Anabel Schunke / 16.12.2017 / 06:25 / Foto: Anabel Schunke / 24 / Seite ausdrucken

Der muslimische Antisemitismus

Von Anabel Schunke.

Es ist Jahre her, als ich das erste Mal auf Teilnehmer einer der sogenannten „Free-Palestine-Demo“ traf. Das war nicht in Berlin, sondern in Goslar. Circa 50.000 Einwohner hat meine kleine Heimatstadt am Rande des Harzes in Niedersachsen. Für Aufmärsche gegen Israel und Juden reichte es dennoch. Einmal durch die gesamte Innenstadt liefen sie und skandierten dabei „Kindermörder Israel“ und andere Schlachtrufe, die man, wie ich heute weiß, standardmäßig auf jeder dieser Demonstrationen zu hören bekommt.

Auch in Berlin konnte man sie dieser Tage wieder vernehmen. Dazu Bilder von angezündeten Flaggen mit Davidstern. Für den normalen Menschen war das, was sich dort abspielte, kaum zu ertragen. Das „Volk von Antifaschisten“ wie Markus Günther die Deutschen einmal in einem Essay in der FAZ nannte, das die Lehren aus der eigenen Vergangenheit quasi zur Staatsräson erklärte, ein Land, das laut Bundeszentrale für politische Bildung über zweihundert Initiativen im „Kampf gegen Rechts“ verzeichnet, darunter unter anderem Kampagnen mit solch schönen Namen wie „Ficken gegen Rechts“ aus Berlin, blickt mit einem Mal ohnmächtig auf das Berliner Treiben, sieht tatenlos dabei zu, wie der Antisemitismus mehr als 70 Jahre nach Kriegsende wieder Einzug auf deutschen Straßen hält.

Antisemitismus von Menschen mit Migrationshintergrund ist eben nichts, was in das Weltbild der selbsternannten Kämpfer gegen Rechts passt. Das liegt bisweilen daran, dass der Kampf gegen Antisemitismus hierzulande längst durch einen weitgefassten Begriff des „Antirassismus“ ersetzt wurde, der sich vornehmlich auf die Verteidigung hier lebender Muslime konzentriert. Nazi ist nicht mehr länger derjenige, der israelische Flaggen anzündet, jüdische Kinder mit Böllern bewirft und an die große jüdische Weltverschwörung glaubt, sondern wer den Islam und die unkontrollierte Zuwanderung kritisiert. Dass die auserkorene Opfergruppe Nr. 1 in Deutschland mit einem Mal zum Täter wird, passt schlicht nicht ins antirassistische Konzept und ist schwer mit einem Weltbild in Einklang zu bringen, dass beim Thema Judenhass jahrzehntelang ausschließlich das Bild des deutschen Neonazis in Springerstiefeln zeichnete.

Das liegt unter anderem auch an Lehrplänen, in denen Antisemitismus zumeist nur dann behandelt wird, wenn es um die nationalsozialistische Vergangenheit geht. Judenhass ist an Schulen immer noch viel zu oft eine Schuld, die exklusiv den Nachfahren der Nazis vorbehalten ist. Ein Umstand, der an sich schon dafür sorgt, dass sich Schüler mit arabischem oder türkischem Migrationshintergrund nicht angesprochen fühlen und stattdessen lernen, wie man mittels Zweckentfremdung der Nazikeule die eigene Narrenfreiheit ausbauen kann. Rassisten können nur Deutsche sein. Ein Trugschluss, der die Deutschen angesichts des grassierenden migrantischen Antisemitismus nun teuer zu stehen kommt. Der uns ratlos zurücklässt, weil wir anders als beim „Kampf gegen Rechts“ kein Konzept, keine Antwort darauf haben.

Das Bild des unmündigen Fremden

Weil man sich schon schwer damit tut, die Tätergruppe überhaupt zu benennen, weil es den Widerspruch zwischen tatsächlicher historischer Verantwortung und ihrer missbräuchlichen Verwendung zur Legitimation der unkontrollierten Zuwanderung aus mehrheitlich islamischen Ländern aufzeigen würde. Es ist die Lebenslüge der Deutschen, die Muslime pauschal zu Opfern erklärt, die unseren uneingeschränkten Schutz und Verteidigung verdient haben, die in der Flüchtlingskrise noch einmal zugenommen hat und von der man sich auch angesichts der zuletzt in Berlin geschaffenen Fakten nicht verabschieden will. Sie ist es, die nicht nur die eigene Untätigkeit in Bezug auf den migrantischen Antisemitismus legitimiert, sondern auch die immer noch andauernde Flüchtlingspolitik, die Einwanderern – ob Asylgrund oder nicht, ob kriminell oder nicht – weitgehende Narrenfreiheit einräumt, ohne auch nur einen von ihnen die Konsequenzen seines Handelns spüren zu lassen.

