Dirk Maxeiner / 21.01.2018 / 06:15 / Foto: Pixabay / 11 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Badewanne über dem Reichstag

Deutschland, das Land der Tüftler und Denker, scheint ja in letzter Zeit ein bisschen auf den Hund gekommen. Besonders um die Denker muss man sich Sorgen machen, weil sie das Denken reglementieren wollen. Gedanken nach DIN-Norm sind schon weit fortgeschritten (bei der DIN-Norm handelt es sich laut Wikipedia um einen freiwilligen Standard, der durch die Initiative interessierter Kreise entsteht, wobei Übereinstimmung unter allen Beteiligten hergestellt wird).

„Wenn Du ein wirklicher Wissenschaftler werden willst, denke wenigstens eine halbe Stunde am Tag das Gegenteil von dem, was Deine Kollegen denken“, sagte einmal Albert Einstein. Einstein besaß ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein und ließ sich von Nichts und Niemandem einschüchtern. Schon während seiner Studienzeit am Polytechnikum in Zürich brachte er es fertig sich mit so ziemlich jeder Autorität anzulegen. In einem Brief an seine Frau schrieb er einmal: „Die Trägheit der Etablierten macht ist der größte Feind der Wissenschaft.“ Als der Nazi-Propagandist Joseph Goebbels forderte: „100 deutsche Wissenschaftler müssen gegen Einstein aufstehen“, ließ der müde ausrichten: „Einer würde genügen.“ Einstein verspeiste Goebbels gleichsam zum Frühstück.

Weil zu den Denkern damit schon viel gesagt ist, möchte ich diesen Beitrag den Tüftlern widmen. Um die Tüftler, die vermutlich auch das Denken besser beherrschen als die Denker, ist es nämlich still geworden. Die Tüftler und Techniker halten zwar den Karren in Schwung, aber ihre Expertise würde den politischen Diskurs nur stören. Wie sagte Karl Kraus: „Die Technik ist der Dienstbote, der nebenan so geräuschvoll Ordnung macht, dass die Herrschaft nicht Musik machen kann“.

Das trifft es. Deshalb sind die Denker fest am Talkshow-Sessel angeschraubt, damit sie ungestört ihre Gesänge von sich geben können. Die Techniker sorgen derweil dafür, dass die Beleuchtung stimmt und das Mikrofon funktioniert. Das Ganze aber bitte unauffällig. Die Abscheu vor der bösen Technik reicht von ländlichen Bio-Fundis bis zur städtischen Bohème, sie ist zur weit verbreiteten klerikalen Überzeugung von Menschen geworden, die zu blöd waren, um im Pysik- oder Mathematik-Unterricht aufzupassen.

Verleihung des Vaterländischen Verdienstordens

Bevor ich jetzt ins Schimpfen und Zetern abgleite, möchte ich ein wenig Hoffnung verbreiten. Den Anlass dafür liefert mir eine Badewanne, die in der letzten Woche vor einer deutschen Provinz-Bäckerei landete. Der Pilot des merkwürdigen Fluggerätes erwarb ein paar Brötchen, und die völlig ungerührte Bedienung fragte nur „darf es noch etwas sein?“ Dann erhob sich die Badewanne wieder in den Himmel und verschwand am Horizont. Das Ereignis schaffte es sogar bis in die BILD-Zeitung.

Hiermit möchte ich den dort vorgestellten drei Jungs aus Bickenbach bei Darmstadt meinen persönlichen Vaterländischen Verdienstorden verleihen. Sie sehen das garantiert nicht so, aber ich halte ihre Aktivitäten für eine politische Demonstration der Extraklasse. Phillip, Johannes und Eric sind alle um die 20 und nennen sich „The real life Guys“. Nach dem Abi im Jahr 2016 haben sie sich frei genommen und beschlossen, ihre „verrücktesten Ideen und Träume" umzusetzen.

Nicht irgendwo im Netz, sondern im richtigen Leben. Und ihr Leitgedanke ist dabei nicht das Kaputtmachen, sondern das Machen. Und zwar mit Hilfe von Schraubenschlüssel, Schweißgerät, wachem Intellekt und engagiertem Humor. In einer deutschen Partei könnten sie damit nicht unbedingt Karriere machen, ich vermute aber, dass es an Jobangeboten von mittelständischen Industriebetrieben nicht mangeln wird.

Ihre Träume erweckten in mir die schönsten Jugenderinnerungen, immerhin waren unter den Projekten so unverzichtbare Dinge wie ein Fahrrad-Flugzeug, eine Raketen-Badewanne und der kleineste bemannte Heißluftballon. Die Tatsache, dass all diese lebensgefährlichen Aktivitäten nicht unterbunden wurden, spricht für nervenstarke Eltern der drei Pioniere, sowie für die robuste Mentalität der heimgesuchten Landbevölkerung. Die örtlichen Ordnungskräfte waren offensichtlich durch andere Aktivitäten in Anspruch genommen, man hört ja so allerhand.

