Sollten die Visionen der „Smart City Charta“ umgesetzt werden, wird sich unser aller Leben verändern. Nur vordergründig zum Guten. Tatsächlich bedroht die umfassende Digitalisierung unsere Freiheit.
Auch in explosiven Zeiten wie diesen wäre es unklug, das eher unspektakulär anmutende Tagesgeschäft der EU und der UN aus den Augen zu verlieren. So fand vom 26. bis 27. April dieses Jahres das „Marktplatz-Forum für intelligente Städte“ in Brüssel statt. Und am 28. April folgte das „Hochrangige Treffen zur Umsetzung der New Urban Agenda“ der UN in New York.
Wuppertal ist dabei. Pforzheim auch. Und sogar Ringelai. Sie alle nehmen an der dritten Staffel der „Modellprojekte Smart Cities“ teil, die von der Bundesregierung seit 2019 mit insgesamt 820 Millionen Euro gefördert werden. Auf der offiziellen Webseite der Europäischen Kommission werden „Smart Cities“ folgendermaßen definiert: „Eine Smart City ist ein Ort, an dem herkömmliche Netzwerke und Dienstleistungen durch den Einsatz digitaler Lösungen zum Nutzen der Einwohner und Unternehmen effizienter gestaltet werden.“
Diese Definition wirkt harmlos, doch ich möchte es genauer wissen und rufe die Publikation „Smart City Charta. Digitale Transformation in den Kommunen nachhaltig gestalten“ auf, die vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) sowie dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUV) im Jahr 2017 herausgeben worden ist. Die Broschüre umfasst immerhin 108 Seiten und knüpft ‒ so steht es im Vorwort ‒ an die „Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt“ sowie an die „New Urban Agenda“ der Vereinten Nationen an. In der Präambel ist zu lesen: „Die Charta unterstützt die Umsetzung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie und die Verwirklichung der globalen Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals).“ Auch zur „Agenda 2030“ gibt es eine offizielle Webseite der UN, der sich folgende Informationen entnehmen lassen:
Die „Agenda 2030“ wurde am 25. September 2015 von den 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen in New York verabschiedet. Sie gibt einen globalen Rahmen für die Umwelt- und Entwicklungspolitik bis 2030 vor. Kernstück der Agenda sind 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung mit insgesamt 169 Zielvorgaben, die sämtliche Politikbereiche betreffen. Die Agenda liegt auch in deutscher Sprache vor und kann unter dem Titel „Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ eingesehen werden. Aus technischen Gründen ‒ so ist in einer Fußnote zu lesen ‒ ist die deutsche Version am 28. Februar 2020 neu herausgegeben worden.
Als Vision wird darin formuliert:
„Wir sehen eine Welt vor uns, die frei von Armut, Hunger, Krankheit und Not ist und in der alles Leben gedeihen kann. Eine Welt, die frei von Furcht und Gewalt ist. Eine Welt, in der alle Menschen lesen und schreiben können. Eine Welt mit gleichem und allgemeinem Zugang zu hochwertiger Bildung auf allen Ebenen, zu Gesundheitsversorgung und Sozialschutz, in der das körperliche, geistige und soziale Wohlergehen gewährleistet ist. Eine Welt, in der wir unser Bekenntnis zu dem Menschenrecht auf einwandfreies Trinkwasser und Sanitärversorgung bekräftigen, in der es verbesserte Hygiene gibt und in der ausreichende, gesundheitlich unbedenkliche, erschwingliche und nährstoffreiche Nahrungsmittel vorhanden sind. Eine Welt, in der die menschlichen Lebensräume sicher, widerstandsfähig und nachhaltig sind und in der alle Menschen Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher und nachhaltiger Energie haben.“
Daten statt Wahlen?
Diese Utopie klingt wunderbar. Es stellt sich nur die Frage, auf welche Weise dieses Paradies auf Erden erreicht werden soll. Unter Punkt 28 steht dazu:
„Wir verpflichten uns, die Art und Weise, in der unsere Gesellschaften Güter und Dienstleistungen produzieren und konsumieren, grundlegend zu verändern. Die Regierungen, die internationalen Organisationen, die Unternehmen und anderen nichtstaatlichen Akteure wie auch jeder Einzelne müssen zur Veränderung nicht nachhaltiger Konsum- und Produktionsmuster beitragen“.
