Jacques Offenburg, Gastautor / 04.07.2019 / 06:24 / Foto: Pixabay / 50 / Seite ausdrucken

Der nützliche Attentäter

Von Jacques Offenburg.

Am 23. März des Jahres 1819 suchte der Student Karl Ludwig Sand den Dichter August von Kotzebue in dessen Mannheimer Wohnung auf und tötete ihn mit mehreren Dolchstichen. Kotzebue galt als ein Sympathisant jener reaktionären Kräfte, welche die demokratischen und liberalen Bewegungen in ganz Europa zu bekämpfen suchten. Seine Ermordung, die im konservativen Bürgertum und erst recht im Adel großes Entsetzen auslöste, nahm der österreichische Staatskanzler Metternich zum Anlass, noch im selben Jahr auf einer Versammlung der deutschen Bundesfürsten in Karlsbad Beschlüsse durchzusetzen, die auf die Unterdrückung aller nationalen und liberalen Freiheitsbewegungen zielten: Auflösung der damals republikanisch-liberalen Burschenschaften, Verschärfung der Zensur, Lehrverbot für unliebsame Professoren und Ausbau des polizeilichen Überwachungsstaates.

Am schwersten aber wog die rigorose Verfolgung der sogenannten Demagogen. Hatte dieser Begriff unter Perikles noch für die Führer und Interessenvertreter des Volkes gestanden, so wurde er nunmehr im Sinne eines Volkverführers, populistischen Aufrührers und agitatorischen Hetzers gedeutet. Bekanntlich hatte Metternich diese restriktiven Maßnahmen schon seit längerem geplant, aber noch auf einen günstigen Anlass gewartet. Dieser bot sich ihm mit Sands Attentat.

Am 11. Mai 1878 gab der arbeitslose Klempnergeselle Max Hödel auf Kaiser Wilhelm I. mit dem Revolver mehrere Schüsse ab, ohne den Monarchen zu treffen. Bei Hödels Verhaftung fand die Polizei die Mitgliedskarten mehrerer Parteien, auch der sozialdemokratischen. Bismarck sah eine Gelegenheit, im Reichstag ein „Gesetz zur Abwehr sozialdemokratischer Ausschreitungen“ einzubringen. Der Antrag scheiterte jedoch. Nur drei Wochen später, am 2. Juni, verübte der promovierte Landwirt Karl Eduard Nobiling ein weiteres Attentat auf den Kaiser, das diesmal zu lebensgefährlichen Verletzungen führte. Nun konnte Bismarck die allgemeine Empörung nutzen und seine Sozialistengesetzgebung durchbringen. Die Sozialdemokraten wurden als „vaterlandslose Gesellen“ und Reichsfeinde gebrandmarkt. Arbeitervereine und Gewerkschaften wurden verboten, führende Funktionäre verhaftet. Viele Parteimitglieder wurden materiell entrechtet, am Arbeitsplatz verfolgt oder gar ausgebürgert.

Am 13. März 1881 verübte die sozialrevolutionäre Geheimorganisation Narodnaja Wolja („Volkswille“) einen Sprengstoffanschlag auf Zar Alexander II. Unmittelbar darauf kam es vor allem in Südrussland zu Judenprogromen. Diese Ausschreitungen erklärte Innenminister Nikolai Pawlowitsch Ignatiew damit, dass die vergleichsweise liberale und reformorientierte Politik des verstorbenen Zaren den Juden die Möglichkeiten gegeben habe, sich auf Kosten des Volkes zu bereichern. Verstärkt wurden diese Vorwürfe durch Pressekampagnen, an denen sich ausgerechnet auch die Organisation Narodnaja Wolja beteiligte.

In der Folge betrieb der neue Zar Alexander III. eine autokratische Politik, die auf nationale Homogenisierung, Deportation von Oppositionellen in sibirische Arbeitslager und Russifizierung der fremdsprachigen Volksgruppen (Polen, Balten, Deutsche) setzte. Um diesen Politikwechsel herbeiführen zu können, hatten die reaktionären Systemeliten die ursprünglichen Motive des Anschlags umgedeutet und dabei genau jene zu Sündenböcken gemacht (infamerweise unter Mitwirkung der eigentlichen Attentäter), die von der Politik des ermordeten Zaren am meisten profitiert hatten und für die es somit am wenigsten Grund für ein Komplott gab. Dennoch erließ Alexander III. gegen die Juden die sogenannten Maigesetze. Diese schränkten die Freizügigkeit und die Möglichkeit beruflicher Tätigkeit stark ein. Das Attentat bot also auch die hochwillkommene Gelegenheit, die in Russland seit dem 18. Jahrhundert virulente ‚Judenfrage’ zu ‚lösen’.

