Dirk Maxeiner / 14.07.2024 / 06:05 / 62 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Deutschland unter Dampf

Die Bahn, Deutschlands „Stillstandsunternehmen Nummer eins" (Zitat NZZ) leidet unter maroder Infrastruktur. Für die Reparaturzüge braucht man alte Dieselloks – hat aber keine mehr. Jetzt wurde eine Dampflok von 1921 reaktiviert. Die Verkehrswende nimmt ihren Lauf.

Nach jahrelanger Vernachlässigung der deutschen Schieneninfrastruktur beginnt am Montag eine beispiellose Generalsanierung. "Es ist eine Operation am offenen Herzen mit ungewissem Ausgang" meldete gestern die Neue Züricher Zeitung (NZZ) und die FAZ titelte "Auf dem falschen Gleis".

Die Deutsche Bahn verkehrt derzeit auf zwei unterschiedlichen Gleisen. Da ist einerseits das digitale, woke und diverse Nirvana-Gleis, auf das die Kunden ungefragt und oft gegen ihren Willen rangiert werden. Auf der Webseite des Konzerns finden sich Lautsprecherdurchsagen wie diese: "Rassismus ist eine eigene Herausforderung, die nur in Teilen mit den Themen Internationalität, Interreligiosität und Interkulturalität zusammenhängt".

Mag ja sein, aber um das Interesse des gemeinen Bahnkunden zu steigern, würde ich einen leicht modifizierten Schwerpunkt vorschlagen: "Pünktlichkeit ist eine eigene Herausforderung, die nur in Teilen mit den Themen Internationalität, Interreligiosität und Interkulturalität zusammenhängt". Aber das Gut sein ist der Bahn deutlich wichtiger als das Pünktlich sein, und das politische Bewusstsein wird erheblich mehr gepflegt als der Frankfurter Hauptbahnhof.

Die fahrtechnische Grundlage der Deutschen Bahn erlebt derzeit eine große Transformation von der Physik hin zur Metaphysik, die  sich mit dem "Sein als Sein" (Ontologie) befasst. Im Mittelalter wird sie unterteilt in eine generelle (die über das Sein nachdenkt) und in eine spezielle Metaphysik, deren Objekte die Welt (Kosmologie), die Seele (Psychologie) und Gott (Theologie) sind. Das ist genau der Prozess, den ich kürzlich durchfahren habe, als ich auf einer Bahnfahrt mit dem Startort Darmstadt und dem Ziel Mannheim über drei Stunden durch die schöne Bergstrassen-Region geirrt wurde, um dann in tiefer Nacht nach Darmstadt zurückzukehren – ohne auch nur in die Nähe von Mannheim gekommen zu sein. Über etliche Stunden dachte ich angestrengt über das Sein, die Seele und Gott nach, obwohl ich eigentlich nur nach Hause wollte.

Ein neuer Meilenstein der Verkehrswende

Das physische Gleis, auf dem die Bahn verkehrt, ist den Seelenwanderern im Vorstand derselben längst ein wenig peinlich, denn es besteht aus Schienen, Weichen, Signalen und Lokomotiven, also lauter altem Eisen. Das ist äußerst unschick, aber bedauerlicherweise die Grundlage der ganzen Fuhre, ohne die sich nix mehr bewegt. Und noch viel schlimmer: Es braucht immer noch alte, weiße Männer, die sich damit auskennen. Womit ich bei einem neuen Meilenstein der Verkehrswende bin. 

Diese Zeilen sind den Helden von Danoka gewidmet, einer verschworenen Gemeinschaft, ähnlich den Ingenieuren, Technikern und Handwerkern in der DDR, die es mit Witz und Wissen schafften, die physische Infrastruktur, zumindest rudimentär, in Schuss zu halten, als dies eigentlich schon nicht mehr möglich war.

Doch wo liegt Danoka? Ist es eine Insel in der Südsee, die demnächst vom Meeresspiegel verschluckt wird? Ein tropischer Regenwald, in dem sich bislang unentdeckte grüne Männchen verstecken? Oder ein ferner Planet am Rande der Milchstraße, der es geschafft hat, sich der deutschen Steuerfahndung zu entziehen?

