Dirk Maxeiner / 15.09.2024 / 06:00 / Foto: Montage achgut.com/ Imago / 86 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Deutschlands größtes Schlagloch

Die eingestürzte Carola-Brücke in Dresden ist derzeit Deutschlands größtes Schlagloch. Unsere Regierenden sind folgerichtig mit der Überwindung der Schwerkraft und dem Lufttaxi beschäftigt.

Das deutsche Personalwesen hat einen untrüglichen Sinn für Humor. Erinnern Sie sich noch an das inzwischen legendäre „Potsdamer Geheimtreffen“, bei dem finstere Gestalten, die „Remigration“ von Asylsuchenden verabredet haben sollen? Wurde das böse Wort ausgesprochen, so musste dies mit speiender Abscheu geschehen, so als gelte es einen blutrünstigen Vampir mit Knoblauch und entgegengestrecktem Kreuz in Schach zu halten. Deutschlandweit gingen die Massen bis hinauf zum Bundeskanzler auf die Barrikaden, um den Remigrations-Teufel auszutreiben. 

Und was machte die „Hanse- und Universitätsstadt Rostock“, unsensibel  und taktlos? Sie suchte per Stellenausschreibung zum nächstmöglichen Zeitpunkt einen „Sachbearbeiter*in“ II Remigration“. Und zwar „befristet als Krankheitsvertretung gem. § 14 Abs. 1 Nr. 3 TzBfG in Vollzeit mit 39 Wochenstunden“. Das kam ungefähr so an, als sei die Oberbürgermeisterin beim Weihnachtsgottesdienst in der Marienkirche vernehmlich einer Flatulenz erlegen. Ursprünglich waren solche Aktionen Loriot und Monty Python vorbehalten, mittlerweile sind deutsche Behörden in Sachen schwarzer und surrealer Humor einsame Spitze.

Bei solchen Vorkommnissen steht natürlich immer die Frage im Raum: War hier jemand mit schierer Ahnungslosigkeit und der daraus unfreiwillig entstehenden Komik am Werk? Oder handelte ein perfider Widerständler in den Reihen der Personalabteilung, dessen diabolisches Lachen plötzlich aus dem Gewölbekeller unter dem Rathaus nach oben dringt? 

Ein verlockendes Stellenangebot

Ähnliche Gedanken befallen den Beobachter nach dem Einsturz der Carolabrücke zu Dresden, denn die Stadtverwaltung veröffentlichte zum plötzlichen und unerwarteten Ableben des Bauwerks ein verlockendes Stellenangebot: „Wir suchen zum nächstmöglichen Zeitpunkt unbefristet eine/-n Brückenprüfingenieur/-in (m/w/d) /Chiffre: 66240905“. Der Neue dürfe sich auf die von „kultureller Vielfalt“ geprägte Stadt freuen, schließlich gelte es „an der Gestaltung der Stadt und ihrer zahlreichen bürgerschaftlichen Anliegen mitzuwirken“ und zur „ Mobilitätswende in Dresden beizutragen“. Zu diesem Zwecke werden unter anderem 30 Tage Urlaub, „Fahrradleasing“, „Vereinbarung von Berufs- und Privatleben“ sowie ein „fach- und zielgruppenspezifisches Einarbeitungsprogramm“ mit dem beziehungsreichen Namen "onboardING" offeriert.

Bei der Lektüre dieser Stellenausschreibung überkam mich sogleich ein Gedanke: Hat die Carolabrücke die Anzeige womöglich auch gelesen? Und ist, von jahrzehntelanger Vernachlässigung zermürbt, lieber freiwillig in die Knie gegangen? Schließlich galt sie noch nicht einmal als marode. Aber wer will schon von einer fahrradleasenden, Berufs-und Privatleben vereinbarenden Mobilitätswende-Person technisch überprüft werden? Handelt es sich möglicherweise um Selbstmord oder lediglich sozialverträgliches Frühableben? Wollte Carola gar einem entwürdigenden Ende nach Art der Kraftwerkstürme von Grafenrheinfeld entgehen? 

Die Fotos zeigen ja eher eine ordentlich zusammengefaltete Brücke, die sich zur letzten Ruhe nachts um Drei in der Elbe niedergelegt hat, keinen großen Schaden anrichten und alleine sterben wollte. Die Straßenbahngleise sind zwar rundgebogen wie ein Löffel von Uri Geller, hielten aber und bremsten den Sturz wacker. Von oben betrachtet, sah der Schaden lediglich aus wie Deutschlands größtes Schlagloch – und so etwas Ähnliches ist er ja auch. 