Kritiker als Feinde der Gesellschaft

Am 7. November 1938 suchte der polnische Jude Herschel Grynszpan die deutsche Gesandtschaft in Paris auf und erschoss den Botschaftssekretär Ernst vom Rath aus Protest gegen die widerrechtliche Deportation seiner Eltern aus Berlin sowie die allgemeine Diskriminierung der Juden in Deutschland. Diesen Vorfall instrumentalisierte Joseph Goebbels für die Rechtfertigung seiner Theorie einer jüdischen Weltverschwörung und für eine längst geplante ‚Strafaktion’ gegen die deutschen Juden, die dann zwei Tage später unter dem Namen ‚Reichskristallnacht’ stattfand – mit den bekannten weiteren Folgen.

Am 27. November 2017 verletzte der arbeitslose Werner S. den Altenaer Bürgermeister Andreas Hollstein, dem er an einem Dönerstand zufällig begegnete, mit einem Messer am Hals. Nach eigenen Angaben handelte der Täter aus Wut darüber, dass ihm die Gemeinde wegen Zahlungsunfähigkeit Wasser und Strom abgestellt hatte, während sie zugleich keine Kosten scheuen würde, illegal eingereiste Migranten zu versorgen. Die Presse versuchte, die im Affekt und unter Alkoholeinfluss begangene Tat, die zu einer 1,5 Zentimeter langen leichten Schnittwunde geführt hatte, zu einem lebensgefährlichen Attentat mit rassistischem Hintergrund umzudeuten. Jedoch blieb das negative Echo in der Öffentlichkeit, das man sich erhofft hatte, aus. Dieses ließ sich erst anderthalb Jahre später herstellen, am 2. Juni 2019.

An diesem Tag tötete nach gegenwärtigem Stand der Ermittlungen der mutmaßliche Rechtsextremist Stefan Ernst den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Dieser war in die Schlagzeilen geraten, weil er Kritikern der Merkelschen Migrationspolitik empfohlen hatte, das Land zu verlassen, was letztlich die (Selbst-)Ausbürgerung implizierte. Seit seinem Tod wird Lübcke in fast allen Medien als ein Verfechter der Menschenrechte gefeiert. Für seine Ermordung mitverantwortlich gemacht werden die Alternative für Deutschland, aber auch Konservative innerhalb der CDU. Sigmar Gabriel erklärte im Bundestag die Abgeordneten von der AfD sogar zu „Haupttätern“.

Als Konsequenz erwog der ehemalige Generalsekretär der CDU Peter Tauber, „Rechtsextremen“ (die er nicht näher definiert) bürgerliche Grundrechte zu entziehen, wozu die Presse-, die Lehr- und die Versammlungsfreiheit, das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis sowie das Eigentum gehören.

Darüber hinaus brandmarken immer mehr Repräsentanten des politischen und medialen Establishments die Kritiker der gegenwärtigen Regierung als Feinde der Gesellschaft, als populistische Hetzer und als Demagogen, die es sozial und politisch zu ächten und mit Berufsverboten zu belegen gelte.

Wie die Geschichte lehrt: Zur Bekämpfung des politischen Gegners braucht es einen Vorwand. Und manchmal ist der beste Vorwand ein Attentat.

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Alexander Mazurek / 04.07.2019

@Michael Stoll: Den Reichstagsbrand führt bereits 1938 Hermann Rauschning in “Die Revolution des Nihilismus” als “false-flag” Vorwand zur Machtübernahme an. Die Revolution des Nihilismus dauert an …

Alexander Mazurek / 04.07.2019

Die Medien per se waren nie “unabhängig”, sagte schon John Swinton 1883 im Twilight Club, NY. Noam Chomsky hat in “Manufacturing consent” fünf “Filter” vorgestellt, welche die Berichterstattung steuern. Ein Beispiel, welches dies verdeutlicht, ist der Fall Popieluszko aus Polen: Der Priester wurde durch die polnische Stasi ermordet. Darüber wurde unendlich lange, detailliert und an prominenter Stelle durch u.a. WaPo und NYT berichtet. Zur selben Zeit durch Sicherheitsbehörden der durch die USA unterstützten Regime in Mittel- und Südamerika begangene Morde von Geistlichen und Ordensleuten wurden hingegen verschwiegen oder Mal unter ferner liefen erwähnt. Warum diese Ungleichbehandlung? Nun, Opfer der Gegner gelten als “würdig”, Opfer der Freunde als “unwürdig”. Insoweit bestätigt auch dieser Fall Chomskys Propagandamodell und wir sollten uns freuen, wenn es (noch) alternative Medien gibt - wie gut, dass es Achgut gibt. Das öffentlich-rechtliche Konzept, welches eine Meinungsvielfalt garantieren sollte, wurde aber erfolgreich an die Wand gefahren. Schade. “Was geschehen ist, wird wieder geschehen, was getan wurde, wird man wieder tun: Es gibt nichts Neues unter der Sonne.”

Sabine Ehrke / 04.07.2019

‘Und manchmal ist der beste Vorwand ein Attentat.’ welches sich wunderbar von jenen einfädeln lässt, denen es dienen soll zur Bekämpfung des politischen Gegners.

