Dirk Maxeiner / 25.08.2019 / 06:04 / Foto: ozz13x / 45 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Boris de Pfeffel Johnson, Ritter des Doppeldeckers

„Wir schaffen das“. Die Art wie Boris Johnson bei einer Pressekonferenz die neben ihm stehende Angela Merkel mit ihrer eigenen Phrase vorführte, erinnerte an einen asiatischen Kampfsportler, der den Schwung des Gegners ausnutzt, um ihn auf die Matte zu legen. Selbst die ansonsten im Umgang mit dem britischen Enfant terrible wenig humorbegabte Hauptstadtpresse konnte sich einen Lacher nicht verkneifen. 

Boris de Pfeffel Johnson hat bei mir aber schon länger einen Stein im Brett, schließlich fällt ihm das Verdienst zu, den roten Londoner Doppeldeckerbus „Routemaster“ vor den Abwrackern bewahrt zu haben. Der ist nämlich eines der wenigen öffentlichen Verkehrsmittel, denen man so etwas wie Charme bescheinigen darf. Johnson wird als Retter dieses automobilen Kulturgutes dereinst im Himmel auf einer Dieselwolke sitzen und gemeinsam mit Karl Benz und Gottfried Daimler Autoquartett spielen, während Angela Merkel zusammen mit Jürgen Resch in der Hölle schmort.

Am 5. Dezember 2005 fand die letzte reguläre Fahrt eines “Routemasters” statt. Eine offene Plattform ermöglichte es den Londonern, jederzeit auf einen sich durch die Straßen stauenden Bus zu hüpfen oder auch ihn da zu verlassen, wo es gerade passt. Ein am Heck positionierter Schaffner rechnete das ganze unbürokratisch ab. Dieses „Hop on a bus“ ist im Briten inzwischen genetisch verankert, jedenfalls halten sie die EU für einen Routemaster, der in die falsche Richtung fährt und möchten unbürokratisch aussteigen, wie sie es gewohnt sind. Ich vermute, sie werden zwei konsternierte Schaffner ohne Bezahlung zurücklassen, der eine sieht aus wie Emmanuel Macron, der andere wie Angela Merkel.

Ein paar Leute müssen das geahnt haben, und so machten sie dem Routemaster wegen des nicht behindertengerechten und angeblich gefährlichen Einstiegs den Garaus. Johnson muss das Symbolträchtige an dieser Maßnahme erkannt haben – und versprach im seinerzeitigen Wahlkampf um das Bürgermeisteramt den Bau eines neuen Routemasters. Er gewann die Wahl und hielt sein Versprechen. Der „New Routemaster“ entstand aus einem Design-Wettbewerb, unter den Gewinnern war unter anderen das Büro von Norman Foster, der auch die Kuppel des Berliner Reichstags entwarf. Der neue Bus mit Hybridantrieb wurde denn auch teurer als alles, was bisher in London vier Räder hatte, aber immer noch deutlich günstiger als der Berliner Flughafen – und er wurde im Gegensatz zu diesem nach 5 Jahren in Betrieb genommen.

Ein flüchtiger Turm von Pisa, in Rot und mit vier Rädern 

Ende 2011, rechtzeitig zu Olympia, nahm der erste Routemaster auf der Linie 38 zwischen Victoria und Hackney seinen Dienst auf. Er geriet richtig schick. Sogar die kupfernen Geländer des Vorgängers wurden (aus Kunststoff) als Gestaltungselement übernommen. Ein Cummings-Diesel lädt eine Batterie auf, aus der der Elektroantrieb seinen Saft bezieht. Die 300 Hilfskräfte, die Sicherheit beim „Hop on“ sicherstellen sollten, wurden von der  Stadtverwaltung unter einem neuen Bürgermeister allerdings aus Kostengründen entlassen. Die Plattform bleibt seitdem zum Bedauern der Londoner geschlossen.

Geblieben ist das vertraute Brummen des Cummins-Diesel, das ein wenig an eine Barkasse erinnert. Besonders oben auf dem Aufsichtsplatz über dem Fahrer kommt sich der Passagier im Londoner-Verkehrschaos vor, als navigiere ihn Carola Rackete in den sicheren Hafen von Lampedusa (die Londoner Busfahrer verstehen allerdings mehr vom Anlegen). Meine innige Beziehung zum Routemaster als solchem rührt noch aus kindlicher Zeit. Mein erstes Matchbox-Spielzeugauto war ein Routemaster und wurde jahrelang gehütet wie ein Schatz.

Und danach kam diese Klassenfahrt nach London. Da habe ich stundenlang an der Underground-Station Warwick Avenue auf einer guten alten britischen Parkbank gesessen, mit Blick auf einen Kreisverkehr, weil da Aston Martins und Rolls-Royces vorbeifuhren, die ich nur aus Büchern und Zeitschriften kannte. Während die Rolls-Royces und Bentleys mit der Geschwindigkeit eines Flughafen-Gepäckbandes vorbeiglitten, schienen die Routemaster stets Wert auf die schnellsten Rundenzeiten zu legen, der Werktätige hatte es eilig. Ein bisschen erinnerten mich die roten Busse an einen auf der Flucht befindlichen  Turm von Pisa, in Rot und mit vier Rädern. 

