Der Reichstag als Festung 

Von Jacques Offenburg.

Am 5. Dezember 1894 wurde der Schlussstein für das neue Reichstagsgebäude in Berlin gelegt. Im Wettbewerbsverfahren war der pfälzische Architekt Paul Wallot als Sieger hervorgegangen. Sein Entwurf überzeugte unter anderem deshalb, weil er der dominierenden Hauptkuppel vier markante Ecktürme hinzufügt hatte. Diese standen einerseits für die vier Königreiche Preußen, Bayern, Württemberg und Sachsen. Andererseits sollten sie in Anlehnung an frühneuzeitliche Schlossbauten Wehrhaftigkeit ausdrücken. 

Dieser zweite Aspekt wurde durch den bauplastischen Schmuck unterstrichen: Das Relief über dem Hauptportal präsentierte den heiligen Georg (mit Bismarcks Gesichtszügen) im Kampf gegen den Drachen. Von den beiden Supraporten der Kuppelhalle zeigte das eine den Reichsadler, der über einen erlegten Lindwurm triumphierte, das andere einen Löwen, der die Reichsinsignien bewachte. In derselben Funktion erschien der Löwe in einer Figurengruppe über dem südlichen Nebenportal. An den Giebeln der Seitenrisalite schließlich breiteten vier Adler ihre Schwingen schützend über der Kaiserkrone aus. Zugleich umklammerten sie mit ihren Fängen giftige Nattern und machten so die Reptilien unschädlich. 

Dem damaligen Betrachter vermittelten Architektur und Bildschmuck die Bereitschaft, das Reich gleichermaßen gegen äußere und innere Feinde zu verteidigen. Zugleich formulierten sie den Anspruch, das Böse zu bekämpfen – ob es nun in Form krimineller Strukturen die Gesellschaft bedrohte oder als persönliche Laster in jedem Einzelnen lauerte. 

Kein Sinnbild für Wehrhaftigkeit

Im Jahre 1961 beauftragte die Bundesbaukommission den Architekten Paul Baumgarten damit, das im Krieg schwer beschädigte Reichstagsgebäude wieder aufzubauen. Baumgarten ließ die Ecktürme in ihrer Höhe reduzieren und die figürlichen Elemente, die sich erhalten hatten, größtenteils abschlagen. Nach der Wiedervereinigung wurde eine Rekonstruktion des Figurenprogramms erwogen, dann aber verworfen. Die bundesrepublikanische Demokratie wollte sich vom ‚wilhelminischen Pomp’ der Kaiserzeit dauerhaft abgrenzen. Auch glaubte sie, derart martialischer Gesten nicht mehr zu bedürfen. 

Letzteres hat sich mittlerweile geändert. Am 18. Juli dieses Jahres berichteten mehrere Berliner Zeitungen, der Ältestenrat des Bundestages habe beschlossen, das Reichstagsgebäude an der westliche Hauptfassade durch einen zehn Meter breiten und zweieinhalb Meter tiefen Wassergraben zu schützen. Die übrigen Seiten sollten durch hohe Zäune gesichert werden. Besucher werden das Gebäude künftig nur noch über einen unterirdischen Tunnel betreten können. Die große Freitreppe mit dem Portikus und die dahinter liegende, Offenheit signalisierende moderne Glaswand würden zur bloßen Staffage.

Begründet werden die Sicherungsmaßnahmen mit der Gefahr von Terrorangriffen. Offen bleibt, ob die Abgeordneten glauben, sich vor den eigenen Bürgern schützen zu müssen, oder ob sie sich eher vor islamistischen Lastwagenfahrern fürchten. 

In jedem Fall würde der Reichstag zu einer Festung. Von diesem Erscheinungsbild ginge eine verheerende Botschaft aus: Dieselben Politiker, die für offene Grenzen plädieren und den Begriff der „Festung Europa“ zum Synonym für inhumane Abschottung erklären, schaffen sich nun im Herzen des Kontinents ihre eigene Festung. In dieser verschanzen sie sich wie der mittelalterliche Feudaladel in seinen Zwingburgen. Vor allem aber würde ein mit Gräben und Wällen befestigter Reichstag zum Memento einer höchst gefährdeten Gesellschaft und einer überforderten Politik. Ein Sinnbild für Wehrhaftigkeit wäre er nicht mehr.

