Dirk Maxeiner / 22.03.2020 / 06:12 / Foto: Tim Maxeiner / 31 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Durch die Wüste

Ich gebe es ja zu: Manchmal, wenn der Irrsinn um mich herum Überhand nimmt, wünsche ich mir: Ach, wärest Du doch im Knast. Ich könnte mir vorstellen, dass mich dort auch noch ein paar andere untergebracht wissen möchten, denen gönne ich das aber nicht. Ansonsten stelle ich mir so ein Dasein manchmal ganz gemütlich vor. Regelmäßige Mahlzeiten, kein Besuch, zwischendurch ein bisschen Tischtennis und viel Zeit zum Lesen. Als der Uli Hoeneß nicht weit von meiner Wohnstatt im Landsberger Knast saß, hab ich ihn ab und zu fast beneidet. Der durfte von heute auf morgen seinen Terminkalender verbrennen, was ich mir wie einen Akt der Befreiung vorstelle. 

Jetzt dämmert mir, dass es hinter schwedischen Gardinen vielleicht doch nicht so nett ist. Ganz einfach, weil es ein Unterschied ist, ob man nicht raus will, oder ob man nicht raus darf. Normalerweise würde ich an einem Tag wie heute (Samstag) nicht raus wollen, es schifft, es ist kalt und grau, kein Mensch ist auf der Straße. Doch die Tatsache, dass ich nicht raus darf, es sei denn ich will den Nachmittag zusammen mit anderen Schutzmasken beim Aldi verbringen, verursacht auch ohne Corona Atemnot. Völlig neues Gefühl. In der DDR durfte man ja wenigstens mit dem Trabi an die Ostsee und das auch noch ohne Schutzkleidung. Die DDR währte allerdings 41 Jahre, ich hoffe die Ausgangssperre dauert nicht ganz so lange.

Ist ja klar, dass man in einer solchen Lage umgehend Sehnsuchtsorte imaginiert. Gestern habe ich mit Tim, meinem Sohn in den USA, telefoniert. Der war gerade aus der Mojave zurückgekehrt, wo er ein paar Tage lang gewandert ist und keinen einzigen Menschen getroffen hat, nur eine einsame Fußspur an einem Wasserloch. Wenn er gewusst hätte, was ihn in Los Angeles erwartet, wäre er wohl gleich da draußen geblieben. Eines meiner Lieblingsbücher heißt – ich habe es schon öfter erwähnt – „Wenn es Krieg gibt, gehen wir in die Wüste". Es ist die Geschichte zweier Deutscher, die sich in der Wüste von Namibia der Katastrophe des zweiten Weltkriegs entzogen haben.

Einmal ist mir so etwas ähnliches gelungen: Den medialen Höhepunkt der Schweinegrippe habe ich bei einem längeren Aufenthalt in der chilenischen Atacama glatt verpasst. Als ich zurück kam, hatten sich die Wogen bereits geglättet. 

Ich mag Wüsten ungemein: Man braucht ein paar Tage, um sich an die Wüste zu gewöhnen und ein paar Wochen, um sie sich wieder abzugewöhnen. Ging mir jedes Mal so. So kramt man dieser Tage zwangsläufig in seiner Erinnerung.

Das Känguru als vorherrschen­der Zweibeiner 

Wenn mich jemand jetzt fragen würde, wo ich im Moment ganz gerne wäre, fällt mir der westaustralische Outback ein. Man nennt die Gegend auch Never-never-Land. Ich würde Corona ganz gerne auf der Yalary-Station aussitzen, die ich vor gut 25 Jahren mit Müh und Not (einem kaputten Auto) erreichte. Ich hoffe, es gibt die alte Schafsfarm noch, da ist man vor unangemeldetem Besuch fast so sicher wie Neil Armstrong und Buzz Aldrin 1969 auf dem Mond. Isolierter geht es nicht, bei Napoleon auf Elba war deutlich mehr Publikumsverkehr.

Ich schleppte mich in der Dämmerung durch die Wüste, es wurde schlagartig dun­kel. Sehr dunkel. Sollten in Never-never-Land einmal Außer­irdische landen, was sich angesichts der Topogra­fie anbie­tet, werden sie das Känguru für den vorherschen­den Zweibeiner dieses Planeten halten. Im Menschen werden sie al­lenfalls eine äußerst merkwürdige Unterart vermuten. Zu allem Überfluss tauchten am Himmel auch noch Blitze auf. Erste Tropfen klatschten auf die Wind­schutzscheibe. Die Piste wurde immer schmaler und sandiger. Ge­witter pflegen solche Wege in Sturzbä­che zu ver­wandeln.

Gegen zehn Uhr am späten Abend, das Gewitter hatte sich verzogen, stand ich dann plötzlich vor einem geschlossenen Gatter. Ich kann mich nicht erinnern, jemals so er­freut über ein Schild gewesen zu sein: „Yalardy Station.“ Ich hatte mich ein paar Tage zuvor bei den Besitzern Ronda und Lloyd an­gemeldet. Sie vermieteten ein Bett mit Frühstück und erwarteten mich schon. Die Buschtrommel hatte funktioniert: Ihr Anruf beim nächsten Roadhouse in Gasconye Junction ergab meine Ab­fahrtszeit. Der Geländewagen für die Suche stand bereits abfahr­bereit vor der großen Wellblech-Scheune. Ohne es zu wissen, war ich in ziemlich guten Händen. Da draußen gehört der Gedanke der Vorsorge noch zu den ausgebildeten menschlichen Instinkten, und man weiß, dass man sich im Zweifelsfall selbst helfen muss.

