Dirk Maxeiner / 12.06.2022 / 06:15 / Foto: Pixabay / 84 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Geht doch!

Eine denkwürdige Schrift des Bundesumweltministeriums aus dem Jahr 2018 wurde seinerzeit eher als humoristischer Beitrag wahrgenommen, war es aber offensichtlich nicht. Sie trägt den schönen Titel „Geht doch!“. Unterzeile: „Grundzüge einer bundesweiten Fußverkehrsstrategie“.

„Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“

Das verriet der ehemalige Präsident der Europäischen Union Jean Claude Junker einmal in einer blauen Stunde. Gerade erleben wir wieder ein Musterbeispiel dieser Salamitaktik: Das Europäische Parlament hat soeben in Straßburg ein Verbot der Inverkehrbringung des Verbrennungsmotors ab 2035 und damit die Ächtung einer der erfolgreichsten Technologien überhaupt beschlossen. Und die Betroffenen gehen nicht auf die Barrikaden wie Marianne in der Französischen Revolution, sondern blubbern leise vor sich hin wie ein Platy-Fisch im Aquarium.

Die Kritik bleibt immanent – vom ADAC bis zu den Autoherstellern. Die befürworten die grundsätzliche Fahrtrichtung als richtig (obwohl es sich um eine Sackgasse handelt), lediglich die Details müssten verbessert werden. Immanente Kritik nennt man das, sehr verbreitet im Sozialismus, der ebenfalls von grundsätzlicher Richtigkeit ist – und nur suboptimal umgesetzt wird. Und um Sozialismus handelt es sich letztlich auch beim Selbstverstümmelungs-Experiment „Verkehrswende“ – analog zur vorausgegangenen Energiewende mitsamt Atomausstieg, deren Ergebnisse wir in Form äußerst kalter Füße begrüßen dürfen.

Getreu dem Marie Antoinette in den Mund gelegten Satz „Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie Kuchen essen!“ wird der Verbrennermotor verboten, auf dass sich die Massen künftig mit Batterieautos fortbewegen. Doch diese Alternative ist angesichts von rund 50 Millionen PKW und Kleinlastern in Deutschland so realistisch wie ein Wohnsitz im Schloss Neuschwanstein für Otto, den Normalverbraucher. Weder gibt es genug Strom noch eine Ladeinfrastrktur, die einen Massenansturm auch nur im Ansatz bewältigen könnte. Und das wissen die Beteiligten ganz genau. Vulgo: Wir haben es mit einem gut camouflierten Verbot des Massenautomobils zu tun. Und es steht zu befürchten, dass dieser politische Tarnkappenbomber unter dem Radar durchkommt, bis es zu spät ist.

Hühnerauge, sei wachsam

Mir fiel dazu eine denkwürdige Schrift des Bundesumweltministeriums aus dem Jahr 2018 in die Hände, die seinerzeit eher als humoristischer Beitrag wahrgenommen wurde es aber offensichtlich nicht war. Sie trägt den schönen  Titel „Geht doch!“. Unterzeile: „Grundzüge einer bundesweiten Fußverkehrsstrategie“.

Ich möchte – Hühnerauge sei wachsam – im Folgenden einige Kernsätze aus diesem Produkt zitieren und in einfache Sprache übersetzen. Der personelle Aufwand für das Stupidium war übrigens erheblich, laut Impressum waren mindestens acht hochmögende Forscher zu Fuß unterwegs, auch intellektuell. Das Bundesumweltministerium bevorzugt für seine Forschungsarbeiten traditionell Inhaber niederschwelliger Kompetenz-Profile, warum auch diese Arbeit von hohem Unterhaltungswert ist. 

„Aktiv mobil sein zu können, gehört zum Grundbedürfnis des Menschen und ist Ausdruck von Handlungsfreiheit, Unabhängigkeit und Teilhabe", heißt es dort. Wer nicht zu Fuß geht, ist folglich nicht aktiv mobil, sondern passiv, er wird gleichsam gefahren. Lassen Sie im Auto also ruhig das Lenkrad los, legen die Füße aufs Armaturenbrettt und lesen Sie die Bildzeitung. 

