Erich Wiedemann / 27.03.2020 / 12:00 / Foto: Malene Tyssen / 45 / Seite ausdrucken

Der schwedische Sonderweg

Lugn som en finbunke. Das ist schwedisch und heißt: Ruhig wie ein Sauermilchtopf. Der Spruch kennzeichnet den aktuellen Gemütszustand des größeren Teils der schwedischen Bevölkerung. Sie nimmt die Corona-Lage ernst. Aber sie lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen. 

Fast alle Läden, Restaurants und Kneipen in Stockholm sind in den Stoßzeiten ziemlich voll. Man muss Glück haben, um abends im Stockholmer Opern-Café einen Sitzplatz zu ergattern. Im malerischen Stadtteil Gamlastan, da, wo Politlegende Olof Palme gewohnt hat, sind tagsüber immer noch viele Touristen unterwegs. Und die Fähren im Schärengarten tuckern gemütlich wie immer in der Ostsee und im Mälaren-See herum.

Stockholm im Gelassenheitsmodus, keine Kontaktsperren, keine Ausgangsbeschränkungen. Schweden ist eines der wenigen Länder der Erde, die im Corona-Krieg nicht alle Möglichkeiten der Restriktion ausgeschöpft haben.

Ministerpräsident Stefan Löfven lehnt die Politik der harten Hand ab, ebenso wie offenbar die Mehrheit seiner zehn Millionen Landsleute. Er rät, von Reisen abzusehen und sich, soweit möglich, in den eigenen vier Wänden aufzuhalten. Wer die Möglichkeit dazu hat, soll im Homeoffice weiterarbeiten. Ja, doch, man hält Abstand in den Parks und auf den Straßen, aber das öffentliche Leben ist nicht eingeschränkt. Löfven hat gesagt, er setze statt auf Zwang auf die Vernunft der Bürger. Eine famose Maxime. Aber wie lange ist sie durchzuhalten? 

Für die Alten ist es besser, daheim zu bleiben

Löfvens rotgrüne Regierung hat auch auf eine Einreisesperre verzichtet. Sie hat ihre Bürger sogar dazu aufgefordert, draußen die Frühlingsluft zu genießen. Vor allem die Kinder dürften nicht in den Wohnungen abgeschottet werden. Sie räumt immerhin ein, dass es für die Alten besser ist, daheim zu bleiben.

Mein Freund Jörg, Ex-Banker, der seit Jahrzehnten in Stockholm lebt, hat sich eisern an die Warnung gehalten, noch bevor sie ausgesprochen wurde. Seine Stadtwohnung hat er seit Wochen nicht verlassen. Das luxuriöse Chalet auf der Ferieninsel Ljusterö mit einem paradiesischen Blick auf einen Fjord hat er ebenso lange nicht betreten. Er sagt, man dürfe nichts riskieren. „Es geht jetzt ums Überleben.“ Er ist immerhin 85. Die Frage, ob die Regierung das Richtige tut, um ihn zu schützen, lässt er offen.

Die skandinavischen Nachbarn sind entgegen aller grenzübergreifenden Solidarität verwundert bis schockiert. Dänemark, Finnland und Norwegen beurteilen den schwedischen Sonderweg skeptisch. Die Fernsehbilder vom Remmidemmi beim Après-Ski in den schwedischen Wintersportorten haben erbostes Unverständnis ausgelöst.

Die Behörden haben bis Anfang der Woche über 2.500 Infizierte und 42 Corona-Verstorbene registriert. Die Zahlen sind nicht so weit vom europäischen Mittel entfernt. Doch die Dunkelziffer ist erheblich, weil nur Patienten mit starken Symptomen getestet werden. Dass die Infektionskurve bisher eher moderat angestiegen ist, mag allerdings auch daran liegen, dass die Skandinavier traditionell auf größerer Distanz leben als etwa die Südeuropäer. Umarmungen und Küsschen zur Begrüßung sind hier nicht üblich. 

