Dirk Maxeiner / 28.10.2018 / 06:27 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 21 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Heute schlägt‘s Dreizehn

Eigentlich wollte ich heute Nacht um drei Uhr den Geschwindigkeits-Weltrekord für Landfahrzeuge brechen. Im Moment liegt der bei 1227,99 km/h, also jenseits der Schallmauer. Der Brite Andy Green schaffte das 1997 mit seinem Raketenmobil „ThrustSSC“ auf einem amerikanischen Salzsee. Meine Idee war eine andere. Ich steige um drei Uhr in meinen alten Volvo 760 und düse über die A8 von Augsburg nach München und zurück. Die Fahrzeit beträgt hin und zurück etwa 60 Minuten. Wegen der Zeitumstellung wäre ich um 3 Uhr wieder daheim gewesen, also zur gleichen Zeit wie bei der Abfahrt. 160 Kilometer in 0,00 Stunden macht einen Durchschnitt jenseits der Lichtgeschwindigkeit, das Tempo strebt gegen unendlich. Damit wäre mir der „Land-Speed-Record“ im „Guiness-Book of Records“ bis in alle Ewigkeit sicher. Bedauerlicherweise habe ich es verpennt. 

Nun gut. Normalerweise haben wir pro Tag 12 Stunden, heute ist es irgendwie eine mehr. Der 13. Schlag ist der Überlieferung nach das, was über das Ziel hinausschießt, das Maß sprengt. Dahinter stand bei den Altvorderen die Befürchtung, dass der Teufel seine Hand im Spiel hätte, die Zeit läuft gewissermaßen in Richtung Geisterstunde. Und obwohl ich meine Rekordfahrt verschlafen habe, schlägt die Geisterstunde trotzdem noch zu: Heute Abend bei der Hessenwahl. Wie es sich auswirkt, dass die Wähler eine Stunde mehr Zeit haben, weiß ich nicht. Vielleicht halten sie die Stunde ja für eine Art Wahlgeschenk. 

In der Tat haben wir heute Nacht eine Stunde geschenkt bekommen. Und diese Idee hat ja auch etwas politisches. Schließlich wurde uns die Stunde im Frühjahr geklaut und jetzt nur zurückgegeben. So ähnlich ist das ja auch mit staatlichen Zuwendungen. Nur dass diese dem einen geklaut und einem anderen zurückgegeben werden. Und dass dazwischen der gleiche Betrag noch einmal irgendwo im Umverteilungsapparat hängen bleibt. Die Zeit wird wenigstens nur vom Sommer zum Winter umverteilt und es bleibt auch nirgendwo was hängen. Es handelt sich also lediglich um einen unverzinsten Zeit-Kredit. Das ist das schöne an der Zeit. Vor der Zeit sind alle gleich, keiner kann sie eintüten und in irgend einem Schattenhaushalt verstecken. Sie arbeiten aber daran.

Allen voran EU-Komissionspräsident Jean-Claude Juncker, der die Zeitumstellung nutzt, um einen vom Pferd zu erzählen. Man werde die Sommerzeit abschaffen, weil es der Untertan so wolle, erklärte er wie ein Schuldirektor seinen Erstklässlern, die mit der Zuckertüte in der Hand seinen Worten lauschen. Allerdings geht ihn das gar nichts an, es ist eine nationale Entscheidung, ob man im Sommer oder im Winter leben will. Den Erzählungen des Märchenonkels vorausgegangen war eine Online-Umfrage, an der sich nur 4,6 von 511 Millionen EU-Bürger beteiligt haben – und davon vornehmlich Deutsche, Österreicher und Luxemburger. Dem EU-Münchhausen ging es schlicht darum, ein bisschen Demokratie und "so nah sind wir beim Bürger" zu simulieren. Von einer derartigen EU-Umfrage unter allen Europäern, wer wieviele Menschen aus fernen Ländern aufnehmen und versorgen möchte, ist hingegen nichts bekannt (außer der Antwort). 

„To kick the can further down the road“

Aber zurück nach Deutschland. Nachdem hierzulande bereits die Gesetze der Physik (Energiewende) dem Willen der Politik unterstellt wurden, ist vielleicht auch bald die Zeit an der Reihe. Das kann dann lustig werden. Während der Revolution machten die Franzosen nicht nur ihre Aristokratie um einen Kopf, sondern auch den Tag um zwei Stunden kürzer. Zwischen 1793 und 1795 lebten sie nach einem befremdlichen Zehnstundentag. Heute schlägt die Stunde auch in Frankreich wieder zwölfmal am Tag.

