Von Josef Hueber.
„Seid doch nicht so ungemütlich!“, empört sich Opa Hoppenstedt in einem der Sketche von Loriot, als er beim Auspacken der Weihnachtsgeschenke Familienprotest dafür erntet, dass er die Raumbeleuchtung deaktiviert, um seinen Plattenspieler anstöpseln zu können. Der Rest der Familie sitzt jetzt im Dunkeln. Empathische Anwallungen beim Zuschauer für den schon leicht verwirrten alten Mann verdrängen dabei zu leicht das Verständnis für den Anspruch der Familie, im Licht zu sitzen. Licht ermöglicht Orientierung.
Ungemütlich mag Angela Merkel es auch nicht. Vor allen Dingen dann nicht, wenn zu viel Licht in Form von ungemütlichem Journalismus auf sie gerichtet wird. In leichter Variation eines ihrer bekanntesten Zitate könnte sie gesagt haben: „Wenn mir der Journalismus kein freundliches Gesicht zeigt, dann ist das nicht mein Journalismus.“
Anne Will beispielsweise hat das kapiert und verinnerlicht. Deswegen macht sie auf gemütlichen Journalismus, wenn sie der Kanzlerin auf Frauenaugenhöhe gegenübersitzt. Lachfalten statt Stirnfalten künden bei den beiden Damen nicht von (unterschiedlich) fortgeschrittenem Alter, sondern von weitgehender Sympathie und ideologischer Übereinstimmung. Gelegentlich harmlose Stolperfallen in den Fragen sollen, beim kritischen Zuschauer erfolglos, so etwas wie investigativen Journalismus vortäuschen. Aber die Bohrtiefe Willscher Nachfragen und der nicht selten mitgelieferten suggerierten Antworten ist gering. Das lässt unsere Bevölkerungs-Kanzlerin den Fortgang des Interviews genießen, weil es erkennbar noch „ihr Journalismus“ ist.
Hochgezogene Augenbrauen und heruntergezogene Mundwinkel
Systemtreue Karl-Eduard von Schnitzlers gibt es also auch in der Bundesrepublik. Aber diese ihm nachfolgenden, jüngeren Leistungsträger des deutschen Journalismus blicken freundlicher drein als die grimmige, kurzsichtige Dogge selig aus DDR-Zeiten. Zumindest wahren bundesrepublikanische Medienclaqueure ihr Wohlwollen gegenüber (fast) allen Parteivertretern, es sei denn, dass sie mit als rechtspopulistisch stigmatisierten Vertretern inopportuner Meinungen konfrontiert sind. Dann, das weiß man aus den Talkshows, gibt es hochgezogene Augenbrauen und heruntergezogene Mundwinkel bei den ModeratorINNen sowie mit der Regie abgesprochene Abneigungsgarantie gegen die Unbequemen via Kameraeinstellungen.
Auf den "Heißen Stuhl", dem angriffslustigen Format von RTL, das schnellen Reaktionsbeweis erfordert, wo Merkel sich 1992 gut geschlagen hat, sitzt sie heute in den freundlich gewährten Interviews nicht mehr. Wenn auch das „Internet für uns alle Neuland“ ist ( Originalton Merkel beim Besuch Obamas in Berlin 2013), so kann man ihr nicht nachsagen, dass sie keinen Anpassungswillen an den Zeitgeist hat. Es gibt da die wöchentliche Ansprache an die Schon-länger-hier-Lebenden in Form eines Kanzlerin-Video-Podcasts (für die Neu-dazu-Gekommenen leider noch keine Untertitel in einfacher Sprache!). In dem jüngsten Interview vom 1. April geht es zur Sache. Pardon, nein, es wird nur der Eindruck erweckt, dass kritische Fragen zu den Problemen, was also aktuell zu „schaffen“ ist, gestellt und beantwortet werden.
Die Stimmung auf ihrer Plattform „Die Kanzlerin direkt“ ist – wie zu erwarten - gut und vor allem gemütlich. Merkel stellt sich der Frage: „ Wie steht es um die Flüchtlingsintegration?" Ihre Antworten sind gut verdaulich, gemütlich und sozialverträglich. Die Kanzlerin und der syrische Integrations-Journalist Hamdi Al Kassar stehen sich gegenüber und so herrscht also eher Studioatmosphäre als Wohnzimmer-Vertrautheit wie bei Anne Will. Aber trotz ausreichender Beleuchtung für die Kamera füllt den Raum nur intellektuelles Dämmerlicht, das die politischen Platzwunden der Kanzlerin nicht erkennen lässt. Zwei kleine Plastiken im Hintergrund, ein Mann und eine Frau, auf Stelen, werden deutlich ins Bild gesetzt, die Bedeutung bleibt ein Geheimnis.
Aufgabe des Journalismus ist es, die Mächtigen zu hofieren
Was dem Zuschauer zugemutet wird, ist das genaue Gegenteil von dem, was Wolfgang Herles in einem Interview mit dem Medien- und Kommunikationstheoretiker Norbert Bolz als die wichtigste Aufgabe des Journalismus definiert: die Mächtigen zu kritisieren. Stattdessen scheint in den Kanzlerinnen-Interviews ein konträres Verständnis der Zukunft zum Ausdruck zu kommen: Aufgabe des Journalismus ist es, die Mächtigen zu hofieren.