Und hier zeigt sich der eigentliche Rassismus der Deutschen, der heute mehrheitlich nicht aus dem vermeintlich rechten Spektrum der Asyl- und Islamkritiker kommt, sondern aus dem linken. Es ist das Bild des unmündigen Fremden, der als bloßes Opfer der äußeren Umstände nicht die geringste Schuld an seinem eigenen Schicksal trägt. Der sich weder für die Situation in seinem Land, hier begangene Straftaten, noch für seinen Hass auf den Westen und Juden rechtfertigen muss. „Sollte ich hier auf der Straße einen Israeli oder einen Amerikaner treffen, wäre er tot. Ich schwöre auf meinen Gott", sagt Abdullah. Dass er dies völlig unverblümt mit Foto und Namen in der BILD tut, ist Auswuchs dieses seit Jahrzehnten praktizierten Umgangs der Deutschen mit ihren muslimischen „Mündeln“. Es ist zugleich Ausdruck dessen, dass die Vorstellung der Parallelgesellschaft längst nicht mehr ausreicht, um zu beschreiben, in welchem Verhältnis viele Muslime und Deutsche mittlerweile zueinander stehen. Dass die muslimische Parallelgesellschaft längst eine Gegengesellschaft ohne jegliche Berührungspunkte mit der Mehrheitsgesellschaft ist.

Eine Gegengesellschaft, in der Antisemitismus, anders als bei uns, nicht zur sozialen Isolation, sondern Integration führt. Ein Problem, das so viel länger schon besteht, als dieser Tage der Eindruck erweckt wird, und das mit dem Zuzug hunderttausender mehrheitlich muslimischer Asylbewerber weiter an Fahrt aufnehmen wird. Ein Problem, das darüber hinaus – um es deutlich zu sagen – nicht das Geringste mit der Trumpschen Entscheidung, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, zu tun hat, die nur ein weiterer vorgeschobener Grund ist, um seinen in die Wiege gelegten Hass auf Juden ungeschoren auf die Straße zu tragen.

Dass uns die antisemitischen Ausschreitungen dieser Tage dennoch als Reaktion auf Trumps Entscheidung präsentiert werden, ist weiterer Beleg dafür, dass man schlicht keine Antwort auf diesen Hass hat und deshalb nach dem im linken Millieu durchaus anerkannten Strohhalm der „Israelkritik“ greift, um dem widerwärtigen Antisemitismus zumindest ein wenig Legitimation zu verschaffen. Die Botschaft, die von ihm ausgeht, zu relativieren, um die Gemüter noch einmal für gewisse Zeit zu beruhigen.

Das Problem einer Gruppe der ganzen Gesellschaft anlasten

Eine weitere Möglichkeit ist, die Schuld schnell auf die ganze Gesellschaft auszudehnen, bevor jemand merkt, dass vor dem Brandenburger Tor und in Neukölln ausschließlich Araber und Türken standen. „Ein Armutszeugnis für Deutschland“ attestierte beispielsweise die BILD. Aber genauso wenig, wie ich mir eine Mithaftung für den Krieg in Syrien oder das Elend in Afrika anlasten lasse, lasse ich mir nun unterstellen, ich hätte irgendetwas mit den muslimischen Antisemiten in Berlin am Hut. Die Zeiten, in denen die kollektive moralische Geiselhaft zieht, sind ein für alle Mal vorbei. Die der Toleranz gegenüber muslimischem Antisemitismus auch.

In Frankreich richtete sich 2016 jede dritte rassistische Straftat gegen Juden, obwohl diese nur knapp ein Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. In Göteborg in Schweden verübten drei Männer, darunter ein 18-jähriger Syrer und ein 21-jähriger Palästinenser, einen Anschlag auf eine Synagoge. Auch in Schweden heißt es, „die Gesellschaft“ hätte ein Problem mit Antisemitismus.

Die Wahrheit ist jedoch, dass die zu uns importierte islamische Welt ein Problem mit dem Antisemitismus hat. Eine Umfrage unter 68 geflüchteten Männern und Frauen von 18 bis 52 Jahren aus Syrien und dem Irak spiegelt wieder, was man mit ein bisschen weniger Ignoranz auch seit Jahren in den sozialen Medien, in den Kommentarleisten der Nachrichtenseiten und in türkischen und arabischen Facebookgruppen lesen kann.

