Am vergangenen Samstag feierte Achgut.com mit seinen Autoren das 20-jährige Achse-Jubiläum. Eine gute Gelegenheit, um festzustellen, was die Beteiligten außer Schreiben noch so machen. Mit dem European-Song-Contest können sie es allemal aufnehmen.
Es heißt ja immer wieder, dass Politiker einen erlernten Beruf haben sollten. Dafür sprechen viele Gründe: Beispielsweise kann der Deliquent nach der Polit-Karriere in einen anständigen Beruf zurückkehren, was seine Unabhängigkeit befördert. Außerdem verfügt er zumindest auf bestimmten Gebieten über eigene Sachkenntnis, die Entscheidungen erleichtern. Schlussendlich fassen Bürger Vertrauen, weil politische Maßnahmen möglicherweise auf realen Erfahrungen basieren.
Auch dem deutschen Journalismus wäre es durchaus zuträglich, wenn die Beteiligten in einen anständigen Beruf zurückkehren könnten. Oder ihre Berichterstattung auf realen Erfahrungen basieren würde. Um die Autoren der Achse des Guten mache ich mir da keine Sorgen. Die meisten von denen, die sich am vorigen Wochenende in Berlin versammelt hatten, können in eine seriöse Tätigkeit zurückkehren oder üben diese noch erfolgreich aus. Schreiben ist für viele unserer Autoren das Sahnehäubchen auf dem Portfolio.
Die medizinische Mannschaft auf unserer Jubiläumsfete würde für die Betreuung einer Intensivstation reichen, der juristische Sachverstand für eine Großkanzlei, die sachgemäße psychologische Betreuung war ebenfalls mehrköpfig vertreten, die religiöse Vielfalt in Form von christlicher Theologie, Imam und Rabbi ausreichend repräsentiert. Historiker, Soziologe, Finanzwissenschaftler, Biologe, Chemiker, Berufssoldat, Unternehmensberater und viele weitere Professionen rundeten das Autoren-Aufgebot von Achgut.com ab. Und der Clou dabei: Die kommen alle prima miteinander aus, auch Imam und Rabbi übrigens. Die Konversation funktioniert sogar in einem Dutzend verschiedener Fremdsprachen, von Englisch bis Italienisch und von Türkisch bis Kasachisch, wobei ich Schweizerdeutsch vom Schwierigkeitsgrad her zu den Turksprachen zähle.
„Weil wir nix anderes gelernt haben“
Die Herausgeber Henryk M. Broder, Fabian Nicolay und ich bewiesen, dass wir zumindest sehr große Geburtstagstorten mit der Aufschrift „20 Jahre Achse des Guten“ korrekt anschneiden, in gerechte Portionen aufteilen und auf Teller servieren können. Eine Zweit-Verwendung im Bäcker- respektive Konditor-Handwerk scheint also möglich. Fabian Nicolay hat zumindest tendenziell einen ordentlichen Beruf, er ist Diplom-Designer, ließ sich aber mit Nichtsnutzen wie Broder und mir ein. Ich brach meine Ausbildung zum Formel-1-Rennfahrer vorzeitig ab, Henryk Broder, der mal kurzzeitig was mit Statistik studierte, pflegt auf die Frage, warum wir die Achse vor 20 Jahren geründet haben, gerne zu antworten: „Weil wir nix anderes gelernt haben.“
Als Treffpunkt hatten wir eine ehemalige Groß-Diskothek ausgeguckt, in der stattliche Gipslöwen Wache hielten. Über den versammelten Massen thronten zwei ebenfalls aus Gips modellierte Grazien, ohne Kopf- und mit Engelsflügeln, so groß und schwer wie ein Elektro-SUV von Daimler-Benz, aber hübscher anzusehen und besser verkäuflich. Der Inhaber des Etablissements erzählte, dass man die geschmacklich grenzwertigen Figuren nicht entsorgt habe, weil für den Hinaustransport die komplette Mannschaft einer griechischen Galeere hätte angeheuert werden müssen. Woraus wir messerscharf schlossen, dass dies genau die richtige Dekoration für unseren Geburtstag sei.
Während es in der neuen Bundesregierung nur drei Vertreter aus dem ehemaligen Osten Deutschlands in führende Ämter geschafft haben, liegt die Ost-Repräsentanz der Achse-Autoren bei geschätzt 50 Prozent, was nicht an irgendeiner Quote liegt, sondern daran, dass man im Osten oft früher merkt, wenn der Hase in die falsche Richtung läuft. Die Älteren aus dem Osten wissen noch, wie das ist, wenn man sich zuerst umschaut und die Stimme senkt, bevor man etwas von Belang sagt. Die aus dem Westen gewöhnen sich gerade daran, was das gegenseitige Verständnis ungemein befördert. Man kann mitllerweile über die gleichen Witze lachen, die in etwa folgende Richtung einschlagen:
Nie war es einfacher, alles zu sagen, was man denkt – vorausgesetzt, man denkt genau das, was alle anderen auch denken. Natürlich darf jeder seine Meinung sagen. Wer heute eine kontroverse Meinung äußert, wird nicht etwa verfolgt – er wird entfolgt. Früher sagte man: „Ich bin nicht deiner Meinung, aber ich werde dein Recht verteidigen, sie zu äußern.“ Heute sagt man: „Ich bin nicht deiner Meinung, also rufe ich deine Firma an.“ Also: Die Meinungsfreiheit lebt. Sie ist quicklebendig, trägt aber mittlerweile eine Warnweste, einen Maulkorb und morgens ab 5 Uhr einen Bademantel.
