiet erster Güte war. Niemand konnte einen erreichen.  Hinter dem Steuer warst Du soweit weg wie auf einer abgelegenen Lofoten-Insel. Autofahren wurde so zur kontemplativen Tätigkeit. Millionen Menschen genossen den Feierabend-Stau, in dem man endlich einmal ungestört seinen Gedanken nachhängen konnte. Und nach einem Unfall konnte man in Ruhe sterben. Heute befindest Du dich in einer Gesellschaft, die unentwegt in ihr wie auch immer geartetes Sprechgerät plappert, beziehungsweise ein Selfie mit Deinen sterblichen Überresten auf Facebook stellt.

Wurde der Alltag früher durch Promille-Sünder aufgelockert, so sind es heute Handy-Sünder

Das ist wie in einer Schafherde, die durch beständiges Blöken und Meckern sicherstellt, dass keiner verloren geht. Das Lämmlein blökt, sobald es Hunger bekommt, die Mutter erkennt es an der Stimme, antwortet laut, und so finden beide wechselrufend zueinander. Auf "guteFrage.net" fand ich folgende Beschwerde: „Was kann man gegen Schaf-Dauergeblöke in nächster Nachbarschaft tun? Balkonaufenthalt kaum möglich.“ Ich frage mich das regelmässig im öffentlichen Nahverkehr. Dann doch lieber Auto, da quatscht höchstens der Beifahrer – und den kann man rausschmeißen.

Wurde der zähe automobilistische Alltag früher eher durch fröhliche Promillesünder aufgelockert, so tragen heute verstärkt Handy-Sünder zu Kurzweil bei. Eine Freisprecheinrichtung ist etwas für Anfänger oder Pussys, der echte Thrill kommt erst auf, wenn man das Smartphone am Ohr hat. Polizisten stellt das ab­wechs­lungsreiche Treiben vor ganz neue Herausforderungen. Besonders bei unkonzentriertem Fahren in der Nacht lautet die Preis­frage: Besoffen? Oder Handy? Oder besoffen und Handy?

Dies alles ist natürlich noch weiter ausbaufähig. So sollte statt des nortmalen Nummernschildes ab sofort die Mobiltelefon-Nummer am Auto angebracht sein.  Dies erlaubt es dann, dem Vordermann an der Ampel einen Weckruf zu­kommen zu lassen. Umgekehrt ist es denk­bar, Lichthupendrängler auf der Au­tobahn kurz anzuläuten. Bei­spiels­weise mit der Frage: "Sind sie von Natur aus ein Idiot, oder haben Sie Privatstunden genommen?" Es ist un­schwer vorstell­bar, um wie­viel per­sönlicher und herzlicher sich der Um­gang der Ver­kehrsteilnehmer mitein­ander ge­stal­ten würde! Und hierbei ist noch nicht einmal berück­sichtigt, daß auch Fuß­gänger und Radfahrer sich mit guten Wünschen einschalten könnten.

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Leserpost

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Matthias G. Bumann / 23.10.2016

“Polizisten stellt das ab­wechs­lungsreiche Treiben vor ganz neue Herausforderungen.” Dazu fällt mir ein: Hat schon jemand einen Krimi aus einschlägig bekannten Serien im dt. Staatsfernsehen gesehen, wo der tüchtige Kripo mal nicht beim Fahren mit dem “Händie” telefoniert?

Hans Meier / 23.10.2016

Danke Herr Maxeiner. Gestern hab ich eine Premiere geschafft, stundenlang nicht am Steuer zu sitzen. Sogar als Beifahrer nicht raus zufliegen, und „ihren zarten Fahrstil mit Empathie“ zu akzeptieren.

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