Roger Letsch / 10.05.2023 / 06:00 / Foto: Pixabay / 153 / Seite ausdrucken

Der neue Bürgerrat: Auf diese Zufälle sind wir echt gespannt!

Bereits im September soll ein sogenannter Bürgerrat eingesetzt werden, der die Gesetzgeber beraten soll. 160 Personen sollen „nach dem Zufallsprinzip“ ausgewählt werden. Und wie geht das?

Bis zwei Zentimeter Silikon, bis zehn Zentimeter Bauschaum – so lautet ein nicht ganz ernst gemeinter Spruch aus dem Handwerk, wenn es um die Füllung lästiger Lücken in der Gebäudesubstanz geht. Und auch im Gebäude unserer Demokratie klafft offenbar eine Lücke, die der Füllung bedarf. Festgestellt wurde sie von denen, die sich gern als „Baumeister der Demokratie“ verstehen: unseren Politikern im Bundestag. Als ich erstmals von der Idee hörte, Bürgerräte sollten der Politik ratgebend beispringen, dachte ich, es handele sich um eine Posse vom Kaliber des geforderten Parlamentspoeten, der auf grünen Wunsch zur Weltenrettung der Politik die Harfe zupft. Schließlich sind es die Klimakleber, die derlei Sowjets seit einigen Klebeperioden fordern, und von denen ist man Gehabe gewöhnt, das eines Nero würdig ist, der das brennende Rom besingt.

Doch nun muss ich feststellen: Die ziehen das wirklich durch mit dem Bürgerrat, und ab September haben die Politiker die „Lücke“ endlich geschlossen. Ob die 160 zufällig ausgewählten und gleichzeitig handverlesenen Bürger eher Bauschaum oder Silikon sind? Vermutlich beides, gleichzeitig dämpfend, isolierend und durch Selektion beliebig formbar.

„Mit dem Bürgerrat holen wir die Meinung der Bürgerinnen und Bürger näher ans Parlament“, sagt der Grünen-Abgeordnete Leon Eckert und erschreckt damit nicht nur seine Wähler. Näher ans Parlament? Wie weit kann ein Abgeordneter, der als Drittplatzierter mit 18 Prozent der Wählerstimmen für Freising in den Bundestag einzog, denn von seinen Wählern entfernt sein, dass er über Dritte nach deren Meinung fragen muss? Oder ist gar Schlimmeres gemeint? Will man die Meinung der Bürger zwar „näher an das Parlament“ bringen, diese jedoch tunlichst draußen halten, bei den Domestiken?

Wozu die Lückenbüßer und Unterlegscheiben?

Wir müssen wohl in der Gebrauchsanweisung nachsehen, welche die Erbauer dieser unserer Demokratie und hinterlassen haben, dem Grundgesetz. Vielleicht finden wir das Füllsel für die Lücke zwischen Volkes Wille und dem Doppelwumms mit Wärmepumpe ja dort. Ein Rat ist dort schnell gefunden, doch handelt es sich dabei um den Bundesrat, den wir bekanntlich schon etwas länger haben. Und weil wir schon mal im Text sind, suchen wir doch gleich noch nach den anderen „beratenden Gremien“, ob deren Wortgewalt und parlamentarische Zitierhäufigkeit bereits von den Gründern dieser Republik kodifiziert wurde. Doch weder der Ethikrat, dem wir zu guten Teilen die Begründungen für Gentechnikverbot (Agrar), Atomausstieg und Gentechnik-Gebot (Impfung) verdanken, noch die Merkelsche Lockdown-Tafelrunde der Ministerpräsidenten sind dort zu finden.

Die Autoren des Grundgesetzes gingen naiverweise davon aus, dass eine positive Auswahl und vor allem die Wahl von Abgeordneten in die Parlamente des Bundes und der Länder genügen müsse, um Volkes Wille zur Geltung zu bringen. Wozu also all die Zwischenschritte, Lückenbüßer und Unterlegscheiben? Der SZ-Artikel gibt darüber keine Auskunft, sondern verwirrt seine Leser. Einen „neuen“ Bürgerrat bekäme der Bundestag, so steht da. Was ist denn aus dem „alten“ geworden? Den gab es nämlich nie, der Bundestag sollte vielmehr der Bürgerrat sein: eine Versammlung freier Bürger, die aus freien, allgemeinen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist, um für die Bürger zu sprechen und Gesetze in deren Interesse zu machen. Wer wie Bärbel Bas (SPD) nun behauptet, ein zwischen Wähler und Bundestag geschalteter Rat müsse da verbindend aushelfen, hält sich offensichtlich selbst nicht für Bürger genug, sondern für etwas Anderes, Höherstehendes. Doch wenn das mit der Repräsentanz nicht mehr klappt, wie im Grundgesetz vorgesehen, wozu braucht man dann noch diese Repräsentanten?

