Ich bewundere immer die Amerikaner, die nur für eine Weile irgendwo zuhause sind und bei Bedarf einfach umziehen. Vollkommen unsentimental. Der Deutsche hängt hingegen an seinem Heim, als sei die Verbindung mit Patex eingegangen. Je älter, desto heftiger. Das hat nicht nur mit Sentimentalität, sondern auch mit praktischen Faktoren zu tun. Der Hausstand nimmt immer umfangreichere Formen an und kann nur noch unter großen Mühen an einen anderen Ort verfrachtet werden.
Wobei die Autoknutscher und Oldtimerfahrer noch einmal eine Sonderstellung einnehmen. Sie besitzen ja nicht nur einen Hausstand, sondern zusätzlich so etwas wie einen Autostand. Auch wenn das alte Mobil, wie der Name schon sagt, leicht bewegt werden kann, hat sich im Laufe der Jahre meistens eine umfängliche Bevorratung an Devotonalien, Werkzeugen und Ersatzteilen angesammelt. Als ich kürzlich meine Wohnstätte wechselte, blieb mir der Umzug der diversen Garagen zum Glück erspart, weil sie auch in Reichweite der neuen Bleibe liegen.
In grauer Vorzeit, als man noch betrunken Auto zu fahren pflegte, habe ich oft am nächsten Tag mein Auto suchen müssen, weil sein Standort mir im Zuge der alkoholischen Amnäsie entfallen war. Die Nummer zählt heute noch zu meinen beliebtesten Albträumen – abgesehen von der Deutschprüfung im Abi. Der Traum wird aber seltener, weil ich jetzt träume, dass ich die Adresse meiner sämtlichen Garagen im Zuge aufkommender Senilität vergessen habe.
Was Bücher anbetrifft, bin ich sentimenal, ich kann sie nicht wegwerfen
Aber zurück zu meiner Autobücher-Sammlung, für die im neuen Heim kein Platz mehr war. Was Bücher anbetrifft, bin ich sentimenal, ich kann sie nicht wegwerfen. Schon gar nicht einen Jahres-Katalog der schweizer Automobilrevue von 1962, den mir damals meine Mutter zu Weihnachten schenkte. Das war ein teures Geschenk und ich konnte stundenlang darin schmökern. Schillers „Das Lied von der Glocke“ war mein schulischer Angstgegner, ich schaffte es nie, das Ding auswendig zu lernen. Dafür konnte ich aber die technischen Daten der Automobile der Welt auswendig herauf- und herunterbeten. Selbst die Frage nach der technischen Basis etwa eines türkischen Anadol A1 von 1966 entlockte mir ein müdes Lächeln: "Vierzylinder Fordmotor mit 1300ccm Hubraum, Fibergalskarosserie". Bedauerlicherweise wurde solches Wissen nicht in der Schule abgefragt, da hätte ich meine Deutschlehrer so was von in den Senkel stellen können. Kurz gesagt: Mit diesen Büchern, die ich durch beständige Konsulation allmählich auswendig gelernt hatte, verbinden mich zahlreiche Erinnerungen.
Und nun mussten all diese Sammelstücke weg. Nachdem ich Freunden und Bekannten einen Teil der Sammlung aufgedrängt hatte, blieben immer noch viele, viele Aschenputtel-Bücher übrig. Ein paar konnte ich an einen Händler geben, der sie auf Oldtimermärkten weiterverkauft und hoffentlich jemand damit glücklich macht. Ich fuhr zwei Ladungen Volvo 745 Kombi zu einem Wertstoffhof, auf dem es einen Sammelcontainer für Bücher gibt, in dem sich andere bedienen dürfen. Das scheint ganz gut zu funktionieren. Trotzdem fühlte ich mich wie jemand, der seinen treuen Hund an der Autobahn aussetzt. In meinem zweiten Leben werde ich deshalb einen Gnadenhof für alte Auto-Literatur gründen. Und mitten drin ein Cafe zum schmökern. So eine Art Rasthof. Da kann dann jeder seine alten Bücher besuchen.