Dirk Maxeiner / 10.01.2016 / 10:00 / 0 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer (4): Nha Trang Cruising

Das Rauschen des südchinesischen Meeres ist von der Dachterasse des Yasaka Saigon Nhatrang-Hotels kaum wahrnehmbar. Statt dessen brummt es vom Strandboulevard herauf, als habe sich ein gewaltiger Bienenschwarm auf die Reise gemacht. Ein immerwährender Strom aus Fahrrädern, Mopeds, Motorrädern und Motorrollern ergießt sich in beiden Richtungen über die Tran Phu Road. Nha Trangs Flaniermeile wird von mächtigen französischen Kolonialbauten gesäumt. Sieht aus wie Nizza, wenn man von den bunt beleuchteten Palmen mal absieht. Ist aber eindeutig Vietnam, das unterstreicht auch das heisere Piepsen tausender Zweiradhupen. Es ist Freitagabend und der Sound of Nha Trang lässt die ganze Stadt vibrieren.

Zu Zeiten des Vietnamkrieges galt der vietnamesische Badeort als Sündenbabel. Auch heute ist er kein Ort höherer Moral, sondern ein Hort jugendlicher Lebensfreude. Es ist Cruising-Night und alle sind auf der Strasse. Bis zu fünf Familienmitglieder bevölkern dabei einen Motorroller. Und auch die Jungen und Schönen fahren in der samtwarmen Luft spazieren, die Tran Phu Road rauf und runter. Besonders beeindruckend sind die waffenscheinpflichtigen Highheels vieler Vietnamesinnen - und ihre Kunst damit anmutig ein Zweirad zu beherrschen.

Das zweite herausragende modische Accessoire liefert die Helmpflicht. Die Töchter des Landes haben das Beste daraus gemacht - nämlich eine neue Mode. Die neuen Hutmacher designen den Kopfschutz mittlerweile in allen Formen und Modefarben. Die Dame von Welt cruist mit Tigerfell oder Pepitamuster auf dem Kopf, der Herr wählt eine verstärkte Baseballmütze oder den klassischen Vietkonghelm. Die Sache entfernt sich vom ursprünglichen Zweck und die Avantgarde trägt auch schon mal Helm ohne Zweirad. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die internationalen Modemacher die Sache kopieren.

Zur Anregung sei den Herrschaften der Aufenthalt vor dem Eingang der Discothek „Club 008“ empfohlen. Es herrscht Parkplatznot und kundige Helfer nehmen den Gästen ihre Zweiräder ab, um sie sachgerecht auf den Bürgersteigen zu stapeln. Sieht aus wie eine Produktionshalde von Honda. Die Gäste überreichen lässig ihren fahrbaren Untersatz, streifen elegant den erlesenen Kopfschmuck ab und ordnen cool ihr Haar. Der nächste Griff gilt dann dem Mobiltelefon. Vietnamesen telefonieren immer und überall. Und es gibt dabei verschiedene Schwierigkeitsgrade. Rollerfahren und telefonieren ist Standard. Mit Highheels rollerfahren und telefonieren verrät einen gehobenen Gleichgewichtssinn. Mit Pumps, zwei Kindern (eines auf der Sitzbank, eines auf dem Tank) rollerfahren und telefonieren ist dann schon hohe Kunst. Zum wirklich großen Kino wird diese, wenn man sich dabei noch eine Zigarette anzündet und die Nägel lackiert.

Solche Fertigkeiten entwickelt nur derjenige, der von Kind auf trainiert. In Vietnam kommt mittlerweile ein motorisiertes Zweirad auf vier Bürger, in den großen Städten besitzt sogar jeder zweite Einwohner ein Motorrad oder einen Roller. Wenn man die reiche Zahl der Kinder berücksichtigt, lässt sich ohne Übertreibung sagen: Praktisch jeder erwachsene Vietnamese hat zumindest ein Moped zur Verfügung. Die Bevölkerung in Vietnam entspricht mit rund 80 Millionen Einwohnern in etwa der von Deutschland. Jetzt stelle man sich mal vor die Bundesbürger würden auch nur annähernd so viele knatternde Zweiräder fahren wie die Vietnamesen.  Das Aufeinanderprallen der Kräfte wäre vermutlich der Varus-Schlacht ähnlich. Zweiradverkehr in dieser Dichte erfordert nämlich eine gewisse Flexibilität des Denkens. Das Beharren auf festen Verkehrsregeln führt hingegen direkt ins Verderben.

Der Vietnambesucher bemerkt dies schon beim Versuch, sich von der Mopedvermietung in den Strom der viel befahrenen Hauptstrasse einzuordnen. Besonders wenn er nach links abbiegen will und es somit gilt,  heil auf die gegenüberliegende Fahrbahn zu gelangen. Etwa nach zehn Minuten dämmert es dem Neuling, dass die Verkehrslücke, auf die er wartet, nicht kommen wird. Zumindest nicht während der Dauer seines Vietnamaufenthalts. Der Verkehrsstrom will einfach nicht abreißen, genauso gut könnte man auf eine Unterbrechung der Niagarafälle warten.

Es bleiben deshalb nur zwei Möglichkeiten. Entweder rechts abbiegen, sich vorsichtig einfädeln und irgendwo hin fahren, wo man nicht hin will. Ist aber immer noch besser, als gar nicht fahren, außerdem befindet man sich ja im Urlaub. Oder: Doch links abbiegen. Aber bitte auf die vietnamesische Art. Und das geht so: Zunächst wie ein Geisterfahrer links in den Gegenverkehr stechen. Die Vietnamesen weichen daraufhin geschmeidig aus und der Verkehrsstrom spült elegant um das entgegenkommende Fahrobjekt herum. Dann beherzt beschleunigen und sich etappenweise auf die rechte Fahrbahn hinüber schwingen. Machen alle so, funktioniert prima.

Die meisten Motorradverleiher haben heute diese modernen aber ziemlich langweiligen chinesischen Motorroller im Sortiment. Da wäre eine alte Vespa viel lustiger, doch die Liebhaberstücke erzielen mittlerweile auch in Vietnam Mondpreise und werden nach Europa reimportiert. Das Maß der Dinge ist jedoch die legendäre Honda Cub. Das erfolgreichste Motorrad aller Zeiten wird seit 1958 gebaut. Es besitzt einen kleinen, entschlossenen Viertakter und wurde inzwischen in 60 Millionen Exemplare gebaut. Das Ding motorisierte praktisch ganz Asien. Die Honda Cub ist für Asien und Vietnam das, was bei uns der VW-Käfer war. Und sie ist ähnlich unkaputtbar.

In Vietnam ist die kleine Honda Lastesel, Motorradtaxi und Familienkutsche zugleich. Sie wurde zum „Greates ever Mortorcycle in the world“ gewählt. Und jeder Dorfschmied kann sie reparieren. Eine geradezu ameisenhafte Infrastruktur bietet dabei für beinahe jedes Problem eine Lösung. Die Strassen der Dörfer werden ziemlich lückenlos von offenen Verschlägen gesäumt, in denen, Motorradflicker und viele andere Kleinstgewerbe und Kleinhändler sitzen. Hunderte auf einmal, ein paar Quadratmeter für jeden. Auf dem Bürgersteig davor klirren die Schraubenschlüssel und fauchen die Schweißgeräte.

Wirklich ernsthafte Defekte sind an der Honda Cub allerdings selten. Dies bewies unter anderem der britische Fernsehsender „Discovery-Channel“. Er warf ein Exemplar vom Dach eines 22 Meter hohen Hochhauses. Unten angekommen war das gute Stück zwar etwas deformiert - startete aber sofort.

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