Hubert Geißler, Gastautor / 28.12.2022 / 14:00 / Foto: Pixabay / 19 / Seite ausdrucken

Der Schrauber ist wieder da

Es gibt in unserem Land eine Schicht, über die, oder besser über deren zunehmendes Fehlen, viel geschrieben wird: Die sogenannten Fachkräfte, Techniker, der gut ausgebildete Teil der produktiven Arbeiterschaft, hier kurz „Schrauber“ genannt. Wir nehmen die Serie im neuen Jahr wieder auf. Aus Gründen.

Manche Achgutleser erinnern sich vielleicht. Es ist zwar schon Jahre her, dass meine Berichte über das Schrauberleben meines Bruders, seine Beobachtungen aus dem alltäglichen Wahnsinn des deutschen Arbeitsalltags und seinen Erlebnissen als Monteur in diversen Ländern durchaus freundliches Interesse fanden: War doch der „Schrauber“ so etwas wie das unbekannte Wesen, unverzichtbar, aber in der Regel nicht beachtet, fristete er sein Dasein in Öl und Schmierfett.

Das hat sich seither gründlich geändert. Wie damals beschrieben, tendierte die Zahl der Schrauberpopulation nach unten, und sobald das offensichtlich wurde, beklagte eine konsternierte Gesellschaft den „Fachkräftemangel“, der zunehmend Wohlstand und Produktion bedrohe. Gleichzeitig schaffte es die Bildungskrise ins öffentliche Bewusstsein (Teile der Kinder scheinen ins Analphabetentum abzugleiten, MINT-Fächer werden nicht studiert, von den Adepten von Genderstudies und Völkerrecht ist kein korrektes Bedienen eines Schraubenschlüssels zu erwarten), Corona störte den gewohnten Gang der Geldvermehrung erheblich, und am Ende rissen auch noch die Lieferketten.

Wie ging es mit meinem Bruder weiter? Schon lange klagte er über gesundheitliche Probleme wegen Überlastung: Ständige Montageaufträge im Ausland mit langen Anfahrtswegen, Überstunden und eine seiner Meinung nach nicht adäquate Bezahlung bewogen ihn zu kündigen. Mit ihm verließen weitere kompetente Kräfte die Firma, die im Übrigen jetzt vor der Liquidation steht. Ob ein Verkauf gelingt und die Arbeitsplätze zu retten sind, steht in den Sternen. Energiekosten, das allgemeine wirtschaftliche Umfeld und besonders die Unmöglichkeit, zeitnah wichtige Bauteile zu organisieren, lassen Befürchtungen aufkommen.

Einige der „Dissidenten“ gründeten nach ihrem Weggang eine kleine, aber feine Firma, die sich mit der Auftragskonstruktion spezieller Maschinen beschäftigt, aber im Grunde auch jeden Schrauberauftrag annimmt, was aufgrund der Tendenz großer Firmen, Aufgaben outzusourcen, nicht schwierig erscheint. Die „Buben“, wie sie mein Bruder nennt, fragten bei ihm an, ob er Lust hätte, bei ihnen zu schrauben. Mein Bruder nahm eine halbe Stelle, damit kommt er finanziell bestens über die Runden. Und die „Buben“ scheinen auf dem richtigen Weg zu sein. Für die Verwaltung reicht eine einzige Person, die Frau des Programmierers. Das Klima ist familiär, Entscheidungsprozesse kollegial mit minimalem Organisationsaufwand. 

Geradezu witzig ist dabei, dass nunmehr schon zwei ältere Kollegen meines Bruders Teilzeit dort arbeiten, die „Rentnergang“. Man kennt und mag sich, man hat gemeinsame Erinnerungen und man vertraut der Kompetenz des Anderen. Einer, ein Siebenbürger, arbeitete in Atomkraftwerken in Rumänien. Nach seiner Übersiedlung nach Deutschland werkelte er als einfacher Schrauber. Den anderen kennt mein Bruder schon aus seiner Lehrzeit: Alles beste Voraussetzungen, dass die Arbeit nicht nur „flutscht“, sondern geradezu Spaß macht, was überhaupt ein Teil der Motivation der „Rentnergang“ zu sein scheint. Das Ganze könnte fast ein Modell sein, wie sich die Interessen von Alt und Jung vereinbaren ließen: Flache Hierarchien, eingespielte Teams, wenig unnötiges Papier.