Der soziologische Mechanismus, der hier am Werk ist und den ich mangels Soziologiestudiums nicht benennen, sondern nur beschreiben kann, hat in diesem Land bereits byzantinische Ausmaße angenommen. Überall Gremien, Foren, Expertenräte und Agoras. Alle hängen über ein unsichtbares Mycel am Saft des Steuerzahlerholzes, verteilen Geld und verschieben Verantwortung. Die Expertokratie aus Beraterfirmen und Lobbyorganisationen ist dem Bürger spätestens seit Covid-Diktatur und Habecks Heiz-Hammer jedoch so suspekt, dass man nun auf den Bürger selbst zurückgreift.

Genügend Veganer und Vegetarier

Allerdings in seiner vereinzelten, eingehegten Form. Denn nicht Gevatter Zufall oder das Los entscheiden über die 160 Beraterplätze, sondern der heilige Proporzius, den die Politik anwendet, denn die Räte werden je nach Thema und „Beratungsbedarf“ möglichst „divers“ besetzt. Erstes Thema und Testballon, ob der Bürger überhaupt dazu taugt, die Politiker zu beraten, ist „Ernährung im Wandel“, womit nicht der natürliche Ablauf der Verdauung gemeint ist, sondern die politische Maßgabe, dass sich was ändern muss im Mund-Magen-Darmbereich. Man legt deshalb Wert darauf, dass unter den Ernährungsbürgerräten genügend Veganer und Vegetarier sind. Ob der Proporz auch Carnivoren, Spargelanten, Grünkohlianer und Laktoseintolerate einschließt? Ein Schelm, wer den Wandel stört!

Politik mag ein Eisberg sein, der sich zu 90 Prozent dem Blick der Öffentlichkeit entzieht, aber zumindest die sichtbaren medial-parlamentarischen zehn Prozent lassen Schlüsse auf das Zustandekommen von Entscheidungen zu. Doch wie öffentlich werden die Sitzungen der „Bürgerräte“ und deren Ratschlüsse sein? Wird es ein Lobbyregister für Bürgerräte geben oder werden die so „zufällig“ ausgewählt wie „Passanten“, die der WDR zu grünen Themen interviewt? Werden Kameras laufen, wenn von Politikern ausgewählte Experten den Bürgerräten empfehlen, was sie den Politikern raten sollten? Was sagt die Süddeutsche dazu?

„Der Bürgerrat werde einen „Blick auf die im Alltag bereits stattfindenden Umbrüche der Ernährung“ richten und die Perspektive der Bürgerinnen und Bürger einbringen. Thema soll auch die Rolle des Staates werden, etwa die Frage, inwieweit die Regierung mit Regelungen eingreifen soll.“

Na, liebe Leser, Appetit auf „Mitbestimmung“ bekommen?

 

Roger Letsch, aufgewachsen in Sachsen-Anhalt, als dieses noch in der DDR lag und nicht so hieß. Lebt in der Nähe von und arbeitet in Hannover als Webdesigner, Fotograf und Texter. Sortiert seine Gedanken in der Öffentlichkeit auf seinem Blog unbesorgt.de, wo dieser Beitrag auch zuerst erschien.

Foto: Pixabay

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Gus Schiller / 10.05.2023

Es war einmal ein Land, da gab es Bundestagsabgeordnete die tatsächlich selber denken und entscheiden konnten. Meist hatten sie einen Schulabschluss oberhalb der Klippschule manche sogar eine Ausbildung oder einen Beruf. Heute können nicht alle ihren Namen schreiben und ohne Beirat finden sie nicht in die Kantine um dort die beliebte Veggie-Bowl zu verzehren.      

L. Bauer / 10.05.2023

Wenn die grünen Manipulierer des Wortes wirklich näher am Bürger sein wollten, dann gibt es ganz einfache Lösungen. Nennt sich Volksbefragung, Volksabstimmung usw. Es ist der gezielte Umbau der rotgrüngelben Verbrecherbande in ein LaLa-Land für Doofies. Das zementieren der Macht durch abhängig gemachte Posten und tausende Stellen in Regierungs-NGOs, Instituten, Klimabüros, Stiftungen und solche Pseudoräte für Bürger, Ethik, Gesundheit und was sonst noch alles. Die Regierungsquote dürfte inzwischen locker über 50 Prozent liegen. Damit müsste klar sein, dass alle anderen, die nicht dazugehören, nur zum bezahlen derer existieren. Ändern können sie es bei dieser Quote per Wahl nicht mehr. Also wenn Sie hier nicht zum Staatsapparat gehören, dann sind Sie einer von diesen Deppen!

