Chaim Noll / 29.11.2024 / 06:05 / Foto: Gage Skidmore / 48 / Seite ausdrucken

Der Mann mit den toten Händen

Senile Greise mit geschminkten Gesichtern, puppenhaften Bewegungen, stereotyper Redeweise, galten einst als Symbol der tödlichen Erstarrung des sowjetischen Systems. Joe Biden steht jetzt für die geistige Sklerose der US-Demokraten.

Als ich 1982 einige Wochen in Moskau war, lernte ich den damals mächtigen Kulturfunktionär Wladimir Semjonowitsch Kemenow kennen, Vizepräsident der Akademie der Künste der UdSSR, geboren 1908, ein kultivierter Mann Ende Siebzig, promovierter Kunsthistoriker, schlank, in gut sitzenden Anzügen, freundlich, umgänglich, von gewandten Manieren. Insgeheim wurde er unter Moskauer Intellektuellen „der Mann mit den toten Händen“ genannt. Weil sein eigentliches Wirken darin bestand, Projekte abzuwürgen und gefährliche Neuerungen im Keim zu ersticken.

Diese Rolle spielte der scheidende Präsident Joe Biden in der amerikanischen Politik. Er war nur gewählt worden, um Trumps zweite Amtszeit zu verhindern. Sonst blieb er farb- und bedeutungslos. Lang gedienter Senator des Bundesstaates Delaware, gewiefter Taktiker, geschickt im Nichtssagen, ein Höfling, alt geworden im Washingtoner Politikbetrieb. Acht Jahre Vizepräsident unter Obama, schon ein wenig klapperig, blass und devot, im Hintergrund hinter der strahlenden Hochglanz-Gestalt. Der Hintergrund war sein Element, das stille Wirken im Schatten des Parteiapparats. Figuren wie er, senile Greise mit geschminkten Gesichtern, puppenhaften Bewegungen, stereotyper Redeweise, galten vordem als Symbol der tödlichen Erstarrung des sowjetischen Systems. So steht Biden für die geistige Sklerose der amerikanischen Demokraten.

Wie Biden und seine Adminstration innenpolitisch in den Vereinigten Staaten gewirkt haben, kann ich nicht beurteilen. Zu erkennen war, auch aus weiter Ferne, wie die amerikanischen Universitäten verkamen, bis sie die woken, von Geschrei erfüllten, anti-semitischen Tummelplätze wurden, die sie heute sind. Das blieb zunächst eine amerikanische Angelegenheit, wenngleich mit giftiger Ausstrahlung hinüber nach Europa und anderswo. Inzwischen wirkt es sich demoralisierend, geradezu destruktiv auf die gesamte westliche Hemisphäre aus. Zu spüren war auch, wie die Weltmacht bröckelte, wie das große, immer noch bei Weitem produktivste Land der Erde an Bedeutung einbüßte, wie durch Übermut und Selbsthass allmählich das Bild der Stärke und Verlässlichkeit zuschanden ging. Die Biden-Administration hat alles getan, um die Führungsrolle der USA unter den westlichen Nationen zu ruinieren.

Verrat an Bündnispartnern und Alliierten hatte daran entscheidenden Anteil. Die schrecklichen Szenen, die sich in Kabul abspielten, während des chaotisch wirkenden Abzugs der amerikanischen Truppen. Ob man den Abzug befürwortete oder nicht – es war bedrückend zu sehen, wie schlecht er organisiert war.

Verhängnisvoll entscheidungsschwach

Bidens Markenzeichen im Mittleren Osten war seine immer spürbare Rückgratlosigkeit. 2021 ließ er die Sanktionen gegen die jemenitische Terror-Miliz Ansar Allah, genannt Huthi, aussetzen, mit der üblichen Begründung von dieser Art Ideologie-bestimmter, kurzsichtiger Außenpolitik: „The Biden administration argued that the Trump-imposed sanctions blocked efforts to get humanitarian aid into war-torn Yemen.“ Im Januar 2024 wurden die Sanktionen kleinlaut von Neuem verhängt, nachdem die Huthi durch ihre Raketeneinsätze gegen Handelsschiffe auf dem Weg zum Suez-Kanal einen guten Teil des Welthandels lahmzulegen drohten – ein bezeichnendes Beispiel für die schwache, schwankende Politik dieses offenbar amtsunfähigen Präsidenten. Auch das Blockieren der saudischen Versuche, die Huthi an der Übernahme weiterer Gebiete im Jemen zu hindern, stellt sich im Nachhinein als schwerer Fehler heraus.

