Letzte Woche wachte ich auf, und mein Haus befand sich wegen einer Baustelle plötzlich am Ende einer Sackgasse. Warum soll es mir auch besser gehen als der Bundesregierung? Übrigens: Auf Englisch heißt Sackgasse "Dead End".
In Bayern gingen die Herbstferien zu Ende. Für mich als städtischen Autonutzer sind Urlaubszeiten normalerweise angenehme Zeiten. Die Nachbarn verstopften den Brennerpass und balgten sich um die Parkplätze am Gardasee, bei Aldi war die Schlange nur halb so lang, und das Personal des nahen Polizeireviers rückte seltener aus.
Ich könnte Letzteres sogar statistisch aufschlüsseln, schließlich habe ich im Laufe der Jahre eine persönliche Zählmethode herausgearbeitet: Ein Streifenwagen mit Blaulicht, aber ohne Martinshorn: Verkehrsunfall. Zwei Streifenwagen unmittelbar hintereinander mit Blaulicht und Martinshorn: Irgendwo im Augsburger Westen wird das tägliche Zusammenleben neu ausgehandelt. Mehr als zwei Streifenwagen mit Blaulicht und Martinshorn: Ein Mann hat den Geldautomaten gesprengt. Sollte beim Polizeirevier eine Meldung über die Vorgänge in der Bundesregierung – respektive dem, was von ihr übrig ist – eingehen, würde ich sagen: Ein Mann hat den Geldautomaten gesprengt.
In der letzten Oktoberwoche-Woche musste ich meine statistische Erfassung der Polizeieinsätze Zählung allerdings unterbrechen. Die Einbahnstraße stadtauswärts, an der meine Wohnstatt unmittelbar angesiedelt ist, endete abrupt vor meiner Haustür. Sackgasse auf Zeit wegen einer Baustelle. Keine Wendemöglichkeit. Nur die Straßenbahn durfte im Schritt-Tempo passieren. Ein eigens abgestellter junger Mann blies bei jeder auflaufenden Straßenbahn in so eine Art Karnevalströte, um seine im Erdreich buddelnden Kollegen zu warnen. Allerdings fuhr aus Tröte keine Papierzunge heraus wie beim Fasching.
Wie von Agnes Strack-Zimmermann gebissen
Das Ding klang genau wie die Hupe vor der Sprengung der Kühltürme von Grafenrheinfeld, offensichtlich ist diese Art von Signalhorn für solche Fälle Vorschrift. Das erste Mal trötete es früh morgens in der Dunkelheit, ich bin wie von Agnes Strack-Zimmermann gebissen aus dem Bett gehüpft und nach draußen geeilt. Schließlich will man ja wissen, von wem und vor allem, warum das Schlafzimmer gesprengt wird. Vor der Tür stand aber kein Mann, sondern ein Dixi-Klo mit der Aufschrift „Toi, Toi“. Vielleicht saß der Mann auch im "Toi, Toi" und trötete von dort aus.
Ferner beleuchteten gleißende Scheinwerfer die Baustelle, Presslufthämmer und Bagger rissen den Gehweg auf beiden Seiten der Straße tief auf. Schwere Lastwagen mit heißem Teer rangierten umher, deren Lenker besorgt auf meine Flip-Flops herabblickten, weil die ganz offensichtlich nicht dem neuesten Stand des Arbeitsschutzes entsprachen. Ich kam mir vor wie ein verirrter Bademeister aus Rimini. Der Teer-Kutscher hielt mich für einen entsprungenen Joe Biden aus dem nahen Altersheim. Ich beschloss mich von der Front zurückzuziehen und die Lage im Tageslicht erneut zu peilen. Irgendwie erinnerte mich die Szene an Ephraim Kishons „Blaumilchkanal“.
