Da wir im letzten Teil von Provisorium gesprochen haben, möchte ich noch den Solidaritätszuschlag erwähnen, liebevoll auch „Soli“ genannt. Er wurde zunächst durch das Solidaritätszuschlaggesetz (SolZG) vom 24. Juni 1991 eingeführt. Das Gesetz ist von erfrischender Kürze (nur fünf Paragraphen) und galt nur „für die Veranlagungszeiträume 1991 und 1992“. Wer darin nach dem Zweck dieser Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und Körperschaftssteuer (das ist die Einkommensteuer von juristischen Personen) sucht, der sucht vergeblich. Zur Begründung heißt es in der Gesetzesvorlage der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: „Vor dem Hintergrund der jüngsten Veränderungen in der Weltlage (Entwicklungen im Mittleren Osten [Kuwait, Irak], in Südost- und Osteuropa [Ostblock und UdSSR] und in den neuen Bundesländern [Wiedervereinigung]), die die Bundesrepublik Deutschland verstärkt in die Pflicht nehmen, müssen zur Finanzierung der zusätzlichen Aufgaben die Haushaltseinnahmen des Bundes verbessert werden.“
1993 und 1994 wurde mangels gesetzlicher Grundlage kein Solidaritätszuschlag erhoben.
Durch das Solidaritätszuschlaggesetz 1995 (SolzG 1995) wurde erneut ein Soli eingeführt, dieses Mal unbefristet, und zwar als Artikel 31 des „Gesetz(es) über Maßnahmen zur Bewältigung der finanziellen Erblasten im Zusammenhang mit der Herstellung der Einheit Deutschlands, zur langfristigen Sicherung des Aufbaus in den neuen Ländern, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Entlastung der öffentlichen Haushalte (Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms – FKPG – )“ vom 23. Juni 1993. Diese Regelung gilt bis heute.
In der Gesetzesbegründung heißt es:
„Die wichtigste wirtschafts- und finanzpolitische Aufgabe in Deutschland besteht heute in der Anpassung von Staat und Wirtschaft an die veränderten Bedingungen und Aufgaben nach Herstellung der Einheit. Mit dem Gesetzentwurf zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms wird ein Konzept vorgelegt, durch das die notwendige Anpassung im staatlichen Bereich vollzogen wird. Dabei geht es vor allem um
- die dauerhafte Finanzierung des Aufholprozesses in Ost-Deutschland,
- die Bewältigung der Erblastschulden der sozialistischen Herrschaft in der ehemaligen DDR,
- die gerechte Verteilung der daraus resultierenden Finanzierungslasten auf die öffentlichen Haushalte und
- die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte als Grundlage einer gesunden gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.“
Jahrzehntelanges Aufholen
Nun kann man durchaus die Frage stellen, ob 28 Jahre nach Herstellung der Einheit der „Aufholprozess in Ost-Deutschland“ nicht beendet ist, ja ob nicht die neuen Bundesländer vielleicht sogar besser dastehen als zumindest Teile der alten. Hierzu stellte die Bundesregierung am 30.09.2015 in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE fest:
„25 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung ist die Entwicklung der ostdeutschen Wirtschaft und des Arbeitsmarktes erfolgreich. Der Aufholprozess der vergangenen Jahrzehnte ist insgesamt beeindruckend, wenngleich noch nicht abgeschlossen.“
Sie überging dabei allerdings, dass der Soli keiner festen Zweckbindung unterliegt (anders als der „Solidarpakt“) und keineswegs ausschließlich für den Aufholprozess in Ostdeutschland eingesetzt wird (sonst wäre dieser vielleicht schon abgeschlossen).
Rechtstechnisch kann man daher in diesem Zusammenhang nicht von einem Rechtsbruch reden. Politisch drängt sich der Eindruck jedoch durchaus auf, wenn Geld, das für einen bestimmten Zweck gedacht war, mittlerweile für einen anderen verwendet wird und Regierung und Parlament sich hartnäckig weigern, daran etwas zu ändern. Aber wie heißt es so treffend: „Nichts hält länger als ein Provisorium“. Oder in der Version von Henry Miller („Wendekreis des Krebses“): „Aber auf dieser Erde ist, wie die Franzosen zu sagen pflegen, nichts dauerhaft – nur das Provisorium.“
Dagegen sieht das Gesetz über die Errichtung eines Fonds „Deutsche Einheit“ in § 11 Satz 1 vor: „Mit Ablauf des Jahres 2019 wird der Fonds aufgelöst.“ Warten wir mal ab, ob es dabei bleibt (in Baden-Württemberg gab es mal ein Gesetz [§ 25 Kreisreformgesetz vom 26. Juli 1971], durch das die vier Regierungspräsidien zum 1. Januar 1977 aufgelöst wurden. Bevor die Regelung in Kraft trat, wurde sie jedoch wieder aufgehoben. Heute haben die Regierungspräsidien mehr Kompetenzen denn je.
Wird fortgesetzt. Im nächsten Teil geht es um den Atomausstieg.
Teil 1: Das Grundgesetz
Teil 3: Der Atomausstieg
Teil 4: Rettung und Rente
Teil 5: Die „Flüchtlingskrise”