Es gibt Ausflüge, da wäre man gerne auch dabei. Jan Marsalek etwa, Ex-Vorstand des Nichtzahlungs-Dienstleisters „Wirecard“, hält sich dem Vernehmen nach auf den Philippinen oder in China auf. Seine Reise ist Teil einer Performance, die er in seiner Eigenschaft als begabter Illusionist und Magier einem weltweiten Publikum darbietet. Marsalek sucht nach zwei verschollenen Milliarden, die von seiner Firma in Deutschland als vermisst gemeldet wurden. Zwei Milliarden in 100-Euro-Scheinen wiegen immerhin 20 Tonnen, die müssten doch zu finden sein.
Wurden sie im Manila Ocean Park versenkt? Stecken sie unter dem Altar der Kathedrale St.Thomas Intramuros? Oder unter einer Massageliege in der P. Burgos Street? Fragen über Fragen. Tatsächlich dürfte sich die Suche aber als schwierig herausstellen, weil der Schatz im Silbersee offenbar nur in der Vorstellung des Publikums existiert, für das er – Simsalabim – vorübergehend herbeigezaubert wurde.
Jetzt bitte keine künstliche Aufregung. Das hat mit Kriminalität überhaupt nichts zu tun. Es ist schlicht „State of the Art“ im Illusionsgewerbe – und damit der zentralen Branche unserer Zeit. Während die Zauberei früher eher auf Varietés und Hütchenspiele am Straßenrand beschränkt war, hat sie sich inzwischen auch in Politik und Wirtschaft erfolgreich durchgesetzt. Ein Illusionist ist zunächst einmal ein Künstler, der bei seinem Publikum erfolgreich Sinnestäuschungen erzeugt. Die Branche hat in der Vergangenheit ein paar große Namen wie Harry Houdini, David Copperfield oder Johann Nepomuk Hofzinser hervorgebracht. Houdini war einer der bekanntesten Entfesselungskünstler, es gab kein Schloss, das er nicht öffnen, keine Fessel, die er nicht lösen konnte. Copperfield gilt als kommerziell erfolgreichster Illusionist der Welt. Bei ihm verschwand schon mal die Freiheitsstatue oder ein Lear-Jet löste sich in Luft auf. Hofzinser, eigentlich Finanzbeamter, glänzte als leidenschaftlicher Zahlenjongleur.
Mit Schuldscheinen fliegen statt mit Kerosin
Inzwischen ist, siehe Wirecard, eine ganz neue Generation von Illusionisten auf den Plan getreten. Zu den großen Namen der Gegenwart zählen beispielsweise auch Christine Lagarde und Ursula von der Leyen, aber auch Angela Merkel und Saskia Esken, Olaf Scholz und Peter Altmaier. Die einen retten die EU gerade mit Billionen, die es gar nicht gibt, und die anderen lassen die Lufthansa mit Schuldscheinen fliegen statt mit Kerosin. David Copperfield und Johann Nepomuk Hofzinser wären stolz auf ihre Nachfolger.
Das magische Repertoire anno 2020 ist beinahe unbegrenzt. Zu den ältesten Tricks im Programm gehört, einen Gegenstand in die rechte Tasche zu schieben und ihn aus der linken Tasche wieder herauszuziehen. Familie Schmitz beispielsweise freut sich gerade mächtig darüber, dass sie nun das Lufthansa-Ticket für die abgesagte Reise nach Honululu zurückerstattet bekommt. Bezahlt wird das von den neun Milliarden Euro Steuergeld, das die Schmitzens, Mayers, Müllers und ihre Nachkommen in Zukunft beim Fiskus abdrücken dürfen. Einstweilen aber klatschen alle ganz begeistert in die Hände, ob des Manna, das vom blauen Himmel auf die Schwingen der Lufthansa regnet. Auch die, die nicht nach Honululu wollten und trotzdem mitbezahlen dürfen. Das nennt man Nächstenliebe.
