Ich war gerade am Beute einsammeln, weil ich einen Boss-Gegner bei „Assassins Creed" besiegt hatte und endlich die legendäre Thor-Rüstung beisammen hatte, als der Anruf kam. Seufzend ging ich ans Handy und sah eine schwedische Nummer. Nun habe ich angeheiratete Verwandtschaft in Schweden und dachte, es sei etwas passiert und ging mit ungutem Gefühl dran: „Spreke iss mit Thilo Sneider?“, fragte eine freundliche Frauenstimme. „Jaaa“, antwortete ich vorsichtig, weil man ja nie weiß, wer dran ist. „Das iss sehr sön, Herr Sneider, wir haben ein gute Nackrisst für Sie!“ Da ich aus Erfahrung weiß, dass ich bei derartigen Anrufen mit guten Nachrichten etwas kaufen soll, fragte ich direkt nach, bevor mir jemand wieder eine endlose Litanei aus seinem Telefonskript vorliest und mich am Plündern der Leiche des Boss-Gegners hindert: „Machen wir es kurz: Was soll ich kaufen?“ Ein kurzes Kratzen, dann war ein Kichern zu hören. „Sie verstehen fals, Herr Sneider. Sie haben doch diese kleine Buck gesriebe?“ „„The Dark Side of the Mittelschicht?“, ja, das war ich!“, antwortete ich wahrheitsgetreu, wie das so meine Art ist, „aber woher haben Sie meine Nummer?“ „Steht in den Internet“, antwortete die Stimme fröhlich. Okay, kann sein. Ich habe keine Ahnung, wo ich überall recherchierbare Brotkrumen verstreut habe. „Na gut, und wie kann ich helfen?“, fragte ich nach und folgerte geistig, dass vielleicht mein Büchlein nach Schwedisch übersetzt werden sollte.
„Nein, wir brauche keine Hilfe. Mein Name ist Susanne Eklund und iss Sekretarin von den Anders Olsson…“, ließ sie bedeutungsschwer im Raum hängen… Äh… Ja und? „Herr Sneider, kenne Sie Anders Olsson?“, fragte sie nach, da ich anscheinend irgendetwas verpasst hatte und schwieg. „Nein, aber Inga Lindström und Pippi Langstrumpf“, antwortete ich irritiert. „Anders Olsson is Mitglied von die Nobelpreiskomitee in Stöckhölm und wir habe ausgewahlt ihre Buck für die söne Preis!“, erläuterte Frau Eklund und ich dachte, ich hätte mich verhört. „Was? Was haben Sie?“, fragte ich bestürzt nach. Frau Eklund kicherte wieder: „Ja, das dachten wir uns, das ist eine söne Überrassung. Herr Professor Olsson hat gelesen ihre Buck und hat seeeehr gelakt. Und da hat Professor Olsson geliehen das Buck an die andere Mitglieder in die Komitee und habe auch seeeehr gelakt!“
„Ah, ja, äh, also ich, was soll ich, ich meine, SIE haben, also wie, also was…“ Ich war aufrichtig bestürzt. Mein Herz schlug nicht nur schneller, sondern raste wie eine chinesische Magnetschwebebahn. Ich meine, ein Machwerk, das in einer Amazon-Kritik die Note „Dünnpfiff“ bekommt… „Ja, Herr Sneider, das ist ein söne Preis! Herr Olsson hat Buck so gut gefalle, dass er Vorslag für Literaturnobelpreis gemakt hat und andere Mitglieder habe gesagt, „Ja, söne Buck, bekommt söne Literaturnobelpreis!“, freute sich Frau Eklund.
Kreischende Literaturstudentinnen
In meinem Kopf überslugen sich die Gedanken. Ich würde nach Stockholm für lau reisen. Der Schatz bekäme eine neue Küche. Am Bahnhof würden mich kurz nach der Landung schwedische Krankenschwestern mit Blumen begrüßen. Ein roter Teppich würde mich zu einer schwarzen Limousine mit abgetönten Scheiben führen, vorbei an den Kameras und Mikrofonen der Presse, und die Security müsste kreischende Literaturstudentinnen von mir fernhalten. Im abgedunkelten Fond des Wagens würden mich Henryk M. Broder und Dirk Maxeiner mit Champagner begrüßen und Maxeiner würde sagen: „Ich habe immer an dich geglaubt, mein Junge, immer!“, und Claudio Casula wäre auch dabei, weil er ja mein Buch vom Fränkischen ins Deutsche übersetzt hat, und er würde grinsen wie ein Honigkuchenpferd, und wir würden unter einer Konfettiparade, vorbei an den jubelnden Mengen auf der Straße, in die Schwedische Akademie in Stockholm fahren.
