Dirk Maxeiner / 09.08.2020 / 06:25 / Foto: Dnalor / 73 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Helden des Generalverschissmus

Dieser Beitrag dient der Erbauung und dem Aufbau der seelischen Abwehrkräfte. Die Lesedauer beträgt etwa drei Minuten, die Wirkung hält aber unter Umständen ein Leben lang an. Ihre unendliche Dankbarkeit können Sie am Ende durch den Spendenknopf ausdrücken, sie können es aber auch seinlassen und damit dann auf meine Kosten einen Trinken gehen, am besten in schlechter Gesellschaft, denn die ist gegenwärtig eindeutig die beste, die man sich aussuchen kann (grüßen Sie Arnold Vaatz von mir).

Es vergeht im Moment ja kaum ein Tag, ohne den in diesem Lande jemand in scheinbaren Generalverschiss gerät. Kabarettisten, Künstler, Sportler, Wissenschaftler und dergleichen. Aber auch ein nicht geringer Teil der Werktätigen, mittlerweile übrigens auch westlich der Elbe. Ich aber sage euch: Liebe Leute, das ist eine Sinnestäuschung. Niemand gerät in Generalverschiss. Ganz im Gegenteil. Generalverschiss würde ja heißen, man hat unisono verschissen. Das ist aber nicht der Fall. Man hat nur bei den Einen verschissen. Bei den Anderen aber gibt’s Pluspunkte. Mitunter tauschen sich beide Fanmeilen auch einfach aus, eigentlich erstaunlich, wie reibungslos das funktioniert. 

Unlängst ging ich mal mit Henryk M. Broder um die Häuser. Der wird zwar in keine deutsche Talkshow mehr eingeladen, aber es dauert in der Regel keine fünf Minuten, bis ein Mütterchen, ein Gendarm oder ein Döner-Besitzer um die Ecke kommt und um ein gemeinsames Selfie bittet. Die Bildchen sehen dann immer aus wie das Willkommensfoto mit der Kanzlerin von 2015, sie wissen schon. Ich fürchte, sie sind auch in Ihrer Wirkung ähnlich desaströs, denn sie werden eifrig geteilt, und Broders subversive Saat zieht schwankende Charaktere an wie die Motten das Licht. Ich garantiere, dass ein Spaziergang mit Broder in Neukölln oder Marxloh gefahrloser ist als, sagen wir mal, mit Karl Lauterbach. Ganz einfach, weil niemand Broder mit jemandem vom Ordnungsamt verwechseln würde.

Arschlöcher und Nicht-Arschlöcher

Aber zurück zum Grundsätzlichen. Die Rettungsschwimmer in Politik und Medien haben vor einiger Zeit beschlossen, die Welt binär einzuteilen, nämlich in Arschlöcher und Nicht-Arschlöcher. Das ist ihnen gelungen, ich gratuliere aufrichtig. Doch die Sache hat einen Haken: Es ist keineswegs ausgemacht, wer die Arschlöcher sind und wer die Nicht-Arschlöcher. Die Sortierung erfolgt nämlich aufgrund persönlicher Dispositionen und Präferenzen, die sich der gemeinen Tagesschau-Pädagogik entziehen und eher tief in den Genen lauern. 

Ich will das mal kurz anhand von ein paar persönlichen Erinnerungen erläutern. Meinen ersten Generalverschiss, an den ich mich erinnere, hatte ich im zarten Alter von neun Jahren. Nachdem unser Klassenlehrer eine sehr trockene Stunde lang monologisiert hatte, schaute er mich hoffnungsfroh an und sagte: „Gibt’s noch Fragen?“ Meine Antwort: „Wieviel Uhr ist es?“ Da es sich um eine Doppelstunde handelte, musste ich die zweite Hälfte der Vorstellung in einer Ecke stehend mit dem Blick auf die Wand verbringen, im Zustande des Generalverschisses. Solche seelische Grausamkeit gab es damals bereits bei Adoleszenten, sie sind prinzipiell also nichts Neues und richteten zumindest in meinem Falle keinen bleibenden Schaden an.