Vor allem am 7. Oktober 2023, anlässlich des brutalen Überfalls der Hamas auf Israel, erwies sich Bidens ängstlicher, entscheidungsschwacher Regierungsstil als verhängnisvoll. Als die Nachricht vom Hamas-Angriff eintraf, war es in Washington etwa Mitternacht, der Präsident wahrscheinlich schon im Bett, und nun sollte es Stunden dauern, bis der überforderte alte Mann im Besitz seiner Sinne, für die Schreckensnachricht ansprechbar, für den unvermeidlichen Kriegsbeginn entscheidungsfähig war.

In diesen Stunden konnten die Hamas-Terroristen weitermorden, ohne dass die israelische Armee in Bewegung gesetzt wurde. Israels Premier Netanyahu verbrachte die ersten vier Stunden nach dem Überfall am Telefon, aber nicht, um mit dem israelischen Armee-Oberkommando das Vorgehen gegen die Hamas zu koordinieren, sondern um sich Bidens und anderer westlicher Politiker Bedenken anzuhören – dafür wird er sich demnächst vor den Bürgern seines eigenen Landes verantworten müssen.

Der nach Monaten qualvoller Geiselhaft befreite 18-jährige Ofir Engel, Kind holländischer Einwanderer, betont in seinen öffentlichen Auftritten, zu denen er sich, obwohl schwer traumatisiert, im Sinne der Zeitzeugenschaft bereitgefunden hat, immer wieder den schockierenden Tatbestand, dass seine Geiselnahme überhaupt erst gegen Mittag des 7. Oktober erfolgte, sechs Stunden nach dem Überfall der Hamas. Zu diesem Zeitpunkt waren immer noch keine israelischen Truppen von den höchstens eine Stunde entfernt liegenden großen Militärstützpunkten des Oberkommandos Süd auf dem Kibbuz angelangt. Auch aus anderen Indizien ergibt sich das Bild, dass der Einsatz der israelischen Armee am 7. Oktober 2023 über Stunden bewusst blockiert wurde.

Kein Wort über islamischen Terrorismus

Dafür ist zunächst die israelische Regierung verantwortlich. Netanyahus Versagen am 7. Oktober benannte dieser Tage (am 26. November) eine Untersuchungskommission unter Vorsitz der Richterin Varda Alsheikh und des pensionierten Generals Eyal Ben-Re'uven nach Anhörung von 120 Zeugen – darunter sowohl befreite Geiseln, Überlebende des Massakers als auch hochrangige Politiker und Militärs – als „eingewurzelte Arroganz und Blindheit“.

Die Zeitung Times of Israel resümierte: „Unabhängige Untersuchungskommission stellt fest, dass der Premierminister 'für die Ausschaltung aller Entscheidungszentren' und den Bruch 'zwischen der politischen und der militärischen Ebene' verantwortlich war.“ Der Bericht beschränkt sich ganz auf die israelischen Verantwortlichen. Da Israel zumindest nominell ein souveräner und unabhängiger Staat ist, fällt das Eingeständnis schwer, dass die Unterdrückung einer koordinierten israelischen Gegenwehr ausländischen Interessen zuliebe erfolgte und der Tod und das Leid hunderter israelischer Staatsbürger dafür in Kauf genommen wurden.

Biden folgte während seiner Präsidentschaft dem falschen Konzept des engstirnigen, ideologisch beschränkten Präsidenten Barack Obama, seines früheren Chefs und spiritus rector, nachzulesen in dessen Kairoer Rede von 2009. Diese Rede ist einzigartig in ihrer Ignoranz und völligen Verkennung der Situation. Der damalige US-Präsident benannte 2009 in Kairo, an eine muslimische Zuhörerschaft gerichtet, zwei Quellen für „die Spannungen, über die wir sprechen müssen“: Die erste sei die amerikanische Militärpräsenz in der Region, die „zweite große Quelle für Spannungen ist die Situation zwischen Israelis, Palästinensern und der arabischen Welt.“

Kein Wort über die Missstände in den islamischen Ländern, über die hoffnungslose Lage der dortigen Bevölkerungen. Kein Wort über islamischen Terrorismus und Gewalt, kein Appell an die Diktatoren, Könige, Scheichs, Emire, Militärgouverneure und Schein-Parlamente der Region, mit Reformen in ihren Ländern zu beginnen, um den dort lebenden Millionen ein menschenwürdiges Dasein, die elementaren Freiheiten, eine Hoffnung auf Zukunft zu ermöglichen.

