Bei der Landtagswahl in Brandenburg haben drei Parteien gewonnen: Die AfD, das BSW und die SPD, oder? Das stimmt bei der SPD nicht ganz: Ministerpräsident Dietmar Woidke hat eher gegen die eigene Partei gesiegt.
Es ist heutzutage schon eine kleine Sensation, wenn nach einer Landtagswahl die SPD mit einem Zuwachs abschneidet. Gegenüber 2019 hat die Partei tatsächlich 4,7 Prozentpunkte gewonnen und kam auf 30,9 Prozent. Damit konnte sie sich knapp auf dem ersten Platz halten, vor der AfD, die bei 29,2 Prozent landete, aber sogar 5,7 Prozentpunkte hinzugewinnen konnte. Demgegenüber verlor die in Brandenburg ohnehin schon schwache CDU noch einmal 3,5 Prozentpunkte und kam lediglich auf 12,1 Prozent. Sie war bislang Koalitionspartner von Woidkes SPD. Woidkes zweiten Koalitionspartner, die Grünen traf das Urteil der Wähler noch härter. Der Verlust von 6,7 Prozentpunkten senkte ihr Ergebnis auf 4,1 Prozent, womit die Partei nicht mehr im Landtag vertreten ist.
Ob die Grünen nunmehr ein Opfer des Woidke-Wahlkampfs wurden oder vor allem für ihre Politik in der Ampel abgestraft wurden, darüber kann spekuliert werden. Der dritte Ampel-Partner, die FDP, kam jedenfalls nicht einmal mehr auf ein Prozent der Wählerstimmen. Zu den Verlierern gehören auch die Freien Wähler, die es nicht wieder in den Landtag schafften, und die Linke. Die SED-Erben flogen mit 3 Prozent erstmals aus einem ostdeutschen Landtag.
Dafür gelang der von ihr abgespaltenen Partei von Sahra Wagenknecht wie auch in den Wahlen zuvor in Sachsen und Thüringen erneut ein früher undenkbarer Erfolg für eine erstmals angetretene Partei: 13,5 Prozent. Und wieder wird sie als Mehrheitsbeschaffer für eine Landesregierung gebraucht.
Entspanntere Regierungsbildung als in Sachsen und Thüringen?
Doch die Regierungsbildung in dem nunmehr Vierparteien-Parlament dürfte entspannter werden als in Sachsen und Thüringen, denn es ist nur eine Koalition aus SPD und BSW denkbar. Und das wäre auch ohne Brandmauer nicht anders. Über die muss in Potsdam gar nicht diskutiert werden, denn selbst wenn es eine Bereitschaft in der CDU gäbe, mit der AfD zu kooperieren, hätten beide Parteien keine Mehrheit der Sitze. Auch einer Partnerschaft von AfD und BSW würde noch ein Abgeordneter zur Mehrheit fehlen. Und für eine Große Koalition aus SPD und AfD gäbe es keine Grundlage, denn schließlich gibt es im Landtag eine knappe linke Mehrheit, da liegt die Bildung einer linken Regierung selbstverständlich näher.
Auch wenn man sich in Brandenburg die Brandmauer-Debatten sparen könnte, gehört die demonstrative Abgrenzung zur AfD für viele Politiker inzwischen offenbar zu einem Ritual, auf das sie nicht mehr verzichten möchten. Und eines hat die ausgegrenzte Partei auch in Brandenburg geschafft: Sie hat die Sperrminorität erreicht. Alle Entscheidungen, die Zweidrittelmehrheiten benötigen, sind auch in Potsdam ohne AfD nicht mehr möglich.
Als herausragendster Wahlkämpfer und Wahlsieger in Brandenburg trat aber der SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke auf. Vielleicht war das jetzt eine etwas zu platte Anspielung darauf, dass der 1,96 Meter große Politiker sein preußisches Gardemaß als langer Kerl zum Wahlkampfinhalt machte, indem er sich mit dem Slogan „Brandenburg braucht Größe“ plakatieren ließ. Mit seinem Aussehen warb er auch auf einem Plakat mit den Worten „Wenn Glatze, dann Woidke“.
