Dirk Maxeiner / 18.10.2020 / 06:10 / Foto: Martin Bock/Pixabay / 38 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Im Bunker

„Ein Bunker, acht Angeklagte, 249.000 Tatvorwürfe“, berichtete gestern der „Trierische Volksfreund“ über ein Gerichtsverfahren, das am Montag am Trierer Landgericht beginnt und überschrieb den Bericht mit einem gewissen Lokalpatriotismus: „So einen Prozess wie in Trier hat es bundesweit noch nicht gegeben“.

Da ich in der Region aufgewachsen bin, unternahm ich einen Wochenendausflug ins Herz der Finsternis nach Traben-Trarbach an der Mosel. Das hübsche kleine Städtchen verhilft Deutschland endlich zu digitalem Weltniveau, und ich wollte mir den Tatort der fortgeschrittenen Cyberkriminalität einmal anschauen. Ein alter Freund führte mich durch die Weinberge hinauf auf das Plateau von Mont Royal, wo vor ein paar hundert Jahren ein französisches Fort thronte.

Heute befindet sich auf der Höhe ein ziemlich verwahrloster Gebäude-Komplex, der starke Ähnlichkeit mit einem verflossenen DDR-Kontrollpunkt aufweist. Gitter, Hundezwinger, Stacheldraht, ein hoher Antennenmast. Der Bundeswehr-Bunker aus dem kalten Krieg war einst Standort des metereologischen Rechenzentrums der Bundeswehr. Er führt 5 Stockwerke in die Tiefe, die gesamte Anlage umfasst 500 Räume und gilt als uneinnehmbar. 

Nachdem in Deutschland der Weltfrieden ausgebrochen und der Bunker überflüssig schien, wurde er zum Verkauf ausgeschrieben. Angesichts der jährlichen Nebenkosten von etwa einer Million Euro war die Zahl der Interessenten überschaubar. Den Zuschlag erhielten ein paar begabte und unternehmungslustige Herren von schwerpunktmäßig niederländischer Herkunft. Chef des Startups war Johan X, Software-Ingenieur, jugendliche 60 Jahre alt, dessen hellblonde Locken ebenso auffallend waren wie sein knöchellanger Ledermantel. Der blonde Johan kaufte das Areal und stopfte es mit hunderten von Servern voll. Beworben wurde das „verlässlichste Datenzentrum der Welt“ als „Bulletproof Hoster“ unter der vielsagenden Adresse www.cyberbunker.com.

Ja, wie bescheuert ist das denn?

Dank eines erstklassigen Arbeitsethos zog Johan auch selbst im Bunker ein, und zwar in ein schwarzes Schlafzimmer mit schwarzem Bett und schwarzer Musikanlage. Von der Decke schaute ein schwarzer Alien, Modell Facehugger, den entsprechenden Betriebsamkeiten zu. Als Incentive galten Ausflüge in die Trierer Stripbar „Booty Club“, die mit einem schweren BMW angesteuert wurde, der das Kennzeichen „Bo-Bo 8008“ trug.

Mit großem Eifer hostete das Startup illegale Webseiten, über die Kriminelle das komplette Programm schmutziger Geschäfte offeriert haben sollen, von Waffen, Drogen, und dergleichen bis hin zu Mord und Totschlag. Auch Cyberangriffe sollen fachkundig und zur Zufriedenheit der Auftraggeber ausgeführt worden sein. Trotz der immensen laufenden Kosten quoll das Bargeld in Johans Trarbacher Keller aus den Schubladen, wie der Fleichkäse aus der Ofenform. 

Und was machen unsere Behörden mit diesem bahnbrechenden Digital-Projekt, um das uns von Putin bis zu Xi Jinping so ziemlich jeder Politiker beneiden würde? Sie nehmen die Rechenkünstler samt Entourage beim Mittagsmahl in der „Stadt-Mühle“ hops (alle anderen Gäste entpuppten sich als Kriminalbeamte) und stürmen den Bunker mit Hilfe von 650 Beamten und der GSG9. Es sei ein Riesenerfolg, "dass es uns überhaupt gelungen ist, mit Polizeikräften in die Bunkeranlage, die nach wie vor auf höchstem militärischen Niveau gesichert ist, einzudringen", rühmte der Chef des Landes-Kriminalamtes von Rheinland-Pfalz den Einsatz.