Weit gefehlt: „Danoka“ ist das Kürzel der „Dampfnostalgie Karlsruhe“, einem Verein von überwiegend alten weißen Männern, der sich dem Erhalt alter Lokomotiven verschrieben hat. Der Stamm der Alteisenfreunde lebte friedlich und zurückgezogen und glücklicherweise unentdeckt von der Abteilung "Gender Equity" am Karlsruher Institut für Technologie und der Aktion "Klimaneutrales Karlsruhe". 

"Unser Verein lebt nicht nur durch seine Lokomotiven, sondern insbesondere durch seine Mitglieder", schreiben die Maschinenbauer von Danoka auf ihrer Webseite. Vor zwei Jahren klingelte dann in ihrem Lokschuppen das Telefon. Ein Gleisbauunternehmen, das im metaphysischen Auftrag der Deutschen Bahn handelt, und physische Gleise, Trassen und Weichen zwischen Frankfurt und Mannheim vor dem endgültigen Verfall retten soll, funkte SOS nach Karlsruhe. Man suche dringend eine alte Diesellok für die Reparaturzüge, die seien das einzig Senkrechte für den zuverlässigen Reparaturdienst, aber inzwischen so gesucht wie der letzte Flußdelphin im Jangtse (Elektroloks kommen für diesen Einsatz nicht infrage, da auf Baustellen und etwaigen Nebenstrecken kein Fahrstrom vorhanden ist).

„Nein, aber wir hätten da noch unsere Dampflok“

Die Maschinenliebhaber glaubten an einen Scherz und funkten flapsig zurück: „Nein, aber wir hätten da noch unsere Dampflok.“ Sie betrachteten die Sache damit als erledigt und mussten sich ein paar Tage später sehr wundern. Die Firma bat um ein Mietangebot, inklusive Lokführer und Heizer. Solche rauchgeschwärzten Fossilien  hätten sie leider nicht im Personalstamm.

Das ist nachvollziehbar, schließlich wurde auf dem afrikanischen Kontinent 2018 die letzte Dampflok außer Betrieb genommen (In Zimbawe), auch in China werden ein paar diensthabende Dampfloks nur noch in der inneren Mongolei vermutet. Möglicherweise könnten in der Ferne aber noch ein paar Fachkräfte aufgetrieben werden. War aber nicht nötig, die Karlsruher erweckten ein paar rüstige Rentner aus ihrem Gleisbett, denn bevor man Dampflokführer werden kann, muss man die Ausbildungen zum Kesselwärter, Anheizer und Diesellokführer absolvieren. Und Angehörige dieses Berufes sind deutlich gesuchter als irgendwas mit Medien, jedenfalls erhielten die Danoka-Veteranen den Zuschlag

Die knapp 103 Jahre alte Ettlinger Güterzugdampflok der Baureihe G 12 wurde 1921 – also vor über 100 Jahren – in Karlsruhe gebaut und tat bis 1977 in der Reichsbahn der DDR mit der Ordnungsnummer 58 311 ihren Dienst. Das selbst 130 Tonnen schwere Dampf-Reptil zieht locker und zuverlässig einen Güterzug mit 2.000 Tonnen. Dafür verheizt sie schon mal auf 50 Kilometern drei Tonnen Kohle, die Tonne für tausend Euro, und verdampft 20 Kubikmeter Wasser. 

Die Lok muss für einen Einsatz einen ganzen Tag im Voraus angeheizt werden und ist trinkfreudig wie ein Vorkoster der Badischen Staatsbrauerei. Das Wasserfassen wird unterwegs über die Feuerwehr organisiert. Die G 12 ist auf diese Weise schneller voll als ein E-Auto an der Garagensteckdose. Das wird im übrigen oft ebenfalls mit Kohle betrieben, zumindest wenn der Strom aus einem Kohlekraftwerk stammt. Die Wege respektive Gleise der deutschen Verkehrswende gleichen einer Achterbahn mit 360 Grad Looping. Und die Geschichte der 58 311 eine sich aufdrängende Metapher für den Zustand des Landes.

