Dirk Maxeiner / 15.12.2019 / 06:23 / Foto: Shane Balkowitsch / 139 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Die lange Reise der Greta

Sie kann übers Wasser laufen. Sie schart Jünger um sich. Gretas Erscheinen wird zur Erscheinung. Ein christlicher Verein aus Spanien bietet Greta Thunberg sogar einen Esel an, um auf seinem Rücken von Lissabon zur Klimakonferenz in Madrid zu reiten. Mehr Nimbus geht nicht.

Es ist eigentlich erstaunlich, dass die Idee nicht aufgegriffen wurde, denn daraus wäre womöglich die wirkmächtigste Prozession der jüngeren Klimageschichte geworden. Greta ist für ihre Anhänger Jesus. Für andere ist es blanke Blasphemie. Man weiß nicht so recht, ob Spaßvögel oder Erlösungsbedürftige ihr den Esel angeboten haben.

An Assoziationen zu Greta mangelt es wahrlich nicht. Personenkult, BDM, Jungfrau von Orleans, Kassandra, Racheengel. Bei ihrem Besuch des Indianerreservats Standing Rock hat sie eine Fotografin mit einer historischen Plattenkamera als junge Indianerin in Szene gesetzt (Bild siehe oben), wie einst Häuptling Sitting Bull oder Crazy Horse. Die Plattenaufnahme trägt den Titel "Standing For Us All". Greta als Beschützerin ihres Volkes und Mutter Natur. Bei allem Staunen über diese Bilder, weiß der Beobachter nicht, ob er das Phänomen ironisch oder religiös nehmen soll. Diese Art von inszenierter Fotografie, die einen Menschen überhöht, hat zwangsläufig den Beigeschmack von Propaganda.

Greta Thunberg wurde vom Time-Magazine zur „Person des Jahres“ gekürt. Die Auszeichnung wird seit 1927 an jene vergeben, die nach Ansicht der Redaktion die Welt im jeweiligen Jahr „maßgeblich verändert oder bewegt haben“ – zum „Guten“ oder zum „Schlechten“ (Hier die Liste).  Es ist also ziemlich egal, ob jemand Greta Thunberg nun mag oder nicht – für ihre Wahl gibt es gute Gründe. Vor allem diesen: Sie ist die Person des Jahres. Zumindest dann, wenn man in die Echokammer des westlichen Kulturkreises hineinhört (auch auf Achgut.com erfuhr Greta eine immense Beachtung). 

Wie eine Kopie von Leonardos Mona Lisa

Das Time-Magazin präsentiert Greta in diesem Jahr schon zum zweiten Mal auf dem Cover. Im Frühjahr saß das junge Mädchen zum ersten Mal für Time-Magazin Modell. Die holländische Fotografin Hellen van Meene inszenierte ihr Portrait im Stile eines Renaissance-Gemäldes. Greta sitzt aufrecht und steif in einem langen Kleid, dessen grüne Falten kunstvoll über den Beton drapiert wurden. Durch die Säulen eines Hallenganges wirkt ihr zur Seite geneigtes Gesicht huldvoll entrückt. Ihr Blick und ihr Gesichtsausdruck erscheint wie eine Kopie von Leonardos Mona Lisa.

Auf dem aktuellen Time Cover tritt die Persönlichkeit des Jahres ohne die kunstvoll geflochtenen Zöpfe auf, deren Image sie so erfolgreich rehabilitiert hat. Auf einem Felsen stehend wirkt sie eher verloren und schutzlos. Die Gischt einer heranbrandenden Welle verstärkt diesen Eindruck. Ihr langes Haar trägt sie nun offen, sie wirkt wie ein Teenager aus dem Hier und Jetzt. 

Beide Titelbilder sind meisterlich inszeniert. Hier die inszenierte Heilige, dort der empathische Blick auf einen jungen Menschen. Die erste Person des Jahres war 1927 Charles Lindbergh, der den Atlantik mit seiner „Spirit of St. Louis“ als erster im Alleinflug überquert hatte. Lindbergh wollte die Welt verbinden, Greta will die Welt retten.

So schließt sich der Kreis, Greta lehrt die von Flugscham verzehrte Menschheit im übertragenen Sinne wieder übers Wasser zu laufen. Die Segeljachten „Malizia II“ und „La Vagabonde“, mit denen sie den Atlantik überquerte, waren die Transportmittel der Wahl für die Seelen einer heimatlosen westlichen Zivilisation. 