Immer noch alle 16 Skilifte in Betrieb

Jedoch die Kritik an der Corona-Politik nimmt Fahrt auf. Im Netz wird die Gesundheitsbehörde mit Hasskommentaren überschüttet. „Wir dürfen nicht zulassen, dass sich das Elend von Wuhan und Bergamo in Schweden wiederholt“, kommentiert auch „Dagens Nyheter“, die größte Zeitung des Landes. Jedes Menschenleben sei wertvoll. Die bisherigen Maßnahmen seien nicht streng genug. Was in Schweden zur Zeit passiere, sei sowas wie der „Tanz auf dem Deck der Titanic“ schrieb ein Leser. 

Sofia Leje, die leitende Ärztin des Ski-Hotspots Are am Aresjön-See, befürchtet, dass sich die berüchtigte „Virenparty“ im österreichischen Ski-Resort Ischgl, die halb Europa mit Infizierten überschwemmt hat, hier wiederholen könnte. Das sehen hier einige Hoteliers, Gastronomen und Barbesitzer auch so. Sie haben freiwillig geschlossen.

In Are sind immer noch alle 16 Skilifte in Betrieb. Und der große Boom kommt erst noch. Die Buchungslage bei den Hotels ist für die bevorstehenden Osterferien leicht rückläufig. Doch notorische Skihaserln lassen sich ihre Gaudi von Corona nicht vermiesen.

Noch nie hat sich ein Erwachsener bei einem Kind angesteckt

Auch Grundschulen und Kindergärten bleiben erst mal geöffnet. Nur die Oberstufen der Gymnasien und die Universitäten haben auf Fernunterricht umgestellt. Anders Tegnell, der ebenso heftig kritisierte wie bewunderte erste Epidemiologe des Königreiches, der jeden Tag um 14 Uhr die neuesten Zahlen und Erlasse vorträgt, rechtfertigt die liberale Fasson so: Die Weltgesundheitsorganisation WHO habe angeblich keinen Fall dokumentiert, in dem sich ein Erwachsener bei einem Kind angesteckt habe. Weiß er mehr als die Medien?

Tegnells Kampfkalkül basiert auf zwei Grundregeln. Erstens: Ältere und gesundheitsschwache Bürger streng isolieren. Also auch keine Besuche von Kindern und Enkeln. Zweitens: Wer an sich auch nur leichte Symptome feststellt, soll zu Hause bleiben. Menschen ohne Symptome seien dagegen nicht ansteckend. Alle weiteren Maßnahmen hält er für überflüssig. Tegnells Empfehlungen laufen letzten Endes auf die britische „Herdenimmunität“ hinaus. Das heißt de facto: eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, hier die Jungen, da die Alten.

Die Frage, wie sinnvoll Anders Tegnells Strategie war, wird wohl erst beantwortet, wenn die Pandemie vorbei ist. Nur, dann hat sie sich erledigt. 

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S.Niemeyer / 27.03.2020

@Michael T. Heck: Nachtrag: Echte Hunde fliehen oder beißen böse Herrchen/Frauchen - das zur Ehrenrettung der Hundis.

Holger Sulz / 27.03.2020

Nun, Schweden ist ein linksdebiler Sonderfall. Allein schon, daß sie überhaupt testen, ist lediglich dem Umstand geschuldet, daß es die übrige Welt auch tut und wie man erwarten konnte, werden die Ergebnisse nicht veröffentlicht, sämtliche Zahlen über die Verhältnisse in Schweden sind deshalb reine Kaffeesatzleserei. Wie man wissen könnte, besteht ein Gutteil der “Schweden” mittlerweile aus buntestem Volk moslemischer Couleur, das sich natürlich die gewohnte Lebensweise nicht nehmen läßt und weiterhin in Rotten plündernd, vergewaltigend und Corona verbreitend durch die Straßen zieht. Es ist kein Zufall, warum im benachbarten Finnland in der überwiegend von Schwedischstämmigen bewohnten Westprovinz Uusimaa die Schotten ziemlich radikal dichtgemacht wurden. Ich wünsche von Herzen den Schweden ein Stelldichein an ziemlich vielen Särgen. Daß im von sozialistischen Phantasmen durchdebilisierten schwedischen Volk davon eine Erweckung ausgeht, ist allerdings unwahrscheinlich. In Schwedistan besteht eine ähnliche Koalition einer “linken Volksfront” wie hier, die die Schwedendemokraten von allem ausschließt, somit keinerlei Veränderung der politischen Verhältnisse zu erwarten ist. Wir wollen hoffen, daß die Epidemie ziemlich viele Gretas endlich dem Erstickungstod preisgibt und es den Ursurpatoren moslemischer Provinienz nach dem Kollaps einfach zu kalt und dunkel da ist, wenn ihr Madenleben nicht mehr rundum luxuriös durchfinanziert wird. Hätte was, die Idee, dieses wunderschöne Land dann neu mit evolutionär fortgeschrittenerer Intelligenz zu besiedeln… 