Auf der Seite notebook-check schreibt ein offenbar sachkundiger Autor: "Der Einsatz von Museumsfahrzeugen, um moderne Verkehrssysteme in Gang zu halten, ist übrigens nicht ungewöhnlich". In München musste etwa ein von Freiwilligen gepflegter Fahrdraht-Kontrollwagen die Straßenbahn-Gleise im vergangenen Winter freiräumen. Er sei zwischenzeitlich das einzige Fahrzeug in München gewesen, das noch fahren konnte, da die Stadt Fahrzeuge, die für den vergangenen Wintereinbruch vorbereitet gewesen wären, weggespart hätte. Mittlerweile wird geprüft, ob man das alte Eisen wieder in Betrieb nehmen kann. Der Fortschritt katapultiert uns zuverlässig ins vorige Jahrhundert.

Es schließt sich nach 100 Jahren ein technischer Kreis, und der Laie fragt sich, wohin der ganze Verstand verdampft ist. Mittlerweile ist die Danoka dazu übergegangen, die Wartung der 58 311 nach einem speziellen, vereinheitlichten Managementsystem für Güterzuglokomotiven zu dokumentieren. Das ist für den kommerziellen Einsatz nötig. Inzwischen wurde das heiße Eisen auch schon von der Deutschen Bahn direkt angeheuert, um eine Fuhre mit neuen Schienen von Ludwigshafen auf die Baustelle der ICE-Strecke bei Mannheim zu ziehen. Die Helden von Danoka bestehen aber darauf, dass die 58 311 schwarz bleibt und nicht in Regenbogenfarben zum Dienst erscheinen muss.

 

Dirk Maxeiner ist einer der Herausgeber von Achgut.com. Von ihm ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Zu beziehen hier.

Jetzt bestellen

Foto: Montage achgut.com

Achgut.com ist auch für Sie unerlässlich?
Spenden Sie Ihre Wertschätzung hier!

Hier via Paypal spenden Hier via Direktüberweisung spenden
Leserpost

netiquette:

Gerd Maar / 14.07.2024

@Ralf Michael: Nicht zu vergessen, dass JR eine Magnetschwebebahn zwischen Tokyo und Nagoya baut, die mit 600 km/h fliegen wird. Meanwhile in Germany….

G. Männl / 14.07.2024

1T€ pro Tonne Kohle. Hui haben die Grillbriketts aus dem Baumarkt geholt? Ich warte noch auf ein Bild wo eine 01-er ein ICE mit 160km/h durch die Winterlandschaft zieht.

Jens Kaup / 14.07.2024

Die preußische G12, Baureihe 58 ist aber das geilste, was noch als Dampflok in Deutschland fährt, eine wuchtiger 3-Zylinder-Fünfkuppler. Ich habe das wunderschöne Modell von Roco. Fantastisch das die noch fährt.

A. Ostrovsky / 14.07.2024

@Leo Hohensee : >>Darf man das denn überhaupt, sich so einfach der Möglichkeiten bedienen, die aus der Vergangenheit noch da sind? - Gegebenenfalls müssten für betroffene Lokomotiven noch Oldtimer-Kennzeichen mit den entsprechenden Gesetzesbefreiungen geschaffen werden.<< ## Es gibt eine unabhängige Studie, die beweist, dass Kohle-Dampf-Lokomotiven prinzipiell schon für den Betrieb mit Wasserstoff vorbereitet sind. Daher sind keine weiteren zusätzlichen Kennzeichnungen, Zertifikate oder Finanzbeteiligungen notwendig. Allerdings ist die Studie noch nicht bier-reviewed. Ein gewisses Risiko besteht also weiterhin. Der kluge Mann engagiert sich nicht unnötig für riskante Aktien. Es gibt auch kritische Stimmen, die bezweifeln, dass die entsprechenden Lokomotiven überhaupt Oldtimer sind, weil schon zwei Wellen südöstlicher Metallhändler darüber hinweg gegangen sind. Wir sind ja hier nicht im Dritten Reich, wo man ganze Züge über Jahrhunderte verstecken konnte.

Robert Weihmann / 14.07.2024

Erinnert an den Film “Battleship”, in welchem ein paar Veteranen das 2.-Weltkriegs-Schlachtschiff “USS Missouri” wieder in Gang setzen, um den Kampf gegen außerirdische Invasoren aufzunehmen. Was in Hollywood allerdings eine aufregende Filmfiktion ist, ist bei uns in Deutschland nur schnöder Alltag.

