Ahmet Refii Dener, Gastautor / 25.09.2020 / 14:30 / Foto: ARD / 7 / Seite ausdrucken

Der Mann, den sie den Adapter nannten

Mein deutsches Unternehmen hatte ich 1987 gegründet, also müsste es Anfang der 90er Jahre gewesen sein, als ich einen namhaften deutschen Konfitürenhersteller mit dem potenziellen türkischen Joint-Venture-Partner in der türkischen Stadt Isparta zusammenbrachte (1). Lustig war, dass der Deutsche sehr belesen war und über diesen Teil von Anatolien viel zu erzählen wusste und so für eine kurzweilige Reise sorgte. Für die annähernd 70 Kilometer von Antalya nach Isparta nahmen wir ein Taxi. In Isparta angekommen, trafen wir vor dem Hotel unseren potenziellen Geschäftspartner, den ich vorher durch eine entsprechende Recherche ausgesucht und in Istanbul einige Male getroffen hatte. Damals, vor etwa 25 Jahren, gab es dort noch kein Vier- oder Fünfsternehotel. Ich glaube auch nicht, dass es überhaupt Sternehotels in der Stadt gab. An der Rezeption bekamen wir unsere Zimmerschlüssel ausgehändigt. Es war ein dreigeschossiges Gebäude. Ich hatte mein Zimmer auf der ersten Etage und mein Auftraggeber auf der zweiten. Wir wollten uns frisch machen und dann unten treffen.

Im Zimmer angekommen, bekam ich den ersten Schock. An die 40 Betten befanden sich im Raum. Das sollte ein Single-Room sein? Ich ließ meinen Koffer dort stehen und machte mich auf den Weg nach unten. Das musste ein Fehler sein. Unterwegs zur Rezeption begegnete ich dem deutschen Unternehmer. „Herr Dener, da ist was faul. Bei mir im Zimmer sind etwa 30 Betten.“ Zwei Männer, ein Problem. Zusammen machte das 70 Betten. Manche Hotels verfügen insgesamt über so viele Betten wie in unseren beiden Zimmern standen. An der Rezeption bekamen wir die Erklärung. In die Stadt kamen viele Tagelöhner, die in Agrarbetrieben arbeiteten, und diese schliefen alle zusammen in solchen Räumen. Wir schauten uns nur an. Wie viele Tausend Menschen mögen wohl schon in diesen Betten gelegen haben?

Zurück im Zimmer musste ich mich zuerst für eines der 40 Betten entscheiden. Das war kein leichtes Unterfangen, wie ich feststellte. Sollte ich Feng-Shui anwenden, oder nach welchen Kriterien sollte ich mir mein Bett aussuchen? Als ich mich für ein Bett mit Blick auf die Eingangstür entschieden hatte, suchte ich mir die Sachen zusammen, die ich am nächsten Tag anziehen wollte. Den restlichen Kofferinhalt breitete ich auf dem Bett aus. Ekel überkam mich. Ich durfte mit dem Bettzeug auf keinen Fall in Berührung kommen. Zum Glück wollten wir nur eine Nacht hierbleiben! Da wir uns nicht länger in diesem Hotel aufhalten wollten, gingen mein Auftraggeber und ich in ein Kebab-Restaurant in der Nähe und besprachen den Ablauf am nächsten Tag. Nach dem Abendessen ging es wieder zurück zum Hotel. An Schlaf war aber nicht zu denken, da jedes Geräusch vor der Tür für Unruhe sorgte. Würde jetzt noch jemand reinkommen und sich in eines der verbliebenen 39 Betten legen?

„Ahmet, der kann doch nicht ganz dicht sein, oder?“

Am nächsten Morgen waren mein Auftraggeber und ich total platt. Der türkische Unternehmer holte uns ab und wir fuhren in seinen Betrieb. Ich übersetzte. Der türkische Unternehmer war Marmeladenhersteller, der sich auf Rosenmarmelade spezialisiert hatte. Er wurde vom Deutschen mit der Feststellung konfrontiert, dass man aus Rosen weder Marmelade noch Konfitüre produzieren könne. Ich glaube, es waren die Lebensmittelstatuten in Deutschland, die es unmöglich machten. Wie sollte ich dem Türken jetzt sagen, dass er von etwas lebte, das es, wie der Deutsche sagte, gar nicht geben dürfte?