Und unter der Zwischenüberschrift „Umsetzungsmittel“ wird bekräftigt:
„Der Umfang und der ambitionierte Charakter der neuen Agenda erfordern eine mit neuem Leben erfüllte Globale Partnerschaft, um ihre Umsetzung zu gewährleisten.“
Unter Punkt 50 wird noch einmal betont:
„Wir können die erste Generation sein, der es gelingt, Armut zu beseitigen, und gleichzeitig vielleicht die letzte Generation, die noch die Chance hat, unseren Planeten zu retten. Wenn es uns gelingt, unsere Ziele zu verwirklichen, werden wir die Welt im Jahr 2030 zum Besseren verändert haben.“
Der Anspruch einer globalen Transformation kommt hier deutlich zum Ausdruck.
Auf Deutschland bezogen wird die Agenda 2030 in der „Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie“, die im Januar 2017 von der Bundesregierung beschlossen wurde. Auf Seite 23 wird darin festgehalten:
„Es geht darum, umfassende, beschleunigte Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft einzuleiten und voranzutreiben: in unserer Art zu leben, zu arbeiten, zu konsumieren, in Technologien, Institutionen und Praktiken.“
Und dann werden konkrete Zahlen genannt: Der Anteil Erneuerbarer Energien am Energieverbrauch etwa soll bis 2030 auf 30 Prozent und bis 2050 auf 60 Prozent steigen (Seite 37). Die Treibhausgasemissionen sollen um mindestens 55 Prozent bis 2030, um mindestens 70 Prozent bis 2040 und um 80 bis 95 Prozent bis 2050 jeweils gegenüber 1990 vermindert werden (Seite 39).
Vor diesem Hintergrund also ist die „Smart City Charta“ zu verstehen. Zunächst werden in ihr jedoch Leitlinien für digitale Verwaltungsstrukturen abgehandelt und im weiteren Verlauf exemplarisch Städte vorgestellt, die sich auf irgendeine Weise bei der digitalen Transformation engagieren. Dabei geht es beispielsweise um Beteiligungs-Plattformen, Logistik-Dienstleistungen, Ratsinformationssysteme oder Geodaten zur Auffindung freier Parkplätze. Darunter mögen sich sinnvolle und effektive Entwicklungen befinden. Gruselig wird es allerdings bei dem auf den Seiten 42 bis 44 abgedruckten Impulsvortrag von Roope Mokka, dem Gründer des finnischen Think Tanks „Demos Helsinki“. Mokka skizziert darin, wie künftig die materielle und die digitale Welt ineinandergreifen könnten. Er fasst seine Visionen eines hypervernetzten Planeten in sechs Punkten zusammen:
„1. Super resource-efficient society
Eine Gesellschaft, in der kein Gebäude leersteht, sondern die ganze Zeit optimal genutzt wird. Auch fahren keine Autos mehr leer. Neue Geräte und Maschinen generieren ihre eigene Energie. Für diejenigen, die an Energy Harvesting Sensoren arbeiten, erscheint die Diskussion über zentralisierte, große Kraftwerke sinnlos.
2. Post-choice society
Künstliche Intelligenz ersetzt Wahl: Wir müssen uns nie entscheiden, einen bestimmten Bus oder Zug zu nehmen, sondern bekommen den schnellsten Weg von A nach B. Wir werden auch nie unsere Schlüssel, Geldbeutel oder Uhren vergessen.
3. Post-ownership society
Dank der Information über verfügbare geteilte Waren und Ressourcen macht es weniger Sinn, etwas zu besitzen: Vielleicht wird Privateigentum in der Tat ein Luxus. Daten könnten Geld als Währung ergänzen oder ersetzen.
4. Post-market society
Im Grunde genommen sind Märkte Informationssysteme, die Ressourcen zuteilen. Als Informationssystem funktioniert ein Markt jedoch sehr einfach. Er übermittelt nur, dass eine Person dies oder das gekauft hat; wir wissen aber nicht warum. Künftig können Sensoren uns bessere Daten als Märkte liefern.