Nach der frevelvollen Tat konnte ich dann auch erstmals beobachten, wie sich eine Gesellschaft im Angesicht von pädagogischen Maßnahmen verhält. Nach dem Ende der Stunde zog der Klassenverband unter den Augen des gestrengen Lehrers an dem Eckesteher schweigend vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Als ich mit Verspätung auf dem Schulhof eintraf, nahm das Schulterklopfen und Ablästern über unseren grottenlangweiligen Pauker aber kein Ende. Einige schauten sich aber prüfend um, bevor sie mir ihre Zuneigung mitteilten. Ich war zumindest für die Dauer der großen Pause der Held des Tages. Ich könnte wetten, dass es den Nuhrs, Sarrazins, Matusseks, Maaßens, Baberowskis, und wie die ungezählten Opfer des deutschen Generalsverschissmus sonst noch so heißen, exakt genauso geht. 

Ein Porno der wirklich alleruntersten Schublade

Im Schulbus trifft man die Lümmel ganz gern auf der letzten Bank, später rauchend auf dem Balkon. Und im Job merkt man auch relativ schnell, ob jemand nach Freiheit und Abenteuer riecht. Ich erinnere mich an mein Volontariat bei dem Brummbrumm-Magazin „Auto Motor und Sport“, wo sich die Mannschaft ebenfalls wie von unsichtbarer Hand geführt aufteilte. Ich fühlte mich der Fraktion um den Motorsport-Chef verbunden, da der nicht nur Verkehrsregeln konsequent ignorierte. Der gestrenge Chef vom Dienst war auch ein Netter, aber leider Schmalfilmamateur. Während einer Feierstunde mit Anwesenheit von Verleger und Verlegerin sollte ein cineastisches Meisterwerk aus seiner Hand uraufgeführt werden. Es zeigte den Betriebsausflug nach Hockenheim, bei dem verwegene Tester mit viel Hubraum um die Ecke bogen. 

In einem unbeobachteten Moment kurz vor Beginn der Feier wurde die Filmrolle allerdings gegen einen Porno der wirklich alleruntersten Schublade ausgetauscht. Der Sportchef vollzog die Missetat, ich stand Schmiere. Während der Premiere befanden sich die Honoratioren gefühlte Ewigkeiten in Schockstarre, bevor jemand endlich den Stecker zog. Ich erinnere mich sehr gern an diese Episode zurück. Sie nahm in gewisser Weise bereits die innovative Art vorweg, wie Achgut.com die Honoratioren und Anstandstanten unserer Tage erfreut. 

Der alte Spruch „ist der Ruf erst ruiniert, lebt man gänzlich ungeniert“ war nie so tröstlich und wertvoll wie heute. Es ist nämlich durchaus schick, zum Pack zu zählen, besonders bei jungen Leuten. Dass ist es ja genau, was die politische Nomenklatur dieses Landes so kolossal beunruhigt, beispielsweise, wenn sie diesen bunten Haufen der Berlin-Demo vom vergangenen Wochenende sehen. 

Früher war so etwas ein gesichertes Territorium der Grünen, jetzt versammelt sich die letzte Bank vom Schulbus woanders. Und die Mädchen werden immer hübscher, was ein todsicheres Zeichen für bevorstehende tektonische Verschiebungen ist. "Die rücksichtslose Ich-Gesellschaft hat einen neuen Höhepunkt erklommen" verdammt Welt-Kommentator Thomas Schmid das unselige Tun, und merkt gar nicht, dass er reagiert wie ein Klosterbruder, dem die Bürde der Enthaltsamkeit die Chromosomen in die Socken rutschen lässt.

Und weiter: "Manchmal spazierte die Aggressivität aber auch lächelnd daher: mit albern-ignorantem Tanz, mit Ringelreihen. Und die Demonstranten praktizierten die ganz große Inklusion. Buchstäblich alle waren willkommen". Alle willkommen, Tanz, Ringelreihen, oh Verderbnis, das Ende ist nah!

Außerdem hat das Böse eine Adresse. "Ein Gutteil der Berliner Corona-Demonstranten kam aus dem deutschen Südwesten und aus Sachsen. Das waren Erben der spätbundesrepublikanischen Prosecco-Kultur, der Spaßgesellschaft sowie der aus der DDR-Zeit herübergeretteten Kleinbürger-Heimeligkeit." Dunkel- und Helldeutschland, Seit’ an Seit’, da werden Betschwestern zu Hyänen und Welt-Kommentatoren zu Kabarettisten der ersten Garde.  