Schwer zu schaffen macht mir auch der Umstand, dass „Fußverkehr nicht als gleichberechtigt wahrgenommen wird", weshalb ein „klares Bekenntnis des Bundes zum Fußverkehr" notwendig sei. Da ist was dran, ich fühle mich ganz schön zurückgesetzt, seit ich gehört habe, das mein Nachbar mit Rollschuhen vom Schlafzimmer ins Bad kutschiert. Ohne ein klares Bekenntnis der Bundesregierung zum Fußverkehr wird sich an dieser diskriminierenden Vorteilsnahme nie etwas ändern. Und um diese ins Werk zu setzen, brauchen wir laut Broschüre natürlich einen Aktionsplan: 

„Dazu gehören auch das Forschungsprojekt ‚Modellvorhaben nachhaltige Stadtmobilität unter besonderer Berücksichtigung der Aufteilung des Straßenraums (MO-NASTA)‘ sowie das FUSS e.V.-Projekt „Handlungsleitfaden für kommunale Fußverkehrsstrategien“, das vom UBA und BMU im Rahmen der Verbändeförderung unterstützt wird."

Körperliche Ertüchtigung in ungeahntem Ausmaß

Zufußgehen ist von bestechender Vorteilhaftigkeit, fanden die Forscher in aufwendigen Studien heraus, „wenn Wege per pedes zurückgelegt werden, sinken Lärm und Emissionen, entspannen sich Nutzungskonflikte um begrenzten Raum, werden Städte zu Orten der Begegnung und des sozialen Miteinander". Dies gilt insbesondere für weibliche Personen, die nach 22.00 Uhr durch Duisburg-Marxloh oder den Görlitzpark flanieren. Aber auch das kriegt das UBA in den Griff, denn man will Zufußgehen „zum Selbstläufer machen“, weil man dabei schneller vorankommt.

Im ersten Schritt (siehe „Ziel 5“) bleiben „für den ruhenden motorisierten Individualverkehr am Straßenrand und auf Wohngrundstücken maximal 3 m² pro Einwohner (EW). Nach dem Rückbau der autogerechten Stadt wird dieser Wert auf 1,5 m² pro EW reduziert."

Dies ist gleichzusetzen mit der Einführung des Bobby-Cars, dem einzig wegweisenden Automobil, das auf dieser Grundfläche erfolgreich abgestellt werden kann.

Wer sich kein Bobbycar leisten kann, sieht körperlicher Ertüchtigung in ungeahntem Ausmaß entgegen („Ziel 6“): 

„Durch Anwendung des Leitbildes der kompakten, funktionsgemischten Stadt bei der Stadtentwicklung verringert sich die durchschnittliche Weglänge auf 8 km pro Weg oder 28 km pro Person und Tag."

Ich persönlich finde 28 Kilometer Zufußgehen pro Person und Tag zwar ambitioniert, aber machbar. UBA-Mitarbeiter, die beispielsweise zwischen Potsdam und Berlin pendeln, könnten vier Stunden zur Arbeit laufen, im Ministerium die Stechuhr bedienen und dann sogleich zurücklaufen. Das wäre sicher für alle in diesem Lande besser.

Zumal der Fußverkehr, im UBA-Papier auch „Basisverkehrsmittel" genannt, laut „Walkability-Ansatz" gegenüber „Ausfällen und Störungen besonders widerstandsfähig ist", wie jeder Benutzer der Berliner S-Bahn häufiger unter Beweis stellt.

Der Standard senegalesischer Buschtaxis

Sehr zielführend erscheint mir auch folgende Prognose: „Die Pkw-Dichte reduziert sich auf einen langfristigen Zielwert von 150 Pkw/1000 EW in Großstädten über 100.000 EW." Das macht also eine Belegung von sechs bis sieben Passagieren pro Automobil, womit der Standard nigerianischer Buschtaxis endlich auch in Prenzlauer Berg eingeführt wird. Übertroffen wird diese Auslastung lediglich noch von indischen Vorortzügen oder 9-Euro-Ticketinhabern auf dem Weg nach Sylt. 