So stilvoll verabschieden sich nur wenige Brücken!

Zum Glück kriegt Carola nicht mehr mit, dass zur Leichenbeschauung als eine der ersten Maßnahmen eine Live-Kamera installiert wurde, um die Entsorgung der sterblichen Überreste vor dem Volke zu zelebrieren. Sogar Bergepanzer der Bundeswehr vom Typ „Büffel“ dürfen beim Brücken-Theater mitspielen. Gefahr ist nur insofern im Verzug, als am Wochenende Hochwasser erwartet wird und Robert Habeck und Steffi Lemke ihre Unterstützung für den Wiederaufbau zugesagt haben. Daher eine kleine Ehrenrettung für dieses gesamtdeutsche Bauwerk: So stilvoll und mit sich selbst im Reinen verabschieden sich nur wenige Brücken. Rest in Peace, Carola!

Es geht auch anders, wie historische Beispiele zeigen. Am 28. September 1879 um 9.14 Uhr stürzte in einem Orkan die drei Kilometer lange schottische Tay-Bridge ein. Bei ihrer Eröffnung war sie die längste Brücke der Welt, sie überquerte den Meeresarm „Firth of Tay“ und verband die Bahnhöfe von Womit und Dundee. Ein Zug mit sechs Personenwagen und 75 Passagieren stürzte in die Fluten, keiner überlebte.

 „Es war wie ein kometenhafter Ausbruch wilder Funken, von der Lokomotive in die Dunkelheit geschleudert. In einer langen Spur war der Feuerstrahl zu sehen, bis zu seinem Verlöschen unten in der stürmischen See. Dann herrschte völlige Finsternis“, berichtete ein Zeitgenosse, der in der Dunkelheit vom fernen Ufer zugesehen hatte. 

Der deutsche Dichter Theodor Fontane ließ in seiner Ballade „Die Brücke am Tay" die drei Sturmhexen die inzwischen geflügelten Worte sprechen: „Tand, Tand ist das Gebilde von Menschenhand.“

Es sind nicht alle Brücken von Carolas Gutmütigkeit

Auch als am 14. August 2018 um 11.36 Uhr in Genua die schlecht instandgehaltene Schrägseilbrücke über das Val Polcevera, mehr als einen Kilometer lang, kollabierte, wütete ein Unwetter mit starken Winden. Es war Ferienzeit, 35 Autos und drei Lastwagen stürzten in die Tiefe, 43 Menschen starben. 

Es sind eben nicht alle Brücken von Carolas Gutmütigkeit, wovon beispielsweise die Einwohner von Wiesbaden eine hübsche Ballade reimen können. Die dortige Salzbachtalbrücke trug 80.000 Autos am Tag und überspannte den gesamten ICE-Verkehr sowie die S-Bahn darunter – und dies trotz einer „Neigung zum Spontanversagen“.

Im Juni 2021, an einem Freitag um 16:30 Uhr, war es dann so weit, eine Reihe von Passanten, die auf der Mainzer Straße (B 236) unter der Brücke hindurchfuhren, registrierten solide Betonteile, die vom Himmel fielen wie Kokosnüsse von der Palme. Die Autofahrer erinnerte das ein wenig an den Streifen „Armageddon – Das Jüngste Gericht“, und sie taten das, was ein Deutscher bei Meteoriteneinschlägen tut: Sie riefen die Polizei.

Diese eilte aus dem nahe liegenden Wiesbadener Stadtteil Biebrich herbei und sperrte sowohl die Fahrbahn der darüberführenden A 66 als auch die Mainzer Straße sowie die Zugtrassen zwischen Mainz und Wiesbaden. Nach einem dreijährigen Verkehrschaos läuft der Verkehr inzwischen über eine neue Salzbachtalbrücke. Da hatten die Wiesbadener aber noch Glück, zumindest gegenüber den Oldenburgern: Da findet sich derzeit noch nicht mal jemand, der die marode Cäcilienbrücke abreißen will.