Dieter Nuhr und Lisa Eckhart, das ist die schlechte Nachricht, brauchen eigentlich keine Gag-Schreiber mehr, sie müssen nur Thomas Schmid vorlesen: "Diese Leute glauben, dass ihre Wirklichkeit die konstruierte Wirklichkeit des Staates schlagen kann". 

Und jetzt kommen wir zur guten Nachricht: Der Generalverschiss wird zur Voraussetzung, um vom Publikum ernst genommen zu werden, was für Kabarettisten natürlich eine diffizile Sache ist, weil sie es ja eigentlich zum Lachen bringen sollen.

Aber egal, Dieter Nuhr und Lisa Eckhart erhielten jedenfalls den Ritterschlag, sie sind auf Neudeutsch gesagt die "Benchmark" des Gewerbes, geadelt von den Spitzenkräften des deutschen Anstandsgewerbes. Auch für die anderen Generalverschissenhabenden wird der Tag kommen, an dem der Generalverschiss sich gut im Zeugnis macht, egal, ob vor dem Arbeitgeber oder dem Herrn im Himmel. 

Um mit Thomas Schmid zu enden: "Eine rabiate ‚Volks‘-Resistenz kann den Staat, kann die Republik partiell ohnmächtig machen. So bleibt ein starkes Gefühl der Beklemmung zurück. Der Damm könnte brechen". In der binären Republik werden Arschlöcher und Nicht-Arschlöcher diesem Ereignis mit sehr unterschiedlichen Gefühlen entgegensehen. Und so lautet meine frohe Botschaft am heutigen Sonntag: Der Drops ist noch nicht gelutscht.

 

Von Dirk Maxeiner ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Portofrei zu beziehen hier.

 

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Johannes Schumann / 09.08.2020

Absolut richtig. Umso mehr die Leitmedien geifern und überall ihr Etikett “umstritten” dranhängen, dann weiß ich, dass ich mich mit der Sache mehr beschäftigen sollte. Zum Beispiel kannte ich vor wenigen Jahren den Journalisten Don Alphonso nicht, bis ein Kollege meinte, das sei ein Nazi. Da habe ich mal geschaut, konnte aber nichts nazihaftes entdecken. Mein Kollege blieb mir bis heute zu schuldig, mal ganz konkret zu verlinken, was denn am Don Alphonso nun so schlimm oder gar nazihaft sei. Ich habe nun einiges vom Don gelesen, ohne Stammleser zu sein. Was bringt die Linke so auf, dass sie ihn als Nazi bezeichnen? Ganz anders, wenn man den typischen israelbezogenen Antisemitismus auch so benennt, dies begründet. Dann wird so getan, als wolle man mit einer “Ausschwitzkeule” “notwendige Kritik” unterbinden. Dieser Antisemitismus ist auch stark im linken Spektrum (J. Augstein, A. Groth, I. Höger usw.) vertreten.

Klaus Reichert / 09.08.2020

Den “Welt” - Kommentar kannte ich noch nicht. Er erhellt aber sehr schön die Denkweise unserer medialen und politischen Eliten. Alles, wirklich alles wird nur noch danach beurteilt, wer es macht und nicht, was es ist. Tanz und Ringelreihen, Corona - Ignoranz, schräge Vögel, Radikale - alles wunderbar, sofern es auf einer “Wir sind mehr”, oder “Black Lives Matter” - Demo stattfindet. “Kreativer Protest”, “Menschen aus allen Schichten”, “breite Bündnisse”, “notwendig trotz Risiko”, usw.  Alles schrecklich, sobald man es auf einer oppositionellen Demo sieht. Beim Thema Gewalt wird es für die Eliten dann noch schwieriger. Gewalt ist ja nun auf linken Demos so zuhause, wie die Fischfilets und die Antifa. Auf “rechten” oder als rechts gebrandmarkten Demos von Dresden über Chemnitz und Stuttgart bis Berlin kommt sie schlicht nicht vor. Diese Leute sind einfach nicht so. Hier hilft den Medien dann nur noch die offene Lüge. Weglassen aller Hässlichkeiten von links bei genehmen Demos, provozieren von Remplern durch aufdringliche Reporter, Skandalisieren von ein paar Unhöflichkeiten gegenüber Journalisten, Erfinden von Gewalt durch bloße Behauptung oder durch Falschzuordnung der Gewalt linker Gegendemos. Nur - die Leute merken es halt immer mehr. Gerade wenn und weil die Dosis an Fehlinformation und Propaganda regelmäßig erhöht wird.