Der deutsche Unternehmer fragte: „Wie viel Zuckergehalt hat Ihre sogenannte Rosenmarmelade?“ Der türkische Unternehmer antwortete: „In solch einen großen Kessel kommt ungefähr soo ein großer Kessel voll Zucker rein.“

Deutscher Unternehmer: „Wie ist denn die Rendite bei Ihnen?“

Türkischer Unternehmer: „Herr Dener, wenn ich dem Deutschen jetzt sage, dass wir bei 600 Prozent liegen, fällt er tot um, was soll ich ihm sagen?“ Er entschied sich für 20 Prozent.

Deutscher Unternehmer: „Wie bitte!? Das ist gewaltig hoch.“

Türkischer Unternehmer: „Was sagt er?“

Ich: „Er ist begeistert und denkt, dass man gemeinsam ebenfalls Erfolg haben würde.“

Türkischer Unternehmer auf den Deutschen zeigend: „Wie viel haben Sie letztes Jahr verdient?“

Deutscher Unternehmer: „Wir hatten mit 3 Prozent ein gutes Jahr.“

Türkischer Unternehmer: „Ahmet, übersetzen Sie das bitte nicht, aber der kann doch nicht ganz dicht sein, oder?“

Deutscher Unternehmer: „Was sagt er?“

Ich: „Das sind Zahlen, die keinen türkischen Unternehmer zufriedenstellen würden.“

Türkischer Unternehmer (grübelnd und voller Unverständnis): „Ahmet, mit dem Deutschen werden wir tolle Geschäfte machen. Er wird mit allem zufrieden sein, was wir machen.“

Entsetzt über die Unseriosität des türkischen Unternehmers

Erstaunlicherweise wurden die Rahmenbedingungen ohne größere Widerstände abgesteckt. Der Gesellschaftervertrag sollte geschrieben, übersetzt und an den deutschen Partner geschickt werden. Das Geschäft kam später aber dennoch nicht zustande. Der türkische Unternehmer hatte nur im ersten Satz des Gesellschaftervertrages das eigentliche Vorhaben erwähnt. Unternehmenszweck: „Herstellung von Konfitüren und Marmeladen jeglicher Art, mit Zucker und Zuckerersatzstoffen …“ Danach ging es mit Erzabbau, Teppichknüpferei, Geschenkartikelherstellung und -vertrieb, Marmor-Exporten und vielem mehr weiter. Alles, was in der Region an Geschäften möglich war, wurde auf zwei Seiten aufgelistet. Der Ausgangspunkt des türkischen Geschäftsmannes war:

Wer mit 3 Prozent Rendite zufrieden ist, mit dem kann man noch viele andere Geschäfte machen. Leider schickte der türkische Unternehmer den Gesellschaftervertrag nicht zu mir nach Köln, sondern direkt zu seinem zukünftigen Partner. Dieser war entsetzt über die Unseriosität des türkischen Unternehmers. Ich konnte ihn nicht davon überzeugen, dass der türkische Unternehmer übermütig geworden war und es damals üblich war, dass man alles Mögliche in den Gesellschaftsvertrag aufnahm.

Im Nachhinein holte der Deutsche ein Gerät aus seiner Tasche und maß den Zuckergehalt. Wir stellten bei der Rosenmarmelade 98 Prozent fest. Somit erfuhr der Unternehmer erst von uns in der vierten Generation, wie hoch der Zuckergehalt seines Produktes war. Wenn ich den Gesellschaftervertrag als Erster zu Gesicht bekommen hätte, hätte alles gut gehen können. Die Adapterfunktion zwischen Türken und Deutschen kann man nur dann optimal übernehmen, wenn man die Eigenheiten beider bis ins kleinste Detail kennt.