S.Niemeyer / 27.03.2020

@Michael T. Heck: Danke!!! Das Strategiepapier des dt Innenministers mit dem Slogan “Hammer&Dancing;” sieht ja schon “Isolationsanlagen” für Infizierte vor. Wer meint, den einzig wahren Weg zu kennen und aller Welt anraten zu müssen, sieht vielleicht nur das eigene Spiegelbild in der Glaskugel.

Emma W. in Broakulla, Schweden / 27.03.2020

S. Wenzel - Vielleicht haben Sie heute hier bei achgut den Artikel von Elisa David gelesen und können sich daher ein Bild davon machen wie in Deutschland getestet wird. Es war hier in diesem Beitrag auch nicht zu lesen dass es keine Probleme gibt sondern das Schweden einen anderen Weg einschlägt. Auch in Schweden ist die Situation natürlich sehr angespannt. Ob der eingeschlagene Weg richtig ist weiss man erst im Nachhinein. Ich würde es mir wünschen da ich in Schweden lebe. Die Schuldirektorin welche die Kinder Ihrer Nichte nicht in der Schule haben wollte hat damit doch vernünftig gehandelt.

Jens Richter / 27.03.2020

@Peer Munk: Time will tell, wie man auf gut Deutsch sagt. Aber das gegen den Strom schwimmen ist schon schick. Wenigstens haben die Schweden Möbel und mit ihren Neu-Schweden klappt’s auch gut. Das Gegenteil dessen, was der “Mainstrem” so macht, ist übrigens nicht notwendig richtig. Fragen Sie Ihren Mathematiklehrer.

Henri Brunner / 27.03.2020

Eine Nachtigall macht noch längst keinen Sommer. Auch wenn die Schweden sich vernünftiger verhalten als der Rest von Europa - angesichts eines Bruchteils der sonstigen Toten - sollte man nun nicht gerade in das Hohelied einstimmen. Mag sein, dss die Schweden hier vernünftiger sind. Aber im ganzen Rest ja wohl eher nicht. Man wird dann ja sehen, ob die Zahl der schwedischen Corona-Todefälle (in Summe) die Zahl der armen vergewaltigten (ich würde da eher sagen: durchgeknallten) armen Schwedinnen übertrifft. Dann wirds kritisch, denn richtig zu sterben ist ja schon eine andere Hausnummer als jammern ohne zu leiden.

W.Schneider / 27.03.2020

Die Schweden akzeptieren offenbar nicht das Fliegenargument.

Gesine Keel / 27.03.2020

Nein, Herr Sebastian Bauer, ich will nicht überheblich sein. Ich kenne zwei Gesundheitssysteme - das britische und das deutsche.  Das britische System ist mehr planwirtschaftlich organisiert. Das deutsche Gesundheitssystem kann durch seine marktwirtschaftliche Aufstellung besser auf Änderungen reagieren.  So würde ich das mal beschreiben. Ich weiß so gut wie nichts über das schwedische Gesundheitssystem. Die Nachrichten aus Spanien (YT siehe 23.03.2020 Dr. John Campbell) haben mich sehr betroffen gemacht. Und die Maßnahmen, die Frau Broakulla beschreibt, klingen doch sehr vernünftig. Das ist im Grunde der Weg, der hier auch hier beschritten wurde - allerdings exzessiver als in Schweden. Ich sehe im Moment keinen Exit aus diesem Dilemma.

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