Nun kann die Zeit der Politik durchaus in die Hände spielen. Muss sie aber nicht. Sie kann auch davon laufen. Angela Merkel beispielsweise spielt seit ihrem Amtsantritt auf Zeit. „To kick the can further down the road“ sagen die Amerikaner, “die weggeworfene Dose ein Stück die Straße weiter runter kicken“. So nennt man das, wenn man ein Problem einfach liegen lässt, in der Hoffnung, es werde sich von selbst lösen oder ein anderer werde das für einem tun, wenn man selbst die Pension verzehrt. Das besondere an der Politik Angela Merkels ist nun, dass sie die Probleme, die da auf der Straßen liegen, zunächst selbst geschaffen oder zumindest nichts dagegen unternommen hat. Atomausstieg, Energiewende, Dieselverbote, Verschuldung der Euro-Zone, offene Grenzen: Die Straße liegt voller Dosen, die möglichst schnell aus dem eigenen Vorgarten in Richtung Nachbargrundstück getreten werden müssen. Soll der Nächste sie doch auflesen. 

Vielleicht kann die Bundesregierung ihre Zeit ja noch ein bisschen verlängern. Eine demokratisch lupenreine Möglichkeit, die mir dazu einfällt: Den 48 Stunden Tag einführen, dann haben unsere Führungsfiguren noch sechs Jahre bis zur nächsten Wahl Zeit, statt nur drei. „Die Zeit ist relativ“, beschloss bekanntermaßen Albert Einstein und packte sie in das Gebäude seiner Relativitätstheorie. Dort steckt sie noch heute und bildet mit dem Raum eine untrennbare Einheit – die Raumzeit. Beide, Zeit und Raum, können sich nach Einstein strecken oder stauchen. 

Die Sommerzeit wurde gerade mal vor schlappen 38 Jahren eingeführt, 1980 lautete Paragraph drei des Zeitgesetzes: „Federführend wird das Bundesinnenministerium ermächtigt, zur besseren Ausnutzung der Tageshelligkeit und der Angleichung der Zeitzählung an benachbarte Staaten die mitteleuropäische Sommerzeit einführen“. In der Politik hat die Tageshelligkeit seitdem allerdings nicht zugenommen und die anvisierte Energieeinsparung wird bis heute eifrig gesucht, konnte aber nie gefunden werden. 

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

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gabriele bondzio / 28.10.2018

Dem EU-Münchhausen ging es schlicht darum, ein bisschen Demokratie und „so nah sind wir beim Bürger“ zu simulieren.”... Fokussiert wird derzeit auf Nebensächlichkeiten und persönliche Befindlichkeiten. Und daraus werden auch die immer größer werdenden Spannungsverhältnisse zwischen Elite und Bürger wachsen. Die Zeit arbeitet aber für beide Lager. Große Teile der Eliten (nicht der Bevölkerung), haben sich nach links bewegt. Unter dem Schlagwort, sich dem „Rechtsruck“ entgegenstellen wollen. Der immer stärker zur fixen Idee verkommt. Je mehr aus dieser Politik einschneidende Konsequenzen, die sich für das Leben, der Bürger im Land, ergeben, vernachlässigt werden. Und manche “Vernachlässigungen” werden nicht mehr einholbar sein. Die Zeit ist damit Gegner und Hoffnung zugleich.

Joachim Lucas / 28.10.2018

Die französische Zeitbenennung der Revolutionszeit war gar nicht so schlecht, vor allem der Thermidor.

Hjalmar Kreutzer / 28.10.2018

Auch ich gehöre zu den Sommerzeitgeschädigten und benötige immer längere Zeit, bis ich die geklaute Stunde körperlich verdaut habe. Da ist die „geschenkte“ Stunde heute keine Entschädigung. Ob von Schonng-Klohd Ischias oder von der Bundesregierung „genehmigt“, ist mir egal, bitte im März nicht wieder die Sommerzeit! Das wäre die erste vernünftige Entscheidung der Regierenden seit 2015. Im Netz kursierte gestern die Idee einer Zeitrückstellumg von Sonntag, 21:00 auf Freitag, 21:00 Uhr. Da wäre ich voll dabei! Und auch die Hessen könnten einmal probewählen, sich den ganzen Schlamassel besehen und es dann lieber noch mal versuchen. Zum Glück gibt es in der kommenden Woche den Reformationstag, der zu Brückentagen geradezu einlädt! Leider schiebe ich an diesem Tag und dem darauffolgenden Samstag Bereitschaftsdienst, bleibt alle schön gesund! Nur wenigen ist es vergönnt, als Freiberufler die Sommerzeit einfach „nicht mitzumachen“. Ein Kollege von mir beginnt von April bis Oktober die Vormittagssprechstunde einfach um Neun, statt um Acht. Hatte ich nie drüber nachgedacht, selbst schuld!

