In dem mitteleuropäischen Landstrich, den wir vorübergehend als Deutschland bezeichnen, scheinen Brandmauern und Schutzwälle schon mal unterzugehen. Das macht Hoffnung auf die Endlichkeit des grünen Denkens.
Dafür spricht ein „Sensationsfund“ (Tagesschau) in Dunkeldeutschland, etwa 10 Kilometer vor Rerik (Landkreis Rostock), 21 Meter tief unten in der Ostsee, wo sich Hering und Sprotte Gute Nacht sagen. Es wurden dort zufällig Reste einer etwa 11.000 Jahre alten Mauer gefunden, die von steinzeitlichen Jägern vermutlich für die Rentierjagd errichtet worden ist. Eigentlich suchte ein Team der Kieler Universität dort unten „etwas ganz anderes“, vielleicht den Eingang zur Unterwelt oder den wirtschaftlichen Verstand der Bundesregierung, aber derartiges haben sie nicht gefunden. Dafür haben sie die Mauer entdeckt. Und jetzt ist sie nun mal da, die Mauer.
Wie kommt der Steinwall da hin? Und was sagt er uns? Die Antwort auf die erste Frage ist relativ einfach. „Der Wall muss errichtet worden sein, bevor der Wasserspiegel nach der letzten Eiszeit vor rund 8.500 Jahren gestiegen ist“, erklärt die Tagesschau völlig korrekt, „außerdem muss es zur selben Zeit noch Rentiere in dem Gebiet gegeben haben. Vor etwa 11.000 Jahren wurde das Klima wärmer und die Rentiere verschwanden aus der Gegend“.
Hieraus ergibt sich für den aufmerksamen Zeitgenossen die Frage: Warum wurde es vor 11.000 Jahren wärmer? Verzehrten die Steinzeit-Carnivoren zu viel Rentier-Fleisch und weigerten sich, auf vegane Karottenküchlein mit Schmand-Topping umzustellen? Hatte Volvo vielleicht eine gutgehende Werksniederlassung in Rerik? Oder belud sich der Weihnachtsmann mit Schuld, weil er sich weigerte, seinen Rentierschlitten gegen einen Audi e-tron einzutauschen?
Die gute Nachricht: Berlin 14 Meter unter dem Meeresspiegel
Da solche Fragen von den Berichterstattern auffällig gemieden werden, nehme ich hiermit mein Recht auf Immanuel Kant in Anspruch: „Sapere aude“ oder auch „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Zur Sicherheit ziehe ich aber noch einen Taschenrechner hinzu. 21 Meter Meeresspiegelanstieg in 11.000 Jahren, ergibt demnach 0,19 Zentimeter pro Jahr. Zwischen 1993 und 2023 – also in den letzten 20 Jahren – hat sich der Meeresspiegel laut Statista um 9,9 Zentimeter erhöht. Das sind etwa 0,49 Zentimeter pro Jahr. Das wären – wenn richtig gemessen wurde und es tatsächlich so weitergeht – in 10.000 Jahren 49 Meter. Die gute Nachricht lautet hiermit: Berlin liegt dann 14 Meter unter dem Meeresspiegel. Bonn – um das es auch nicht schade wäre – ist aber noch da. Die Bundesregierung kann also günstig in ihre alten Räumlichkeiten remigrieren.
(Und jetzt an dieser Stelle eine nachtägliche Korrektur, auf die mich die Leser aufmerksam machten: Zwischen 1993 und 2023 liegen selbstverständlich 30 Jahre nicht 20, das ergibt in 10.000 Jahren dann nur 33 Meter Anstieg, Berlin – im Schnitt 34 Meter über Meeresspiegel – bliebe also noch knapp verschont. Ich entschuldige mich und bin untröstlich ob der schlechten Nachricht!).
Es kann aber auch ganz anders kommen, dafür genügt ein Blick in deutsche Qualitätsmedien. Das Nachrichtenmagazin Spiegel sah vor gut 30 Jahren ein „ökologisches Hiroshima“ voraus. Und dessen Ausmaß, da waren sich auch die Kollegen von der Zeit sicher, „könnte allenfalls ein pathologischer Ignorant bezweifeln“. Diese Schlagzeilen meinten allerdings nicht den Klimawandel. Damals waren sich Wissenschaft und Zeitgeist mitsamt meiner Person so gut wie einig, dass große Teile des mitteleuropäischen Waldes unrettbar verloren seien. Der Wald weigerte sich allerdings standhaft, unserer Prognose zu folgen. Heute wissen wir, dass die Wälder zur Zeit der größten Hysterie sogar in der Fläche zunahmen. Der Wald dachte gar nicht daran, zu sterben. Es geht ihm je nach Witterung mal besser, mal schlechter, also genau wie mir, je nachdem, ob ein Tegernseer Helles in der Nähe steht oder nicht.