Der schwache Mann an den Hebeln der Weltpolitik

In dieser Rede wurde alle Schuld an den Übeln der islamischen Welt dem Westen zugeschoben. Die Bevölkerungen des Nahen Ostens straften diesen Ansatz schon im Jahr darauf Lügen, als 2010 die große Arabische Revolte in Syrien, Tunesien, Libyen, Ägypten und anderswo ausbrach, die Volksaufstände gegen die eigenen korrupten Regimes.

Auch der sich abzeichnende eigentliche Konflikt der Region, der schwelende Krieg zwischen dem Iran und den sunnitisch-arabischen Staaten um Saudi Arabien wurde in der Kairoer Rede nicht erwähnt, sei es, dass Obama, Biden und ihre schlechten Berater ihn nicht erkannten, sei es, dass er nicht in ihr borniertes Weltbild antiwestlicher Stereotype passte. So wurden – schon zu Beginn von Obamas und Bidens Amtszeit – die Prämissen der künftigen Nahost-Politik falsch gesetzt, die dann insgesamt zwölf Jahre – mit der Unterbrechung von Trumps Amtszeit – den amerikanischen Auftritt im Mittleren Osten bestimmen sollte.

Man muss den israelischen Regierungen dieser Zeit zugute halten, dass sie während dieser zwölf Jahre inkompetenter amerikanischer Nahost-Politik unter ungeheurem Druck standen. Israel, ein Zehn-Millionen-Volk, kann dem Potenzial von hunderten Millionen militanter Muslime nur standhalten, wenn es im Kriegsfall Waffen und Munition von seinen westlichen Verbündeten erhält. Von daher sind alle israelischen Regierungen erpressbar. Unter diesem Druck stand Netanyahu auch am 7. Oktober, als Biden und seine Berater nicht verstehen wollten, dass sich nach dem, was an diesem Tag geschehen war, ein massives militärisches Vorgehen gegen die vom Iran bezahlten Terror-Milizen nicht länger vermeiden ließ.

Der 7. Oktober schuf eine neue Realität, und diese Realität passte nicht in die starre Doktrin des 81-jährigen ehemaligen Senators aus Delaware. Unter der Obama-Biden-Administration waren schon die israelischen Militäreinsätze 2009, 2012 und 2014 abgewürgt worden, ohne die Terrormilizen wirklich auszuschalten. Diesmal fürchtete man um die strategisch wichtige Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien, die Biden wichtiger war als das Leben der Opfer des Überfalls und sich zudem als sinnlose Furcht erwies, da der saudische Kronprinz weiterhin zu der für sein Land so entscheidenden Kooperation an Israel steht.

In Bidens Leben hat es einige Tragödien gegeben, den Unfalltod seiner ersten Frau und seiner Tochter, den frühen Tod eines Sohnes; und so fällt es schwer, diesem Mann Kälte zu unterstellen, skrupelloses Preisgeben von Menschenleben aus politischer Berechnung. Es war eher Unfähigkeit, eine Unfähigkeit, die es in solchen hohen Ämtern ein langes Politikerleben hindurch zu verbergen gilt: hinter einer zunehmend hohlen Fassade. Mit toten Händen hat dieser von Interessengruppen hochgehaltene schwache Mann an den Hebeln der Weltpolitik hantiert, und für einige wurden es dann wirklich die Hände des Todes.

Chaim Noll wurde 1954 unter dem Namen Hans Noll in Ostberlin geboren. Seit 1995 lebt er in Israel, in der Wüste Negev. Chaim Noll unterrichtet neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit an der Universität Be’er Sheva und reist regelmäßig zu Lesungen und Vorträgen nach Deutschland. In der Achgut-Edition ist von ihm erschienen „Der Rufer aus der Wüste – Wie 16 Merkel-Jahre Deutschland ramponiert haben. Eine Ansage aus dem Exil in Israel“.

Vor Kurzem erschienen von Chaim Noll und Heinz Theisen „Verteidigung der Zivilisation. Israel und Europa in der islamistischen Bedrohung“ im Lau Verlag, Reinbek, 248 S., Euro 20

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Foto: Gage Skidmore CC BY-SA 2.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Josef Gärtner / 29.11.2024

Solange nicht zweifelsfrei eine andere Täterschaft bewiesen wird, da wird immer an Joe Biden der Vorwurf kleben,  für die Sprengung unserer Nord-Stream-Pipelines verantwortlich zu sein. Das reicht für mich für ein “Abschließenes Urteil” über ihn.

