Ich habe hier ja schon öfter mal erwähnt, dass ich nicht weit vom Nürburgring aufgewachsen bin. Und dieser Umstand bringt die Jungmänner aus der Gegend sehr oft auf die Idee, dass sie gewissermaßen geborene Rennfahrer sind. Ich persönlich hielt mich für eine Mischung aus Jim Clark und Walter Röhrl. Mindestens. Gar nicht so selten werden solche optimistischen Selbsteinschätzungen unsanft von einem der in der Eifel zahlreich vorhandenen Bäume gedämpft.
Ich selbst hatte mehr Glück, denn eine Empfehlung brachte mich mit dem finnischen Rallyefahrer Rauno Aaltonen zusammen. Weil Aaltonen besser fahren als schreiben und ich besser schreiben als fahren konnte, traf ich ihn als junger Journalist am Nürburgring, um das Ghostwriting für sein Buch „Revolution am Steuer – die neue Fahrtechnik“ zu besprechen. Das Konzept sprach mich sofort an, es handelte sich um ein als Sicherheitsfibel getarntes Raser-Handbuch. Und gut bezahlt war es auch.
Zur Einstimmung in Theorie und Praxis schlug der Finne ein paar Erläuterungs-Runden auf dem Nürburgring vor. Es war ein Wintermorgen, und auf der Fahrbahn lag dick Neuschnee. Ich hatte einen Leihwagen mitgebracht, einen Mercedes 200 „Strich 8“. Das war schon damals kein Rennwagen, sondern eine Schlaftablette. Wir bestiegen die lethargische Familiensänfte und machten uns auf den Weg. Auf der Start und Ziel-Geraden überholten uns eine Reihe richtige Rallyeautos, die „Sportfahrer“ am Volant scheuchten uns indigniert zur Seite und spritzten Schnee auf unsere Frontscheibe.
Wie ein Zweimaster auf eine Monsterwelle
Doch dann ging es steil hinab in die tiefe Schlucht der Hatzenbach. Der Mercedes wankte die abschüssige Strecke hinunter wie ein Zweimaster eine Monsterwelle. Die gefühlten Profis tauchten rasch wieder vor uns auf, weil sie in dem Kurvengeschlängel bremsten, wir aber nicht. Im Gegenteil, mein fliegender Finne schaltete in den vierten Gang hinauf. Die zweite Liga flüchtete hektisch an den Straßenrand, in der festen Überzeugung, dass mein Chauffeur jegliche Kontrolle über das Fahrzeug verloren hatte. Das war aber nicht der Fall. Als die Herrschaften bemerkten, dass der Fahrer genau wusste, was er tat, schämten sie sich in Grund und Boden, so als seien sie gerade von einer Klopapierrolle überholt worden.
Die alte Nordschleife ist gut 22 Kilometer lang, mir war aber schon nach fünf Minuten klar: Lieber Dirk, nein, Du kannst nicht Autofahren, das hast Du nur geträumt. Autofahren kann der Typ da neben Dir am Steuer, Du kannst allenfalls dilettieren. Seitdem gehe und fahre ich etwas demütiger durchs Leben. Man kann mit der Einschätzung seiner Fähigkeiten eben nicht vorsichtig genug sein.
Und damit sind wir beim „Dunning-Kruger-Effekt“. So wird die systematische fehlerhafte Neigung relativ inkompetenter Menschen bezeichnet, das eigene Wissen und Können zu überschätzen und die Kompetenz anderer zu unterschätzen. Der populärwissenschaftliche Begriff geht auf eine Publikation von David Dunning und Justin Kruger zurück. Dunning und Kruger hatten in Studien bemerkt, dass etwa beim Erfassen von Texten, beim Schachspielen oder Autofahren Unwissenheit oft zu mehr Selbstvertrauen führt als Wissen.
Sie erforschten den Effekt weiter und und kamen zum Resultat, dass weniger kompetente Personen
- dazu neigen, ihre eigenen Fähigkeiten zu überschätzen;
- überlegene Fähigkeiten bei anderen nicht erkennen;
- das Ausmaß ihrer Inkompetenz nicht zu erkennen vermögen;
- durch Bildung oder Übung nicht nur ihre Kompetenz steigern, sondern auch lernen können, sich und andere besser einzuschätzen.
Dunning und Kruger zeigten, dass schwache Leistungen mit größerer Selbstüberschätzung einhergehen als stärkere Leistungen. Darauf machte mich jüngst ein Achse-Leser, Karl-Heinz Dehner, aufmerksam und lieferte mir auch ein aktuelles Beispiel dazu:
Selbstsicher unterbelichtet
Nordamerikanische Forscher befragten rund 2.500 Europäer und US-Bürger nach ihrer Haltung zu genetisch veränderten Organismen. Für ihre Studie im Fachblatt „Nature Human Behaviour" erhoben die Psychologen und Marketing-Forscher im ersten Schritt, für wie gut die Testpersonen ihre eigenen Kenntnisse in dem Fachbereich einschätzten. Im zweiten Teil erhoben die Forscher dann anhand von Wissensfragen aus dem Bereich Genetik, wie gut die Befragten tatsächlich Bescheid wussten.
Obwohl unter Wissenschaftlern weitgehende Einigkeit herrscht, dass gentechnisch veränderte Lebensmittel für den menschlichen Verzehr sicher sind und im Prinzip sogar das Potenzial hätten, gesundheitliche Vorteile zu bieten, lehnten mehr als 90 Prozent der Befragten gentechnisch veränderte Lebensmittel ab.
Das war aber nicht das wichtigste Ergebnis der Studie. Das bestand vielmehr in einem paradoxen Zusammenhang, den die Studienautoren entdeckten: Jene Befragten, die sich besonders entschieden gegen gentechnisch veränderte Lebensmittel aussprachen, gaben an, sehr viel über das Thema zu wissen. Zugleich schnitten sie bei den Wissenstests zu Genetik im Speziellen und Wissenschaft ganz allgemein am schlechtesten ab – der Dunning-Kruger-Effekt, wie er im Lehrbuch steht.
Und damit sind wir mitten in politischen Sphären. Deutschland hat den Dunning-Kruger-Effekt nämlich zum Prinzip politischer Entscheidungen gemacht. Hier das Grußwort von Peter Altmaier. Ansonsten genügt der Blick auf die von Angela Merkel & Friends inflationsartig eingerichteten Kommissionen, darunter seinerzeit die "Ethikkommission für eine sichere Energieversorgung", aktuell etwa die sogenannte „Kohlekommission“. Offiziell heißt sie „Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“. Das Wall Street Journal schrieb zu den Ergebnissen ihres Wirkens: „Die weltweit dümmste Energiepolitik“.
Viele der Komissions-Mitglieder sind stramm überzeugt, besonders von sich selbst, haben aber ansonsten keine Ahnung von Tuten und Blasen, geschweige denn von Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung. Auch die politischen Kommentare zu deren Vorschlägen oder die Einlassungen beispielsweise des grünen Spitzenpersonals zu Energiepolitik weisen in die Dunning-Kruger-Republik. Die beiden Forscher formulierten das so: „Wenn jemand inkompetent ist, dann kann er nicht wissen, dass er inkompetent ist“. Damit sind sie ganz bei Dieter Bohlen, der einmal sagte: „Mach einem Bekloppten mal klar, dass er bekloppt ist.“
Von Dirk Maxeiner ist soeben in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er) Portofrei zu beziehen hier.