Womit wir bei tiefgründigen philosophischen Betrachtungen angelangt sind. Derzeit scheint ja die Vorstellung verbreitet, man könne das Klima über ein in winzigen Mengen in der Atmosphäre herumschwirrendes Gas regeln wie mit einem Drehrad am Heizkörper. Eiszeiten und Warmzeiten sind von gestern, so ähnlich wie die zwei Geschlechter des Homo sapiens. Man kann sich jetzt alles aussuchen. Nilpferde am Rhein oder Rentiere in der Sahara, der Mensch hat es in der Hand.
Das Klima wird von den Gläubigen aller Religionsrichtungen als ein System wahrgenommen, das durch die Ausschaltung anthropogener Einflüsse in einen sanften Ruhezustand versetzt werden könnte, so ähnlich wie der liebe Gott durch den Aufenthalt in einem Beichtstuhl. Das ist natürlich barer Unsinn. Das Klima wird sich so oder so weiterhin verändern – aus welchen Gründen auch immer. Und auch der liebe Gott gilt als unsicherer Kandidat. Es gibt in beiden Fällen stets zwei Möglichkeiten – es wird entweder wärmer oder kälter, gleich bleibt's eigentlich nie lange.
Als Klassiker in der komischen Oper unter den Linden
Welches Klima soll es denn in Zukunft bitte sein? Ich selbst finde ein Leben ohne Berlin deutlich angenehmer und drehe jetzt erst mal die Heizung auf, denn letzte Nacht hat es arg gefroren. Im Übrigen wage ich ausnahmsweise eine Prognose: Wir müssen garantiert keine 10.000 Jahre warten, bis Berlin untergeht, die jetzige Besatzung wird das Raumschiff und sich selbst locker in kurzer Zeit versenken, ganz ohne Zuhilfenahme des Meeresspiegels.
Vielleicht sollten die Weltretter sich ein wenig über politische Halbwertszeiten Gedanken machen: Keine Institution hat bislang 10.000 Jahre überdauert. Weder Königreiche noch Supermächte vermochten 10.000 Jahre zu überleben. Selbst die katholische Kirche erscheint mit rund 2.000 Jahren als Youngster. Lediglich ein Riesenschwamm am Boden der Antarktis bringt es angeblich auf rund 10.000 Jahre, ein Grönlandhai auf 500 Jahre und die Galapagos-Riesenschildkröte auf 200 Jahre. Das Ungeheuer von Loch Ness wurde erstmals vor 1.500 Jahren erwähnt, mal sehen, ob die Grünen (30 Jahre) es auch so lange schaffen, die Menschheit in Angst und Schrecken zu versetzen – oder ob sie bald nur noch als Klassiker in der komischen Oper unter den Linden gastieren.
Wo wir gerade bei etwas längerfristigen Überlegungen sind: Das gegenwärtige politgrüne Zukunftsmodell ist ja bei nüchterner Betrachtung eine bloße Energiesparvariante der Gegenwart, vergleichbar einem Volkswagen Golf mit Windradantrieb. Blühende Hochrechnungen, die darauf beruhen, sind zwangsläufig von ähnlicher Qualität wie die mathematischen Eingebungen meines Lieblingsrosses, dem „klugen Hans“. Das dressierte Pferd der Rasse Orlow-Traber tingelte mit seinem Herren, dem Mathematiklehrer Wilhelm von Osten, um 1900 über die Dörfer und löste Aufgaben mit dem Klopfen eines Hufes oder durch Nicken und Schütteln des Kopfes. Der kluge Hans wäre die Idealbesetzung, um in der Bundespressekonferenz einen neuen Klimabericht von Steffi Lemke vorzustellen, eine Gesundheitsstudie von Karl Lauterbach zu präsentieren oder einen Wirtschaftsweisen für Robert Habeck zu geben. Ich könnte ihn mir auch sehr gut als Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) vorstellen.
Nachhaltige Luftschiffe? Petroleumlampen? Raddampfer?
Aber vielleicht kommen wir mit dem in-die-Zukunft-blicken weiter, wenn wir mal fragen, wie und wer überhaupt für zukünftige Generationen, also Menschen die noch gar nicht geboren sind, sprechen kann? Der kluge Hans, die Galapagos-Riesenschildkröte oder die Letzte Generation? Wer hat diejenigen, die sich zum Vormund erklären, beauftragt? Die Ungeborenen können es ja wohl kaum sein. Das Bürgerliche Gesetzbuch stellt genau dies gleich in Paragraph 1 fest: „Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung der Geburt.” Zwischen Paragraph 1 und Paragraph 1922 liegt das gesamte Leben, in dem der Mensch Kaufverträge schließen, ein Arbeitsverhältnis eingehen, heiraten oder sich ein neues Geschlecht aussuchen kann.
