Es weihnachtet sehr, und alle warten auf die Bescherung. Was wird uns Correctiv in nächster Zeit schenken? Eine neue Potsdam-Saga, diesmal als Ballett? Oder ein Weihnachtskarussell mit Teelicht und Heißluftantrieb?
Ab und zu ruft mich ein Unternehmen namens Stepstone an. Das ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die Axel Springer gehört und unter anderem Personal vermittelt. Es ist aber leider nicht so, dass die mich irgendwohin vermitteln wollen, ganz im Gegenteil, sie wollen mir jemanden vermitteln. Das ist ein geradezu gewissenloses Ansinnen, weil ich ein Kraftfahrzeug deutlich besser führen kann als Menschen und meine Liquidität von, sagen wir mal, schwankender Beschaffenheit ist.
Ich selbst bin deshalb zuverlässig nicht vermittelbar. Noch nicht einmal die Firma Methusalem hat mir bislang ein Angebot gemacht, obwohl ich durchaus im passenden Alter und veränderungswillig bin und gerne mal was mit Klangschalen, Räucherwerk und Horoskopen machen würde. Klangschalen, Radkappen und Aluhüte liegen ja nicht soweit auseinander. Nun gut, soll nicht sein, man muß auch „jönne könne“, sagt der Kölner: Ich bin zwar kein Personalvermittler, empfehle der bewusstseinserweiternden Industrie an Stelle meiner hiermit einen talentierten jungen Mann, der sich rasch einarbeiten könnte.
„Hallo, ich bin Jean Peters von Correctiv und ich möchte mit Ihnen reden“, hat er sich mir vor ein paar Tagen vorgestellt. Man bewirbt sich ja heutzutage per Video, und der Jean ist im Klangschalen-Business kein Anfänger. „Correctiv enthüllt: Rechtsextremer Geheimplan gegen Deutschland“ hieß ein Theaterstück, das unter seiner tätigen Mithilfe Anfang des Jahres erstaufgeführt wurde. Das Schauspiel gelangte in Kooperation mit dem Berliner Ensemble und dem Volkstheater Wien auf die Bühne. Und weil das schon fast ein Jahr her ist, sucht der Jean jetzt wohl eine neue Herausforderung.
DDR Standard Wählscheiben-Telefon
Wenn man der Schweizer Weltwoche glauben kann, verbrachte er eine Weile im sonnigen Madagaskar, er scheint mir sogar ein bisschen braun geworden zu sein. Vielleicht war er das aber auch schon vorher. Madagaskar ist sonnig und die Heimat der Lemuren, man unterscheidet zwei Arten, sie gehören zur Gruppe der Feuchtnasenprimaten. Wenn mich nicht alles täuscht, hat Jean sogar ein gerahmtes Bild von so einem putzigen Kollegen auf seinem Schreibtisch stehen. Man kann es aber im Video schlecht erkennen, könnte auch ein Vogelküken, ein Erdhörnchen, ein Katzenbaby oder Martin Sellner unterm Weihnachtsbaum sein. Jedenfalls hat er das Wesen mit den großen Augen so drapiert, dass es mich anschaut und nicht ihn.
Der Lemure ist rechts platziert, dahinter eine sehr gepflegte Topfpflanze sowie ein DDR-Standard-Wählscheiben-Telefon. Damit tut der Jean Leute anrufen. Jean sitzt in der Mitte des winzigen Schreibtischs, und links befindet sich eine Kaffeetasse mit ganz vielen Kugelschreibern drin. Vor sich hat er ein Papier, auf dem er sich mit den ganz vielen Kugelschreibern offenbar ganz viele Notizen gemacht hat. Bedauerlicherweise ist aber kein Gedanke darunter, der dem Zuschauer irgendwie verständlich machen könnte, was er eigentlich sagen will.
Hinweise liefert die links im Bild befindliche Kaffeetasse mit der Aufschrift: „Journalismus beginnt dann, wenn andere wollen, dass Du schweigst“. Der Betrachter fragt sich sogleich: Was hat denn Journalismus mit Staatstheater zu tun? Und wer will, dass der Jean schweigt? Er erzählt, dass nach seiner Aufführung „die größten Demonstrationen in der Geschichte der Bundesrepublik stattgefunden hätten“. Take it easy, junger Freund, so schlecht war das Theater nun auch wieder nicht! Musse nich schweigen.