Bis vor einiger Zeit wurden ausgemusterte Routemaster für wenig Geld versteigert und dann vielfach zweckentfremdet. Als mobile Bar oder Verkaufsstand für Volksfeste sind sie auch heute noch zu sehen, als Hippie-Wohnmobil aber schon fast ausgestorben. Apropos schöner Wohnen: Bei meinem letzten London-Besuch habe ich erwogen, vorübergehend in der Linie 38 einzuziehen, denn eine Hotel-Übernachtung kommt inzwischen so teuer, als habe Mario Draghi das Management übernommen. 

Mit bescheidenen Mitteln Freude bereiten

Also wichen wir auf ein Privatzimmer aus. Es bestand aus einem 70 Zentimeter breiten Etagenbett. Davor befand sich ein 30 Zentimeter breiter Spalt. Sabine fiel vor Schreck die Handtasche herunter. Damit sie sich bücken konnte, musste ich den Raum rückwärts verlassen. Vermieterin Sue vermietet das Gemach aber mit aristokratischer Würde. Die Engländer haben es schon immer verstanden, mit bescheidenen Mitteln Freude zu bereiten. Sabine entschied sich für das obere Bett. Vorsichtig spreche ich sie von unten an. Jetzt sei der Brite in uns gefordert, erkläre ich ihr: „Angesichts dieses Mangels die Fassung bewahren und das Beste daraus machen." Als ich dann auch noch so etwas wie „Würde des Kompromisses" von mir gebe, knallt mir von oben kommentarlos eine Daily Mail auf den Kopf. 

Und damit bin ich wieder bei Boris Johnson. Das Multitalent ist schließlich eine schreibende Größe im Londoner Blätterwald. In seiner Kolumne für den „Daily Telegraph“ beschrieb er Burka-tragende Frauen als „Briefkästen“, was auf ein erhebliches und literarisches Potenzial schließen lässt. Auch dem Automobil widmete sich Johnson. „Es war, als ob die ganze Grafschaft Hampshire ihre Beine öffnete, um von dem italienischen Hengst vergewaltigt zu werden," schilderte er beispielsweise seinen Ausflug mit einem Ferrari F 430 aufs Land. Wer so etwas schreibt, kann kein Sexist sein, macht sich allerdings keine Freunde: „Boris Johnson was the worst car writer of all time“, echauffiert sich ein britischer Kollege und listet akribisch dessen Verdienste um die semipornographische Verkehrsliteratur auf. 

Johnson war auch gern gesehener Gast in der BBC-Kultautosendung „Top-Gear“. Mit deren Moderator Jeremy Clarkson lieferte er Debatten von hohem Unterhaltungswert ab, was von Claus Kleber ein bisschen missverstanden wurde. Johnson, bekennender Radfahrer, setzte  in London übrigens den ersten Fahrradbeauftragten ein und schuf eine Ost-West-Fahrrad-Magistrale durch die britische Hauptstadt. Die Fahrräder im Londoner Fahrradleihsystem werden „Boris Bikes“ genannt, der Routemaster mitunter „Borismaster“.

Eine Kostprobe aus Top Gear (dem Sinne nach): „Sie fahren mit einer Hand Fahrrad und mit der anderen telefonieren sie“, ging Jeremy Clarkson seinen Gesprächspartner an, „das gehört verboten“. Darauf Boris Johnson: „Wollen Sie damit sagen, dass ein Einarmiger kein Fahrrad fahren darf? Das ist diskriminierend!“ Daraufhin wieder Clarkson „Dann verbieten wir Fahrrad fahren ganz, das ist ohnehin das Beste“. Für Busspuren hatte Clarkson allerdings nur Lob übrig: „Prima Sache, ich benutze die immer, wenn Stau ist“. Johnson: „Ich bin gespannt ob diese Aufforderung tatsächlich über den Sender geht“. Clarkson fragt ins Publikum: „Wer benutzt hier mit seinem Auto noch die Busspur?“ Nur zwei Zuschauer heben die Hand. Clarkson: „Sehen Sie, wir sind nur drei, die Busspur bleibt für uns frei, ist das nicht wunderbar?“.

Um einen Politiker, der an einer solchen Sendung amüsiert teilnimmt, muss man sich keine allzu großen Sorgen machen. Zumal Johnson zu jener seltenen Spezies gehört, die bei einem Shitstorm einfach den Ventilator umdreht.

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B.Klingemann / 25.08.2019

Vielen Dank, Herr Maxeiner! Sie beherrschen die rhetorischen Gangwechsel auch ohne synchronisiertes journalistisches Getriebe. Ich bin ebenfalls Fan der maßlos unterschätzten Herren Johnson und Clarkson sowie ein großer Automobil-Enthusiast. Daher sind Ihre Texte für mich immer wie ein Ölwechsel und eine Fahrt durch die Waschstraße.

