Von Nico Hoppe.
„Das Klimagebet war insofern ein voller Erfolg, als es gut besucht war und alle sehr motiviert zur Demo gegangen sind. Weniger erfreulich ist, dass leider die Beschlüsse des Klimapakets lange nicht ausreichen, um die Klimaziele zu erreichen. Deshalb werden wir weiter beten, demonstrieren und an unserem eigenen Bewusstsein und Verhalten arbeiten müssen.“
Diese Zeilen schrieb die Evangelische Kirche Kassel im Vorfeld des weltweiten Klimastreiks in hochmotiviertem Streber-Deutsch. Sucht man im Internet nach den Stichworten „Klimagebet“ oder „Kirche für Klima“ lässt sich feststellen, dass dutzende Kirchen im ganzen Land ähnliche Aufrufe veröffentlichten. Doch nicht nur institutionalisierte Religion ist mit der Klimabewegung eng verbunden: Sowohl in der hysterischen Artikulation ihrer Ziele als auch im rabiaten Umgang mit ihren Gegnern sagte man „Fridays for Future“ des Öfteren nach, an eine religiöse Gemeinschaft zu erinnern. Dass der Ökoglaube jedoch hinter den Ansprüchen institutionalisierter Religion in Form von Heilsversprechen und transzendenten Hoffnungen zurückblieb, fiel trotz der eklatant tristen Vorstellungen einer ökologisch korrekten Welt, in der jeder seine materiellen Interessen zur vorgeblichen Rettung der Erde zurückstellen muss, nicht auf.
Gemeinhin wird Religion als ein „meist von einer größeren Gemeinschaft angenommener bestimmter, durch Lehre und Satzungen festgelegter Glaube und sein Bekenntnis“ definiert. Folgt man dieser knappen Bestimmung, ist die Rede von einer Klimareligion natürlich vermessen: Es fehlt an einer festen Lehre und einem allgemeingültigen Bekenntnis. Besser fassen lässt sich der Ökoglaube deswegen im Sinne eines Religionsverständnisses, welches esoterisch-diffuse Glaubensvorstellungen mit einschließt. Abgesehen von dieser Einschränkung steht der Klimaglaube dem Verhalten rigoroser Sekten in nichts nach: Zu recht war vielmals die Rede von den Klimaprotesten als einer Ökoreligion, deren streng gläubige Anhängerschaft, welche sich einer Gruppe von Häretikern gegenüber sieht, die dem religiösen Taumel fernbleiben und dafür an den Pranger gestellt werden, an asketische Sekten erinnere.
Vom strafenden Gott zur rachsüchtigen Natur
Der wahre Kern dieser Beschreibungen lässt sich nicht wegleugnen: Wo sich heute ökologische Gruppen auf Wissenschaft als neuen Gott berufen, nützt kein Argument mehr. Demokratie, Grundrechte und Individualität müssen notfalls geopfert werden, um die bevorstehende Apokalypse abzuwenden. Die Ketzer, die das nicht einsehen wollen, werden mit dem Verdikt des Klimaleugners belegt, als wäre begründeter Zweifel und vernünftige Kritik ein Indiz für die Leugnung des Klimawandels. Sogenannte Klimasünder werden sozial geächtet, im Extremfall von einem geifernden Mob bedrängt und ausgelacht. Wer jedoch eifrig mitmacht bei der Massenekstase, darf sich auch seines Platzes bei skurrilen Waldorfschul-ähnlichen Ritualen sicher sein.
Ansonsten wird gepredigt, dass alle kürzer zu treten haben, weil die Natur nicht vergibt: Was früher ein strafender Gott war, ist heute die rachsüchtige Natur, welcher ein Wert auch außerhalb ihrer Nutzung für den Menschen zugeschrieben wird. Diese religiöse Aufladung der Natur erinnert nicht von ungefähr an den Pantheismus, also die Auffassung, dass Gott letztlich identisch mit der Natur sei. Wie auch der heutige Ökoglaube als Ersatzreligion in einer säkularisierten Welt auftritt, stellte auch der aufklärerisch geprägte Pantheismus eine Abschwächung des direkten Gottesglaubens dar, ohne deswegen dem Atheismus nahe zu kommen.
Der Pantheismus war also zumindest teilweise säkularisierter Glaube, während der heutige Ökoglaube ebenso ein ansonsten zentrales Element der Religion fallen lässt: das Heilsversprechen.