Sind wir nicht alle ein bisschen Bluna?
Jetzt bin ich ins Du verfallen, das liegt daran, dass der Jean das Publikum ein bisschen zu sehr ankumpelt, er sagt gerne „Euch“ statt „Sie“. Ab und zu zwinkert er mir leicht mit dem linken Auge zu, das schafft Vertrauen und Nähe. Es sitzt ein junger Mann vor mir, der nach Lob und Anerkennung dürstet, beim Theater und in der schreibenden Zunft sind ja alle ein bisschen Bluna. Der Weg vom Aktionskünstler beim Peng-Kollektiv zum Peng-Correctiv war eine logische Weiterentwicklung.
Ich denke der Jean hat auch gute Chancen, als Gastdozent an einer Ausbildungsstätte von irgendwas mit Medien Karriere zu machen, denn er darf durchaus als geistiger Urheber des Correctivismus gelten – das ist eine kreative Weiterentwicklung des Journalismus: „Ich entwickele Aktionen und erfinde Geschichten, mit denen ich in das politische und ökonomische Geschehen interveniere. Besonders wichtig dabei: Mit der passenden Medienstrategie Aufmerksamkeit erregen, den gesellschaftlichen Diskus anregen und so zum Wandel beitragen.“ So schrieb er einst im Netz, ließ seine Arbeitsbeschreibung dort aber inzwischen wieder verschwinden und trug so zum Wandel bei. Das nenne ich gelebten Correctivismus.
Die Ärmel von Jean Peters blütenweißem Hemd sind hochgekrempelt. Leider kann man nicht sehen ob er auch schöne weiße und unbefleckte Turnschuhe trägt. Das Setting erinnert an den Gedicht-Klassiker „im Kreml ist noch Licht“. Das Büro liegt im Halbdunkel, im Hintergrund leuchtet gedämpft eine Stehlampe. Leute wie Jean Peters opfern sich dem Volkswohl eben bis spät in die Nacht. Die Szenerie verrät eine lyrische Ader und folgt einem Drehbuch des Dichters Erich Weinert: „Und wieder schau’ ich weit nach Mitternacht zum Kreml hin. Es schläft die ganze Welt. Und Licht um Licht wird drüben ausgemacht. Ein einz’ges Fenster nur ist noch erhellt… Ich schau’ zum Kreml. Ruhig schläft das Land.
Sein Herz blieb wach. Im Kreml ist noch Licht“.
Wie der Dritte Mann in der Wiener Kanalisation
„Ich bin der Reporter, der vor Ort war“, stellt sich Jean Peters vor, schlägt dann bildlich gesprochen den Mantelkragen hoch, raunt noch das Zauberwort „undercover“, um schließlich auf seine Führungsposition hinzuweisen: „Ich habe damals die Recherchen geleitet“. Ich bin schwer beeindruckt und fühle mich wie der Dritte Mann in der Wiener Kanalisation. Dann erzählt Jean das ganze Theaterstück zur Potsdam-Verschwörung noch einmal, wobei ihm eines ganz besonders am Herzen liegt: „Der Tatsachenkern ist nie angegriffen worden“. Das liegt allerdings an der genialen Konzeption des Epos, denn es handelt sich um eine kernlose Wassermelone.
Das Correctiv-Video funktioniert deshalb auch ohne Ton als Stummfilm. Jean verlängert seinen Zeigefinger mit einem Bic-Kugelschreiber, ganz rasender Reporter, und pocht mit der Hand immer wieder eindrucksvoll auf das vor ihm liegende Papier. Und weil man nicht in Anführungszeichen sprechen kann, hebt er gerne beide Hände halb hoch und wackelt emsig mit den beiden mittleren Fingern, um die Anführungszeichen in die Luft zu malen. Das hat mich auf eine weihnachtliche Idee gebracht, die ich Jean Peters heute am zweiten Advent großzügig zur Verfügung stelle. Der „Geheimplan gegen Deutschland“ sollte unbedingt auch als Pantomime und Ballett aufgeführt werden. Auch ein weihnachtliches Correctiv-Merchandising in Form eines Weihnachtskarussells wäre keine schlechte Idee: Kleine Lichter drehen mit viel Heißluft ein großes Rad.
Dirk Maxeiner ist einer der Herausgeber von Achgut.com. Von ihm ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Zu beziehen hier.