5. Post-energy society
Um ubiquitär genutzt zu werden, müssen Sensoren energieeffizient und energieautark sein. Wenn eine Datenrevolution stattfinden soll, muss Energy Harvesting – die Fähigkeit, Energie auf Makro-, Mikro- oder Nanoskala zu generieren und zu speichern – Alltag werden.
6. Post-voting society
Da wir genau wissen, was Leute tun und möchten, gibt es weniger Bedarf an Wahlen, Mehrheitsfindungen oder Abstimmungen. Verhaltensbezogene Daten können Demokratie als das gesellschaftliche Feedbacksystem ersetzen.“
Vor allem der letzte Punkt gibt zu denken: Daten statt Wahlen?
„Globaler Fahrplan“, von höchsten Stellen gepuscht
In einer Sonderveröffentlichung des BBSR von Mai 2021 wurde die „Smart City Charta“ noch einmal neu aufgelegt. Jetzt umfasst sie nur noch 32 Seiten, und der Impulsvortrag von Roope Mokka fehlt. Dafür wird eine „Dialogplattform“ vorgestellt (Seite 29):
„Die Dialogplattform Smart Cities wurde durch das Bundesministerium für Umwelt, Bau, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMUB) eingerichtet und wird durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) fortgeführt. Sie setzt sich zusammen aus ca. 70 Vertreterinnen und Vertretern des Bundes, der Länder, der Kommunalen Spitzenverbände, der Städte, Kreise und Gemeinden, verschiedener Wissenschaftsorganisationen, von Wirtschafts-, Sozial- und Fachverbänden sowie der Zivilgesellschaft.“
Außerdem ist dort zu lesen:
„Die Bundesregierung führt die Dialogplattform Smart Cities fort und begleitet die Umsetzung der Smart City Charta.“
Auf Seite 31 sind sämtliche teilnehmende Organisationen vom Bundeskanzleramt bis zum Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) aufgeführt.
Ebenfalls schon 2017 hatte die Generalversammlung der Vereinten Nationen die „New Urban Agenda” bestätigt, auf die sich auch das BBSR bezieht. Auf seiner Webseite definiert das BBSR die „New Urban Agenda“ als „globalen Fahrplan für eine moderne Stadtentwicklung“. Weiter heißt es dort:
„Sie [die „New Urban Agenda“] leitet dazu an, wie Kommunen geplant, gestaltet, finanziert, entwickelt, regiert und verwaltet werden sollten, um einer nachhaltigen Entwicklung – auch im Sinne der ebenfalls von den Vereinten Nationen verabschiedeten Agenda 2030 und ihren Sustainable Development Goals (SDGs) – Rechnung zu tragen.“
Alle vier Jahre solle ein Fortschrittsbericht zur Umsetzung der Agenda verfasst werden.
Der erste umfangreiche Globalbericht wurde der Generalversammlung der Vereinten Nationen nun am 28. April 2022 im Rahmen eines „Hochrangigen Treffens zur Umsetzung der New Urban Agenda“ in New York vorgelegt. In diesem Bericht wird auf Seite 5 festgehalten:
„Derzeit haben sich unter der Schirmherrschaft des Globalen Konvents der Bürgermeister für Klima und Energie mehr als 10.000 Städte in der ganzen Welt verpflichtet, die Kohlendioxidemissionen bis 2030 um 24 Milliarden Tonnen zu reduzieren.“
Das BBSR hält unter dem Titel „Zeichnungskommunen Agenda 2030“ auch eine Karte bereit, der zu entnehmen ist, welche deutschen Kommunen die Resolution „2030-Agenda für Nachhaltige Entwicklung: Nachhaltigkeit auf kommunaler Ebene gestalten“ unterzeichnet haben (Stand Juli 2021).