Eine Reise in ein anderes Land
Kreativität gibt es aber nur in angstfreien Räumen. Ein Besuch des Achse-Treffens ist insofern eine Reise in ein anderes Land. Erst der Austausch von Standpunkten bringt die für neue Ideen notwendigen Zündfunken hervor. Wer diesen Prozess verhindert, killt alles. Wer – wie derzeit üblich – glaubt, Kreativität mit Geld kaufen und mit staatlichen Programmen organisieren zu können, wird mit seiner Galeere auf Grund laufen. Besonders deutlich wurde das in der Corona-Zeit, als die Räume des Austausches – von der Kneipentheke bis zur Demo auf der Straße – verboten wurden. Das größte Problem dieses Landes besteht in der Ignoranz gegenüber einer einfachen Sachlage: Das einzige Sondervermögen, das wir haben, sind wir selbst. Und deshalb müssen wir uns frei entfalten können.
Achgut.com ist in 20 Jahren zu mehr als einem Medium herangereift. Neudeutsch nennt man das wohl eine „Community“. Ich bin kein Esotheriker, aber manchmal kommt mir die Achse ein wenig vor, wie ein morphisches Feld, das seine Strukturen von selbst schafft. Wie dem auch sei: Unsere Autoren entwickeln längst auch jenseits von Achgut.com wunderbare Aktivitäten, machen gemeinsame Lesungen, organisieren Debatten, helfen und unterstützen sich – oder machen schlicht gemeinsam Urlaub. Es ist mir nicht bekannt, ob die Achse schon eine Ehe gestiftet hat, es würde mich aber nicht wundern. Wobei natürlich auch das Umgekehrte im Bereich des Möglichen liegt.
Ach ja: Musik machen können Achse-Autoren auch. Am Abend trat eine Grande Dame aus unserer Mitte ins Licht und sang zu Ehren des Geburtstags-Kindes auf Deutsch neu getexte Versionen von „Always look on the bright side of life“ von Monty Python und „When all is said and done“ von ABBA. Wunderschön. Martina Binnig, Musikwissenschaftlerin, hatte ihre Querflöte mitgebracht und kredenzte den Mitautoren „Improvisando-Flamenco“ und „Les Folies d´Espagne“ – in absoluter Konzert-Qualität, wie anwesende Kenner versicherten. Schließlich trat des Spandau Duett auf die Bühne, bestehend aus Bernhard Lassahn (Text und Gesang) und Hans Scheuerlein (Ukulele). Irgendwo zwischen Dada und Gaga – zu Ernst nehmen dürfen sich gerne andere – trugen sie eine für Deutschland durchaus programmatische Coverversion von „Blowing in the wind“ vor. Das Spandau-Duett Lassahn & Scheuerlein mit ihrem Protestsong zu „20 Jahre Tortenschlacht Achse des Guten 2025“ können Sie hier hören und hier lesen:
Die Antwort, mein Freund, kennt ganz allein der Joint.
Bei wie vielen Nachrichten aus aller Welt
glaubst du, dass es dich auch betrifft?
Wie viele Tabletten und Pillen von heute
erweisen sich morgen als Gift?
Wie viele Männer mit Macht und mit Geld
sind völlig verkokst und bekifft?
Die Antwort, mein Freund,
kennt ganz allein der Joint.
Wie viele Nachrichten auf n-tv
ham sich schon als fake news entpuppt?
Wie oft klagt ein Mensch, selbst ein einfaches Leben
kriegt er heute nicht mehr gewuppt?
Wie viele von unsern Politiker*innen
sind geldgierig, dumm und korrupt?
Die Antwort, mein Freund,
kennt ganz allein der Joint.
Wie oft muss der Staat mich noch schamlos betrügen,
bis ich ihm nicht länger vertrau?
Wie viele Geschlechter muss ich noch erkunden
zusätzlich zu Mann und Frau?
Wie oft muss ich mich noch im Kreis herum drehen,
bis ich den Schwindel durchschau?
Die Antwort, mein Freund,
kennt ganz allein der Joint.
Wie viele Ostfriesen braucht man, um eine Glühbirne reinzudrehen?
Welches sind die 10 Länder mit den meisten alleinstehenden Frauen?
Du willst wissen, wie viel dein Auto wert ist?
Darf man beten, dass Trump tot umfällt?
Waren Jesus und Paulus ein und dieselbe Person?
Warum spricht niemand über Lebensmittelqualität bei Hundefutter?
Becher oder Waffel?
Wie oft muss man Kindern die Wahrheit erzähln:
Es ist bitter Ernst und kein Spiel?
Auf wie vielen Wege musst du dich verirrn,
bis du einsiehst: Es gibt gar kein Ziel?
Wie viele Kriege muss Deutschland noch führn,
bis es merkt: Es ist einer zu viel?
Die Antwort, mein Freund,
kennt ganz allein der Joint.
Hinweis in eigener Sache: Hiermit möchte ich mich in die Ferien verabschieden; in der letzten Juni-Woche kehrt der Sonntagsfahrer dann frisch mit einhundert Prozent Solarstrom geladen zurück.
Dirk Maxeiner ist einer der Herausgeber von Achgut.com. Von ihm ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Zu beziehen hier.