Rainer Grell / 04.10.2018 / 10:00 / 5 / Seite ausdrucken

Der Rechtsbruch hat viele Gesichter (4): Rettung und Rente

Bei der so genannten Griechenland-Rettung geht es im vorliegenden Zusammenhang nicht darum, wieviel sie Deutschland gekostet und wieviel es daran verdient hat. Wir sprechen hier ja über Rechtsbruch. Im Vordergrund steht die No-Bail-Out-Klausel, wie sie in Artikel 125 Absatz 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) festgelegt ist:

„Die Union haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen von Mitgliedstaaten und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein; dies gilt unbeschadet der gegenseitigen finanziellen Garantien für die gemeinsame Durchführung eines bestimmten Vorhabens. Ein Mitgliedstaat haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen eines anderen Mitgliedstaats und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein; dies gilt unbeschadet der gegenseitigen finanziellen Garantien für die gemeinsame Durchführung eines bestimmten Vorhabens.“

Artikel 122 AEUV lässt zwar bei „Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen“, die sich der Kontrolle des betroffenen Mitgliedstaates entziehen, „finanziellen Beistand“ zu, allerdings nur durch die Union, nicht aber durch Mitgliedstaaten.

Die Vorschriften gelten nach wie vor, werden aber ebenso wenig beachtet wie die vorgeschriebenen Sanktionen für die Verletzung der Maastricht-Kriterien (mittlerweile Artikel 126 und 140 AEUV), die Deutschland und Frankreich sowie weitere acht EU-Mitgliedstaaten mehrfach verletzt haben. Die FAZ vom 24. Mai 2016 titelte sogar in diesem Zusammenhang „Der Verstoß als Regelfall“. Und der österreichische Kurier vom 29. März 2013 hatte „75 Verstöße gegen Maastricht-Kriterien“ festgestellt.

Angesichts solcher Rechtsbrüche ist es schwierig, wenn nicht unmöglich, den Normalbürger auf den Rechtsstaat und auf „Europa“ einzuschwören, wie Politiker jeder Couleur dies immer wieder versuchen, vornehmlich in so genannten Sonntagsreden.

Außerdem reden Politiker gerne davon, sie müssten verlorenes Vertrauen zurückgewinnen. Wie aber soll das angesichts der Missachtung geltenden Rechts und etlicher Lügen, wie jüngst durch die Bundeskanzlerin bezüglich der „Hetzjagden“ in Chemnitz, je gelingen?

Rentenbetrug an DDR-Flüchtlingen

Die unermüdliche Vera Lengsfeld, ebenso hartnäckig CDU-Mitglied, wie Thilo Sarrazin in der SPD verharrt, hat am 21. Juli 2018 auf ein Thema aufmerksam gemacht, das sonst nicht allzu viel Aufmerksamkeit erregt hat.

Am 21. November 2016 berichtete der Deutschlandfunk über eine Demonstration „quer durch das Berliner Regierungsviertel“. Einer der Wortführer, Wolfgang Graetz, erklärte über Lautsprecher: „Wir sind Betroffene des Rentenbetruges. Und dies geschieht durch einen eklatanten Rechtsbruch.“ Der DLF erläutert: „Was die Demonstranten verbindet: Sie sind vor dem Ende der DDR in die Bundesrepublik übergesiedelt und sehen sich dadurch nun bei ihrer Rentenberechnung ausgebootet. Erst recht, wenn sie ihre Rente mit der von Menschen aus Reihen der Stasi und der SED vergleichen.“

Da kommt einem unwillkürlich der Vergleich zwischen den zahlreichen KZ-Häftlingen, die sich ihre Entschädigung teilweise mühsam gegen die Versorgungsämter vor den Sozialgerichten erstreiten mussten, wie das Christian Pross in seinem Buch „Wiedergutmachung“ (2. Auflage 2001) detailliert beschrieben hat. Gleichzeitig bezog die Witwe des berüchtigten Präsidenten des nationalsozialistischen Volksgerichtshofes Roland Freisler, Marion Freisler (geborene Russegger), bis zu ihrem Tod 1997 eine stattliche Rente. Diese wurde 1974 sogar um monatlich 400 DM erhöht, weil ihr verstorbener Mann auf Grund seiner fachlichen Qualifikation im Erlebensfall nach dem Krieg vermutlich „als Rechtsanwalt oder Beamter des höheren Dienstes tätig geworden wäre".

Manchmal hat man das Gefühl, Geschichte wiederholt sich doch.