Da seit 2017 schon ein paar ereignisreiche Jahre vergangen sind, interessiert, welche aktuelleren Veröffentlichungen zu „Smart Cities“ vorliegen. Seit Juni 2021 läuft ein Forschungsprojekt des BBSR, das den Namen trägt: „Smart Cities befähigen – Handlungsansätze zur europäischen Vernetzung“. Es wird wie folgt beschrieben:
„Der European Green Deal und das Programm Digital Europe spielen in den kommenden Jahren eine zentrale Rolle für die Umsetzung europäischer Regelwerke und die Konzeption von Förderinstrumenten. Ziel ist unter anderem die Entwicklung europäischer Kommunen zu Smart Cities. Dies erfordert einen europäischen Austausch institutioneller Akteure und der Kommunen dazu, wie die digitale Transformation dazu beitragen kann, die Ziele einer nachhaltigen, integrierten und gemeinwohlorientierten Stadtentwicklung auf europäischer und nationaler Ebene umzusetzen.“
Hier wird also die Stadtentwicklung mit dem „European Green Deal“ in Zusammenhang gebracht. Auch zu diesem „Deal“ ist eine offizielle Webseite aufrufbar, der zufolge der „Green Deal“ im Wesentlichen anstrebt, dass die Wirtschaft bis 2050 keine Netto-Treibhausgase mehr ausstößt. Er führe auch aus der Corona-Krise: Ein Drittel der Investitionen aus dem Aufbaupaket NextGenerationEU und dem Siebenjahres-Haushalt der EU mit einem Umfang von insgesamt 1,8 Billionen EUR fließe in den Grünen Deal.
Eine App als digitale Geldbörse für alle Arten von Dokumenten
Auf Oktober 2021 datiert ist die 66 Seiten umfassende Sonderveröffentlichung des BBSR „Datenstrategien für die gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung. Nationale Dialogplattform Smart Cities“. Ihr Anliegen wird auf der Internetseite des BBSR folgendermaßen formuliert:
„Die ‚Datenstrategien für die gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung‘ sind das Ergebnis eines knapp eineinhalbjährigen Arbeitsprozesses der Nationalen Dialogplattform Smart Cities und deren Mitgliedern. Im Rahmen der Dialogplattform kamen rund 70 Expertinnen und Experten zusammen, um in einem integrierten Dialog die Leitlinien der Smart City Charta weiterzuentwickeln.
Die nun veröffentlichten Leitlinien und Handlungsempfehlungen konkretisieren dabei die 2017 veröffentlichten Smart City Charta. Sie zeigen auf, wie Potenziale der Digitalisierung für die integrierte und nachhaltige Stadtentwicklung genutzt und den damit verbundenen Herausforderungen sowie Risiken begegnet werden kann. Ziel der vorliegenden Leitlinien und Handlungsempfehlungen ist es, den Bund, die Länder sowie die Kommunen zielgerichtet für einen nachhaltigen und inklusiven Umgang von Daten im Kontext der gemeinwohlorientierten Stadtentwicklung zu sensibilisieren sowie die verschiedenen Dimensionen der Potenziale der Digitalisierung für die integrierte und nachhaltige Stadtentwicklung darzulegen.“
Ein Schwerpunkt bei der Realisierung der „Smart Cities“ liegt demnach auf dem Erfassen von und dem Umgang mit Daten für eine „integrierte“, „nachhaltige“ und „gemeinwohlorientierte“ Stadtentwicklung. Klingt wieder sehr schön. Aufhorchen lässt allerdings das Beispiel des „IRMA-App Digital Passport“ auf Seite 16:
„Die Abkürzung steht für ‚I Reveal My Attributes‘. Die App dient als digitale Geldbörse für alle Arten von Dokumenten. Nutzerinnen und Nutzer können ihre persönliche Anschrift, personenbezogene Daten, E-Mail-Adresse, persönliche Bankdaten, Telefonnummer und sogar Angaben zur Gesundheitsversorgung hinzufügen. Die Nutzerinnen und Nutzer entscheiden selbst, welche dieser Daten hochgeladen und mit anderen geteilt werden.“
Problematisch ist die vorgebliche Entscheidungsfreiheit insofern, als sie in der Realität durch Anreize oder Verbote eingeschränkt werden könnte. Man denke nur an die Freiwilligkeit der Corona-Impfung.