Ich fand dann heraus, dass die Stadt unserer Straße einen neuen Fußgängerübergang zum frisch renovierten Bürgerhaus spendiert. Dies geschieht allerdings nicht durch schlichtes Aufmalen eines Zebrastreifens, sondern macht umfangreiche Tiefbauarbeiten notwendig, großflächige Halteverbote, eine Straßenverengung mit breiten Warnbaken und die Konfiszierung eines knappen Dutzends von Parkplätzen. Deutsche Gründlichkeit hat durchaus noch ihre Refugien. Die Stadt ist klamm, möglicherweise hofft sie bei den Ausgrabungen auch auf ein Sondervermögen zu stoßen, Augsburg ist archäologisch immer für Überraschungen gut.
Automobilisten, die sich für eine Straßenbahn halten
Zumindest temporär wurde ich für den Parkraum-Verlust voll entschädigt, denn das Geschehen vor meinem Haus entwickelte sich für mich zu einem Quell der Freude und Kontemplation. Für ethnologische Studien zum Wesen des deutschen Kraftfahrers und des Deutschen respektive Neudeutschen überhaupt saß ich gewissermaßen in der ersten Reihe – und es ergaben sich darüber hinaus lehrreiche Analogien zur Verfasstheit unseres Staats-Apparates.
Und das kam so: An der letzten Kreuzung vor meiner Baustelle stand ein großes Schild inklusive eines Warngitters mit einem Abbiegepfeil, das darum bat, nicht in die Sackgasse einzufahren, sondern eine Umleitung zu nehmen. Lediglich für die Straßenbahn war die Durchfahrt erlaubt, weil die ja nicht einfach links abbiegen kann.
Dabei stellte sich rasch heraus, dass sich etwa 50 Prozent der im Lande aktiven Automobilisten für eine Straßenbahn halten und glauben, sie fahren auf Schienen. Diese in ihrer Ansicht recht festgelegte Gruppe wiederum unterteilt sich in drei Untergruppen, die ich mal wie folgt beschreiben will:
Gruppe 1 bleibt am Ende der Sackgasse einfach stehen, tut gar nichts und wartet auf ein Wunder. Der eine faltet still die Hände zum Vaterunser, der andere rollt einen Gebetsteppich aus, Agnostiker wechseln in den Lotussitz, drehen die Seitenscheiben herunter und erklären auf Nachfrage: "Wer sich in einer solchen Lage einer Lösung, einem Kompromissangebot verweigert, der handelt verantwortungslos" und weiter: "Ich habe den Bundespräsidenten soeben um die Entlassung des Bundesministers der Finanzen gebeten". Ich gebe dieser Erscheinung aus Gründen der Anschaulichkeit den Namen "Typus Scholz".
Gruppe 2 ist über die Existenz eines Rückwärtsgangs prinzipiell informiert und versucht der Lage durch Rückwärtsfahren zu entkommen, wobei sie aber dummerweise auf einen Angehörigen der Gruppe 1 trifft. Angehörige der Gruppe 2 entschuldigen sich dann bei Gruppe 1 dafür, dass sie wissen wo der Rückwärtsgang liegt, man wolle auf keinen Fall spalten und nur aus der Mitte der Schaltkulisse einen Gang wählen. Der Rückwärtsgang liegt aber meist weit rechts hinten. Die Angehörigen der Gruppe 2 möchte ich daher unter dem Namen "Typus Merz" subsumieren.
Gruppe 3 wiederum versucht zu wenden, obwohl das kaum möglich ist, beweist dabei aber eine unterhaltsame Kreativität und fordert "sofortige Vertrauensfrage und Neuwahlen". Wer jemals einen auf dem Rücken liegenden Maikäfer beobachtet hat, der immer wieder versucht, auf die Beine zu kommen, weiß, wovon ich rede. Nämlich vom "Typus Lindner". Der fährt Tesla, wohnt am feinen Kappberg unter den anderen Teslas und erklärt gönnerisch seinen Vorschlag für den Weg aus der Sackgasse: "Die Bürgerinnen und Bürger müssen nun die Möglichkeit haben, eine Richtungsentscheidung selbst zu treffen."
