Jeder kennt das beglückende Gefühl, mit dem letzten Tropfen die Zapfsäule zu erreichen. Deutschland weiß aber gar nicht, wo die nächste Tankstelle ist.
Ich erinnere mich noch recht gut an jene Fälle, bei denen ich – meist einsam und in dunkler Nacht – ohne Benzin liegen blieb. Eine Zeit lang war es sogar eine sportliche Herausforderung, mit dem letzten Tropfen nachhause zu rollen, weil nicht nur der Tank, sondern auch die Brieftasche trockengefallen war, wie das Watt vor der Insel Noirmoutier.
Mitunter basierte das Malheur auch auf Schusseligkeit. Zu Anfang meiner automobilen Laufbahn kannte ich nur die Anzeigen im Volkswagen Käfer, die lediglich aus Tachometer und Tankuhr bestanden, also auch binäre Gemüter nicht überforderten. Als ich dann im Ford eines Freundes unterwegs war, der nicht nur den Tankstand, sondern auch die Motortemperatur anzeigte, führte dies zu einer verhängnisvollen Fehlwahrnehmung. Irgendwann wunderte ich mich, dass der Tank immer voller wurde – hielt das aber für technischen Fortschritt. Doch dann fing die Fuhre an zu ruckeln und rollte ohne Sprit stumm am Straßenrand aus. Ich hatte die Temperaturanzeige im Auge behalten – anstatt die Tankuhr, deren Zeiger sich längst unterhalb des Bodenbleches befand.
Das fiel mir am vergangenen Freitagabend ein, als ich kurz vor der Tagesschau in „Wirtschaft vor 8“ geriet. Die Moderatorin Anja Kohl verkündete einen „Neuen Rekordtag am deutschen Aktienmarkt“ und ließ wissen, das Motto der Anleger sei derzeit „höher, schneller, weiter“. Könnte es sein, dass Frau Kohl auf die Temperaturanzeige geschaut hat anstatt auf die Tankanzeige? Beinahe täglich werden in Deutschland Jobs in 10.000er-Gebinden zur Disposition gestellt, die Großindustrie flieht ins Ausland, und der Mittelstand geht daheim still pleite.
Aber wo guckt Frau Kohl hin? Jedenfalls nicht auf die Reservewarnung, die rot leuchtet. Die Anzeige im Ersten springt stattdessen höher, schneller, weiter, und Anja Kohl hüpft gazellenartig mit. Merke: Wenn Sie Temperaturanzeige gucken wollen, dann sitzen Sie bei ARD und ZDF immer in der ersten Reihe. Mein Tipp: Das Halten auf der Autobahn kann wegen Benzinmangel mit 70 Euro Bußgeld geahndet werden. Ersparen Sie sich das, und stellen sie die Zahlung der Rundfunkgebühr ein mit dem Hinweis, es handele sich bei der Berichterstattung um grobe Fahrlässigkeit.
Denn wer wollte es leugnen: Das gesamt Land fährt auf Reserve. Schulen, Infrastruktur, Wohnraum, Energieversorgung, Polizei, Bundeswehr, Gesundheitssystem. Dem Kanzler ist das Erinnerungsvermögen ausgegangen. Die Außenmimisterin hat ihren Wortschatz leergefahren. Der Wirtschaftsminister halluziniert eine Wasserstoff Fata Morgana. Das Wählerreservoir des Finanzministers zeigt noch 0,8 Prozent an. Die Innenministerin unterzeichnet mit der letzten Tinte ein Zensuransinnen nach dem anderen.
Ein paar Unverzagte fingen schon mal an zu rechnen
Das deutsche Führungspersonal scheint mir zunehmend unter die Kategorie der „flüchtigen organischen Verbindungen“ zu fallen, vor denen selbst das Umweltbundesamt warnt, besonders in geschlossenen Räumen. Und damit sind wir beim sogenannten Autogipfel vom vergangenen Montag, der anschaulich machte, dass wir auch intellektuell keine Reserven mehr haben. Hier kurz die Zusammenfassung dieser bahnbrechenden Veranstaltung: Man trifft sich, um der kaputtregulierten Autoindustrie zu helfen. Dafür ist nach allgemeiner Ansicht noch mehr Kaputtregulierung erforderlich. Die wird schon am Vorabend als „Abwrackprämie“ für die Käufer von Elektroautos als SPD-Vorschlag durchgestochen. Wer sein Verbrennerauto verschrottet, soll 6.000 Euro bekommen, wenn er ein neues E-Auto adoptiert. 3.000 Euro soll der Verbrenner-Abtrünnige bekommen, wenn er Kost und Logis für ein gebrauchtes E-Auto übernimmt, das beim Händler oder im Tierheim seit vielen Monaten auf ein neues Herrchen wartet.