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Wehrdienst im Schnelldurchlauf

Wie ich wegen einer Wette die Türkei verlassen musste

 

Dr. Ahmet Refii Dener (Dipl.-Kfm.) ist Unternehmensberater, Wirtschaftsexperte und Türkei-Analyst. Nach über 30 Jahren der erfolgreichen Tätigkeit für deutsche Unternehmen in der Türkei, wobei er die letzten 10 Jahren seinen Lebensmittelpunkt in der Türkei hatte, stieg er 2017 zum Dissidenten auf und ist wieder nach Deutschland zurückgekehrt und berät Unternehmen, Medien und Behörden in allen Fragen rund um die Türkei, aber auch bei sonstigen unternehmerischen Themen. Neben seinem Erfolgsblog www.go2tr.de, schreibt er in verschiedenen Medien und ist Kolumnist des Tagesspiegels. Eine gute Portion Humor und Ironie gehören bei ihm immer dazu.

Anmerkung

(1) Isparta ist eine Provinz der Türkei und liegt im nordwestlichen Teil der Mittelmeerregion. Die Provinz hat 418.780 Einwohner auf einer Fläche von 8.993 km². Die Provinzhauptstadt ist Isparta. Sie ist bekannt für ihre Rosen, Rosenprodukte und handgeknüpften Teppiche. Außerdem ist die Provinz bekannt für ihre Äpfel, Sauerkirschen und Trauben. Die Türkei hat beim Rosenöl einen Weltmarktanteil von 50 Prozent, gefolgt von Bulgarien mit 40 Prozent.

Foto: ARD

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Leserpost

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Hans-Peter Dollhopf / 25.09.2020

Fiat voluntas tua, sicut in caelo, et in terra. Dieses Land war nun 60 Jahre lang “Adapter” für die verarmten Nachkommen des einstigen osmanischen Herrschervolkes über Ismaels Nachkommen. Doch nun kommen diese Nachkommen endlich selbst in Scharen. Was für eine Bereicherung. Assimilation: Verbrechen gegen die Menschlichkeit! Integration: gescheitert. Adaptation: Ha, mal was anderes.

Talbach Fritz / 25.09.2020

600 Prozent sind aber einige Eimer Zucker. Ob der angehende türk. Geschäftspartner wohl Prozente konnte?

Dieter Wonnegut / 25.09.2020

Ich mag keine Türken. Weil sie mich in der Türkei nicht haben wollen und weil sie einen Bundeswehrsoldaten schwer beleidigt haben. Bin ich jetzt böse? Kommen jetzt die Araber?

Rolf Mainz / 25.09.2020

Na, hoffentlich “berät” Herr Dener “Unternehmen, Medien und Behörden in allen Fragen rund um die Türkei” heutzutage etwas transparenter und offener als vor 25 Jahren… Wenn ein “Adapter” sich derart auf eine Seite schlägt, dann würde ich diese Funktion ganz anders bezeichnen.

Wolfgang Kaufmann / 25.09.2020

Schlangenöl ist in der Tat ein weites Feld. Deutschland verkauft Weltläufigkeit made in Hintertupfing, Business English made by Oettinger und Schummelsoftware made for Morons. Dazu kommt eine Corona-App, die angeblich auch im Faradayschen Käfig unheimliche Begegnungen nachweist, wahrscheinlich der dritten Art. Weil es der Kunde so wünscht.

Judith Bechtloff / 25.09.2020

Habe ich das jetzt richtig verstanden, in dem Buch geht es u. a. darum, wie ein deutscher Unternehmer mit Hilfe eines, die tatsächlichen Begebenheiten „anpassenden“ „Adapter“ zu einem Vertragsabschluss bewegt werden sollte, der aus westlich-unternehmerischer Sicht und nach unserem Rechtsempfinden betrügerisch ist? Und soll ich das jetzt amüsant finden, weil halt die Kultur des Geschäftemachens in der Türkei so ganz anders ist? Ich bin verwirrt!

Thomas Taterka / 25.09.2020

Spitzentext. Absolut filmreif. Ich hab Tränen gelacht.- Mehr davon. ( Wenn’s der “Chef” abnickt. Also ich meine den” M ” ).

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