Mit der Entwicklung von Lufttaxis beschäftigt

Nicht nur die deutsche Dichtkunst ist seit Fontane ein wenig auf den Hund gekommen, sondern auch die Infrastruktur. Dresden ist überall. In Deutschland sind 16.000 Brücken in kommunalem Besitz marode, 11.000 auf Autobahnen und Bundesstraßen sowie 1.000 Bahnbrücken, die vom Stahlbetonkrebs oder schlicht dem Zahn der Zeit gezeichnet des Einsturzes harren, wahlweise der Sanierung oder Sprengung. Wollte man die alle innerhalb eines Jahres sanieren, so wären das über 70 Brücken – pro Tag. Oder grob überschlagen eine pro Tag über eine Dauer von 70 Jahren. Aktuelle Zahlen des Deutschen Institutes für Urbanistik Difu sprechen von einem Investitionsbedarf von rund 380 Milliarden Euro bis zum Jahr 2030 nur für die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland. Akut würden allein für Ersatzbauten 64 Milliarden Euro benötigt. 

„Schon Ende der 1970er Jahre war in Fachkreisen klar, dass diese Brücken nur rund 50 Jahre in Betrieb sein können. Sie sind durch den gestiegenen Verkehr und die schweren LKW großen Belastungen ausgesetzt, so dass das Material mit der Zeit ermüdet“, schreibt das Magazin Kommunal, „trotzdem wurden grundlegende Sanierungen seit den 1990er Jahren zwar immer wieder angekündigt, aber nie im erforderlichen Maße umgesetzt“. Die Bundesregierungen der letzten Jahrzehnte waren stattdessen mit der Überwindung der Schwerkraft und der Entwicklung des Lufttaxis beschäftigt, wer braucht da noch Brücken.

Nun gut, eine Brücke wird noch gebraucht, schließlich möchte man im Bundeskanzleramt weiter der Schwerkraft trotzen. Der Neubau des Kanzleramtes ist technisch gesehen eine Brückenkonstruktion, so groß wie sieben Fußballfelder, 23 Meter hoch und mit – ich sag‘s doch – Hubschrauber-Landeplatz. Und vor allem: Siebenmal größer als das Weiße Haus. Mit 50.000 Quadratmeter Fläche liegt es im Trend von Nicolae Ceaușescus Parlamentspalast in Bukarest, der bis dato beklopptesten Regierungshütte unter der Sonne oder wie die „taz“ es ausdrückte: „Ein begehbares Konstrukt des Größenwahns“. 

Der Pontifex Maximus dicht gefolgt von Olaf Scholz

Als die schwereloseste und ästhetischste Brücke überhaupt gilt in der Myththologie übrigens der Regenbogen. Seine Farben gelten als Zeichen für Toleranz und Akzeptanz der Vielfalt von Lebensformen, der Hoffnung und der Sehnsucht. Bedauerlicherweise verschwindet er aber nach Sonnenuntergang. Erwählte und Götter benutzen den Regenbogen aus Sicherheitsgründen nur tagsüber und als leuchtenden Pfad in den Himmel. Auch christliche Darstellungen aus dem Mittelalter zeigen Jesus, wie er vom Regenbogen herab über die Welt richtet. Der Papst trägt als Bischof von Rom den Titel „Pontifex Maximus", ist mithin nach katholischem Glauben der größte Brückenbauer zwischen Himmel und Erde, dicht gefolgt von Olaf Scholz.

Als Baukosten für das neue Bundeskanzleramt wird übrigens die Schnapszahl von 777 Millionen Euro kolportiert, es dürfte also eine Milliarde werden. Womit zugleich die Prioritäten bei der Instandhaltung der deutschen Infrastruktur illuminiert werden: Für die Sanierung von sämtlichen deutschen Autobahnen, Fernstraßen und den dazugehörigen Brücken sind im laufenden Jahr ganze 4,6 Milliarden Euro veranschlagt. 

 

Dirk Maxeiner ist einer der Herausgeber von Achgut.com. Von ihm ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Zu beziehen hier.

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PeterBernhardt / 15.09.2024

Das Instrument, welches die Vermittlung bewirkt zwischen Theorie und Praxis, zwischen Denken und Beobachten, ist die Mathematik; sie baut die verbindende Brücke und gestaltet sie immer tragfähiger. David Hilbert (1862 - 1943), einer der bedeutensden Mathematiker der Neuzeit

Ilona Grimm / 15.09.2024

@Sam Lowry ist Immer mal wieder auch für einen Scherz gut! Sie haben mir zum Abend einen Lacher beschert. Danke dafür!

