Wenn es ein Volk gibt, das grandios mit Patina umgehen kann, dann sind das die Franzosen. Es ist so eine Mischung aus Lässigkeit und geschmacklichem Selbstbewusstsein. Vor einiger Zeit war ich in einem alten Pariser Bistro verabredet, dem „Au Petit Panisse“ nicht weit von der Bastille. Weil ich zu früh, war konnte ich die Räumlichkeiten in Ruhe studieren. Da waren zunächst einmal die wunderbaren alten Holzfenster, ebenso zugig wie schön, in Deutschland wären die längst dem verbreiteten Energiesparwahnsinn zum Opfer gefallen. Das junge Wirtspaar stellte statt dessen mit Weinflaschen dekorierte Strohballen ins Fenster. So macht man in Paris aus der Not eine Tugend.
Die Einrichtung bestand aus unzähligen Devotionalien, die verschiedene Besitzer in verschiedenen Epochen, angehäuft haben. Einer davon muss einen Hang zu alten Automobilen gehabt haben, jedenfalls hängt ein verbeulter Mercedesgrill an der Wand, ich würde mal sagen aus den 70er Jahren. Möglicherweise verunfallte der Wirt mit dem Benz und behielt die krumme Kühlermaske als Trophäe, so wie ein Jäger das Geweih eines erlegten Hirsches.
Aus dem Fenster fiel mein Blick durch einen dichten nächtlichen Regenvorhang auf das Bistro an der gegenüberliegenden Ecke, und eine rote Leuchtreklame, die verschwommen leuchtet wie auf einem alten Pariser Kitsch-Gemälde. Und einmal mehr vermisste ich das gelbe Licht der alten Citroens und Peugeots, das einstmals das dunkle Paris so charaktervoll ausgeleuchtet hat. Gelbe Scheinwerfer und schwarze Nummernschilder mit silbernen Buchstaben, das waren für mich früher unabdingbare Accesoires für automobile Eleganz.
Über Weihnachten wurde ich wieder daran erinnert, auf Einsplus liefen zwei Filme mit Alain Delon. Als Gangster ging er in “Vier im roten Kreis” in einem schwarzen Plymouth Fury seiner Tätigkeit nach, schwarze Nummer, Lettern aus Chrom. Als Kommissar in “Der Chef” stand ihm ebenfalls ein dicker Ami (ich glaube ein in Frankreich gefertigter Chyrsler) zur Verfügung. Am schicksten war aber ein mitwirkender Transvestit mit einem weißen Jaguar MK2, gelbem Licht, Kennzeichen dito, selbstverständlich mit der gleichsam adeligen Pariser Zahlenfolge 75. Statt dessen gibt’s im heutigen Straßenbild nur noch langweiliges weißes Licht und noch langweiligere Euro-Kennzeichen. Die Beleuchtung ist so charmant wie Neonröhren in einem türkischen Späteinkauf. Und die Taxifahrer sind mit so originellen Modellen wie dem Golf-Caddy unterwegs.
Die größte Katastrophe aber: Ab kommendem Sommer soll Fahrzeugen, die vor 1997 gebaut wurden, die Einfahrt in den Innenstadtbereich innerhalb des Stadtrings Peripherique aus Umweltgründen verboten werden (zumindest werktags). Das ist eine ästhetische Katastrophe für das Pariser Straßenbild. Betagte, verbeulte Automobile, die ihre Wunden so sichtbar mit sich herumtrugen wie ein Burschenschaftler seinen Schmiss, waren für mich immer Charakterdarsteller. An jeder Ecke stand so ein waidwunder Altwagen, gut konserviert unter einer fest gebackenen Schicht aus Ruß und Straßenschmutz über dem Lack. Und unter dem Scheibenwischer steckten die gesammelten Parkstrafen wie ein verwittertes Dollarbündel. Der Besitzer signalisierte mit letzterem, dass er der Obrigkeit keinerlei Komptenz in der Frage einräumte, was für einen Pariser ein geeigneter Parkplatz ist und was nicht.
So ein Auto, wenn man denn noch eines finden würde, könnte man auf einen Sockel heben und in einem Museum für zeitgenössische Kunst ausstellen. Eine Kunst-Performance mit Autos, die das Leben zeichnete, schwebt mir schon lange vor. Ich suche lediglich noch eine Drive-In-Galerie.