Dirk Maxeiner / 27.03.2016 / 10:00 / Foto: Michal Osmenda / 0 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer (14): Das Hausboot als nautischer Autoscooter

Was macht der Mensch,  wenn er im Urlaub mal kein Auto fahren will? Ganz einfach: Er fährt mit dem Schiff. Nein keine Angst: In so einen Kreuzfahrt-Plattenbau  würden mich keine 72 Meerjungfrauen kriegen. Als nostalgisch veranlagter Mensch zog es mich auf Frankreichs alte Kanäle. Ostern ist keine schlechte Zeit dafür, es wird allmählich wärmer und in der Vorsaison sind die Boote viel billiger.

Früher wurden auf Europas Kanälen Lasten transportiert, heute werden Lasten über Bord geworfen. Stress und Hektik lösen sich in Wohlgefallen auf, heißt es.  Der Canal-Nivernais in Burgund ist 174 Kilometer lang und wird von 110 Schleusen unterbrochen. Besonders die so genannte „Schleusentreppe“ von Sardy besticht durch hohe therapeutische Wirkung: Auf einer Strecke von gerade mal fünf Kilometern müssen 27 Schleusen passiert werden.

Huch, ein Schiff hat keine Bremse

Spätestens am ersten Schleusentor machen Bootsneulinge, kaum von der Lichthupe entwöhnt, eine interessante Erfahrung: Ein Schiff hat keine Bremse aber viele Tonnen dynamische Masse. Ungläubig und starr vor Schreck suchen die flotten Neukapitäne nach dem Bremspedal oder dem Griff der Handbremse. Doch da ist nichts. Ein Hausboot in seinem Lauf, hält weder Ochs noch Esel auf (frei nach Erich Honecker). Mit einem furchtbaren Krachen endet die Fahrt am Schleusentor oder aber im Heck des Vordermanns.

Der peinliche Vorfall wird dann durch ratloses Heben der Arme (Franzosen) oder heftiges Anschnauzen der übrigen Familienmitglieder (Deutsche) kompensiert. Selbstverständlich ist Papi immer am Steuer - und genauso selbstverständlich unschuldig an dem Malheur. Meine Hochachtung vor den an Deck befindlichen weiblichen Begleitpersonen wuchs von Schleuse zu Schleuse: Die deutsche Ehefrau ist ein Wesen von unendlicher Güte, Leidensbereitschaft und Loyalität. Als Lebens- und Schleusenabschnitts-Begleiterin ist sie einfach unschlagbar.

Schleusenwart ist ein wunderbarer Beruf, schließlich kommt niemand an ihm vorbei, ohne dass er das möchte. Als Zweitkarriere sehr zu empfehlen für vom Leser gestresste Journalisten, die zu ihrem Bedauern feststellen müssen, das Nachrichten via Internet einfach um sie herum fließen. Um den Schleusenwärter fließt nix herum, ganz wie in der guten alten Zeit der schreibenden Zunft, als man noch uneingeschränkter Herrscher über den Informationsfluss war.

Ein Charterschiff ist so eine Art nautischer Autoscooter

Aber ich schweife ab, denn wer tagtäglich so eine Kanal-Schleuse bewacht wird zum Philosophen. „Die wenigsten Menschen können vorausschauend Fahren geschweige denn Denken“, sagte mir ein Schleusenwärter und verfiel dann wieder in Schweigen. Die Lehren einer Kanalfahrt sind die gleichen wie auf der Strasse oder im richtigen Leben. Die wichtigste lautet: Rechne immer mit der maximalen Blödheit der anderen, vor allem aber mit deiner eigenen. Die Charterfirmen beantworten die Frage nach der Intelligenz ihrer Kundschaft eindeutig: Um jedes Boot zieht sich ein stabiler Gummipuffer vom Format eines Lastwagenreifens. Der Kapitän kommandiert so eine Art nautischen Autoscooter.

Für Vollgashektiker kommt auf der Schleusentreppe von Sardy irgendwo zwischen Tor 14 und 17 die Stunde der Wahrheit. Es kristallisieren sich dabei zwei Typen heraus: Der eine begeht mit Hilfe des Enterhakens Harakiri, der andere macht mit Hilfe einer Flasche Rotwein Siesta. Er fügt sich in das Schneckentempo wird ganz ruhig und schließlich sogar still vergnügt. Am zweiten Tag schaltet er sein Handy ab. Tief in seinem Innersten keimt der Verdacht: Langsamkeit bringt Zeit, Schnelligkeit kostet Zeit. Oder kennen Sie jemanden, der durch den Erwerb eines 250 km/h schnellen Autos mehr Zeit hat?

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