Präsident Steinmeier wäre natürlich da und würde so Sätze sagen wie: „In dieser schicksalhaften Stunde sind meine Gedanken beim Schatz, der das Werden dieses Buches mit Abscheu und Empörung verfolgt hat“ oder so, und der Schatz hätte dieses tolle rote Kleid an, bei dem man sein Rückentattoo sehen kann und er würde Stilikone werden und es gäbe Homestorys in der BUNTE und beim Goldenen Blatt, die BILD würde „Wir sind Nobelpreisträger“ titeln und ich würde mit Lauterbach, dem Experten für alles, in Talkshows herumsitzen und wir würden uns bei Lanz und Anne Will streiten und wenn ich dereinst stürbe, würde ich den immer noch nicht vorhandenen Wikipedia-Eintrag bekommen, man würde eine Plakette an meinem Haus anbringen und Realschulen würden nach mir benannt und ich würde künftig mit Handke und Fleischhauer und Vahlefeld und Letsch und anderen Berühmtheiten auf Du und Du bei Whisky und Zigarren gepflegt in Räumen mit hohen Bücherwänden und Chesterfield-Möbeln parlieren und wir würden so übel einen draufmachen mit Nutten und Koks und… Ich verlor mich!
„Aber, Herr Sneider, bevor sie bekomme die söne Preis, iss musse vorher was frage“, unterbrach Frau Eklund meine dopaminüberfluteten Gedankengänge, „Herr Sneider, sind Sie swarz?“ „Was?“ „Sind Sie swarz, Herr Sneider?“ „Nein, selbstverständlich nicht, warum?“ Kurzes Schweigen am anderen Ende der Leitung. Frau Eklund holte Luft: „Sind Sie vielleist sugewandert in Deutsland? Habe Sie eine Migrationshintegrund und ginge Ihne mal wirklick wirklick slesst in Lebe?“ „Ich bin einst von Hessen nach Bayern, nach Unterfranken gezogen. Fahre ich nach Frankfurt, werde ich als Bayer beschimpft, fahre ich nach München, werde ich als Hesse gehänselt, zählt das?“, fragte ich vorsichtig nach, während mein schöner Traum begann, an den Rändern auszufransen und zu zerbröseln. Ich konnte buchstäblich die einzelnen Brocken auf das dunkle Laminat des Wohnsimmers fallen sehen und würde nachher tüstig saubermachen müssen…
„Ooooh…, das ist slesst“, bestätigte mich Frau Eklund, „weil Sie musse wisse, wir vergebe söne Preis nur, wenn Autor is Randgruppe. Sie sin nisst sufällig homerseksuell?“ Ich merkte, sie wollte mir helfen, mir eine Brücke bauen… Warum, zur Hölle, waren meine Eltern, Großeltern und Urgroßeltern nur so verdammt deutsch gewesen? Ich meine, wenn ich in den Spiegel schaue, dann schimmert da irgendwo so um das Jahr 9 nach Christus ein römischer Legionär durch, aber das war es dann… „Ich bin ein alter weißer Mann, hilft das?“, spielte ich meinen letzten Trumpf aus. Nein, es half nichts. Ich konnte Frau Eklund den Kopf förmlich schütteln hören. „Leider nein, dann wir könne Ihne söne Preis nisst gebe“, sagte sie bedauernd und fügte aufmunternd hinzu: „Aber, Herr Sneider, vielleisst klappt ja nässte Jahr!“ Dann legte sie grußlos auf.
Ja. Vielleisst nässte Jahr. Wie in Trance kehrte ich die herumliegenden Scherben meines Traums vom Boden, setzte mich an die Tastatur und schrieb.
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Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.