Rudolf George / 09.08.2020

Der Drops ist nie gelutscht. Was alle totalitär gesinnten Moralapostel in ihrer Selbstgerechtigkeit nie begreifen, ist, dass Jugendliche genetisch bedingt subversiv sind und die Scheinheiligkeit instinktiv erschnüffeln wie ein hungriger Hund den Braten. Das sei auch allen sich klein- bis großbürgerlich gebenden Rot-Grünen gesagt, die sich in vorauseilender Anbiederung für eine Senkung des Wahlalters aussprechen.

F.Bothmann / 09.08.2020

@Herr Niersberger: Nein es sind mehr als die 10%. In den heutigen Meldungen wird der Soziologe Heinz Bude zitiert, der als ehemaliger Berater der Bundesregierung von einem Potential von 20 % der Wählerstimmen ausgeht, die unzufrieden sind und politisch nicht vertreten werden. Warum er das hauptsächlich auf die enttäuschten Wähler von Grünen und FDP beschränkt bleibt mir unklar. Also doch eher mehr als 20 % ...

HaJo Wolf / 09.08.2020

Es kommt noch ein Held hinzu: Thomas Bertold, Ex-Nationalspieler, der in Berlin deutliche Worte auch in Richtung Regierung fand. Und nun dafür sowas von angefeindet wird… Achtung: wer heute in unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung eine andere Meinung als Merkel hat, DER IST NAZI UND FASCHIST. Ok. Ich bin Nazi und Faschist, in diesem Falle aus Überzeugung.

Max Unger / 09.08.2020

Genial dieses Zitat “Diese Leute glauben, dass ihre Wirklichkeit die konstruierte Wirklichkeit des Staates schlagen kann”. Erinnert mich an Kretschmers Versprecher über das “Wahrheitssystem”. Wichtig ist, daß wir, die Schnellboote der Meinungsfreiheit nicht nur zwischen den Tankern des Wahrheitsystems hin und her kreuzen, um den Mainstream zu bremsen, sondern auch in den ruhigeren, weniger befahrenen Gewässern immer wieder aufkreuzen um das Einfrieren der Diskussion zu verhindern. Und ich versuche dabei auch oft eine möglichst breite Rinne eisfrei zu halten. Wir dürfen uns nicht spalten lassen.

Ruediger Bonnie / 09.08.2020

Ein Aspekt, der m.E. bei der gegenwärtigen Staats- und Medienkampagne viel zu wenig beachtet wird: In dem in spanischer Sprache erschienen Bestseller “La Reina del Sur” von Arturo Perez-Reverte wird eine biografische Darstellung der Drogen-Queen Sandra Ávila Beltrán vorgenommen, deren Leben unter dem Pseudonym Tereza Mendoza beschrieben wird, wobei die Drogen-Queen leider viel zu gut wegkommt und zur “Heldin” des Buches hochstilisiert wird. Ein anderer Aspekt des mit viel Insiderwissen geschriebenen Buches ist dagegen sehr interessant: es wird immer wieder im Detail darauf hingewiesen, wie korrumpierbar die sozialen und politischen Eliten in ganz Europa sind. Dabei geht es allerdings nicht um von Waffenhändlern wohlgefüllte und später “vergessene” schwarze Koffer, aber man kann sich sein Teil wohl trotzdem denken ...

Frank van Rossum / 09.08.2020

So neu ist das mit den Arschlöchern nicht. Schon 1987 sagte Lord Helmchen(gespielt von Rick Moranis) in Mel Brooks’ Spaceballs:” Ich bin nur von Arschlöchern umgeben”.

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