Eine Sondergruppe bilden die Lastenfahrräder, die der nahe gelegenen Kindertagesstätte zustreben, um die ökologisch-dynamische Brut einzusammeln. Ich wußte bislang nicht, dass der Wendekreis eines Lastenfahrrades dem einer Dampflokomotive entspricht, was die meist weiblichen Lenkerinnen vor erhebliche Probleme stellte. Ich möchte die Pedalisten daher grob (es gibt wie immer Ausnahmen) dem "Typus Habeck" zuordnen: "Orte wie diesen den Schreihälsen und Populisten zu überlassen ist leicht. Aber es sich leicht zu machen, kann nicht die Lösung sein. Nicht heute. Nicht in dieser Woche. Nicht in dieser Zeit".
Ein pneumatisches Zöllner & Co Makrofon
Damit ging das Tohuwabohu vor meiner Tür aber erst richtig los. Die Untergruppen 1 bis 3 samt der "Sondergruppe Lastenfahrrad" harmonieren nicht wirklich und unterstreichen das mit dem nachhaltigen Betätigen ihrer Pressluftfanfaren respektive Klingeln, gegen die der anwesende Sprengmeister mit seiner Tröte keine Chance hatte. Ich erwog kurzzeitig, in das Geschehen einzugreifen und die Nervensägen akkustisch plattzumachen. Für solche Fälle kann ich ein pneumatisches Zöllner & Co Makrofon für Zerstörer der Bundeswehr empfehlen – für schlappe 5.121 Euro.
Das Problem: Auch verbale Belehrungen respektive Einweisungen seitens des Baustellenpersonals fruchten nicht, da diejenigen, die wissen, wo der Rückwärtsgang liegt, nicht unbedingt mit denjenigen übereinstimmen, die der deutschen Sprache mächtig sind. Getreu der Zote: „Wo geht’s denn hier nach Aldi?“. „Sie meinen: zu Aldi!“? „Ach, Aldi schon zu?"
Während die Beteiligten sich gegenseitig niederkartätschten dauerte es meist nur ein paar Minuten, bis von hinten die nächste Straßenbahn kam und den Sack, respektive die Sackgasse endgültig zumachte. Dies führte nach kurzer Zeit zu einem Stau bis zum Hauptbahnhof und setzt sich von dort vermutlich bis zur A8 München-Stuttgart fort.
Zum Glück schien die Sonne und ich holte zum Feierabend-Verkehr einen Campingstuhl aus dem Keller, um es beim Baustellen-Watching bequem zu haben. "Da musste heute Abend kein Fernsehen mehr gucken", rief mir der Einweiser fröhlich zu. Ich prostete ihm mit einer Dose übrig gebliebenem Oktoberfestbier zu.
Nach einem Tag Anschauungsunterricht in Sachen Schmetterlingseffekt wurde das Verkehrsleitpersonal verstärkt. Anstatt einem Einweiser waren es jetzt zwei. Allerdings an der falschen Stelle. Statt die beiden vorne an der Kreuzung zu positionieren, wo der geschätzte Fahrzeugführer noch problemlos abbiegen konnte, blieben die Ordnungskräfte aber weiterhin am Ende der Sackgasse aufgestellt und warteten wie ein Krokodil in seinem Versteck auf die Verirrten.
Die Verstärkung führte also lediglich zur doppelten Konfusion – ein Phänomen, dass ja auch aus deutschen Ministerien und Ämtern bekannt ist. Zumal die Beteiligten sich nicht einig darüber wurden, ob man nun auf Schwäbisch, Bayrisch, Türkisch oder Suaheli miteinander kommunizieren sollte. Nach dieser lebhaften Aufführung ahne ich wie die deutschen Regierungskomiker in die Sackgasse geraten sind und warum sie nicht mehr herausfinden. Auf englisch heißt Sackgasse übrigens "Dead End", was es vom Sprachbild her noch besser trifft.
Ansonsten sind die Bauarbeiten in meiner Straße erfolgreich abgeschlossen. Lediglich das Dixi-Klo steht noch vor meiner Tür – und wird von der Bevölkerung gut angenommen.
Dirk Maxeiner ist einer der Herausgeber von Achgut.com. Von ihm ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Zu beziehen hier.
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