Ein paar Unverzagte fingen schon mal an zu rechnen, ob sich das für sie lohnen könnte. Das Ganze wurde aber am nächsten Tag aber nicht beschlossen. Ich war zwar nicht dabei, fürchte allerdings, die Diskussion lässt sich in den geflügelten Worten Giovanni Trapattonis zusammenfassen: "Flasche leer!", "Was erlaube Strunz?" und "Ich habe fertig!" Der Gipfel ging „ohne Ergebnis“ zu Ende. Wobei das nicht ganz richtig ist. Es gibt nämlich ein Ergebnis: Die wenigen Desperaten, die sich bislang noch für E-Auto, Klimarettung und Vaterland aufopfern wollten, warten jetzt ab, bis irgendeine Prämie oder Mutter Theresa aufersteht. Besonders die woken Firmenkunden, bekanntlich der letzte Safe Space für die Weltrettung. Bis dahin ist der Markt für Elektroautos jetzt hierzulande noch toter als der Pleasant View Cemetery in Illinois, auf dem Nikola Tesla die Letzte Ruhe fand.
Das ist sehr bedauerlich, wie ich meinem Leib- und Magenblatt, dem kfz-betrieb aus dem Verlagshaus „Vogel“ zuverlässig am Freitag entnehmen konnte, denn die Elektromobilität ist dazu angetan, die europäische Einigung nachhaltig zu torpedieren. „Die Reichweiten-Angst verhindert Urlaubsfahrten ins Ausland“, heißt es daselbst, und es wird weiter vermeldet, „eine Umfrage legt das nahe, denn E-Autofahrer machen gerne in der Heimat Urlaub. Aber auch hier gilt: Elektrische Erfahrungen machen mutiger“. Immerhin 32 Prozent der Elektroautofahrer können sich auch eine Urlaubsreise in die Niederlande oder nach Österreich mit dem E-Fahrzeug vorstellen!
Ein Hort der Inspiration für Abenteuerlustige
Damit schließt die Branche zu Traditionsunternehmen auf, die seit 1826 solche Regionen im Angebot haben. Die mit dem Weihnachtsmann in Verbindung stehende Seite Christkindlesmarkt.de berichtet: „Abhängig vom Straßenzustand, den Witterungsbedingungen und den geographischen Gegebenheiten (flache Strecke oder Steigung) betrug die Reisegeschwindigkeit einer solchen [Post]Kutsche im 19. Jahrhundert etwa 10 bis 12 Kilometer pro Stunde.“ Sehen wir es mal so: Die gesamte Welt mit Ausnahme der Ozeane ist entdeckt, und wir können auf TikTok überall dabei sein. Abenteuer sterben aus. Außer bei Fahrten mit dem ÖPNV, der Deutschen Bahn – und dem Elektroauto.
Die deutsche Infrastruktur, die genauso auf Reserve gefahren wird, ist ebenfalls ein Hort der Inspiration für Abenteuerlustige. Der Himalaya, der Sambesi und die Wüste Gobi bekommen ernsthafte Konkurrenz, nachdem Dresden den Programmpunkt „Brückeneinsturz“ ins nahtouristische Programm aufgenommen hat. Die Frankfurter Allgemeine weiß auch gleich zu berichten, wie man ein solches Unglück in Ruhe genießt: „Mit der richtigen Planung lassen sich Feier- und Brückentage zu längeren Urlauben kombinieren. Ein Überblick, um keine Feriengelegenheit zu übersehen“. Alternativ empfiehlt sich Krankfeiern, außer bei Tesla in Grünheide. Da schauten Geschäftsführer und Personalchef mal zuhause vorbei, um den Darniederliegenden Gute Besserung zu wünschen.
Reisen bildet, und so ist es verständlich, dass die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern Manuela Schwesig mit einer 75-köpfigen Delegation „aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft“, also Bedürftigen die sich eine solche Fernreise normalerweise nicht leisten könnten, gerade in Brasilien weilte. Höher, schneller, weiter: Konkretes Ergebnis war, Trommelwirbel: Der Baustart einer Biogasanlage im brasilianischen Bundesstaat Paraná. Die Brasilianer waren schwer beeindruckt: Die Gruppe aus Deutschland sei die größte ausländische Delegation gewesen, „die jemals im Gouverneurspalast der Wirtschaftsmetropole empfangen wurde“. Frau Schwesig begrüßte derweil freudig die brasilianische Entscheidung, „den 25. Juli künftig als Tag der deutschen Einwanderer zu feiern“.
Dirk Maxeiner ist einer der Herausgeber von Achgut.com. Von ihm ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Zu beziehen hier.
Jetzt bestellen