Die innere Versehrtheit von Menschen, die wie Greta an einem Asperger-Syndrom leiden, besteht darin, dass sie empathische Empfindungen nicht in all ihren Graustufen wahrnehmen können. Für sie erscheint alles in schwarz oder weiß. Es gelingt ihnen kaum zu deuten, wie ihre Umgebung auf ihr Verhalten reagiert. Freundschaft und Liebe müssen sie sich hart erarbeiten, oft erscheinen sie roboterhaft und arrogant. 

Das Kindsein als Ikone

Solange Greta Kind ist – und das wird nicht mehr lange sein – erscheint dies auf verstörende Weise entrückt und ist deshalb enorm medienkompatibel. Ihre Kinderstimme wirkt zusammen mit dem roboterhaften UN-Sprech wie gecastet für einen dystopischen Roman. Bürokratensprache erlangt aus dem Munde von Greta den Rang von Verkündigungen. Eine Generation, die nie gelernt hat, Angst zu haben und sie selbst zu überwinden, klebt an ihren Lippen. 

Greta wirkt so tragisch wie eine verspätete Vorbotin des Unglücks, das sie nicht verhindern kann, eine Kassandra des 21. Jahrhunderts. Gretas Erscheinung changiert – und das ist nicht inszeniert – zwischen Kindheit und Jugend, zwischen Kassandra und Sphinx, zwischen Furie und Heiliger. 

Das Kindsein ist die Voraussetzung für ihre Wirkung als Ikone. Doch die wenigsten Kinderstars schaffen es später ins ernsthafte Millieu. Menschen mit Asperger-Disposition neigen dazu, den Verlust von Aufmerksamkeit und Liebe nicht nur als Enttäuschung zu empfinden, sondern als Kränkung oder Beleidigung.

Es ist einfach, Greta zum Feindbild zu stilisieren, aber unfair. Wenn man sich an jemandem abarbeiten möchte, dann bitte an ihren Hofschranzen. Möglicherweise wird sie das eines Tages selbst tun: als kluge Frau, die einmal Persönlichkeit des Jahres war.

 

Von Dirk Maxeiner ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Portofrei zu beziehen hier.

Foto: Shane Balkowitsch CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

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Michael Schneider / 15.12.2019

Ich weiß nicht, ob das schon mal thematisiert wurde, aber gibt es irgendeine Quelle für bestätigte Fotos während der Überfahrten? Ich finde nur Fotos, die für beide Atlantiküberquerungen eine (angeblich) gerade eben angekommene Greta zeigen, jedoch nichts Belegtes von Bord, nichts vom Anlegen.  Einige wenige Fotos in unmittelbarer Landnähe auf dem Deck, andere (wenige) ohne jede Landmarke angeblich irgendwo im Nichts des Atlantiks. Es gibt auch keine Interviews während der Reisen, nur mit Besatzungsmitgliedern. Getwittere schon, aber von wo aus? War sie überhaupt die ganze Fahrt auf den Booten? Mit all dem Gepäck, welches auf dem aktuellen Foto im ICE zu sehen ist? Und warum ist sie nicht in Madrid bis zum Ende der Konferenz geblieben oder gleich nach Schweden zurückgekehrt, sondern nach Turin weitergereist? Wegen einer einzigen Demo? Und Zugfahren ohne Platzreservierung, wegen 4,50 €?