Diese Art von Republikfluchtgedanken

Was spricht nun der Schrauber, während er den Schlüssel bewegt? Um es kurz zu machen: Die gegenwärtige Politik, vor allem die Energiepolitik wird für komplett wahnsinnig gehalten. Die diesbezüglichen Argumente spare ich mir hier, bei „Achgut“ sind sie ausführlichst dargestellt worden. Bemerkenswert ist ein genereller Vertrauensverlust gegenüber dem politischen Personal. Man sieht nur Inkompetenz und ideologisches Denken.

Interessant vielleicht noch eine Aussage des Gründers der kleinen Firma: Er hoffe, dass ihr Betrieb Erfolg habe, aber wenn nicht, würde er ohne Bedenken auswandern, am liebsten in die USA; bestimmt ein Typ, der überall mit Handkuss genommen wird. Diese Art von Republikfluchtgedanken habe ich auch selbst erstaunlich oft von gerade jüngeren, gut ausgebildeten Leuten gehört, was einen schon bedenklich stimmen kann. Das früher scherzhafte „Wer zahlt unsere Rente“ könnte in Bälde eine unangenehme Bedeutung bekommen. Von Entlassungen hört man bisher wenig. Noch wird technisches Personal gesucht.

Angesichts der Tatsache, dass auch sonst allenthalben Arbeitskräfte fehlen, beklagt sich die Schrauberschaft, soweit sie mir bekannt ist, über die Alimentierung der Schutzsuchenden, ohne diese zu beschäftigen und sieht darin ein Gerechtigkeitsproblem. Dazu kommt noch, dass das Bürgergeld nicht unbedingt als beschäftigungsfördernd gesehen wird. Mein Bruder meint, die Sache wäre einfach zu lösen: Bis 3000 Euro müsste ein Gehalt einfach steuerfrei sein, um zur Arbeitsaufnahme zu motivieren. Früher, in den 60-ern hätten Arbeiter kaum Lohnsteuer bezahlt. Im Grunde ist sogar mein Bruder ein Beispiel für diese mangelnde Motivation. Er meint, er wolle nicht voll arbeiten, ihm würde sowieso zu viel wieder abgezogen und sinnlos von unserer Regierung in der ganzen Welt verteilt. Auch seine Gang-Kollegen könnten mehr tun, wollen aber nicht, weil es sich nicht „rentiert“.

Inflation ist ein Thema, die offiziellen Zahlen werden als zu niedrig eingeschätzt. Energie im Privaten beschäftigt weniger. Viele Schrauber haben ihre Eigenheime wie Wagenburgen mit Holz umgeben: „Das reicht mindestens drei Jahre.“ Überhaupt, der Satz „Für uns wird es noch reichen, aber dann?“ fällt erstaunlich oft. Interessanterweise habe ich den auch in einem ganz anderen Zusammenhang von jüngeren Leuten gehört, die meinen, die Klimakatastrophe werde erst die Generation nach ihnen treffen, nicht sie selber. Dies als vorläufige Wasserstandsmeldung nur zum Beginn von "Schrauber II". Detaillierte Eindrücke aus dem realen, bundesrepublikanischen Arbeitsleben erscheinen ab nun in lockerer Folge.

Hubert Geißler stammt aus Bayern war Lehrer für Kunst/Deutsch/Geschichte. Die beschriebenen Situationen sind realistisch und gehen auf Gespräche mit seinem Bruder, einem Machinenbautechniker, zurück.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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giesemann gerhard / 28.12.2022

Nein, nein, wenn er klug ist, bleibt er für immer fort. Schrauben für die Deppen? Don’t fuck with me.

RMPetersen / 28.12.2022

Ein Fundstück aus dem Netz dazu: “Frei nach Kennedy: Frage nicht was dein Land für dich tut! Frage lieber was es für andere Länder tut!”

giesemann gerhard / 28.12.2022

Was geht uns das an? Heult doch! Ja Mann. Gruß Giesemann.

Thomin Weller / 28.12.2022

Fachkräftemangel, zum Piepen. Für Politiker sind schon Regalauffüller top Fachkräfte. Millionen arbeitslose Menschen stehen paar tausend offenen Stellen gegenüber. Manch Firmen hatten den Auftrag hunderttausende offene Fake-Stellen dem Arbeitsamt zu melden. Das wird gerne immer wieder ausgeblendet. Die einzige “Fachkräfte” die Deutschland benötigt, sind die Billigen, als Lohndrücker. Ein Blick auf das Portal miese-jobs, Arbeitsunrecht und andere wie Steuermythen zeigen was real abläuft. Und heute eine Jubelmeldung aus der Rentenkasse. Dank Pandemie haben sie 2.1 Milliarden Gewinne “erwirtschaftet”. Da erhalten die Volkszertreter wohl einen Boni. Schrauberausbildung kostet Geld, fast die gesamte Wirtschaft hat diese Verantwortung dem Staat vor die Füße gekippt. In Universitäten wurden noch nie handwerkliche Fertigkeiten-Fähigkeiten vermittelt. Die Universitäten dienen in Deutschland hauptsächlich dem Bruttosozialprodukt, die Studenten gehen mit Schulden, nicht selten um 50k€ ins Berufsleben. Bildung ist eine Ware geworden. Und die KfW finanzierte lieber geächtete Waffen für Despoten und Diktatoren. “Du machst kein Sinn, nur Geld”.