Vera Lengsfeld schreibt auf ihrem Blog:

Über 20 Jahre andauernder Rechtsbruch im Rechtsstaat – Petition dagegen freigeschaltet: Die Bundesrepublik Deutschland sieht sich gern als mustergültiger Rechtsstaat und kümmert sich rührend um Flüchtlinge aus aller Welt. Seit über 20 Jahren aber verweigert sie ihren vor dem Mauerfall in die Bundesrepublik Deutschland aus der DDR geflohenen oder übergesiedelten Bürgern die Rentenanwartschaften, welche ihnen bei ihrer Einbürgerung nach dem Fremdrentengesetz zugesichert wurden.

Mir fehlt die nötige Sachkunde, um die Rechtslage beurteilen zu können. Aber nach alldem, was sich die Regierung Merkel bisher geleistet hat, halte ich den Vorwurf des Rechtsbruchs auf jeden Fall für plausibel.

Wird fortgesetzt. Im nächsten Teil widmen wir uns der „Flüchtlingskrise“.

 

Teil 1: Das Grundgesetz

Teil 2: Der Solidaritätszuschlag

Teil 3: Der Atomausstieg

Teil 5: Die „Flüchtlingskrise”

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Jens Breitenbach / 04.10.2018

“Artikel 122 AEUV lässt zwar bei „Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen“, die sich der Kontrolle des betroffenen Mitgliedstaates entziehen, „finanziellen Beistand“ zu, allerdings nur durch die Union, nicht aber durch Mitgliedstaaten.” - Das ist so falsch. Es steht den Mitgliedsstaaten der EU frei, aus eigenem Interesse finanziellen Beistand zu gewähren; der Artikel 122 verbietet es nicht. Wenn einzelne EU-Staaten der Ansicht sind, es sei besser, z.B. Malta selber durchzufüttern als den Russen oder Chinesen oder Arabern zu überlassen (und letzteren zu erlauben, einen EU-Staat faktisch zu kontrollieren), ist das durchaus im Einklang mit Art. 122 AEUV. - Ferner: Die Wortklauberei um Hetzjagden gehört nicht unter die Überschrift “Rettung und Renten”.

Karla Kuhn / 04.10.2018

“Erst recht, wenn sie ihre Rente mit der von Menschen aus Reihen der Stasi und der SED vergleichen.“ Genau so ist es mir als Erwerbsunfähigkeitsrentnerin gegangen. Als mein Anwalt gegen meine viel zu niedrige Rente Einspruch erhoben hat, wurde gesagt, wenn ich ein paar Jahre früher krank geworden wäre, wäre die Rente hochgerechnet wurden und ich hätte wesentlich mehr Rente erhalten. Das ist makaber, denn ein paar Jahren früher gab es die Therapie noch nicht und ich wäre gestorben. Aber die “glorreiche GRO-KO” möchte ja für die NEU erwerbsunfähigen Rentner ab 2024 nach und nach die Renten angleichen. NUR für die Neuen, wir anderen haben eben die A…karte gezogen. Gleichzeitig werden Millionen?, MILLIARDEN ? für Flüchtlinge ausgegeben, auch für diejenigen, die gar KEIN Bleiberecht haben und auch für die, die nicht arbeiten und die lt. OB Rapp auch “MITGESCHLEPPT” werden müssen. Ich frage mich, WIE lange der STEUERZAHLER sich das alles noch gefallen läßt !    “Da kommt einem unwillkürlich der Vergleich zwischen den zahlreichen KZ-Häftlingen, die sich ihre Entschädigung teilweise mühsam gegen die Versorgungsämter vor den Sozialgerichten erstreiten mussten, wie das Christian Pross in seinem Buch „Wiedergutmachung“ (2. Auflage 2001) detailliert beschrieben hat. Gleichzeitig bezog die Witwe des berüchtigten Präsidenten des nationalsozialistischen Volksgerichtshofes Roland Freisler, Marion Freisler (geborene Russegger), bis zu ihrem Tod 1997 eine stattliche Rente. Diese wurde 1974 sogar um monatlich 400 DM erhöht, weil ihr verstorbener Mann auf Grund seiner fachlichen Qualifikation im Erlebensfall nach dem Krieg vermutlich „als Rechtsanwalt oder Beamter des höheren Dienstes tätig geworden wäre ” DAS ist die PURE VERHÖHNUNG der OPFER !! Die Frau hätte nach Sibirien gehört !! Der Nürnberger Prozeß war für mich nicht gerecht, die RUSSEN hätten den Prozeß durchführen müssen !!