A. Ostrovsky / 15.12.2019

Ich habe einen Kollegen, der schon mal in Schweden war. Aber er erzählt nichts mehr, seitdem ich das Land einmal als “Failed State” bezeichnet habe. Schade, so weiß ich nichts darüber, wie die Binnensicht der Schweden aussieht, also wie die das selbst sehen. Unser ehemaliger Bundespräsident Joachim ist doch Südschwede. Da habe ich jetzt eine Ahnung. Auf jeden Fall scheint die matriarchische Variante des Kalifats auch keine Leistungsgesellschaft zu sein. Aber scheinbar haben wir ein Wahrnehmungsproblem. Niemand in Europa oder der Welt kennt die Namen der herrschenden Kalifinnen in Stockholm, aber Greta kennt jeder, so als hätte sie im Kalifat des Nordostens irgendwas zu sagen. Es ist vor allem der ins Auge springende Widerspruch, der in Schweden Beachtung findet. Greta als Urenkelin von Swante Arrhenius, nur weil ihr Großvater den selben Vornamen, Olaf, hatte, wie der Sohn Arrhenius’ aus erster Ehe. Bei Olof Palme war es der Widerspruch, dass es in Schweden überhaupt keine Palmen gibt. Aber was kam dann? Ich weiß mehr über die Bronzezeit, als über Schweden nach Palme bis Greta. Herrn Maxeiner danke ich für die differenzierte Bewertung. Es ist wohltuend, wenn mal jemand im Zeitalter der schwarz-weiß Ideologien auch die Zwischentöne sieht. Auch wenn ich Zweifel habe, ob es einem Kind, das als Retter der Indianer, Retterin der Welt und Retterin des Weltklimas gefeiert wird, gelingen kann, einmal eine kluge Frau zu werden. Erkenntnis, die das Ergebnis intensiven Nachdenkens ist, kann nur in der Stille reifen, nicht unter den Alarmtönen des Jahrmarktes. Wir haben so viele Leute im Land, Politiker, Journalisten, Talkmaster*innen, die früher sicher Zeit zum Nachdenken hatten, denen es aber doch nicht gelungen ist klug zu werden. Wenn man sich ein Ziel vorstellt, zu dem es keinen Weg gibt, bleibt das eine Utopie. Das ist wie bei einer Abstammung ohne die Personen dazwischen. Die Werbebotschaft wird zur Erkenntnisschranke, wenn sie der Nachprüfung nicht standhält.

Christoph Rosanka / 15.12.2019

@Gertraude Wenz. Stimme Ihnen vollumfänglich zu. Ich möchte aber noch ergänzen, dass es geradezu atemberaubend ist wieviel geradezu dumme Politiker hierzu Ihren Beitrag leisten. Natürlich sind viele Politiker nur auf diesen Zug aufgesprungen. Viele dummdreiste Politiker aber sind wirklich so einfältig.

Emma W. in Broakulla / 15.12.2019

@ Johannes Schuster, in diesem Artikel von Herrn Maxeiner ist von Behindertschelte nicht mal andeutungsweise etwas zu lesen. Sind nicht diejenigen, welche Greta für ihre Zwecke ( auch in Form von sinnlosen Artikeln ) benutzen, nicht die wirklichen ” permanenten Aufgeiler” ?  Ich denke doch. “Verbohrte Starrschädel mit Willen” haben übrigens noch nie etwas Gutes, sondern immer Elend über die Menschheit gebracht.

Harald Hotz / 15.12.2019

Wenn ich an Greta denke, dann empfinde ich keinerlei Häme oder gar Haß. Ich glaube eher, daß sie ein Opfer ist, daß sie mißbraucht wird und daher Mitgefühl verdient hat. Es gab mal eine Zeit, da hätten sich Heerscharen von Journalisten auf den Weg gemacht, das Phänomen “Greta” zu entschlüsseln, die Hintermänner und -frauen aus dem Dunkel zu zerren um in aufklärerischem Eifer einen ökofaschistischen Mythos zu entlarfen. “Greta” ist eigentlich keine Person, sondern wie “Kevin” eine Diagnose;-) unseres politisch-medialen Kartells. Ich hoffe ehrlich, daß Greta nicht an “Greta”  zerbricht.

Wolfgang Kaufmann / 15.12.2019

@Johannes Schuster — Die Schelte gilt nicht einer Behinderten. Die Schelte gilt den Schaustellern Thunberg und Ernman, die zur Konferenz in Katowice eine knapp 16 Jahre alte Jugendliche ins Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit zerrten statt sie zu schützen, wie es die Aufgabe verantwortlicher Eltern wäre. Denn ganz offensichtlich ist Autismus noch das geringste ihrer Probleme.

Claire Müller / 15.12.2019

Jetzt mal den Link angeschaut. Es ist schon wirklich sehr witzig, dass Donald Trump der letzte legitime Träger des Titels zu sein scheint. Danach hat man in der TIME-Redaktion den Verstand gegen Ideologie eingetauscht. “Me too”? Ernsthaft? Dann die Selbstbeweihräucherung der Journalisten, wieso also nicht den Vogel abschießen und Greta Thunberg nehmen. Es kann festgestellt werden, der Journalismus weltweit liegt im Sterben.

Dietrich Herrmann / 15.12.2019

Indianerin? Ich sehe das eher als nordisch-germanisches Kind. Und solcherart Verehrung hatten wir schon mal. Fehlt nur das Sonnenzeichen…

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