Andreas Rochow / 28.12.2022

... bis alle Schrauber das Land verlassen haben und durch immigrierte Fachkräfte ersetzt worden sind. In der DDR war der “Unterrichtstag in der Produktion (UTP)” und die “Einführung in die sozialistische Produktion (ESP)” obligatorisch. Der Ossi wusste aus Erfahrung dass handwerkliche Betätigung und Ingenieurwesen Spaß machen können. Die Einheit Klimawatt ist ein Symptom der grassierenden bequemen Verblödung! (Hier Grüße an ADN-dpa!) Die stinkfaulen Spinner, die davon träumen, dass “Digital” und “Künstliche Intelligenz” es künftig richten werden, sind ein Gewächs der alten grünlinken Bundesrepublik, die glaubt, dass Landesgrenzen für den Fachkräftemangel verantwortlich seien.

Sam Lowry / 28.12.2022

Was außer den Schraubern heute fehlt: Die Mutigen, die Macher, die, die nicht nur zuschauen, wenn etwas gemacht wird oder gar die, die am Ende dumm fragen, was eigentlich passiert ist. Im Volk wie auch im Kanzleramt. Ein winziges Beispiel aus einem Youtube-Video, das ich gestern abend sah: Da kommt eine halbverdurstete Cobra zu jemandem. Was MACHT er? Er füllt einen Becher mit Wasser, setzt sich auf einen Stuhl, stellt den Becher zwischen seine Beine und die Königs-Cobra trinkt daraus. Mit einer Hand filmt er die Szene auch noch, ohne zu zittern oder zu wackeln. Oder man Google “Michael Lenny Skutnik”...

Johannes Schumann / 28.12.2022

Richtig, die Pauschalbeträge bei der Einkommenssteuer müssen drastisch erhöht werden. Bei uns hat eine Afrikanerin eine Ausbildung gemacht, die nach Höhen und Tiefen im Leben mit Mitte 30 bei uns Beginn. Sie hatte auch schon einen Sohn. Als sie fertig war, wurde sie übernommen. Sie zeigte mir ihre erste Gehaltsabrechnung: “Das hätte ich ja gleich in Hartz IV verbleiben können.” - Sie war bass erstaunt, was da alles abgezogen wurde. Ist schon einige Jahre her, aber ich habe ihr die Flausen ausgeredet und sie ist immer noch bei uns. Arbeit bedeutet schließlich auch gesellschaftliche Teilhabe und es ist einfach zu kurzfristig gedacht, nur auf den kurzen Vorteil (Stütze abgreifen und faulenzen) aus ist. Das Problem ist aber, dass die Politik es einen schwierig macht, sich für das objektiv richtige zu entscheiden. Momentan ist der Grundfreibetrag etwas größer als 10000 € p.a. Müsste man erhöhen auf 30000 €. Viele Probleme wären gelöst. Hartzer, die schwarz arbeiten, muss man umso stärker nachstellen, gleichzeitig auch da Angebote schaffen, dass sich Zuverdienst lohnt, es offiziell betrieben wird und so eine Perspektive entstehen kann.

PALLA Manfred / 28.12.2022

+ + + wg. “. . . am liebsten Auswandern in die USA” !?! - dazu “meine” aktuellste Auswertung: - > “132” Mio. Einwohner in “1940” - “179” in “1960” - “226” in “1980” - “281” in “2000” und der Zensus “2020” ergab dort “331” Millionen Armerikaner !!! - also alle “20 Jahre” ein P L U S von etwa “50” (Fünfzig) “STÄDTEN” wie K Ö L N !!! - ist das was ?!? - in “2013” teilten sich dort “33” Menschen übrigens EINEN Quadrat-Kilometer (Tsd. mal Tsd. Meter) !!! - und WER hier noch eine AHNUNG von “Technischer Qualität” verspürt, wird dort ‘ne schlimme CORTEX-Krise erleiden (un-behandelbar) !!! - + + + - und beim Begriff “WOHL-STAND” fehlt in der Mitte doch wohl “F Ü H L”  ;-)

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