Timm Koppentrath / 25.08.2019

“Im Himmel auf der Dieselwolke spielen…”? In der Dieselwolke röcheln meinte der Autor wohl. Das erscheint mir wie infantiler Trotz, einer Dreckschleuder von Motor hier noch so etwas wie klassische Orchestermusik andichten zu wollen. “Vertraute Brummen, erinnert an eine Barkasse usw.” Es ist eine Sache, eine tolle britische Ikone zu erhalten, aber das geht auch mit besserer, gesünderer Technik. Wenn der Autor so auf Diesel-Abgase steht, dann auf nach Kalkutta oder so.

Helmut Driesel / 25.08.2019

Leuten mit eng stehenden Augen wird weniger vertraut und ihnen auch weniger zugetraut. Das bedeutet, sind sie durchschnittlich oder sogar gut, werden sie systematisch unterschätzt. Wir haben dafür in Deutschland auch ein gutes Beispiel. Aber Mr. Johnson wird sehr wahrscheinlich scheitern, bevor er seine seltene Mischung aus Humor und Pragmatismus voll zur Wirkung bringen kann. Das mag an einer gewissen Ähnlichkeit mit Trump liegen, vielleicht auch, weil er viel zu spät in den Prozess der Ablösung von der EU eingestiegen ist. Es haben jetzt sowohl Gegner wie auch Befürworter des Brexit die Faxen dicke. Er und seine Fans müssen sich nun den Vorwurf gefallen lassen, keinen Weitblick gehabt zu haben. Deshalb wird niemand das, was er jetzt sagt, für durchdacht und weitsichtig halten. Er zehrt nur von der Schwäche seiner Gegner, das war noch nie genug, um ein großer Staatsmann zu werden. Es müsste schon ewas passieren, das ihn aufwertet, also in Europa oder dem Rest der Welt, das kann man freilich nie ausschließen.

Sabine Schönfelder / 25.08.2019

Sie bieten dem geistreichen, humorigen und unkonventionellen Premierminister Englands in Ihrer gewohnt witzig-lässigen literarischen Schreib-‘Spur’ einen unterhaltsamen und würdevollen Rahmen. England ist wirklich zu beneiden, um diesen freidenkenden, intelligenten Repräsentanten (superplastisch, die Beschreibung seines Ferrari-Ausflugs!), der sich um das Wohl des eigenen Volkes bemüht, während in Deutschland eine abgehalfterte Propagandistin ihre letzten Kräfte bereitstellt, um das Land in den Untergang zu führen. Danke für Ihre aufbauenden, kritischen, so köstlich formulierten Beiträge! Und herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Sabine; bei der Beschreibung Ihrer Londoner Unterkunft wäre mein Liebster nicht mit einer ‘Daily Mail’ davongekommen.

Gabriele Schäfer / 25.08.2019

Viel gelacht…Danke, lieber Herr Maxeiner…In diesem moralinsauren, li-grü-roten Land spielt sich das Leben nur noch unter einer muffigen Decke ab…Kein Humor…keine Leichtigkeit des Seins…Der deutsche Steuerzahler sieht täglich nur noch den erhobenen Zeigefinger und die verkniffenen Mäuler der Politiker und Mainstream-Journalisten….Ich wünsche mir auch einen Boris..!

Peter Uberig / 25.08.2019

Danke, Herr Maxeiner, für Ihren “Sonntagsfahrer”, eine Kolumne, auf die ich immer schon die ganze Woche gespannt warte und deren Lektüre mich bisher auch noch nie enttäuschte! Boris Johnson ist ein sehr gebildeter und intelligenter Mensch, der darüber hinaus auch noch reichlich mit trockenem, typisch britischem, Humor ausgestattet ist. Die Scene, in der er angeblich, als “unerzogener Trampel”, seinen Fuß auf dem Tisch hat, wird ja, besonders von der hiesigen Journaille, immer nur als Schnappschuß gezeigt. Wenn man sich das zugehörige Video anschaut, kann man deutlich erkennen, daß Johnson, auf einen Scherz Macrons reagierend, mit seinem Schuh den Beistelltisch noch nicht einmal berührte. Aber was interessieren schon Fakten, wenn man mit mainstreamkonformen “Fake News” sehr viel mehr “Haltung” zeigen und Kohle machen kann. Merkels Hintern ist vermutlich auch deshalb so ausladend dimensioniert, damit auch alle ihre Ileozäkalklappen-Masseure darin ein warmes Plätzchen finden. Merkel mit ihrem eigenen Spruch vorzuführen, war einfach genial!

Gabriele Schulze / 25.08.2019

Don’t mention the Merkel! Danke für den Sonntags-Kicherer!

Richard Kaufmann / 25.08.2019

Dass England nicht Griechenland ist, sollte sogar Genossin Merkel gemerkt haben, auch wenn sie sich sonst nicht für Politik interessiert.

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