Und noch eine gute Nachricht für Basisverkehrende: Die diskriminierende Nutzung von Zebrastreifen, die obendrein eine rassistische Komponente enthält, soll künftig nicht mehr verbindlich sein, stattdessen möge auch die „lineare Querung" von Straßen durch Zufußgehende Vorrang haben, man muss nicht mehr auf dem schnellsten Wege ans andere Ufer streben (Änderungen in § 25 der Straßenverkehrsordnung (StVO), z.B. lineare Querungen, Vorrang für Fußgänger an Einmündungen und Knotenpunkten). Will sagen: Wenn ich mich nach Genuss einer Flasche trockenen Lambruscos auf dem Sommerfest mäandernd über eine vierspurige Innenstadtstraße bewege, verhalte ich mich durchaus regelkonform. Wobei sich natürlich die Frage erhebt: „Ist die Nutzung des Basisverkehrsmittels Zufußgehen unter Alkoholeinfluss erlaubt?". Möglicherweise sollte man die bundesweite Fußgängerstrategie um ein generelles Alkoholverbot ergänzen, da ja auch dies im Sinne der Volksgesundheit erstrebenswert ist.

Allerdings kann Zufußgehen auch zur Belastung für die Krankenkasse werden: „Zufußgehende sind in Städten besonders gefährdet", heißt es in der Broschüre, „das Risiko in den Wintermonaten ist besonders hoch (Statistisches Bundesamt 2016a), da hier die Sichtverhältnisse schlecht sind". Das kann ich nur bestätigen, denn ich bin in Berlin schon mehrfach auf die Schnauze gefallen, weil ich übersehen habe, dass die Stadt Bürgersteige nicht mehr von Eis und Schnee befreit. 

Die bundesweite Fußverkehrsstrategie muss daher dringend um das Basisverkehrsmittel Schlittschuh erweitert werden. Ferner finde ich die völlige Ignoranz gegenüber dem beliebten Fortbewegungsmittel „Schwimmen" diskriminierend. Ab sofort sollten beispielsweise in Köln am rechten und linken Rheinufer 30 Meter breite Schwimmspuren eingeführt werden, auf denen Fahrtenschwimmer vom Dom nach Porz oder Niehl pendeln können, Richtungspfeile nach Schaffhausen oder Rotterdam sind anzubringen (Schwimm doch!)

Das Gleiche gilt für den freien Fall, ein Basisverkehrsmittel, aufgrund dessen der Mensch nach einer Sekunde eine Geschwindigkeit von 35 km/h, nach zwei Sekunden 71 km/h und nach drei Sekunden 106 km/h erreicht. Aufzüge werden beispielsweise die Mitarbeiter der EZB in Frankfurt (43 Stockwerke) aus Klimaschutzgründen nur noch nach oben befördern, bergab genügt ein Sprung aus dem Fenster. Das spart 50 bis 100 Prozent Energie, je nachdem, wie die Landung gelingt. Geht doch!

 

Von Dirk Maxeiner ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Portofrei zu beziehen hier.

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giesemann gerhard / 12.06.2022

Ich kauf‘ mich jetzt einen Haflinger und reite für Deutschland. Gestern, Samstag Nacht, herrliches Wetter in München, jede Menge Boliden mit oben offen, aus denen es türkisch-arabisch heraus musikte. Keine Angst, der Verbrenner bleibt. Allah Waduhu ya’rif - Allah allein weiß es.

giesemann gerhard / 12.06.2022

Fußeln gilt ja als besonders erotisch.

Wilhelm Lohmar / 12.06.2022

Mein Vater, der durchaus Sinn für Humor hatte, erwähnte mir gegenüber einmal, daß er sich zwichen 1939 und 1945 einige Gegenden Europas erwandert habe.

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