Ebenfalls 2021 ‒ allerdings schon im April ‒ erschien die BBSR-Broschüre „Nationaler Fortschrittsbericht zur Umsetzung der New Urban Agenda. Auf Seite 12 findet sich darin der explizite Hinweis:
„Seit 2015 bildet die Agenda 2030 der Vereinten Nationen den globalen Referenzrahmen für eine ‚große Transformation‘, (auch) auf kommunaler Ebene.“
Auf Seite 20 wird hervorgehoben, dass Deutschland sein Klimaschutzziel für 2020 nur wegen der Corona-Pandemie sowie eines milden Winters erreichen konnte. Die Anpassung an den Klimawandel wird dabei als ebenenübergreifende Aufgabe benannt. Die Kommunen und Städte als Lebensorte der Menschen und Standorte der Wirtschaft stünden in einer besonderen Verantwortung für den Klimaschutz. Und auf Seite 21 wird ergänzt:
„Ein neuerer Ansatz, um auch Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen auf kommunaler Ebene zu forcieren, bilden Stadtentwicklungsstrategien, die sich unter dem Begriff Smart City zusammenfassen lassen und durch den Einsatz neuartiger IKT [Informations- und Kommunikationstechnologie]-Lösungen geprägt sind.“
Alles im Namen einer „nachhaltigen Entwicklung“
In den genannten Veröffentlichungen wird nicht allein auf die „Agenda 2030“ und die „New Urban Agenda“ Bezug genommen, sondern auch auf die „Neue Leipzig Charta“, die im November 2020 von den in Europa für Stadtentwicklung zuständigen Ministern verabschiedet wurde. Auch hier wird in der Präambel ganz selbstverständlich festgestellt:
„Die Notwendigkeit einer nachhaltigen Transformation wird durch die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, insbesondere mit ihrem Nachhaltigkeitsziel 11 (Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig gestalten), die New Urban Agenda, das Übereinkommen von Paris und den Green Deal der Europäischen Kommission unterstrichen. Der Green Deal ist darauf ausgerichtet, Europa als ersten Kontinent der Welt ‚klimaneutral‘ zu machen. Europa als Ganzes trägt hierfür eine grundlegende Verantwortung und ist gemeinschaftlich in der Lage, dieses Ziel zu erreichen. Die Neue Leipzig-Charta bietet einen politischen Rahmen, um diese europäischen und internationalen Abkommen auf städtischer Ebene zu berücksichtigen und umzusetzen.“
Es ist offensichtlich längst keine Frage mehr, ob eine Transformation der europäischen Städte zu „Smart Cities“ stattfinden soll, sondern nur noch, wie dieses Ziel schnellstmöglich erreicht werden kann. Im Juni 2020 wurde von der European Commission der Zwischenbericht des Ausschusses für klimaneutrale Smart Cities „100 Climate-Neutral Cities by 2030 – by and for the Citizens“ herausgegeben. Warum die EU ein besonderes Augenmerk auf Städte richtet, wird hier wie folgt begründet:
„Städte bedecken etwa 3% der Fläche der Erde, verursachen aber etwa 72% aller globalen Treibhausgasemissionen. Hinzu kommt, dass die Städte schnell wachsen; in Europa werden Schätzungen zufolge bis 2050 fast 85% der Europäer in Städten leben. Städte sind auch der Schmelztiegel, in dem Dekarbonisierungsstrategien für Energie, Verkehr, Gebäude und sogar Industrie und Landwirtschaft nebeneinander bestehen und sich überschneiden.“
Im September folgte dann der Abschlussbericht der Europäischen Kommission. Schon der erste Satz gibt die Richtung vor:
„Die Einführung einer Klimastadt-Initiative [Climate City Mission] ist ein radikaler neuer Weg, um Klimaneutralität zu erreichen – und zwar schneller, nämlich bis 2030.“ Als Ziel wird auf Seite 7 zusammengefasst: „Unterstützung, Förderung und Präsentation von 100 europäischen Städten bei ihrer systematischen Umstellung auf Klimaneutralität bis 2030. Diese Städte sollen zu Experimentier- und Innovationszentren für alle Städte werden und so eine Vorreiterrolle beim Europäischen Green Deal und bei den Bemühungen Europas, bis 2050 klimaneutral zu werden, übernehmen.“
In diesem Zusammenhang ist schließlich noch der Jahresbericht 2021 der UN zu nennen. Im Vorwort betont UN-Generalsekretär António Guterres:
