Bundeskanzler Olaf Scholz wollte in Solingen mit einem Auftritt zum Gedenken an den islamistischen Messer-Anschlag punkten und scheiterte kläglich an dieser Aufgabe, die eigentlich jeder Regierungschef beherrschen sollte.
Die Fernsehteams waren vor Ort in Solingen und warteten darauf, dass Bundeskanzler Olaf Scholz mit seinem Gefolge, bestehend aus NRW-Ministerpräsident Wüst, dessen Innenminister Reul und dem Solinger Oberbürgermeister, vor die Mikrofone tritt und ein paar zitierfähige Sätze sagt. Das spontane Beantworten von Journalistenfragen war nicht vorgesehen, weshalb die Entourage des Kanzlers keine Blamage fürchten musste. Und Betroffenheits-Textbausteine für den Anschlagsfall sollten heutzutage zum abrufbaren Repertoire eines politischen Verantwortungsträgers gehören. Zudem hätte der Kanzler zum Auffrischen und Einüben solcher Floskeln ja auch ein wenig Zeit gehabt. Angesichts dieser Voraussetzungen war der Kanzlerauftritt recht armselig.
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hatte gestern Morgen noch im ARD-Morgenmagazin gesagt, für wie wichtig er es halte, dass Olaf Scholz nach Solingen fährt, um stellvertretend für uns all jene Empathie zu zeigen, die doch die meisten für die Opfer und Hinterbliebenen empfinden würden. Allzu überzeugende Empathie vermittelte der Kanzler bei diesem Auftritt nicht. Eher erinnerte es an den unmotivierten Auftritt eines allenfalls mittelmäßigen Trauerredners.
Auch inhaltlich bot der Bundeskanzler kaum Berichtenswertes. Nur eben diese Tatsache war vielleicht bemerkenswert. Natürlich konnte angesichts der offenbar begrenzten rhetorischen Begabung des Genossen Scholz niemand Glanzleistungen erwarten. Aber er hat Reden schon deutlich engagierter und besser vortragen können. Warum dieser Auftritt, wenn er doch nichts zu bieten hatte?
Man kann natürlich auch fragen, warum die angereisten und die Live-Übertragung verfolgenden Journalisten angesichts der eigenen Erfahrungen mit Scholz-Reden irgendetwas Besonderes erwarteten. Diese Frage lässt sich nämlich wenigstens einigermaßen leicht beantworten.
Konnte er nicht oder wollte er nicht?
Angesichts der Wahlen in Sachsen und Thüringen, die Vertreter aller Parlamentsparteien außer der AfD und den Wagenknechten seit Wochen zu einer Art Endkampf um die Demokratie hochjazzen, hätte man doch eine halbwegs beeindruckende Aufführung erwartet. Zumal der Anlass, also der mörderische Anschlag eines abgelehnten Asylbewerbers, der gefürchteten Partei hinter der Brandmauer noch Zulauf bescheren dürfte. Und außerdem steht des Kanzlers eigene Partei in den beiden Freistaaten am parlamentarischen Abgrund.
Es ist möglich, dass die SPD erstmals in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte an der Fünfprozenthürde scheitert und nicht ins Parlament einzieht. Und das ausgerechnet in einem Landstrich, den man auch Wiege der deutschen Sozialdemokratie nennen könnte – Leipzig, Eisenach und Gotha waren schließlich so etwas wie die Geburtsorte der ältesten noch existierenden Partei Deutschlands. Wenn der Wähler diese Partei in Sachsen und/oder Thüringen aus dem Landtag werfen würde, sollte man in der Tat kurz andächtig innehalten und dem Wehen des Mantels der Geschichte lauschen.
Derart historisch Schwergewichtiges scheint aber weder den Kanzler noch das sonstige Führungspersonal jener ausgelaugten SPD, die das große Erbe der deutschen Sozialdemokratie längst kläglich verspielt hat, sonderlich zu bekümmern. Aber die Gegenwart hätte doch den Regierungschef eines trotz des spürbaren Abstiegs immer noch nicht ganz unbedeutenden Landes zu einem einigermaßen respektablen Auftritt motivieren müssen. Konnte er nicht oder wollte er nicht?
Der Mann muss doch im Kanzleramt ein paar begabte Redenschreiber oder wenigstens begnadete Textbaustein-Jongleure haben. Hat er ihre Werke in den Wind geschrieben? Dachte er, mit einem freien und unvorbereiteten Auftritt würde er authentischer und volksnäher wirken? Wenn das der Fall sein sollte, kann es die damit demonstrierte Realitätsferne durchaus mit der der Politik seiner Regierung aufnehmen.
Angesichts der oben geschilderten Rahmenbedingungen dachte der eine oder andere Beobachter vielleicht, dass der Genosse Scholz zur Stimmungsaufhellung der Bürger irgendetwas Konkretes sagen würde, das wenigstens so klingt, als könne man endlich auf eine Abkehr von jener Migrationspolitik hoffen, die u.a. den dramatischen Anstieg der Zahl brutaler Messerangriffe und Gruppenvergewaltigungen mit verursacht hat. Doch auch da erschöpfte es sich im Altbekannten.