Das Rind hatte 300.000 Kilometer auf dem Tacho

Als ich endlich da war, glühte das "Barbi" bereits und Ronda warf Fleisch auf den Holzkohlenrost. Gelobt sei, was hart macht: Das geschlachtete Rind stammte von einem Nachbarn und muss etwa 300.000 Kilometer auf dem Tachometer gehabt haben. Ich zog mit beiden Händen und sämtlichen Zähnen an einer Portion, konnte aber keinen Bissen abtrennen. Ronda, die Hausher­rin fand das sehr lustig: "Stell doch den Fuß drauf." Au­stralierinnen sind wunder­bare Frauen.

Die Wellblechscheune war in viele blecherne Zwei­erkabinen un­terteilt – die Schlafstatt für die Nacht (und für die Schafscherer, die von Zeit zu Zeit vorbeikommen). Die Prinzipien der Schafhaltung wurden konsequent auf die Unterbringung von Zweibeinern übertragen – und es machte auch noch Spaß. Ronda und Lloyd ha­tten in den Jahren zuvor Dürre und Depression über­stan­den, ver­fallende Preise für Fleisch und Wolle. Geld für Investitionen in mehr Komfort fehlte den beiden, und ich war fast geneigt zu denken: Zum Glück.

Das beruhigende Brummen des Diesel-Generators verstummte, und alle Lichter gingen auf einen Schlag aus (im Outback entwickelte ich fortan mein herzliches Verhältnis zum Dieselmotor). Dann absolute Stille. Kein fernes Flugzeug, nichts. Der Blick durchs Scheunentor zeigte einen kristallklaren Sternenhimmel – Luftverschmutzung unbe­kannt. Dann kam das Gewitter doch noch. Es prasselte auf das Well­blechdach, beruhigend wie der mütterliche Herz­schlag. Seitdem weiß ich, welch angenehmes Gefühl der Sicherheit ein Blech­schup­pen vermitteln kann. Ist mir in dieser Beziehung jedenfalls lieber als das Kanzleramt.

Von meinem Achgut.com Autoren-Kollegen Chaim Noll ist soeben das passende Buch zu diesem Text erschienenDie Wüste. Literaturgeschichte einer Urlandschaft des Menschen. Evangelische Verlagsanstalt Leipzig, 2020, 700 Seiten, 38 Euro

Von Dirk Maxeiner ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Portofrei zu beziehen hier.

Foto: Tim Maxeiner

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Christiane Sende / 22.03.2020

Danke Dirk Maxeiner für diesen herrlichen Wüsten Bericht am Sonntagmorgen! Das Rind hatte 300 000 km auf dem Tacho…...unser Suppenhuhn von gestern vermutlich auch! Bleiben Sie gesund!

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Dirk Maxeiner / 14.04.2024 / 06:15 / 62

Der Sonntagsfahrer: Der Augsburger Gasballon

Augsburg ist eine Stadt von Friedensfreunden. Die schritten vergangene Woche aber zur Generalmobilmachung. Grund: Das Gasnetz soll früher oder später weg. Wenn es um Friede,…/ mehr

Dirk Maxeiner / 07.04.2024 / 06:00 / 119

Der Sonntagsfahrer: Betteln um die Pleite

Trotz der gescheiterten E-Auto-Wende betteln einflussreiche Autohersteller darum, das Verbrennerverbot nicht infrage zu stellen. Die Wünsche der Kunden sind längst egal. Wer hält länger durch? Die…/ mehr

Dirk Maxeiner / 31.03.2024 / 06:15 / 58

Der Sonntagsfahrer: Ich will nachhause telefonieren

Der erhobene Zeigefinger liegt schon länger voll im Trend. Nationalspieler Antonio Rüdiger machte den ET und auch allerhand weitere Berühmtheiten gestikulieren, bis der Arzt kommt.…/ mehr

Dirk Maxeiner / 24.03.2024 / 06:15 / 88

Der Sonntagsfahrer: UN verbietet VW-Up

Handelt es sich bei einigen Autos, darunter beliebte Volkswagenmodelle, um gemeingefährliche Cyberwaffen? Nach UN-Vorschriften ja. Deshalb dürfen sie ab Juli in Europa nicht mehr verkauft werden. Was…/ mehr

Dirk Maxeiner / 28.11.2023 / 06:05 / 44

Geheimdienst von „Moderna“: So spioniert Big Pharma uns aus

Der Pharma-Riese Moderna spioniert systematisch jene aus, die eine Gefahr für ihre Covid-Impfstoff-Geschäfte darstellen. Dies ergab eine aufsehenerregende Recherche des britischen Online-Magazins „UnHerd“. Und dies…/ mehr

Dirk Maxeiner / 22.10.2023 / 06:15 / 103

Der Sonntagsfahrer: Claudia Kemfert und die Pinguine

Miss Energiewende Claudia Kemfert sorgt sich um die Pinguine. 10.000 putzige Küken wurden unlängst angeblich vom Klimawandel dahingerafft. Um sie zu retten, müssen wir deshalb ganz…/ mehr

Dirk Maxeiner / 15.10.2023 / 06:05 / 178

Der Sonntagsfahrer: Habeck und die Kleinwagen

Robert Habeck hat bemerkenswerte Vorstellungen davon, wie viel Geld Leute, die „ganz wenig verdienen“, für ein Auto ausgeben können. Im Prinzip findet er ohnehin, dass…/ mehr

Dirk Maxeiner / 08.10.2023 / 06:15 / 58

Der Sonntagsfahrer: Die Stunde der Geisterfahrenden

Der Schotte Brian Morrison erhielt letzten Sonntag eine unfreiwillige Unterweisung in elektrischem und autonomem Fahren. Die Transformation der Automobile und ihrer Fahrer schreitet voran. Genau…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com