Und inhaltlich? Viel war von Stabilität und natürlich der „Rettung der Demokratie“ die Rede. Was sollte der Ministerpräsident auch konkret versprechen? Solange er nicht wusste, mit wem er koalieren kann bzw. muss. Und auch jetzt wird sich ja erst noch zeigen, welchen Koalitions- und Kooperationsbedingungen der Wagenknechte er sich unterwerfen wird.
Ein Schatten auf dem Glanz des Siegers
Einige Dinge stachen in seinem Wahlkampf allerdings als ungewöhnlich heraus. Zum einen die stets wiederholte Ansage, er werde nur dann als Ministerpräsident eine Regierung bilden, wenn seine SPD bei der Wahl Platz eins erreicht, also vor der AfD landet. Das wirkte vergleichsweise geradlinig. Wie ernst Woidke das mit seinem Rückzug wirklich meinte, muss er ja nicht beweisen, da er mit dieser etwas erpresserischen Wahlwerbung im Anti-AfD-Lager erfolgreich war. Und den Fernsehzuschauern blieben am Wahlabend wenigstens solch peinliche Auftritte erspart wie die, mit denen der Thüringer CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt drei Wochen zuvor seinen zweiten Platz am Wahlabend als Sieg feierte, schließlich wäre seine Partei doch die stärkste unter den schwächelnden Parteien der „demokratischen Mitte“ geworden.
Seinen ohnehin angeschlagenen bisherigen grünen Regierungspartnern nahm er noch weitere Stimmen ab, aber das passte auch zu seinem Wahlkampf mit möglichst großer Distanz nicht nur zur Ampel-Regierung, sondern auch zur eigenen Partei bzw. deren Parteiführung. In Brandenburg sollte der Genosse Kanzler bitte nicht zum Wahlkampfauftritt erscheinen. Und von Woidkes Wahlkämpfern wurde auch gefordert, dass die SPD-Vorsitzende Saskia Esken bitte bis zur Wahl nicht mehr in Talk-Shows auftreten möge.
Woidke hat diese Wahl im Lande Brandenburg gewonnen, aber nicht die SPD. Der Ministerpräsident hat es geschafft, bei seiner Wahl trotz SPD oder vielleicht sogar gegen die Bundes-SPD Stimmenzuwächse zu mobilisieren. Und er hatte unerwartete Wahlhelfer.
Es dürfte auch ein Alleinstellungsmerkmal sein, als wahlkämpfender SPD-Ministerpräsident von einem CDU-Ministerpräsidenten unterstützt zu werden. Sachsens amtierender Landesherr Michael Kretschmer pries seinen Brandenburger Kollegen an, als hätte er vergessen, dass seine dortigen CDU-Parteifreunde auch zu dieser Wahl angetreten waren.
Doch der Glanz des Sieges des Ministerpräsidenten, der weite Teile der Wahlberichterstattung am Sonntagabend überstrahlte, verlor auch etwas an Strahlkraft. Sein Direktmandat im eigenen Wahlkreis hat Woidke knapp an den AfD-Konkurrenten verloren. Sieben Stimmen Vorsprung sollen den Ausschlag gegeben haben.
Erleichtert weiterwursteln?
Woidke wird sich nun an die Regierungsbildung machen und kann dies geräuschloser tun als die CDU-Kollegen in Sachsen und Thüringen. Die Debatte über den Umgang mit der immer stärker werdenden AfD wird aber weitergehen. Wann steht eigentiich die Ausgrenzungs- und Brandmauer-Politik ob ihrer Erfolglosigkeit zur Disposition? Die verschafft der AfD offensichtlich immer weiteren Zuwachs. Und was die Brandenburg-Wahl auch wieder zeigte: Die Partei gewinnt Zuspruch bei den Jüngeren.
Das wird gern damit erklärt, dass die AfD so geschickt im Umgang mit den sogenannten sozialen Medien wäre und die Jüngeren deshalb besser erreiche. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass viele von ihnen die negativen Folgen der unkontrollierten Migration stärker spüren als die Älteren und sie eher angesichts der sich verschlechternden Wirtschaftslage und dem drohendem Wohlstandsverlust Zukunftsängste plagen, als wegen des politikbestimmenden Klimawandels.
Wenn die politischen Verantwortungsträger jetzt nach dieser Wahl erleichtert wieder von den heiklen Themen lassen und ins bequeme Weiterwursteln wie bisher zurückfallen wollen, verschaffen sie der AfD jedenfalls weiterhin Wachstum.
Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.