Die Botschaft des Podcasts ist der Generalbass des Interviews: In Deutschland gibt es nichts Strittiges. Auffällig anhaltendes und peinliches Dauer-Nicken sowohl der Kanzlerin als auch des Journalisten und dessen anbiederndes Grinsen lassen uns im Subtext hören, was Angela Merkel zwar neuerdings nicht mehr artikuliert, was aber in allen ihren Äußerungen noch mitschwingt: Wir schaffen das!
Optimismus ist angesagt. Unser syrischer Jung-Journalist ist ein Beweis dafür, dass Integration kein ernstes Problem darstellt und dass im Fachkräftemangel, Bereich Journalismus, eine Lücke schon vorzeigbar geschlossen ist. Merkels Gegenüber spricht meist verständlich Deutsch. Seine Eingangsfrage an die mächtigste Frau in Deutschland nach dem Stand der Dinge in Sachen Integration erfährt eine Antwort, die am Integrationserfolg nicht zweifeln lässt.
Sie „ werde in der nächsten Woche in der Tat drei Ereignisse haben“.
Ereignis Nr. 1 : Angela Merkel trifft sich mit Vertretern des 1. FC Köln, um zu erfahren, wie praktische Integration auf dem Bolzplatz aussieht, um zu sehen, „ wie das klappt“ mit der Integration. Dies sei „eine Initiative, die auch von Wirtschaftsvertretern unterstützt wird“.
Ereignis Nr. 2 ist ein Treffen mit Verbänden, die sich regelmäßig stark machen für die Integration. Mit ihnen werde sie über Probleme und Verbesserungen sprechen.
Ereignis Nr. 3 ist das wichtigste „ Ding“ (O-Ton) der nächsten Woche: das „Dankeschön an die vielen, vielen Ehrenamtlichen, die sich in Deutschland, als so viele Flüchtlinge kamen, nicht hingesetzt und kritisiert, sondern angepackt haben und "Menschen, die zu uns gekommen sind, geholfen haben.“
Die nächste investigative Frage unseres sympathischen syrischen Integrationserfolgs klingt schon etwas kritischer. Er habe im Gespräch mit syrischen Menschen erfahren müssen, dass sogar nach anderthalb Jahren viele Zuwanderer immer noch in Notunterkünften leben müssten und es schwierig sei, als „Flüchtling“ eine „eigene Wohnung“ zu finden. Könne so Integration gelingen?
Hausaufgaben für die Zuwanderer
Ja, sie wisse, dass es „schwierig“ sei, weit über eine Million Menschen, die es bisher nach Deutschland geschafft haben, anders als in Notquartieren unterzubringen. Deswegen müsse sie die neu Dazugekommenen „auch ein bisschen um Geduld bitten“. Die Geduld angesichts schleppender Wohnraumbeschaffung muss jedoch nicht überstrapaziert werden. Da hat die Kanzlerin eine Lösung, die nun doch in leichter Sprache an die Betroffenen vermittelt werden sollte.
Das Selbstverständliche an alle Ankommenden zuerst. Einhaltung der Gesetze, Toleranz, Offenheit, Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit – dies alles müsse geachtet werden. Dabei müsse man aber auch Verständnis haben, wenn unter diesen Werten unserer Kultur etwas ist, das man „nicht versteht“. Es ist legitim, dies auszusprechen: „Man kann sagen, wenn man etwas nicht versteht, aber man sollte (!) es achten und einhalten.“
Last but not least ein Vorschlag, dessen Umsetzung kaum Schwierigkeiten bereiten dürfte und auf viel Gegenliebe bei allen Beteiligten stoßen wird. Die neu Dazugekommenen sollten sich bei der Suche nach einer Bleibe nicht so sehr auf die Städte konzentrieren. Auf dem Lande sei es „vielleicht auf den ersten Blick etwas uninteressanter“, doch dort funktioniere Integration besser, weil sich dort „die Menschen besser um Flüchtlinge kümmern“ könnten.
Hausaufgaben für die Deutschen
Zuwanderung, das hört man nicht das erste Mal, ist keine Einbahnstraße. Wenn wir schon darauf Wert legen, dass die neuen Menschen neugierig auf unser Leben sind, dass sie sich an Gesetze halten, dann ist es eine Selbstverständlichkeit, dass auch wir „offen“ sind. „ Wir müssen verstehen, dass das eine fremde Welt ist, dass es andere Gebräuche, andere Traditionen, andere Schulen und vielleicht auch anderes Familienleben“ gibt. Und darauf müssen wir „zugehen“.
Vermutlich war die Zeit zu knapp, um der Kanzlerin direkt noch ungemütliche Fragen zu stellen. Aber mit ungemütlichen Fragen hätte der Journalist sicher die gute Laune der Kanzlerin verdorben. Und wer kann das schon wollen.
Josef Hueber, Germanist und Anglist, war Leiter der Fachschaft Englisch an einem Gymnasium in Bayern