Dirk Maxeiner / 15.04.2018 / 06:25 / Foto: Tim Maxeiner / 8 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Die Integration der Weißwurst

In meiner bayrischen Heimat befinden sich drei Kirchen in unmittelbarer Hörweite meiner Bleibe. Eine davon schlägt nicht nur die Stunde, sondern auch die Viertelstunde. Ich bin also stets bestens über die Uhrzeit informiert. Jede Gegend hat ihren eigenen Sound, und er setzt sich beim Menschen früher oder später im Unterbewusstsein fest. Einfach gesagt: Ich höre die Glocken gar nicht mehr, weiß aber stets, wie spät es ist. 

Derzeit bin ich aber nicht zuhause, sondern im fernen Los Angeles. Dort bewohne ich ein kleines Holzhaus aus dem Jahre 1910. Mit ihren Erkern, Gauben und Holzsäulen sehen die Häuschen ein bisschen aus wie zu heiß gewaschene Neuschwansteins für den Privatgebrauch. Besonders schätze ich die überdachte kleine Veranda vor dem Haus, auf der zwei Sessel stehen. Da setze ich mich in der Abendsonne hin und ziehe krachend eine Dose Bier auf. Der Hafen von Los Angeles ist nur eine halbe Meile entfernt, und die 14. Straße führt genau auf ihn zu. Schaut man die Straße hinunter, kreuzen am Ende keine Autos, sondern Schiffe. Ab und zu schiebt sich ein riesiger chinesischer Container-Frachter ins Bild und zieht über den niedrigen Dächern vorbei.

Die Nachbarn arbeiten hart, viele haben hier zwei oder drei Jobs. Die meisten sprechen Spanisch haben aber einen teutonischen Arbeits-Ethos. Spätestens zum Sonnenaufgang sind alle schon unterwegs. Ich weiß das, weil auch diese Straße einen eigenen Sound hat. Um Punkt 5:30 Uhr startet der gewaltige Ford Pickup von gegenüber. Sein blubbernder Sound kann es mit jedem Schiffs-Diesel aufnehmen. Der Besitzer bemüht sich leise zu sein und gibt erst nach fünfzig Metern richtig Gas. Das ist herrlich, weil die Wände meines Holzhäuschens dann so gemütlich vibrieren. Wenn so gegen acht Uhr alle durchgestartet sind, legt sich dann eine verschlafene Ruhe über die Straße und man hört die Vögel zwitschern. Außer Samstags: da werden um Punkt 8 Uhr die Rasenmäher angeworfen, auch wenn der Rasen nur die Ausdehnung eines großen Badetuches hat. 

Die Polizei macht eindeutig die bessere Show

Die Gentrifizierung in Form von Toyota Prius steht hier erst am Anfang. Weil es keine richtigen schweren amerikanischen Limousinen mehr gibt, sind die Leute auf Pickups und SUV umgestiegen, die dem Fahrtwind wie mittelalterliche Burgen trotzen und die kleinen Häuschen, vor denen sie parken, noch kleiner aussehen lassen. Die meisten verfügen nur über sehr rudimentäre Schalldämpfungs-Einrichtungen, der Sound ist eindeutig wichtiger als Komfort oder Straßenlage. Das ist eine sehr soziale Angelegenheit, weil ja alle etwas davon haben.

Der Nachbar zur rechten hat einen weißen Chevrolet Monte Carlo aus den späten siebziger Jahren konserviert und mit riesigen Streiträdern ausgerüstet. Das hat was von Ben Hur. Ich habe ihn noch nie damit fahren sehen, vielleicht will er den schönen Parkplatz direkt vor seinem Haus nicht aufgeben. Er lässt ihn aber jeden Nachmittag einmal warmlaufen. Am Schluss des Rituals gibt er dann einen kräftigen Stoß Vollgas. Der Monte Carlo heult auf wie ein Löwe in der Brunft und verfällt danach wieder friedlich knackend in seinen Dornröschen-Schlaf. 

Auch die Polizei macht eindeutig die bessere Show als bei uns. Besonders nachts, wenn irgendwo was los ist. Dann donnert schon mal ein halbes Dutzend Ordnungshüter im Verband an der Veranda vorbei. Es blinkt und jault, als seien sämtliche Alarmanlagen der westlichen Hemisphäre auf einmal losgegangen. Gestern abend ergänzte der Polizeihubschrauber mit seinem Suchscheinwerfer die Aufführung. Kino braucht man hier eigentlich nicht. Besonders gut gefällt mir, dass die Leute das Spektakel komplett ignorieren. Du denkst, der dritte Weltkrieg ist ausgebrochen, und die tun so, als sei nix.

Meine Integrations-Leistung lässt zu wünschen übrig, sie besteht bisher im Wesentlichen darin, dass ich einen Barbecue-Grill im Vorgarten aufgebaut habe. In meinem Fall würde es noch nicht einmal helfen, mit den lokal verbreiteten, kurzen Hosen herumzulaufen, die weit schlotternd übers Knie herunter reichen. Auch eine schräg aufgesetzte Kappe steht mir nicht wirklich. Ich sehe so deutsch aus wie Sauerkraut, egal was ich anhabe. Jeder erkennt sofort, dass ich nicht von hier bin, was aber kein Nachteil sein muss.

Apropos Sauerkraut: Bei einem geselligen Abend für ein paar Bekannte erfreute genau das Deutsche: Sauerkraut und handgeschabte Späzle, Wienerle und saure Linsen. Und natürlich Weißwürste. Alles andere wäre eine Enttäuschung gewesen. Kulinarisch habe ich mich dennoch weitergebildet: Einige Gäste bestanden darauf, die Weißwürste zu grillen. Zumindest die Integration der Weißwurst ist gelungen, ich selbst übe noch. 

Foto: Tim Maxeiner

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Leserpost

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M. Menz / 15.04.2018

Was für ein toll geschriebener Artikel und Reisebericht. Darf ich auf eine Fortsetzung hoffen ?

N. Müller / 15.04.2018

Bei den Amis gehört doch alles gegrillt oder frittiert ;)

Bernd Ackermann / 15.04.2018

Bier aus der Dose zu trinken - viel amerikanischer geht es ja nicht mehr. Obwohl das natürlich eine Art Kulturbolschewismus ist. Ob die Seehofersche Homeland Security Sie jetzt wieder nach Bayern einreisen lassen wird? Oder direkt nach NRW abschiebt? Wir harren gespannt der Dinge, die da noch kommen…

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