Hier wie dort eine Mischung aus judenfeindlichen Ressentiments, antisemitischen Verschwörungstheorien und einer kategorischen Ablehnung Israels. Zwar sei dies angesichts der „tiefen Verwurzelung des Judenhasses“ in arabischen Ländern nicht verwunderlich, die Klarheit der Aussagen hätte dennoch überrascht. „Das Problem ist schwieriger, als von manch einem angenommen.“

Eine verzerrte Vorstellung eines „bunten, offenen“ Deutschlands

Was macht man nun mit diesen Menschen? Nicht nur mit den Geflüchteten, sondern auch mit jenen, die hier geboren sind und ihren Antisemitismus in der Gegengesellschaft konserviert haben? Das sind die Fragen, denen wir uns stellen müssen, und die Antwort kann gerade auch aufgrund der deutschen Geschichte nicht in noch mehr Zuwanderung aus dem islamischen Kulturkreis bestehen. Eine Zuwanderung, die wie auch zuvor vornehmlich in die islamische Gegengesellschaft erfolgen wird. Wir müssen uns entscheiden: Wollen wir ein Land sein, indem wir und vor allem auch unsere jüdischen Mitbürger in Frieden und in Sicherheit leben können, oder wollen wir weiter zu Lasten aller eine verzerrte Vorstellung eines „bunten, offenen“ Deutschlands leben.

Berlin hat wieder einmal gezeigt, dass das mit dem Mut und dem Anspruch, der eigenen Vergangenheit Rechnung zu tragen, so eine Sache ist. Dass das „antifaschistische Volk“ in immer kürzeren Abständen und auf mehreren Ebenen zunehmend über seine eigene Doppelmoral stolpert, die es ihm unmöglich macht, Dinge beim Namen zu nennen und wirkliche Konsequenzen daraus zu ziehen. Dies wäre jedoch angesichts der jüngsten antisemitischen Eskalationen mehr als angebracht.

Wir müssen endlich einsehen, dass es keine Schande ist, Migranten, die unserer Gesellschaft, ihrem Frieden und der Sicherheit ihrer Bürger schaden, nicht aufzunehmen. Dass es keine Schande, sondern unser Recht ist, eine religiöse Minderheit zu kritisieren, der es ein Leichtes ist, andere mit dem Rassismusvorwurf zu überziehen, während die eigenen Auswüchse von Rassismus und Antisemitismus innerhalb der Community zum guten Ton gehören. Dass die einzige Schande darin besteht, dass wir keine Verantwortung gegenüber jener Minderheit im Land zeigen, für die wir tatsächlich historisch gesehen eine besitzen.

Anabel Schunke ist Autorin und freie Journalistin. Sie schreibt für verschiedene Portale, etwa EMMA Online oder die deutsche Huffington Post.

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Ralf Dörries / 16.12.2017

Die Autorin hat meine volle Zustimmung - Danke für diesen Beitrag in seiner beispielhaften Deutlichkeit. Leider ist (man in) Deutschland in dieser Hinsicht vollkommen lernresistent und voll Inbrunst auf beiden Augen blind.

Bernhard Maxara / 16.12.2017

Ein ausgezeichneter Beitrag! In der Tat ist es eigentlich beleidigend für einen erwachsenen Menschen aus einem anderen Land, für jede seiner in rechtsstaatlichem Sinne untragbaren Einstellungen oder Aktionen in Schutz genommen zu werden wie ein unmündiges Kind, das “es ja nicht besser wissen könne” o.ä. Außerdem liegt nahe, daß diese ideologische Fürsorgehaltung keineswegs mit Dankbarkeit quittiert, sondern vielmehr mit Verachtung für die westlich dekadente Dekonstruktion eigener Wertsetzungen. In jedem Fall fehlt den Akteuren dieser affigen Bemutterung, die, wie Nietzsche einmal formuliert, “hinter jedem Busch den guten Menschen hervorspringen sehen”, jedes Gefühl für die eigene Widersprüchlichkeit und vor allem Lächerlichkeit

Moritz Westfeld / 16.12.2017

Bereits der erste Satz sagt alles - “Jahre her”. Viele antisemitische Demos waren bereits bevor wir Ende 2015 die Flüchtlinge aufgenommen haben.

Chris de Boer / 16.12.2017

“Inconvenient truth” !!

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