Gert Köppe / 04.07.2019

Der Angriff auf den AfD-Politiker Frank Magnitz und andere Anschläge zeigt eine 180-Grad-Wende der Anschlagsrichtung auf. Könnte man ja jetzt genau so politisch aufblasen. Dann würde aber das linke Gesindel in der schmutzigen Täterecke stehen, das darf nicht sein, weil es nicht in das linke Weltbild passt. Attentate von links sind immer gut, weil sie einer guten Sache dienen. Da verfällt selbst der Verfassungsschutz in eine Art “Schockstarre”, die ihn handlungsunfähig macht. Anschließend tritt regelmäßig massiver Gedächtnisverlust, gegenüber politisch links motivierter Straftaten, ein. Man befolgt ja schließlich nur Befehle und Anweisungen von “oben”. So war es doch schon immer. Die Täter-Opfer-Umkehr besorgen dann die moralbesoffenen “Putzteufel” aus den “Staatsmedien”. Selber Schuld am Anschlag, immerhin ist er ein “Rechter”. Dieses Land wird von Idioten regiert (ruiniert) und noch mehr Idioten finden das noch toll. Deutsche sind mehrheitlich nicht im Stande, oder nicht Willens, aus der eigenen Geschichte zu lernen.

Sebastian Weber / 04.07.2019

“Zur Bekämpfung des politischen Gegners braucht es einen Vorwand. ” Stimmt. Wiederholt sich ständig. Und klappt (fast) immer. Hitler: Reichstagsbrand. Erdogan: Putsch (= “Geschenk des Himmels”). Und immer ist unklar, ob es die Protagonisten nicht selbst “angezettelt” haben ...

Karl P. Schlor / 04.07.2019

Ich spreche immer vom mangelhaften bzw. überhaupt nicht vorhandenem politischen Bewußtsein der Deutschen, meinen Landsleuten. Die “Angelegenheit Lübcke-Mobilisierung im Kampf gegen Rechts” spricht wieder einmal für meine These, die anglo-amerik. Umer= ziehung sowie der jahrzehntelange, aber doch erst seit 1990 außerordentlich scharfe Kampf gegen Patriotismus, vulgo “rechts” ge= heißen, hat meinen Landsleuten wirklich alle politisch-kognitiven Sinne vernebelt, sie sind allermeist Opfer der pathologischen Schuld= neurose geworden! Und alles aufgrund der diktierten Begriffsverwirrungen, z.B. mit dem Begriff “Populismus”, auch dieser wurde natür= lich negativ verfälscht. Was heißt er ins Deutsche übertragen? Fürs Volk, sollte man meinen, nein, unsere Großbösen machen daraus das Negativum “lügenhafte Argumentation im politischen Kampf, so sollen Völker gegen ihre demokratischen Herrscher mißbraucht werden”, also die positive “vox populi” wird eindeutig fehlbesetzt mit “rechter Hetze gegen unsere Gesellschaftsordnung, gegen unsere Verfassung!

Walter Knoch / 04.07.2019

Die Herrschaften hierzulqnde an den Schaltstellen politischer und publizistischer Macht wechseln je nach Gusto und eigenem Vorteil die Parameter wie Gräfin Friederike ihre Unterwäsche. Im übrigen bin ich der Meinung, man sollte sich - auch den Autoren auf der Achse hier anempfohlen - wieder einmal intensiver mit dem politischen Werden von Fischer, Trittin, Ströbele, Joscha Schmierer, Hans Joachim Klein (Putztrupppe) und all den übrigen, die erst in den K-Gruppen zuhause waren und dann die Grünen okkupierten, beschäftigen. Eine Geschichte von Huldigung des Totalitären bis hin zu den direkten Linien, die man so gerne als Finger am Abzug verortet.

Markus Rüschenschmidt / 04.07.2019

Es gibt einen Unterschied zwischen von Mächtigen (Politikern und ihren Helfern, den Medien und Globalisten) betriebener politischer Instrumentalisierung und der, die die mehr oder minder Ohnmächtigen (Opposition inner- und außerhalb des Parlaments),  wütend über einen Mord an einem Mitbürger, betreiben: Während die politisch Mächtigen IMMER Attentate, Morde, Kriegshandlungen missbrauchen, um ihre finsteren politischen Pläne zu verwirklichen, um Repression und Gewalt gegen zuvor auserkorene Feindbilder (Buhmänner) hemmungslos und “legitim” ausüben zu können (denn des machtbesessenen Menschen Seele ist eine Mördergrube, Sadismus, der Wunsch nach Folter, Qual am Mitmenschen und sich daran ergötzen zu können, ist das übermächtige Monster in ihnen), steht die im Grunde positive Intention der Ohnmächtigen dem klar entgegen. Wenn AfD-Politiker die nicht seltenen Messermorde etc. im BT zur Sprache bringen und viele Tausende Bürger protestieren, instrumentalisieren die solche Taten zwar auch, doch nur in der Hoffnung, die politisch Schuldigen und Verantwortlichen zum Umdenken zu bewegen, sodass weitere Morde evtl verhindert werden können. Deshalb goutiere ich die letztere Instrumentalisierung, während ich die politisch folgenreiche, generell mörderische Instrumentalisierung der politisch Mächtigen zutiefst und aus gutem Grund verachte!

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