Sam Lowry / 15.09.2024

Gue Nachricht heute, für mich: “Eberhard Schulte-Wissermann war so vieles: Koblenzer Bürger, Rechtsanwalt, Stadtratsmitglied, Oberbürgermeister, Ehrenbürger. Vor allem aber war er: der Vater der Bundesgartenschau 2011. In der Nacht zum Samstag ist er im Alter von 81 Jahren gestorben.” Der Kerl hat mich beim OBERLANDESGERICHT(!) wegen Beleidigung angezeigt, weil ich nach dem Erfrieren eines Bekannten dor der Stadtveraltung Koblenz schrieb: “Das Sozialamt ist doch asozial. Lassen Menschen direkt vor der Türe erfrieren.” Später gabs dann auch noch eine Räumungsklage seiner Kanzlei. Nee, echt gute Nachricht für mich… in die Hölle mit Dir Du A….

Lutz Liebezeit / 15.09.2024

“Rainbow Warrior”: “Regenbogenkrieger”. “Woke”: “aufwachen”, “aufwecken”. “Woke” bedeutet in etwa, der oder die “Erwachte”, der oder die “Erleuchtete”. Die Illuminati sind da. Der Sturm auf die Regenbogenbrücke ist seit längerem in Gang. Die Regenbogenfahne ist sozusagen Trümmerteil des Regenbogens nach dem Einsturz, wie ja auch Mauerreste überall im Land herumstehen. So einfach kommt man nicht in den Himmel.

Gabriele Klein / 15.09.2024

PS: hab den Betreff zu meinem Kommentar vergessen:  Er bezieht sich auf d. Neubau d. Kanzleramtes und….” groß wie sieben Fußballfelder, 23 Meter hoch und mit – ich sag‘s doch – Hubschrauber-Landeplatz. Und vor allem: Siebenmal größer als das Weiße Haus…..” Danke ganz besonders für den lesenswerten link dazu!

Lutz Liebezeit / 15.09.2024

Bei allen Götter! Der Regenbogen ist nicht nur im Christentum ein heiliges Symbol, sondern auch bei den Göttern! Wenn die Weltenfeinde auf der Regenbogenbrücke (Bifröst) herangetrampelt kommen, um den Himmel zu stürmen, stürzt sie ein! Das ist durchaus symbolisch zu verstehen, d.h., wenn der Regenbogen verweltlicht wird, ist das Ende nahe. Und Gott erschafft den Regenbogen als Symbol seines Bundes mit dem Menschen. Der Regenbogen verbindet Himmel und Erde. Der Glaube ist hier wie da dreigeteilt in Überwelt (Himmelswelt), Menschenwelt, Unterwelt. Die Unterschiede zwischen dem Christentum und unseren Göttern sind eher gering. Deshalb kam das Christentum gut an. Griechenland: Was heißt Psyche, Psyche ist ein griechisches Lehnswort und heißt Seele. Psychologie ist Seelenkunde. Ich halte viel von den Griechen, allerdings war deren Demokratie ein eher zweifelhaftes Exportprodukt. / Die Götter gaben den beiden ersten Menschen, Ask (Esche) und Embla (Ulme), eine “unsterbliche” Seele, im Christentum werden Messen für die “unsterblichen” Seelen der Verstorbenen gehalten. Die christliche Ikonogaphie kennt Jesus auf einer Regenbogenbrücke. / Zensurzeiten sind schlechte Zeiten für die Geheimnisse der Glaubenswelt.

Jürgen Fischer / 15.09.2024

@Ilona Grimm, bei mir ist es umgekehrt: ich sage immer Carolaseuche, wenn ich Corinna meine.

Horst Jungsbluth / 15.09.2024

@Barbara Strauch: Ich kann es bis heute nicht verstehen, wie es Merkel, die sich sehr unsolidarisch gegenüber Kohl und Schäuble verhalten hat, geschafft hat, bis ins Kanzleramt vorzudringen. Es muss da Seilschaften gegeben haben. Aber im Prinzip hat sie das nur weitergeführt, was bereits 1989 der von der SED begünstigte Berliner SPD/AL-Senat begonnen hatte und es nicht zu Ende führen konnte, weil die Mauer zur falschen Seite fiel.  Ich habe über diese damaligen Ungeheuerlichkeiten des öfteren berichtet. Und dem Regierenden Partymeister Wowereit hat dann später überhaupt nicht gestört, dass sein Stellvertreter Gysi (SED, PDS, Linke) von seinen Mandanten als IM Notar bezeichnet wurde und noch am 18. Mai 1990!!! den sowjetischen Funktionär Falin ermuntern wollte, die Einigung der beiden deutschen Staaten miitärisch zu verhindern. Er wollte unbedingt diese dysfunktionale Koalition.

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