„Schnell und hart“
Die Abschiebungs-Textbausteine kannte das Publikum schon von Scholz-Auftritten vor knapp zwei Monaten, nach dem islamistischen Mord-Anschlag in Mannheim. Auch die Floskel von der „irregulären Migration“, die man in den Griff bekommen müsse, gab es wieder. Der Kanzler vermied jene klare Sprache, die die Bürger bei ihren Regierenden vermissen. Dann müsste er davon reden, dass der Staat massenhafte illegale Einwanderung nicht länger tolerieren und subventionieren darf, sondern wieder geltendes Recht durchsetzen muss.
Und die eine halbwegs konkrete Ankündigung dürfte die meisten Bürger müde abwinken lassen:
„Offensichtlich wird es jetzt darum gehen, dass wir die waffenrechtlichen Regelungen, die wir in Deutschland haben, noch einmal verschärfen. Das gilt insbesondere was den Einsatz von Messern betrifft, aber auch viele andere Dinge drumherum, die geregelt werden müssen. Und das soll und das wird jetzt auch ganz schnell passieren. Ich bin sicher, dass wenn die Bundesregierung dazu einen Vorschlag macht, dass das auch schnell und gemeinsam mit dem Gesetzgeber im Bundestag und Bundesrat vorangebracht und beschlossen werden kann.“
Mit Messer- und Waffenverboten dürften vor allem jene entwaffnet werden, die sich nicht mehr auf das staatliche Gewaltmonopol verlassen möchten und sich wappnen wollen, allerdings auch nichts Verbotenes tun möchten. Wer mit einer Waffe morden will, wird sich nicht davon abschrecken lassen, dass das Mitführen der Mordwaffe eine Straftat ist.
Wenn das alles nicht so todernst wäre, könnte man mit Olaf Scholz beinahe Mitleid bekommen, wenn er versucht, überzeugend emotional aufzutreten. Mit matter Grabesstimme wollte der Kanzler „mit Hinblick auf den Täter klar sagen, dass ich wütend bin und zornig auf diese Tat. Die muss schnell und hart bestraft werden.“
Der Jurist Scholz weiß natürlich, dass das Aufgabe der Justiz ist, der in einem freiheitlichen Rechtsstaat kein Regierungschef erklären sollte, wie sie zu urteilen hat. Der Kanzler hätte genügend eigene Baustellen, um die er sich kümmern müsste. Aber für die gibt es Allgemeinplätze wie. „Alles was in unserer Macht liegt, in unseren Möglichkeiten liegt, muss auch getan werden.“
Vertraute Plattitüden
Auf seinen Zorn kommt der Kanzler noch einmal zurück und ergänzt, dieser gelte „den Islamisten, die das friedliche Zusammenleben von uns allen bedrohen“. Wenn man die Worte unserer Regierenden nach der Art früherer Kreml-Astrologen sezieren würde, könnte man herausstellen, dass sich dieser Zungenschlag von dem früher allfälligen „Das hat nichts mit dem Islam zu tun“ ein klein wenig unterscheidet. Doch bevor Menschen, die noch geneigt sind, sich die SPD schön zu trinken, an diesen Halbsatz zarte Hoffnung knüpfen, wird dieser von vertrauten Scholz-Plattitüden überrollt:
„Wie werden uns diesen Zusammenhalt nicht kaputt machen lassen von bösen Straftätern, die schlimmste Gesinnung verfolgen, sondern wir werden mit aller Härte und Schärfe gegen sie vorgehen und nicht nachlassen, sie zu verfolgen. Das ist nämlich das, was jetzt notwendig ist.“
Man weiß nicht so recht, ob die „bösen Straftäter“ schon ein Vorgeschmack auf Kanzlerreden in „leichter Sprache“ sind. Alles in allem war der Scholz-Auftritt weder des Anlasses noch seines Amtes angemessen. Das Schlimme ist, dass man bei einem so schlechten Auftritt den anlassgebenden islamistischen Terroranschlag und dessen Opfer fast vergisst. Selbst bei den salbungsvollen Worten, wie: „Das bewegt uns alle und das wird keinem von uns aus den Köpfen gehen, auch mir nicht. Das werden wir nicht vergessen.“
Unabhängig davon, ob Olaf Scholz das nun vergisst oder nicht – die Bürger, die vielleicht noch hofften, in der heutigen SPD würde es Restbestände der alten stolzen Sozialdemokratie geben, die sie mit einer Wählerstimme vor dem Untergang retten könnten, sollten sich solcher Kanzler-Auftritte erinnern, damit der Abschied von dieser Illusion leichter fällt.
Peter Grimm, geboren 1965 in Ost-Berlin, war bis 1989 aktiv in der DDR-Opposition und arbeitet seitdem als Journalist, Autor und Dokumentarfilm–Regisseur. Betreibt u.a. den Blog sichtplatz.de