Das liebste Forschungsobjekt des Mediziners Iwan Petrowitsch Pawlow waren Hunde. Bei seinen Experimenten stellte er fest, dass ein Hund nicht erst beim Fressen Speichel produziert, sondern bereits beim Anblick der Nahrung. Das nennt sich Konditionierung. Und die funktioniert nicht nur bei Vierbeinern, sondern auch bei Zweibeinern. Mir ging es neulich bei einem Besuch in der Gegend von Saarbrücken so. Da gibt es eine Werkstatt, die ist auf alte Citroens spezialisiert.
Vor der Tür wurde ein künstlerisch wertvoll dahinrostender Citroen HY-Lieferwagen zum Kauf angeboten. Dieses Auto repräsentiert gewissermaßen die Gourmet-Variante des Pawlowschen Experimentes. Der HY war lange Zeit das französische Gegenstück zum guten alten VW-Bus. Kaum taucht eine dieser fahrbaren Wellblechhütten auf einem Wochen- oder Jahrmarkt auf, löst das die Produktion von Verdauungssäften aus und meinem Gehirn wird mitgeteilt: „Au fein, heute gibt es Crêpes“. Die Frage ist eigentlich nur noch: Crêpe Suzette mit Orangenmarmelade oder eine flambierte Crêpe quarts de plaisir? Frankreichs Volkstransporter verströmt den unwiderstehlichen Duft von Feinkost. Das unterscheidet ihn grundsätzlich von sonstigen betagten Transportfahrzeugen, bei denen der moderne Mensch eher an Feinstaub denkt.
Am Anfang seiner Konzeption stand die Förderung von Frankreichs Handwerk und Handel. Die Supermärkte waren noch nicht erfunden und die Versorgung des ländlichen Frankreich blieb dem ambulanten Gewerbe überlassen. Der HY war ein Held des Kleingewerbes. Die Franzosen nennen ihn nach seinem Vorgänger (Traction Utilitaire série B) auch liebevoll „TUB“, seine deutschen Fans „Dauerwelle“. Das Wellblechkleid war meistens grau. Außer als Feuerwehr (rot), Polizeibus (blau) oder Ambulanz (weiß).
Ich kenne alle genannten Varianten aus persönlicher Anschauung. Die Graue vom Trampen in Südfrankreich. Man teilte sich den Laderaum mit mehreren Ziegen, was ein sehr spezielles Geruchserlebnis darstellte. Die Rote von einem Waldbrand im Departement Landes, wo ganze Schwärme von HY-Feuerwehren anrückten. Die Weiße von einem Unfall in Paris und dem anschließenden Transport ins Hospital. Der Sound der lustlosen Ambulanz-Sirene, die vergeblich gegen den Stau anhupte, wird mir ewig unvergessen bleiben. Es klang wie ein verzweifeltes Röcheln und passte hervorragend zum eigenen Gesundheitszustand. Schließlich die blaue Polizei-Variante. Nach einer Radarkontrolle bat Monsieur Gendarme in das mobile Polizeirevier. Dort wartete ein regelrechtes Tribunal mit einer Schreibmaschine für das Protokoll und sehr ernsten Blicken. Es folgte die Aburteilung als Tagesbester.