„Stark, routiniert, hochbegabt"

Für das Projekt „fliegende Badewanne“ tat sich das Trio mit dem Startup-Drohnenhersteller exabotix zusammen. Die junge Firma aus dem Harz arbeitet selbst schon länger daran, eine bemannte Drohne zu bauen. Ihr Motto: „Stark. Routiniert. Hochbegabt“. Es ist geradezu herzerfrischend, mit welch jugendlichem Leichtsinn hier der Begriff „hochbegabt“ zur Beschreibung der Unternehmenskultur dient. Es fühlt sich aber offensichtlich niemand diskriminiert oder beleidigt; ab zehn Metern Flughöhe ist die Freiheit ohnehin grenzenlos. Gut, dass niemand davon vorher Wind bekam. Öko- und Friedenaktivisten hätten sich womöglich an den bedrohlichen Flugapparat ankettet oder zumindest ein Sit-in vor der Bäckerei abgehalten. Man denke nur an die militärischen Missbrauchs-Möglichkeiten. Schließlich fliegt die Badewanne – ganz im Gegensatz zu den Hubschraubern der Bundeswehr.

Real Life Guys und exabotix starteten jedenfalls das schönste Joint-Venture, seit es Seifenkisten gibt. Die Badewanne ist mit einem selbsttragenden Alurahmen und sechs elektrischen Modell-Flugmotoren verbunden. „Unsere Projekte möchten wir immer so günstig und einfach wie möglich umsetzen“, sagt Johannes von den Real Life Guys. Die Badewanne hatten sie für 10 Euro gebraucht gekauft.

Das YouTube-Video des Jungfernfluges wurde fast eine Million mal angeklickt. Ein wenig erinnert mich die Episode an Mathias Rust, der 1987 im Alter von 18 Jahren mit seiner winzigen Cessna in Hamburg startete um einen halben Tag später ungehindert auf dem Roten Platz in Moskau zu landen. Rust blamierte die Sowjetunion bis auf die Knochen.

Die Badewannen-Flieger blamierten niemanden, aber sie überbringen eine Botschaft, die nicht mehr ganz selbstverständlich ist. Sie zeigen, dass es nach wie vor eine junge Generation gibt, die voller Fähigkeiten und Optimismus steckt. Sie zeigen, dass hierzulande noch wunderbare Leistungen vollbracht werden können, wenn man die Menschen nur lässt.

Die fliegende Badewanne ist für mich ein Symbol für den kreativen, friedlichen und zukunftsgewandten Teil Deutschlands, der unbeeindruckt jeden Morgen aufsteht und Dinge schafft und das Land weiter funktionieren lässt. Ich würde mir wünschen, dass die Badewanne öfter mal über dem Reichstag kreist, um daran zu erinnern. Leider besteht dort ein Flugverbot.

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Elmar Schürscheid / 21.01.2018

Ich habe gehört dass drei Spezialisten aus dem Morgenland gerade an einem fliegenden Teppich arbeiten. Angetrieben von Geisterhand, göttlicher Energie. Absolut Öko und sauber.

Hjalmar Kreutzer / 21.01.2018

Vielen Dank, Herr Maxeiner, für den wie immer sehnsüchtig erwarteten Sonntagsfahrer! So viele zitierfähige Sätze, dass ich am besten den ganzen Artikel an Freunde verteile. Ist das Flugverbot für Badewannen über dem Bundestag evtl. damit begründet, dass die Herrschaften lieber höchstselbst schon abgehoben sind? Beckmesser hätte jedoch hier einen kleinen Verbesserungsvorschlag:DER Abscheu vor der bösen Technik reicht von ländlichen Bio-Fundis bis zur städtischen Bohème UND ist zur weit verbreiteten klerikalen Überzeugung von Menschen geworden, die zu blöd waren, um im Pysik- oder Mathematik-Unterricht aufzupassen.Einen schönen Sonntag!

Franck Royale / 21.01.2018

Können wir nicht einen fliegenden Reichstag bauen, mit 709 Motoren rund um die Kuppel angebracht, welche das Plenum an jeden beliebigen Ort der Welt befördern können? Gerne auch mit Schleudersitzen.

Heiko Stadler / 21.01.2018

"Sie zeigen, dass hierzulande noch wunderbare Leistungen vollbracht werden können, wenn man die Menschen nur lässt." Man lässt sie aber nicht! Der Grund dafür ist die grotesk ausufernde Bürokratie mit immer mehr EU-Verordnungen, die dem Tüftler und Unternehmer bis in kleinste Detail und noch dazu mit haarsträubenden Delettantismus vorschreiben, wie er für Datenschutz, Sicherheit und Umweltschutz zu sorgen hat.Würde ein Technologie-Unternehmer alle Vorschriften beachten, so wäre er insolvent, weil er so viele Rechsanwälte gar nicht bezahlen kann.

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