Marc Blenk / 28.10.2018

Lieber Herr Maxeiner, Umfragen über die Zeit, die selbe dem Souverän und seinem Willen zu unterwerfen…. Was kann es demokratischeres geben? Die Realität ist dem Fortschritt nur im Wege. Wozu also noch weiter beachten. Pippi Langstrumpf wusste, wo es lang geht. Warum sollte nicht eigentlich jeder seine eigene Zeit haben. Bei mir ist gerade 5 vor 12, beim Nachbarn erst 8 Uhr 30. Das hätte doch was. Laut dem Relativitätstheoretiker Herbert Grönemeyer gibt es ja auch Millionen von Deutschlands. Wer braucht da noch Umfragen über die Migrationspolitik? Und Wahlen sind dann auch überflüssig, wenn jeder in seinem eigenen Deutschland die Realität zurechtbiegen kann. Hauptsache das ZDF checkt in allen Deutschlands die Fakten. Jedenfalls in der Realität Seiberts und Merkels Deutschlands. Oder so. Ich schaue da noch mal in meinem Chaostheorie - Handbuch für die reifere Jugend nach. Später oder früher.

C. Harnisch / 28.10.2018

Bringen Sie diese politischen Geisterfahrer nicht noch auf irgendwelche abenteuerlichen Ideen! Wir befinden uns schließlich auf dem Gebiet der schon laenger hier Lebenden. Hier ist praktisch alles ‘moeglich’...und das macht mir Angst.

Gabriele Kremmel / 28.10.2018

Lieber Herr Maxeiner, wie bedenklich die politische Tageshelligkeit abgenommen hat, kann man an dem Thema Zeitumstellung wunderbar ablesen. Es ist ein plakatives Beispiel dafür, wie die EU jedweglichen Sachverstand und jede Vernunft ad absurdum führt und das Gegenteil davon als richtig verkauft. Die Zeitumstellung soll abgeschafft werden, da atmen viele Menschen auf - vorläufig! Für Frühaufsteher ist die Vorverlegung des Tagesablaufs um eine Stunde im frühen Frühjahr eine Tortour, nachdem man sich seit Weihnachten um jede Minute freut, die es morgens wieder früher hell wird. Schlafforscher und Mediziner warnen schon lange vor den Risiken und Belastungen der Sommerzeit und fordern eine Abschaffung derselben. Herzinfarkte steigen etwa in den drei Wochen der Zeitumstellung im Frühjahr signifikant an, Schlafstörungen nehmen zu. Und nun zur typischen Verfahrensweise der massiv unterbelichteten EU: Da wird nämlich nicht von der Abschaffung der Sommerzeit geredet sondern von der Abschaffung der Zeitumstellung. Man redete von Sommerzeit und Winterzeit, obwohl es keine Winterzeit gibt sondern nur Normalzeit und die unnatürliche Sommerzeit. Inzwischen scheint es beschlossene Sache zu sein, nicht etwa die Umstellung auf die Sommerzeit (die den Energieverbrauch erhöht!) abzuschaffen sondern die Umstellung auf die Normalzeit. Heißt, die Sommerzeit wird auf das ganze Jahr ausgedehnt und die Normalzeit wird als Winterzeit bezeichnet, was ja auch viel abschaffungswürdiger klingt. Wir werden dann zwar einen signifikant erhöhten Energieverbrauch verzeichnen und der Organismus vieler Menschen wird noch mehr unter dem verfrühten Tagesbeginn, speziell im Winter leiden, aber die EU hat den Wunsch nach dem Ende der Zeitumstellung erfüllt. Dann laufen unsere Schulkinder im Dunkeln in die Schule bis um 9.04 Uhr endlich das Tageslicht leuchtet. Und die Bau- und Outdoordienstleister freuen sich sicher auch, wenn sie bis 9.00 Uhr auf den Tagesbeginn warten müssen.

Constanze Rüttger / 28.10.2018

Die Vorstellung, die jetzige Regierung könne sechs weitere Jahre ihr Unwesen treiben, lässt mir die Haare zu Berge stehen. Allerdings hätten die dann ja auch doppelt soviel Zeit für ihre ominösen Nachtsitzungen, vielleicht käme dann mal etwas vernünftiges dabei heraus.

Heiko Stadler / 28.10.2018

Die Abschaffung der Zeitumstellung wurde beschlossen. Unklar ist aber, ob dann der Tag dann 24 Stunden oder die Dauer des letzten Sonntags im März, also 25 Stunden haben soll. Die tippe auf Letzteres, also 25 Stunden. Man wird dann feststellen, dass die Sonne zu schnell auf und untergeht. Ein Untersuchungsausschuss wird dann feststellen, dass an diesem Dilemma die Autos mit Verbrennungsmotor schuld sind, die dann natürlich verboten werden müssen.

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