Foto: Tim Maxeiner

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Leserpost

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Andreas Rühl / 20.07.2019

Hmmmm…. Und ich habe die Meldung fuer einen fake rechter Hetzer gehalten. Offenbar sind es die volksvertreter selbst, die mit allen Mitteln dafuer sorgen, dass Volk und die sog. Berufspolitiker sich immer mehr entfremdet. Terrorismus hin oder her, auf die Idee, den Reichstag in eine Wasserburg umzubauen, kann nur kommen, wer panische Angst vor der Welt und den Menschen hat, die er vertritt. Ein Akt der Kapitulation und ein Symbol der Hilflosigkeit. Die Damen und Herren haben zu Recht Angst, dass denjenigen, die von ihnen taeglich aufs neue hinters Licht geführt werden, ihnen ans Leder gehen koennten. Spätestens wenn die co2 Steuer kommt und jeden klar wird, wozu sie in Wahrheit dient.

Dietmar Blum / 20.07.2019

Würden sie den Wahlbürger nicht so mit Arroganz und Verachtung betrachten, sie könnten auf solche “Schutzmaßnahmen verzichten. Schon interessant, der “wilhelminische Pomp” kam ohne diese “martialischen Gesten” aus.  Mit nur einem Deut an Geschichtsbewußtsein wüßten sie, dass 1789 und 1989 keine Schutzvorrichtung half. Ich nenne dies Wagenburg- oder “Bunker"mentalität.

Fritz Hoffmann / 20.07.2019

Zugbrücke, unbedingt eine Zugbrücke. Die kleinen Ritter in ihren Kostümen mit ihren Plastikschwertern werden begeistert sein! Ein Traum für die ganz Kleinen.

Gabriele Kremmel / 20.07.2019

Besser kann man es nicht aufzeigen wie sich die deutsche Regierung selbst Lügen straft. Auf Grenzen kann man eben nicht verzichten, sie verschieben sich nur - in unserem Fall ins Innere. Die Regierung wird nun von ihrer verantwortungslosen und sicherheitsgefährdenden Politik eingeholt und verschanzt sich wie anno dazumal hinter einem Burggraben. Das kann man mit Fug und Recht als einen echten Rückschritt Richtung Mittelalter bezeichnen.

Wilfried Cremer / 20.07.2019

So ein Wassergraben schreit nach Deko: Flüchtlingsboote (angesägt von Sägefischen), Haifischflossen (Gummi), plantschende Migranten (echt), Nixen (echt und Gummi) etc.

Heinrich Moser / 20.07.2019

“Deutschland ist sicher!” Sprach’s, stieg in die gepanzerte Limousine und fuhr weg.

Leopold Hrdlitschka / 20.07.2019

Mein Gott, ist das erbärmlich. “Sie” schämen sich für gar nichts mehr. Gut, ganz ausschließen kann man nicht, dass Peter oder Karl-Heinz mit dem Vierzigtonner ankommen…

beat schaller / 20.07.2019

Getroffen Herr Offenburg! als ich die letzten Tage von diesem Vorhaben gehört hatte sind mir genau diese Gedanken durch den Kopf geschossen. Es ist tatsächlich so, dass die Politiker nun auch den gepanzerten Arbeitsplatz wollen für die “so demokratische und offene Gesellschaft. Aber keine Angst, das hilft vielleicht gegen Lastwagen der Goldstücke, aber es hilft dann eben auch, diese verantwortungslose Bande zu umzingeln und auszuhungern. Deutschland war ja schon immer bekannt für den Bau von Wagenburgen, auch im Urlaub. Es ist ja wirklich bezeichnend was sich da anbahnt. Bereits in Schweden ist gerade wieder ein Bericht erschienen zu den Zahlen der Schussabgaben und Toten durch Clans und es scheint sich zu bewahrheiten dass siech der Krieg der Ideologien langsam abzeichnet. Diese Entwicklungen scheinen nicht mehr so schnell umkehrbar zu sein. Aber die Frauentruppe scheint ja die Sache im griff zu haben? (an den mächtigsten dreien im Gruselkabinett würde ich mich allerdings nicht vergreifen) b.schaller

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