Reiner Gerlach / 14.07.2024

Mir fehlt sowohl im tollen Sonntagsfahrer als auch in allen Leserkommentaren ein Hinweis auf die Privatisierung (die Reichsbahn wurde in ihrer Lebenszeit mehrfach privatisiert und wieder verstaatlicht) und auf einen der Totengräber des Unternehmens Hartmut M.

Hjalmar Kreutzer / 14.07.2024

Was haben wir in der Jugendzeit manchmal über Deutsche Post und Deutsche Reichsbahn gelästert: „Wer nüscht weeß und wer nüscht kann, jeht zu Post und Eisenbahn!“ Im Vergleich zu heute und ohne ostalgische Verklärung waren diese Institutionen aber offenbar ein Ausbund an Effizienz! Ein Klassenkamerad hatte ab 1979 ein Studium bei der Deutschen Reichsbahn im Gleisanlagenbau begonnen. Die erworbenen Fertigkeiten als Ingenieur befähigten ihn in den 1990ern zur Tätigkeit auf internationalen Baustellen in Südostasien und weltweit bei der Errichtung erdbebensicherer Wolkenkratzer über dem pazifischen Feuerring. Angesichts heutiger Zustände bei der Deutschen Bahn kämen ihm die Tränen.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Dirk Maxeiner / 06.07.2025 / 06:00 / 94

Der Sonntagsfahrer: Winddiebstahl und Windschatten

Nach „Dunkelflaute“ und „Hellbrise“ geht ein neues gefährliches Wort um: „Winddiebstahl“. Berichte über solche Phänomene sind nach Ansicht der EU-Blase geeignet „das friedliche Zusammenleben und…/ mehr

Dirk Maxeiner / 29.06.2025 / 06:15 / 119

Der Sonntagsfahrer: EU-Zielscheibe Gebrauchtwagen

Verwanzen, Verschrotten, Verbieten, Enteignen: Den Bürgern soll das Auto mit Gewalt ausgetrieben werden. Die neusten Hits: Die EU torpediert den Verkauf alter Gebrauchtwagen, und in Berlin sollen Bürgern…/ mehr

Dirk Maxeiner / 25.05.2025 / 06:00 / 40

Der Sonntagsfahrer: Die Antwort kennt ganz allein der Joint

Am vergangenen Samstag feierte Achgut.com mit seinen Autoren das 20-jährige Achse-Jubiläum. Eine gute Gelegenheit, um festzustellen, was die Beteiligten außer Schreiben noch so machen. Mit dem…/ mehr

Dirk Maxeiner / 18.05.2025 / 06:00 / 85

Der Sonntagsfahrer: Die Jahresschrift der Geisterfahrer

Seit letzter Woche ist es amtlich: Nicht nur die AfD, sondern Hinz und Kunz sind Nazi. Das entsprechende Verfassungsschutz-Gutachten umfasst 1.108 Seiten, fast viermal so…/ mehr

Dirk Maxeiner / 11.05.2025 / 06:05 / 38

Der Sonntagsfahrer: Zwischen Wunschpfad und Stalin-Allee

Wenn dem Menschen ein Weg zu lang erscheint, dann sucht er eine Abkürzung. Im Englischen nennt man das "Wunschpfad", im Deutschen "Trampelpfad". Die deutsche Politik bevorzugt die…/ mehr

Dirk Maxeiner / 04.05.2025 / 06:00 / 66

Der Sonntagsfahrer: Das Verbrenner-Auto, Held des Blackout!

Falls jemand noch ein paar zusätzliche Argumente für das Auto mit Verbrennermotor braucht, der Blackout in Spanien und Portugal hat sie geliefert. Die EU ist nie…/ mehr

Dirk Maxeiner / 27.04.2025 / 06:00 / 97

Der Sonntagsfahrer: Vision Null

Zero Covid. Net Zero. Vision Zero. Stillgelegte Kraftwerke, stillgelegte Industrie, stillgelegte Flächen, stillgelegte Automobile. Politische "Visionen" machen Europa zum Zentralfriedhof. Nach dem Neuwagen-Verbrennerverbot geht’s jetzt den…/ mehr

Dirk Maxeiner / 20.04.2025 / 06:00 / 52

Der Sonntagsfahrer: Ostern ohne Eier

„Sie werden zu Ostern genug Eier haben“, schrieb kürzlich das ZDF. Das trifft nicht zu, denn seit mindestens zehn Jahren haben wir eine Eierkrise, die…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com