Dirk Maxeiner / 04.04.2021 / 06:00 / Foto: Pixabay / 81 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Das Stockholm-Syndrom

Ein spektakulärer Banküberfall im August 1973 gab einem psychologischen Phänomen seinen Namen: Stockholm-Syndrom. Zwei Gangster hatten die Insassen einer Bank als Geiseln genommen und sich eine perfide Strategie gegen die Polizei einfallen lassen. Um einen Betäubungsversuch durch in die Bank geleitetes Gas zu vereiteln, legten sie den Geiseln Schlingen um den Hals und befestigten diese an einem hohen Schrank. Dann riefen sie die Polizisten an: "Wenn ihr hier Gas reinlasst und die vier bewusstlos werden, bricht ihr Genick. Dann sind sie tot." Die Geiselnahme endete dennoch nach 5 Tagen unblutig. 

Geschichte machte dann das, was danach geschah. Trotz ihrer Angst empfanden die Geiseln auch nach Beendigung der Geiselnahme keinen Hass auf die Geiselnehmer. Sie waren ihnen sogar dafür dankbar, freigelassen worden zu sein. Zudem baten die Geiseln um Gnade für die Täter und besuchten sie privat im Gefängnis. Psychologen streiten über die Deutung dieses Verhaltens, aber als plausibelste Erklärung gilt: Unter Bedrohung waren die Geiselnehmer plötzlich zu den Guten geworden, mit denen sie sich gegen den vermeintlichen Aggressor, die Polizei, verbündeten. Seitdem werden zahllose ähnliche Vorfälle unter der Rubrik „Stockholm-Syndrom“ gehandelt.

Die nachträgliche Begründungstendenz für das eigene verquere Verhalten wird im Rahmen dessen auch als „Käufer-Stockholm-Syndrom“ bezeichnet, weil eine schlechte Kaufentscheidung im Nachhinein und unbewusst als richtig empfunden wird. Dies lässt sich beispielsweise auch bei jenen beobachten, die in den letzten 15 Jahren Angela Merkel gewählt haben. Obwohl die Frau derzeit praktisch das ganze Land in Geiselhaft gegen ein Virus nimmt, verharren ihre Beliebtheitswerte in einsamen Höhen. Mit Wohlverhalten wollen sich die Eingesperrten die Gunst der Geiselnehmerin verdienen. Zum Feind werden die Befreier, die die Grundrechte wiederherstellen wollen. Auch die Medien, die Frau Merkel zur deutschen Heilserscheinung schlechthin und „Physikerin der Macht“ emporschrieben, vermögen den Gedanken nicht an sich heranzulassen, dass sie ihrer Angebeteten vielleicht ein bisschen zu viel abgekauft haben.

Außer Reichweite wie der Intelligenzquotient von Garri Kasparow

Das erinnert mich an ein pensioniertes Ehepaar aus der Gegend von Freiburg, von dessen Odyssee Focus-Money berichtet. In dem Fall verdichten sich Stockholm-Syndrom, Lockdown und E-Mobilität zu einem wunderbaren Diorama des Zeitgeistes. Das Paar hatte sich einen nagelneuen und elektrischen VW ID.3 angeschafft. Und mit dem wollten die beiden in eine Ferienwohnung im Umland von Montpellier fahren. Die beiden bereiteten sich vor wie das Expeditionscorps der legendären Croisière Jaune, die am 4. April 1931 (also heute exakt vor 90 Jahren) den Landweg von Beirut nach Peking erkunden wollte. Die akribische Vorbereitung des Freiburger Expeditioncorps half aber leider nix. „Kaputte Ladesäulen, ungenaue Apps, plötzlich sinkende Reichweitenanzeigen – es wird eine Katastrophentour“, fasst Focus die Horrorfahrt in die Camargue zusammen. Hier einige der beschriebenen Höhepunkte des elektromobilen Geiseldaseins:

Volkswagen gibt für den ID.3 immerhin 550 Kilometer Reichweite an. Nach 178 Kilometern an der Raststätte „Aire Ecot“ strebte die Ladung der Batterie aber bereits in die tieferen Unterbodengewölbe. Blöderweise war auch die dort eingetragene Ladestation außer Betrieb. Genau wie offensichtlich die Aktualisierung der Ladestellen-App. Volkswagen wirbt mit „150.000 öffentlichen Ladepunkten“, an der man „mit nur einer Karte“ bezahlen könne. Theoretisch. Praktisch war die nächste Schnelllade so deutlich außer Reichweite wie der Intelligenzquotient von Garri Kasparow. Also drehte man um und fuhr ein Stück zurück, um den nächsten VW-Händler zu erreichen. Dort erbettelte man sich ein wenig französischen Atomstrom. Nach zwei Stunden Schneckenladen sind wieder 40 Prozent Saft gebunkert, also so 100 Kilometer. Und so geht es weiter, respektive nicht-weiter. 