„Die Weltgemeinschaft ist bei der Verfolgung der Ziele für nachhaltige Entwicklung an einem entscheidenden Punkt angelangt. Die globale Pandemie dauert seit mehr als einem Jahr an und hat Millionen Menschenleben gefordert. Ihre menschlichen und wirtschaftlichen Folgen sind beispiellos, und die Wiederherstellungsmaßnahmen sind bisher ungleichmäßig, unausgewogen und nicht ausreichend auf eine nachhaltige Entwicklung gerichtet. Die aktuelle Krise gefährdet Jahrzehnte des Fortschritts im Entwicklungsbereich, verzögert den dringenden Übergang zu grüneren, inklusiveren Volkswirtschaften noch mehr und rückt die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele in noch weitere Ferne. Wäre der mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung angestrebte Paradigmenwechsel in den letzten sechs Jahren vollzogen worden, wäre die Welt besser auf die Krise vorbereitet gewesen – mit leistungsfähigeren Gesundheitssystemen, erweitertem Sozialschutz, einer aus größerer gesellschaftlicher Gleichheit erwachsenden Resilienz und einer gesünderen Umwelt. Die Erreichung der Ziele lag unglücklicherweise schon vor COVID-19 nicht auf Kurs. Zwar gab es Fortschritte bei der Armutsbekämpfung, der Gesundheit von Müttern und Kindern, dem Stromzugang und der Geschlechtergleichstellung, doch waren sie zu gering, um die Ziele bis 2030 zu erreichen.“
Der „Green Deal“ dominiert alles
Als Perspektive gibt Guterres an:
„Dennoch können die Länder die Agenda 2030 und das Übereinkommen von Paris über Klimaänderungen (2015) noch verwirklichen, wenn sie der globalen Solidarität einen Schub verleihen und Führungsstärke auf höchster politischer Ebene zeigen. Ein dringender erster Schritt ist ein globaler Impfplan, aufgestellt und umgesetzt von den Ländern, die Impfstoffe entweder bereits herstellen oder dies mit entsprechender Unterstützung bald tun können. Darüber hinaus bedarf es zwingend einer erneuerten Verpflichtung von Regierungen, Städten, Unternehmen und Branchen auf einen Wiederaufschwung, bei dem der CO2-Ausstoß gesenkt, die natürlichen Ressourcen geschont, bessere Arbeitsplätze geschaffen, die Gleichstellung der Geschlechter gefördert und wachsende Armut und Ungleichheit bekämpft werden.
Wie dieser Bericht zeigt, sind auch hochwertige Daten unabdingbar, denn sie helfen den Entscheidungsverantwortlichen zu verstehen, wo Investitionen am wirksamsten sind. Die Datenerhebung lässt sich jedoch nur verbessern, wenn mehr Finanzmittel aus internationalen und inländischen Quellen dafür bereitgestellt werden. Die Herausforderungen sind enorm, doch besteht auch Grund zur Hoffnung. Die COVID-19-Krise stellte die bewundernswerte Resilienz von Gemeinschaften unter Beweis, zeigte die heroischen Anstrengungen systemrelevanter Arbeitskräfte in einer Vielzahl von Berufen und gab den Anstoß für die rasche Ausweitung des Sozialschutzes, die Beschleunigung des digitalen Wandels und eine bisher einzigartige weltweite Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Impfstoffen. Eine bessere Zukunft ist möglich. Wir müssen die Krise nutzen, um unsere Welt umzugestalten, die Agenda 2030 zu verwirklichen und unser Versprechen gegenüber der heutigen und kommender Generationen zu halten.“
In diesen Kontext wird nun auch das Ziel 11 („Nachhaltige Städte und Gemeinden“) auf Seite 48 gestellt: „Im Zuge der Überwindung der Pandemie entsteht die Chance, städtische Räume als Zentren eines nachhaltigen und inklusiven Wachstums zu sehen und auszugestalten.“
Die in diesem Artikel angeführten Veröffentlichungen stellen lediglich einen repräsentativen Ausschnitt aus der Fülle des offiziell verfügbaren Materials dar, das sich auf den Seiten der UN, der EU und verschiedener Bundesministerien finden lässt. Als Gesamtbild ergibt sich der Eindruck, dass europäische Kommunen immer mehr in einem Korsett agieren, das aus Vorgaben der UN und der EU besteht, die dem „Green Deal“ dienen. Außerdem wird auf allen Ebenen das immer gleiche Vokabular wiederholt, bis es mit der Zeit von den meisten vermutlich so selbstverständlich verinnerlicht sein wird, dass keine grundsätzlichen Fragen mehr gestellt werden. Denn natürlich wäre zu hinterfragen, ob Städte tatsächlich mit global vorgegebenen Richtlinien am besten fahren und ob es sinnvoll ist, dass der „Green Deal“ die Kommunalpolitik derart dominiert.