Frank Weichbrodt / 10.05.2023

Ist so ein Gremium wie der “Bürgerrat” überhaupt im Grundgesetz vorgesehen? Wenn nicht, dann wäre es klar verfassungswidrig und von daher nicht legal! Aber seit Herrn Habarth ist ja leider auch auf das BVerfG kein Verlass mehr…

Peter Thomas / 10.05.2023

W. I. Lenin sagte 1917: “Sozialismus, das ist SOWJETMACHT plus Elektrifizierung des ganzen Landes!” (Mein stets abrufbereites Schulwissen aus den 70er Jahren der DDR.) “Sowjets” heißt übersetzt “Räte”; gemeint waren “Arbeiter- und Soldatenräte”. Die GröKaz und ihre Rot-Grün-Links-Schwarze Einheitspartei haben heute daraus gemacht: “Sozialismus, das ist SOWJETMACHT plus Deelektrifizierung des ganzen Landes!” Man muß kein Hellseher sein, um zu erkennen, daß wir auf dem Weg in den Abgrund sind.  // Wer sich für eine Zeitzeugenstimme von 1917 interessiert: Iwan Bunin, “Verfluchte Tage”. War auch so ein Leugner.

Fred Burig / 10.05.2023

@Prof. Dr. Günter Roth:”....... Die Zufallswahl sichert grundsätzlich die repräsentative Zusammensetzung einer Auswahl/ Stichprobe. “.... Aber Herr Professor, sie wissen schon wie es weiter geht, wenn ein Satz mit “grundsätzlich” eingeleitet wird, oder? Und die Merkel ist ja auch noch nicht ganz außen vor - selbst wenn ihre Freude über die “bedeutenden Auszeichnungen” sie derzeit immer noch etwas von den aktuellen Themen ablenkt! Das mit dem “Rückgängigmachen” gehört schließlich seit ihrer demonstrierten „Eigenmächtigkeit“ quasi zum Regierungshandwerk .....  MfG

Sabine Schönfeld / 10.05.2023

@ Herr Neumann: “Warum darf das Volk nicht abstimmen und bei Wahlen nur für diejenigen seine Stimme abgeben, die von den Parteien (die an der politischen Willensbildung nur “mitwirken” sollen) vorausgewählt wurden?” Die Bürger würden sehr wahrscheinlich gegen einen Großteil der Gesetzesvorhaben dieser Regierung und der letzten Regierungen gestimmt haben. Und ein bundesweiter Volksentscheid zur aktuellen und letzten Masseneinwanderung, wie ginge er wohl aus? Der Bürger darf deshalb nicht mitbestimmen, weil man gegen ihn regiert. Sein Steuergeld hingegen, das nimmt man gerne.

Fred Burig / 10.05.2023

Oder meinen die nur das “Bürgerrad” - wo doch alle jetzt so in Fahrräder vernarrt sind ? Und wenn ich mich da geirrt habe, dann enden wir eben in einer “Räterepublik” - zurück in die Zukunft mit marxistischen und sowjetischen Regierungsmodellen ....... “Wacht auf Verdammte dieser Erde .....” MfG

Winfried Jäger / 10.05.2023

Sie halten uns für dumme Schafe, die Feinde und Abschaffer der Demokratie. Solange sie mehrheitlich gewählt werden haben sie recht.

j. heini / 10.05.2023

160 “Menschen”, die irgendetwas beraten, was wieviele Abgeordnete im BT nicht mehr nachvollziehen können? Weil sie nicht mehr wissen oder überhaupt noch nie gewußt haben, wie der normale Bürger denkt? Klar, die Parteien haben ja auch kein “Fußvolk”, das in den Gemeinden sitzt, in den Bezirken, in den Landtagen und wie all die politischen “Gremien” noch alle heißen. Ach so, die arbeiten alle und haben auch Zeit für und keine Ahnung vom Bürger? Wow. Keine Mitglieder. Kontakt zum Bürger bzw. zum Bewohner Ds nur, wenn PR-relevant? Nochmal wow. Kein Bürger hat irgendeinen BT-Abgeordneten dazu ermächtigt, ein mickriges 160 Leute Gremium aufzusetzen. Um den BT über mein Essen zu beraten.  Wo bleibt mein GrundG-Schutz? Und das BVerfGE sieht zu. Na ja, ihm sind halt die Hände oder vielleicht die Gehirne gebunden. Nur die Augen sind ihm nicht alle beide verbunden.

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