Eine illusionistische Parade-Nummer heißt auch die „zersägte Jungfrau“. Als Jungfrau dient seit einiger Zeit die deutsche Wirtschaft, deren Hauptglieder, wie Autoindustrie, Energieversorgung oder Landwirtschaft, sorgfältig abgesägt werden. Anschließend – Simsalabim – fügt sich das Ganze dank Muttis magischer Kräfte wieder zusammen und eine astral-digital-grüne Meerjungfrau steigt aus der Kiste und verbeugt sich unter Applaus nach allen Seiten. Allerdings erst in der nächsten Vorstellung, die aber möglicherweise wegen Corona verschoben wird. Merke: Eine Pandemie ist eine Pandemie, solange das Publikum daran glaubt. Und eine Erfolgsgeschichte ist eine Erfolgsgeschichte, solange die Bank daran glaubt. Und zwei Milliarden auf dem Wirecard-Konto sind zwei Milliarden, solange der Aktionär daran glaubt. Echt blöd wird es, wenn das Publikum den Trick durchschaut. Dann wird es unberechenbar. So wie ein Stier, der merkt, dass ihn der Torero mit dem roten Tuch verarscht hat. So ein gehörnter Bulle ist für alle Zeiten versaut und geht direkt auf den Mann, um ihn platt zu machen.
Das Klauen von silbernen Löffeln und das Verbiegen von Gabeln
Aber in Deutschland sind Stierkämpfe ja verboten. Wie sollen wir also darauf kommen, dass wir verarscht werden? Im Streichelzoo? Es ist doch alles so schön harmonisch hier. Bei der „Energiewende“ führt die Regierung dem Publikum vor, wie der Strom ohne eine Leitung oder sonstige technische Hilfsmittel einfach aus der Steckdose kommt. Und das Ganze kostet nur eine Kugel Eis. Hokus Pokus Fidibus. Bei der „Elektromobilität“ fahren sogar Autos damit. Die „Agrarwende“ belebt das Wunder vom Tischlein deck dich. Wenn die Grünen in die Hände klatschen, dann ist der Tisch sauber gedeckt und vegane Buletten und Bio-Karotten vermehren sich wundersam. So ähnlich wie die Jobs, die unser Wirtschaftsminister in einer Talkshow aus dem Ärmel schüttelt. Kein einziger Arbeitsplatz werde durch die Corona-Maßnahmen verloren gehen, sagte Peter Altmaier.
Dass man Jan Marsalek und seinem Buddy, Wirecard-Chef Markus Braun, nun „frei erfundene Scheingeschäfte“ vorwirft, finde ich deshalb ein bisschen ungerecht. Der Hedge-Fonds Manager Christopher Hohn spricht gar von einem „schwarzen Loch“ und fordert von der Bundesregierung: „Sie können die Firma nicht einfach weitermachen lassen, sondern müssen die Wirecard-Kunden und das deutsche Bankensystem schützen.“ Das wäre aber ein bisschen so, als ob der Topf dem Topfdeckel vorwirft, dass er schwarz ist. Schließlich ist das System Wirecard eine recht treffende Beschreibung der regierungsamtlichen Tätigkeit in diesem Lande.
Bei der EZB, dem Europa- oder dem Bundeshaushalt handelt es sich im übrigen ebenfalls um ziemlich große schwarze Löcher, in denen die Protagonisten traditionell alles mögliche verschwinden lassen. Der heutigen EZB-Chefin Christine Lagarde kamen schon als französische Finanzministerin mal 400 Millionen Euro abhanden. Diese landeten auf wundersame Weise in der linken Tasche des Milliardärs Bernard Tapie, kamen aber aus dessen rechter Tasche nicht wieder heraus. Guter Trick.
EU-Komissionspräsidentin Ursula von der Leyen bot als deutsche Verteidigungsministerin ebenfalls gehobenes Varieté. Zusammen mit bekannten Magiern wie McKinsey simulierte man für zweistellige Millionensummen die Führung des Verteidigungsministeriums. Der damit befasste Bundestagsausschuss kam allerdings zu dem Ergebnis "Die Wunder blieben aus." Frau von der Leyen muss womöglich noch ein bisschen üben, als nächsten Berater schlage ich Uri Geller vor. Der wurde zwar nicht durch das Klauen von silbernen Löffeln bekannt, sondern durch das Verbiegen von Gabeln, aber er ist der einzige Magier, der von sich behauptet, tatsächlich und wahrhaftig magische Fähigkeiten zu besitzen.
Von Dirk Maxeiner ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Portofrei zu beziehen hier.