Testlauf für ein Belohnungssystem: Bonuspunkte für Wohlverhalten
Aktuell fand vom 26. bis 27. April das „Smart Cities Marketplace Forum“ unter dem Motto „Towards a just and clean urban transition“ in Brüssel statt. Im Mittelpunkt stand das persönliche Vernetzen zwischen „öffentlichen und privaten Partnern“ vor Ort, doch es gab auch einen Livestream. Am ersten Tag wurden in mehreren Panels die politischen Aspekte diskutiert, am zweiten Tag die finanziellen. Das Forum wurde mit einer Rede von Kadri Simson, der EU-Kommissarin für Energie, eröffnet. Sie sprach von einer „radikalen Transformation“, deren Motor die „klimaneutralen Städte“ sein könnten. Auch Paula Pinho, Leiterin der Abteilung „Gerechter Übergang, Verbraucher, Energieeffizienz und Innovation in der EU-Generaldirektion Energie“, betonte, dass die Städte „Real-Life-Labore“ werden könnten, um so bald wie möglich unabhängig von fossilen Energien zu werden.
Im Panel warf Adelheid Byttebier, die Vize-Bürgermeisterin von Schaarbeek, die Frage auf, wie viele Bürger wohl wirklich am Wandel teilnehmen wollen, und nannte als Beispiel dafür, wie die Akzeptanz der Digitalisierung bei den Bürgern erhöht werden könnte, das Thema Parkplatzsuche: Wenn das Parken am einfachsten über das Smartphone organisiert und bezahlt werden könne, könnten Münz-Parkuhren abgebaut werden. Der Bürgermeister von Tartu, Raimond Tamm, wies darauf hin, dass auch durch die derzeit steigenden Energiepreise die Menschen leichter vom nötigen Wandel zu überzeugen seien. Am zweiten Tag hielt Eero Ailio, Berater im Generaldirektorat für Energie der Europäischen Kommission, die Eröffnungsrede, in der er die Reduktion des Energieverbrauchs anmahnte und ein Kostenkalkül aufstellte: Für eine Stadt mit 100.000 Einwohnern würde es eine Milliarde Euro kosten, um bis 2030 klimaneutral zu sein. Im anschließenden Panel wurden Wege zur Beschleunigung der Klimaneutralität diskutiert.
Das nächste Groß-Ereignis ist der „Smart City Expo World Congress“ vom 15. bis 17. November in Barcelona. Und während auf den Meetings der zahlreichen „Smart City“-Initiativen über Maßnahmen zur beschleunigten Umsetzung des „Green Deals“ in den Städten diskutiert wird und eine unüberschaubare Flut von entsprechenden Publikationen entsteht, soll in Bologna noch in diesem Jahr die „Smart Citizen Wallet“ implementiert werden.
Dabei handelt es sich um ein Belohnungssystem, in dem die Bürger Punkte für Wohlverhalten wie etwa Mülltrennen oder die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel auf ihrem Smartphone sammeln können. Die Teilnahme ist freiwillig. Noch.