Der Ökonom Oliver Hartwich schrieb dazu einmal auf Achgut.com: „Zwischen Geburt und Tod kann der Mensch Rechte ausüben und Verpflichtungen eingehen. Eigentlich ist das keine besonders bahnbrechende Erkenntnis, aber deutsche Juristen mögen es eben gerne präzise“. Man denke nur an die berühmte Vorschrift aus dem Bundesreisekostengesetz von 1973: „Stirbt ein Bediensteter während einer Dienstreise, so ist damit die Dienstreise beendet.”
Wenn wir unsere irdische Dienstreise beenden, werden die dann Geborenen möglicherweise über das, was uns heute logisch und richtig erscheint, den Kopf schütteln, genau wie wir über unsere Vorväter und -mütter.
Aber welche künftigen Generationen sind mit diesem Begriff, der in keiner Sonntagsrede fehlen darf, überhaupt gemeint? Die in 50 Jahren, in 100 Jahren, in 1.000 Jahren oder in Millionen Jahren? Wird es dann überhaupt noch Menschen geben und wie werden die aussehen? Und was wird gut für sie sein? Was hätte ein Wissenschaftler Ende des 19. Jahrhunderts zu unserem heutigen Wohle empfohlen? Nachhaltige Luftschiffe? Petroleumlampen? Raddampfer?
Ich sage nur „Atomausstieg“
Was für die nächsten 20 Jahre sinnvoll erscheint, kann für 200 Jahre eine Katastrophe sein – und umgekehrt. Ein einfacher Grundsatz der Nachhaltigkeit, der vollkommen in Vergessenheit geraten ist, heißt: Wer morgen überleben will, der muss erst einmal heute überleben. Eine Volkswirtschaft, die heute ihre wirtschaftlichen Grundlagen ohne Not vernichtet, ist schlicht weg vom Fenster, wenn es um das Morgen geht. Ich sage nur das Wort „Atomausstieg“.
Was ist vorzuziehen? 80 Millionen Menschen für die nächsten 100 Jahre gut zu versorgen oder 100 Menschen für die nächsten zehn Millionen Jahre? Sollen die Armen von heute zugunsten der Reichen von morgen verzichten? Könnte es nicht auch sein, dass die Menschen in 100 Jahren reicher sind als wir heute, genau wie wir reicher sind als unsere Großeltern? Es mag die Wohlmeinenden und Willkommenden schmerzen und verstören: Unseren heutigen Wohlstand und Fortschritt verdanken wir möglicherweise weniger der Sorge früherer Generationen um uns als vielmehr der um sich selbst.
Nun lehrt die Lebenserfahrung, dass man seine Lebensplanung immer wieder revidieren und veränderten Umständen anpassen muss. Das politische Leben oder das Wirtschaftsgeschehen, der menschliche Organismus oder die Vorgänge in der Atmosphäre sind unberechenbar. Wer an einer Stelle in das Räderwerk eingreift, kann nie wirklich wissen, was am Schluss dabei herauskommt. Und schlimmer noch: Ein Eingriff, der gestern ein bestimmtes Resultat erzielte, kann heute zu einem vollkommen anderen Ergebnis führen, oft sogar zum Gegenteil des Intendierten.
Der Schriftsteller Michael Crichton hat einmal ein wunderbares Beispiel für diese Problemstellung gefunden: „Ein komplexes System, mit dem die meisten Leute zu tun hatten, ist ein Kind, besonders ein Teenager. „Man weiß eigentlich nie, welche Maßnahme welche Reaktionen wann hervorruft.“ Dazu ein aktuelles Beispiel, besonders geeignet für Lehrer, die ihre Schüler zu organisiertem Protest aufrufen. So vermeldete Peter Grimm gestern auf Achgut.com: „Fast jeder Zweite (47,5 Prozent) der 18- bis 29-Jährigen in Thüringen kann sich grundsätzlich vorstellen, bei der nächsten Landtagswahl die AfD zu wählen, der höchste Wert im Vergleich zu den anderen Altersgruppen“.
Was nun? Das ist ja gar nicht Malte-Torben, mit dem der grüne Zeitgeist auf ewig Händchen halten wollte. Und in diesem Sinne möchte ich dem geneigten Leser – egal wo er politisch steht – am heutigen Sonntag Trost spenden und nachdenklich meinen Blick über die Seebrücke von Rerik schweifen lassen. Nichts ist auf Erden sicherer als die Veränderung – egal ob beim Klima oder in der Politik.
Es ist nicht unbedingt fünf vor zwölf. Viel wahrscheinlicher ist es einfach nur zwölf vor fünf.
Dirk Maxeiner ist einer der Herausgeber der Achse des Guten. Von ihm ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Zu beziehen hier.
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