Ja wie bescheuert ist das denn? Jedes andere Land, dessen Behörden und Sicherheitskräfte noch alle Tassen im Schrank haben, würden sich die Finger lecken nach so einem High-end-Kommunikationszentrum und seinen hochmotivierten und in unterirdischer Askese lebenden Aliens und Nerds. Von Peking über Moskau bis Washington würde man folgendermaßen verfahren: Die Jungs müssen nicht in den Knast, sie sind ja eh schon unter der Erde sicher eingebunkert. Dort dürfen sie noch ein paar Jahre bleiben und werden einmal täglich an der Sonne Gassi geführt und einmal in der Woche im Booty-Club grundversorgt. Ansonsten arbeiten sie fortan für den Staat. Sie machen das gleiche wie bisher, allerdings im Auftrag einer höheren Moral, und säubern das Netz zuverlässig von der grassierenden Meinungs-Konterbande. „Wir haben eine sehr einzigartige Geschäftspolitik, uns nicht für die Geschäfte unserer Kunden zu interessieren“, formulierte „cyberbunker.com.“ seine Unternehmens-Leitlinien, die es "Cyberkriminellen ermöglichten, in aller Ruhe ihren Geschäften nachzugehen" (Trierischer Volksfreund). Mithin würde auch die schwierige Führung von Regierungsgeschäften enorm erleichtert.

Voll wie die Haubitzen von Mont Royal 

Und überhaupt: Neben den Finsterlingen von Google, Facebook, Twitter, Dekoder, Alibaba & Co wird’s doch allmählich Zeit für ein deutsches Pendant, das mit der uns eigenen Gründlichkeit an die Sache herangeht. Statt zig Millionen für eine vollkommen sinnfreie Corona-App zu vergeigen, hätte man in Traben-Trarbach endlich Anschluss an das Weltniveau finden können. Wie haben die Amerikaner das mit den Raketenwissenschaftlern der Nazis nach dem 2. Weltkrieg gemacht? Eben. 

Aber auf mich hört ja keiner. Jetzt wird für den Bunker eine neue Verwendung gesucht, ich empfehle ihn als Tagungsort für das Corona-Kabinett. Dort könnte man ein Zeichen setzen und die Bevölkerung darauf vorbereiten, dass ihr Leben bis zum Endsieg über das Virus flächendeckend in den Keller verlegt wird. So macht der Begriff „Lockdown“ endlich auch sprachlich Sinn, sonst wäre es ja ein „Lockup“. Bei der täglichen Lage aus dem Bunker fragt die Kanzlerin dann besorgt: „Wo bleibt der Impfstoff?“ und Markus Söder assistiert: Wo ist die Spritze von Wenck?“ (1)

Meine Geheim-Mission in Traben-Trarbach war übrigens hochgefährlich, allerdings nicht wegen Cyberbunker, sondern wegen der dort oben hausenden Wildsäue. Seit ich auf einer Farm in Namibia erlebt habe, wie ein kleines aber beherztes Warzenschwein einen leibhaftigen Löwen vom Hof gejagt hat, gehöre ich zu den aufrichtigen Bewunderern dieser Tierart. „Es handelt sich um ein Wesen, das durch eine gewisse Unangepasstheit, Mut sowie rustikale Manieren auffällt“, schrieb ich vor etwa 2 Jahren an dieser Stelle. Bei meiner Mission in den Weinbergen kam nun eine weitere Episode zu meinem Anekdotenschatz hinzu, denn die Tierchen gehören auch zu den besonders trinkfreudigen Spezies auf diesem Planeten. 

Die Weinlese an der Mosel nähert sich dem Ende, und die Winzer verteilen Kelter-Reste als Dünger in den Steilhängen. Schon von Ferne kündet ein leicht säuerlicher Geruch von den gärenden Rückständen, die wie Alkoholfahnen in die Wälder oberhalb der Moselhänge wabern. Die Wildsäue, denen bisher niemand die AHA-Regeln klarmachen konnte, werden magisch davon angezogen und steigen in ganzen Rotten zum Oktoberfest in die Weinberge hinab. Dort machen die Herrschaften dann ordentlich einen drauf, bis sie voll wie die Haubitzen von Mont Royal sind. 2020 wird wegen des trockenen und warmen Wetters nicht nur ein großer Wein-Jahrgang, sondern bringt auch einen Mengenrekord. „Wir haben das dreifache Volumen wie letztes Jahr“ erzählte mir ein Winzer, „das gilt übrigens auch fürs Obst“ (Soviel zum Thema Klima-Katastrophe).