Es folgt eine automobile Spring-Prozession: Zwei Schritte vor und einer zurück auf dem Weg zum elektrischen Seelenheil. Die Ladeanzeige wird zum Schwert des Damokles, die App zeigt Ladestationen, die es nicht gibt. Und die, die es gibt, nehmen die Bezahlkarte nicht. Wegen des Lockdowns sind Hotels und Gaststätten geschlossen, das Paar verbringt viele besinnliche Stunden frierend und auf zugigen Parkplätzen, um nicht in der Dunkelheit Opfer eines finalen Blackouts zu werden. Den Rest besorgte die französische Ausgangssperre. Nach 26 Stunden haben sie sich in ihr 790 Kilometer entferntes Ferienappartement durchgeschlagen. Das entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa 30 km/h. Man hätte das Ganze mit einem modernen Diesel auch locker in sieben Stunden ohne Tankstopp abspulen können, in der Ökobilanz obendrein günstiger und so blütenweiß wie die Hemden von Richard David Precht. Aber das darf ja nicht mehr wahr sein. Und wenn wir uns weiter so anstrengen, schaffen wir es sogar zurück auf die Bäume und einer steinzeitlichen Lebenserwartung von 30 Jahren, dann sind alle zuverlässig tot, bevor sie Corona kriegen können.

Die neue automobile Normalität ist hingegen ganz die von 1888. Wir kehren wieder zu den Verhältnissen zurück, die Berta Benz vor rund 130 Jahren bei der ersten automobilen Fernreise überhaupt vorfand. Mit dem Benz-Patent-Motorwagen überwand sie die rund 100 Kilometer von Mannheim nach Pforzheim im Lichte eines Tages, die Höchstgeschwindigkeit des Patent-Motorwagens lag bei gut 20 km/h. Sorge bereitete lediglich der Vorrat an „Ligroin“, wie das Benzin seinerzeit hieß – das gab es damals in Apotheken. Eine App brauchte Berta nicht: In Wiesloch konnte die Stadt-Apotheke helfen, die übrigens noch heute existiert und darauf hinweist, erste Tankstelle der Welt gewesen zu sein. 

Womit der Beweis erbracht ist: Der Spruch „Nichts wird mehr sein wie früher“ ist definitiver Bullshit. Im Zeichen der Elektromobilität kehren wir mühelos ins 19. Jahrundert zurück. Und damit sind wir wieder beim „Käufer-Stockholm-Syndrom“, mit dem eine schlechte Kaufentscheidung im Nachhinein und unbewusst als richtig empfunden wird. Die beiden Frankreich-Reisenden sagten zu Focus: 

„Unabhängig von dieser Katastrophen-Fahrt wollen wir definitiv festhalten, dass unser neues Fortbewegungsmittel ein großartiges Fahrzeug mit bestem Komfort ist. Allerdings muss sich auf dem Gebiet der (internationalen) Ladestationen noch sehr viel ändern, damit man guten Gewissens diese Art von Mobilität empfehlen kann.“ 

Das ist so ähnlich wie mit dem Sozialismus, der ja auch nur schlecht umgesetzt wurde, ansonsten aber eine Tiptop-Idee ist.

 

Von Dirk Maxeiner ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Portofrei zu beziehen hier.

Foto: Pixabay

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Paul Siemons / 04.04.2021

“Fast zwei Drittel der Deutschen für Reise-Verbot” “MEHRHEIT DER DEUTSCHEN FORDERT: Mehr Lockdown-Macht für Merkel!” Habe mir von diesen Schlagzeilen Screenshots gemacht und ausgedruckt. Selbst falls es gelogen ist (was ich aber nicht annehme). So sind sie, die Leut’.

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