Tristesse statt Transzendenz
Den Menschen Hoffnung zu geben, die Aussicht auf eine bessere Zukunft zu verkünden, spätestens nach dem Tod Heil zu versprechen: Diese Funktionen etablierter Religionen waren es, die selbst Religionskritiker dazu veranlassten, das positive Potenzial von Religion anzuerkennen. Bereits Karl Marx schrieb, dass Religion „in einem der Ausdruck des wirklichen Elends und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend“ sei. Eben die Heilsversprechen, die Utopien, die Religionen als „Protestation gegen das wirkliche Elend“ bieten, seien nicht zu verdammen, sondern allenfalls ihrer Nichteinlösbarkeit zu überführen. Doch der sich in den Klimademonstrationen manifestierende Ökoglaube entsagt sich dieser der Religion sonst inhärenten hoffnungsvollen Gelöbnisse. Der Glaube an Fortschritt beispielsweise liegt der Klimabewegung so fern wie nur möglich. Stattdessen wird so getan, als gäbe es nur die Entscheidung zwischen Untergang und sofortigen, radikalen Maßnahmen, um den als Klimakatastrophe bezeichneten Klimawandel möglichst schnell abzuwenden.
Doch jene Maßnahmen versprechen eben keine strahlende Zukunft, sondern vielmehr den Weg zurück in ein vorindustrielles Zeitalter, inklusive gesenktem Lebensstandard und umfassender Einschränkung persönlicher Freiheiten. Für den populären Ökoglauben mag diese karge Dystopie die wahre Utopie sein, weil so die zum religiösen Dogma erhobene Apokalypse unterbunden werden kann. Für alle anderen, die sich nicht an der Nestwärme der Sektengemeinschaft berauschen können – oder wollen –, bedeutet der Ökoglaube dagegen vor allem Trostlosigkeit und Puritanismus.
Die zu Anfang zitierte Evangelische Kirche Kassel sprach deswegen auch unfreiwillig die Wahrheit über den Ökoglauben aus: Am „eigenen Bewusstsein und Verhalten“ müsse gearbeitet werden, nicht etwa daran, den Klimawandel zwar aufzuhalten, dabei aber an zivilisatorischen Errungenschaften festzuhalten. Entgegen der Selbstbezeichnung der Klimademonstrationen als Proteste „for Future“ dreht sich in Wirklichkeit alles um eine Veränderung der Mentalität: weg vom konsumierenden, parasitären Menschen zum ausgewogenen, mit der Natur in Einklang lebenden Erdling. Die Ökoreligion entledigt sich des Heilsversprechens der Religionen zugunsten eines spirituellen Harmonieglaubens.
Notwendige Opfergaben
Nicht von ungefähr erinnern diese Ziele an schon lang postulierte Thesen: Bereits 1976 erschien mit „Haben oder Sein“ das bis heute wohl bekannteste Werk des Sozialpsychologen und Philosophen Erich Fromm. Darin stellte er der seiner Ansicht nach herrschenden Existenzweise des Habens, die vor allem auf Konsum und Ausrichtung des Lebens nach materiellen Interessen beruhe, die scheinbar sozialere und auf Dauer glücklicher machende Existenzweise des Seins entgegen.
Unter dem Eindruck von „Fridays for Future“ als einer Protestbewegung mit religiösen Ausprägungen, die sich gleichzeitig jedoch vom transzendenten Kern der Religion lossagt, drängt sich jedoch die Frage auf, ob der von Fromm erhoffte gesellschaftliche Wandel zur Existenzweise des Seins nicht längst stattgefunden hat: einerseits im Denken vieler Menschen, die esoterische Ganzheitlichkeit sowie Naturverbundenheit höher schätzen als Luxus für möglichst viele Menschen, andererseits im Handeln einer Gesellschaft, die ihre meist ökologisch korrekt verputzten Idealvorstellungen längst abseits von Besitz und Reichtum findet.
Auch Fromm verabschiedete sich von einer grundlegenden Utopie, so wie sich die Klimaproteste heute von der Idee des Fortschritts verabschieden, die eine Zukunft ja überhaupt erst als lebenswert ausweisen würde. Der Mentalitäts-Wechsel, den sowohl Fromm mit seinen „Existenzweisen“ als auch „Fridays for Future“ mit ihren Konsum-Appellen an das Individuum anstreben, steht so für die totale Anpassung gegenüber den Zumutungen, die die ökologischen Ziele des Ökoglaubens bedeuten würden. Verzicht und Senkung des Lebensstandards sind dann keine Verluste mehr, sondern notwendige Opfergaben an die allmächtige Natur – man ist schließlich ein guter Gläubiger.
Nico Hoppe ist freier Journalist und Autor und schrieb bisher unter anderem für die NZZ, die Jungle World und den Standard.