Da sie den Weg zurück hoch nicht mehr schaffen, bevorzugen die Wildsäue den Weg bergab und zwar mit Schmackes. Die Begegnung mit einer Wildschweinfamilie gleicht einer Geisterfahrt auf einer Autobahn bei der lauter 30-Tonner entgegen kommen, die Begegnung mit einer besoffenen Wildschweinfamilie entspricht hingegen einem Erdrutsch mit zu Tale purzelnden Granitblöcken. Ich verstehe überhaupt nicht, warum die Berliner Polizei so ein Aufsehen um die Räumung der Liebigstrasse 34 macht. 2.500 Beamte! Ich bitte euch. Verteilt im ersten Stock ein wenig Kelterreste, importiert einen Bus voll Mosel-Wildsäue und die Antifa ist Geschichte, ich schwör.

(1) Auf Leservorschlag wurde "Spitze von Wenck" in "Spritze von Wenck" geändert. Der Gag ist einfach zu gut.

Von Dirk Maxeiner ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Portofrei zu beziehen hier.

Foto: Martin Bock/Pixabay Creative Commons CC0 Pixabay

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Detlef Rogge / 18.10.2020

Kürzlich fiel mir ein gehässiger Testbericht aus den siebziger Jahren zur Qualität eines kultigen britischen Geländewagens in die Hände. Vernichtendes Fazit des Autors zum Fahrwerk: “Der Landrover hat die Strassenlage eines betrunkenen Wildschweins”.  Jetzt, Herr Maxeiner, wird klar, wo und zu welcher Jahreszeit der Test stattgefunden haben muss.

Ralf Michael / 18.10.2020

Lieber Herr Maxeier, mit der Feststellung „Ja wie bescheuert ist das denn? Wenn Man halt jeden Tag die Schlagworte “Digitalisierung”, “Darknet” oder sogar etwas von “KI” hört, aber nicht weiss,  was ES ist, kennt man auch die Anwendungsmöglichkeiten nicht. Der durch Corona ausgelöste Run auf Home-Office ist da eher zufällig zu betrachten (gewollt was Der sicher nicht). Man fängt langsam, ganz langsam an zu begreifen, worum es überhaupt geht und dass höchste Eisenbahn angesagt ist. Leider zu Spät. Wen wundert es daher, welch bescheuerte Aktionen da losgelassen werden ;o))

K. Schmidt / 18.10.2020

Eine Cyber-Force im geheimen Staatsauftrag passt nicht ins groß-deutsche Büllerbü.

Gabriele H. Schulze / 18.10.2020

“Da grunzte das Schwein,/die Englein sangen”.... (Wilhelm Busch, Der heilige Antonius von Padua). Beim genußreichen Lesen meldete ein Hirnareal “Wilhelm Busch/Schwein” - da war doch noch was? Flugs nachgeschaut und nach Jahrzehnten mal wieder gelesen. Schöner Sonntag, danke!

Rainer Pflanz / 18.10.2020

Ha, ha von der Elbling Maische betrunkene Wildschweine, eine schöne Geschichte, ich schwör…

Hans-Peter Dollhopf / 18.10.2020

“Verteilt im ersten Stock ein wenig Kelterreste, importiert einen Bus voll Mosel-Wildsäue und die Antifa ist Geschichte, ich schwör.”  In vino veritas, zum Wohle! Obelix.

Hans-Peter Dollhopf / 18.10.2020

“Die Chefin bekommt das Zimmer vom blonden Johann. Immer wenn Sie an die Decke starrt, denkt sie da hängt ein Spiegel!” Rating AAA+

Archi W Bechlenberg / 18.10.2020

Das mit den Wildschweinen kommt mir bekannt vor, ich glaube, so ein ähnliches Erlebnis wird in einem Lurchi-Heft aus den 50ern geschildert. Schön, wenn wenigstens etwas noch wie früher ist. Ich habe die Alkoholaffinität von Tieren mal in Zell/Mosel erlebt. Da lag ein Dutzend Vögel verschiedener Arten auf einem gärenden Haufen Pressrückstände im Weinberg, breit wie eine Horde Antifanten nach der Plünderung eines Penny. Ich schwankte zwischen Mitgefühl und Amüsement. Während Hans Huckebein ja noch stehen konnte, waren diese Schluckspechte zu gar nichts mehr in der Lage. Sie hätten alle nach Ausnüchterungs-Zell gehört, aber dann dachte ich mir: Sie sind erwachsen, sie müssen wissen, was sie tun. Prost!

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