Wolfgang Kaufmann / 04.10.2018

Neben dem nationalen Recht errichten unsere Eliten eine obskure Parallelstruktur aus Unionsrecht. Und dann behaupten sie je nach Interessenlage den Vorrang des einen oder des anderen. – Sorry, wenn dieses Konstrukt die Bestimmtheit des Rechts aushebelt, ist mir der deutsche Rechtsstaat doch tausendmal lieber als das europäische Wolkenkuckucksheim.

Gabriele Klein / 04.10.2018

Anscheinend werden allerlei Volksabstimmungen zur Änderung des Grundgesetzes geplant. Hier machen die Initiatoren ganz genau das womit sie andererseits die Verhinderung der vom Volk begehrten Volksabstimmungen begründen: Sie stellen elementare Grundrechte zur Diskussion und ich gewinne hier den Eindruck dass das Grundgesetz durch allerlei Statements ersetzt werden soll, die Resolutionen ähneln und im Grunde das Grundrecht gefährden.  Ein Anwalt (Name vergessen) meinte einst in seinem Blog: Das Recht ist mit GUTEM GRUND fast durchweg negativ formuliert und NICHT positiv. Letzteres wäre totalitär.  Nun konnte ich zufällig Einblick nehmen in die “Gesetzesvorschläge” die zur Volksabstimmung in Hessen kommen:  Da stehen Dinge wie: 26c (neues GRUNDGESETZ Der Staat, die Gemeinden und Gemeindeverbände berücksichtigen bei ihrem Handeln das Prinzip der Nachhaltigkeit, um die Interessen zukünftiger Generationen zu wahren.  Oder:  Artikel 1 Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich, ohne Unterschied des Geschlechts, der Rasse, der Herkunft, der religiösen und der politischen Überzeugung, Hier ist folgender Zusatz gedacht: Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.  Ein völlig nutzloser und überflüssiger Absatz,  Alles, ist im Grunde in der ersten Version enthalten wenn man unterstellt dass Frauen Menschen sind u.s.w.  Mit GRUNDGESETZ und GRUNDRECHTEN hat dieses Geschwafel nichts mehr zu tun und ich sehe diese sogar dadurch gefährdet auch wenn es in “bester” Absicht verfasst sein mag. Selbst als juristischer Laie erkenne ich hier nur Mist bei dem elementares Recht zum bloßen Vorwand für irgendwelche politischen Ideen verkommt.

Gabriele Klein / 04.10.2018

Danke nochmals dass Sie sich diesem Thema annehmen. So wie sich mir die Sachlage darstellt bezahlt z.B. ein Rentner Jahrgang im Grunde doch selbst das ein was er entnimmt,  D.h.  das Geld der Nachfolgenden Generation sollte eigentlich gar nicht tangiert werden. Die Solidargemeinschaft kann sich doch auch auf einen Jahrgang beschränken, zumal man auch die Altersvorsorge komplett privat abdecken kann. Somit benötigen wir doch im Grunde gar nicht die “sogenannte” Pyramide die die Rente sichert.  Aber egal wie man es schlußendlich sieht, ich kann nicht nachvollziehen warum die Renten nun nur bis 2025 sicher sein sollen.  Dann, wenn ich die staatliche Rentenzahlungen mit jenen der privaten Anbieter vergleiche finde ich, den Unterschied zwischen dem Preis-Leistungsverhältnis schon eklatant….. Das Gleiche gilt für die Krankenkasse. Man wird gezwungen solange man verdient und die Kasse so gut wie nie benötigt jenseits aller Verhältnisse einzuzahlen. Bei Beginn der Rente, wenn das Einkommen dann dünn ausfällt versucht eben diese Kasse allerlei Gründe zu finden, die Leute dann, wenn sie die Leistung in Anspruch nehmen wollen einerseits loszuwerden, andrerseits sind sie aber zur Versicherung gesetzlich gezwungen wie man mir mitteilte.  Es tangierte mich selbst glücklicherweise nicht, aber ich war fassungslos ob der Vorgehensweise in der ich nur noch Plünderei erkennen kann. Zumal ich nun wiederholt erleben musste sowohl bei mir als auch bei andern, dass die Behandlung im Notfall gar nicht erfolgt, man muss sie einklagen. Und wie macht das ein Schwerverletzter? Was ich unlängst in 2 Krankenhäusern (und es waren noch die mit dem besseren Ruf) erleben musste war derart verheerend, dass ich selbst auf einen kleinen Routine Eingriff aus Risikogründen verzichte.  Aber dann stellt sich mir die Frage, wozu wird man eigentlich zur Kasse gebeten? Das Preis-Leistungsverhältnis verdient eine genauere Prüfung

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