Arthur Sonnenschein / 29.11.2024

Es ging in den letzten acht Jahren überhaupt nur darum, in den beiden US-Parteien die Macht der alten Garde weitere 10 Jahre zu sichern: Connell, Clinton, Pelosi, Schumer usw. Der Outsider Trump kam gerade recht um wirklich jedes Mittel dafür zu rechtfertigen.

BKKopp / 29.11.2024

Auch wenn viele Anmerkungen des Autors zu Biden richtig sind, Biden ist nicht dafür verantwortlich, dass die IDF und die israelische Regierung über die 1-2-jährigen Vorbereitungen der Hamas auf den 7. Oktober nichts wußte, dass die Hamas nach Israel eindringen konnte wie geschehen, und dass sie kein technisches und personales Netzwerk von Informanten über den Ausbau der militärischen Kompetenzen und des Tunnelausbaus gab. Weil man das bekannte Hamas-Risiko in Gaza über viele Jahre nicht unter Kontrolle hatte, blieb immer nur das Bombardieren mit all seinen Folgen vor Ort, und für die Wirkung nach aussen.  Vielleicht könnte man aus Israel auch die Einsicht erwarten, dass das Abraham-Accord in seiner gegen den Iran konfrontativen Wirkung die Unterstützung des Iran, aus Qatar und auch aus der Türkei auf neue Höhen gebracht hat. Alles was man mit den Golfstaaten seitdem gemacht hat, hätte man auch ganz unspektakulär machen können, und nicht als großen Friedensschluß von Netanjahu/Kushner/Trump mit penetrantem Bauchpinseln auf die globale Bühne heben müssen. In Israel und der unmittelbaren Nachbarschaft,  mit den palästinensischen Arabern, Gaza, Libanon, Syrien, Irak, Iran - überall dort wo erklärt oder nicht seit Jahrzehnten Krieg gegen Israel geführt wird, ist man ja keinen Deut weitergekommen.

Thomas Schöffel / 29.11.2024

Daß der arme, alte Mann krank war, konnte nun jeder deutlich sehen. Ob das nun Demenz, Alzheimer oder was auch immer ist, können ja die Ärzte feststellen. Aber das er altersschwach herumtrottelte und unverständliches Zeug brabbelte, war eindeutig. Interessant war allerdings, daß die deutsche Presse so tat, als gäbe es das einfach nicht. Später dann Ausreden wie “unausgeschlafen, langer Flug” oder was auch immer, waren einfach ignorant, kindisch geradezu. Aber das ist mittlerweile symptomatisch für die Medien geworden. Das zu leugnen, was aber für jeden deutlichst sichtbar ist. Unsere Industrie geht hopps, weil die Energie für sie viel zu teuer geworden ist. Wird in den Medien als ein Punkt unter ferner liefen behandelt und nicht als Hauptursache. Die Medien versuchen uns einzureden, daß Managementfehler die Ursache wären, man wäre zu spät auf Elektro umgestiegen. Jeder wache Ökonom weiß, daß das Bullshit ist. Wenn ich mir ausländische Nachrichten angucke, werden Politiker geradezu gegrillt, bei uns erinnern Politikerbefragungen eher an Unterwürfigkeitsrituale inklusive Hofknicks (wie jetzt Frau Miosga), Verbeugung und Kratzefuß. Und wenn Biden jetzt kurz “vor der Einlieferung ins Heim” nochmal mit Raketen spielt, dann ist es wirklich schwer höflich zu bleiben. In einem Ferienflieger läßt ja auch niemand Kinder zum Spielen ins Cockpit. Sorry, das geht nicht mehr höflich und nett. Da muß man die Kinder wegreißen von den Instrumenten. Und wenn Politiker uns bescheißen, das Grundgesetz verletzen und noch einen Höflichkeitskotau verlangen, sorry, aber dann explodiert das Volk eben auch mal. So, das mußte jetzt einfach mal raus. Ende der Durchsage.

Gisel Schinnerer / 29.11.2024

Abgesehen von dem unglaublichen Schnappschuss des Fotografen Gage Skidmore, lassen mich einige Aussagen von Chaim Noll ratlos zurück. Mein denken befindet sich einem Zustand der Informationsverschmutzung.

Nico Schmidt / 29.11.2024

Sehr geehrter Herr Noll, offensichtlich werden im Ausland einfach zuwenig deutsche Qualitätsmedien gelesen. Da ist Biden der Heiland, die Hamas vom Völkermord bedroht und alle anderen doof. Mfg Nico Schmidt

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