Dirk Maxeiner / 16.07.2017 / 06:25 / Foto: Herbert Ponting / 5 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Bayreuth, zweimal Holzklasse

Ehrlich gesagt würde mich freiwillig niemand nach Bayreuth bringen. Und doch hatte ich in den letzten beiden Jahren gleich zweimal das Vergnügen. Einmal, weil ich Zeuge eines Unfalls auf der Autobahn wurde, und vor Gericht geladen war. Und das zweite Mal weil mich ein beruflicher Auftrag zu den Wagner Festspielen verschlug, die jedes Jahr Ende Juli – und dies meist unter Teilnahme der Bundeskanzlerin – zelebriert werden.

Um es gleich vorweg zu sagen: Die Bestuhlung im Amtsgericht und im Festspielsaal oben auf dem Hügel ist von jeweils hölzerner Qualität, wobei das Gericht ein deutliches Komfortplus bietet. Richard Wagner wählte als Bestuhlung harte und schmale Holzklappstühle der dritten Klasse, die so dicht gestaffelt sind, dass der Atem des Hintermanns stets spürbar bleibt. Wer sich in diesem Ambiente etwa der Götterdämmerung hingibt (rund sechs Stunden mit Pausen), verbringt eine physische Leistung, die der eines Transatlantikfluges auf einem Nagelbrett entspricht. Das passt zu einem Satz, der vom ollen Wagner überliefert ist: „Deutsch sein, heißt Dinge um ihrer selbst willen zu tun“.

Seit ich das weiß, verwundert mich nichts mehr, was unsere Bundeskanzlerin tut. Angela Merkel ist Wagnerianerin und dieser Spezies ist prinzipiell alles zuzutrauen. Sie hat in Bayreuth ihr endemisches Habitat und tritt entsprechend konzentriert auf. Erkennungszeichen ist ein zwischen festlich und skurril changierendes Outfit, sowie ein unter dem Arm getragenes Sitzkissen. Das Kissen dient, der Leser ahnt es bereits, zur Polsterung der harten Stühle. Ob so ein Teil auch beim Amtsgericht Bayreuth eingesetzt werden darf, weiß ich nicht. Zumal Angeklagte ja erst im Falle der Verurteilung vergleichbar lange sitzen müssen. Oben auf dem Hügel tun sie es freiwillig, zumindest solange Angela Merkel nicht anfängt zu singen.

Das Stück, das Wagner aus „Apokalypse Now“ geklaut hat

Hinzu kommt, dass eine hübsche Gerichtsverhandlung mit den Tatbeständen der Verkehrsgefährdung, Nötigung und Beleidigung im Vergleich zu Wagners Ringparabel von außerordentlicher Kurzweil ist. Ich weiß, ich mach mir gerade mächtig Feinde, habe aber heute irgendwie Bock darauf. Wo bleibt das Positive? Hier: Beim Bau seines Festspielhauses achtete der olle Wagner in erster Linie auf eine herausragende Akustik, die weltweit ihresgleichen sucht. Das fiel mir sofort auf, besonders bei dem Stück, das Wagner aus „Apokalypse Now“ geklaut hat.  Ansonsten verlangte er von seinem Publikum Leidensfähigkeit. Vergleichbares erwarten in heutigen Zeiten allenfalls die Grünen von ihren Wählern.

Es hätte seinerzeit durchaus die Möglichkeit bestanden, die Spielstätte mitten in München zu errichten. Aber der Gedanke, seine Musik womöglich zwischen einem großstädtischen Einkaufsbummel und einem gepflegten Abendessen servieren zu müssen, war ihm zuwider. Der Meister wollte, dass seine Jünger zu ihm pilgern, ausschließlich und alleine um der Musik willen, fernab jeder trivialen Zerstreuung. Approbierte Kulturbanausen wie ich sind im wagnerschen Konzept nicht vorgesehen. Und doch massieren sich heute die prekären Massen vor dem Festspielhaus, man frönt der zeitgenössischen Mode des Promi-Spotting.

Anstatt einer schnöden Klingel signalisiert ein Posaunenchor auf dem Balkon den Beginn der Vorstellung. Das ist dann wieder so ähnlich wie beim Anpfiff eines Spiels des FC-Bayern gegen Dortmund. Neben der Holzklasse gibt es auf dem Hügel übrigens auch einen Heiligen Stuhl. Er ist für die Dirigenten reserviert. Ein Probesitzen auf dem Ding ist für irdische Personen absolut verboten, nur Weltstars dürfen sich darauf niederlassen. Die Dirigenten gehen ihrer Tätigkeit wegen der permanenten Überstunden abwechselnd im Sitzen und im Stehen nach. Über Schläuche wird ihnen Luft zugefächelt. Fürs Publikum verfügt das Festspielhaus über keine Klimaanlage. Vermutlich war es Richard Wagners letzter Wunsch, die Festspiele deshalb im Hochsommer zu veranstalten.  

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Leserpost

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Karla Kuhn / 16.07.2017

Wunderbar, ich muß so lachen. Hauptsache sehen und gesehen werden, die Eitelkeit fordert eben ihren Tribut. Braucht Frau Merkel ein Sitzkissen ?

Wieland Schmied / 16.07.2017

Und was ist Ihnen beim Besuch des Amtsgerichtes so alles widerfahren? Irgendwie ähneln sich die beiden genannten Institutionen doch wohl - viel Traaraa, ‘n Bischen Tschinderassa Bumm und in beiden Fällen dubiose Darsteller, die nicht selten auch im Zuschauerraum zu erkennen sind. Ein Lied drei, vier: Klotz, Klotz, Klotz am Bein, Klavier vorm Bauch! Wie lang ist die Chaussee? Links ‘ne Pappel, rechts ‘ne Pappel - in der Mitte Pferdeappel! N.S.: “Das fiel mir sofort auf, besonders bei dem Stück, das Wagner aus „Apokalypse Now“ geklaut hat.”       Ungeahnte Fähigkeiten hatte der Meister ja zweifelsohne, aber ihm gleich eine solch ‘Vorausschauende” zu attestieren scheint wohl ein wenig übertrieben, bei aller Verehrung für ihn, mit Verlaub, bitte schön.

Friederike Klebert / 16.07.2017

Lieber Herr Maxeiner, Sie machen mir viel Freude an einem Sonntagmorgen, kurz vor Marmeladentoast, wenn Sie mächtig Bock haben, sich Feinde zu machen.

Heiko Stadler / 16.07.2017

In der nicht enden wollenden Aufführung macht es sich die Dirigentin im vierten Akt auf dem Dirigentensessel bequem, während die unfreiwilligen Zuhörer mit schmerzverzerrten Gesicht auf dem Nagelbrett sitzen.

Thomas Nuszkowski / 16.07.2017

ZITAT: “Ansonsten verlangte er von seinem Publikum Leidensfähigkeit. Vergleichbares erwarten in heutigen Zeiten allenfalls die Grünen von ihren Wählern.” Leider nein. Die verlangen dies auch von allen anderen. Die Grünen und ihre Wähler gehören zu den Menschen, die es nicht ertragen können, etwas als einzige zu tun. Daher nötigen sie alle anderen es ihnen gleich zu tun. Mit einer Gruppe von Spinnern, die sich unbedingt selbst kasteien wollen, hätte ich kein Problem.

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