Rainer Bonhorst / 26.09.2019 / 10:00 / Foto: Livioandronico2013 / 8 / Seite ausdrucken

Der Macho und die Spider-Lady

Sie hat auch schon einen Frosch oder eine Raupe als Anstecknadel getragen. Diesmal war es eine Spinne, nicht die erste in ihrer Karriere als britische Top-Juristin. Sie neigt nun mal dazu, sich mit Kleingetier zu schmücken. Die aktuell ins Auge springende Spinnen-Brosche am schwarzen Kleid der Lady Brenda Hale of Richmond aber hat sofort eine tiefere symbolische Bedeutung angenommen: Die Präsidentin des obersten britischen Gerichtshofs hat dafür gesorgt, dass sich der Premierminister des Königreichs in einem (seinem eigenen?) Spinnennetz verfing.

Eine ältere weiße Dame hat also einen etwas weniger alten weißen Mann gestoppt, der nach Macho-Art ungebührlich vorpreschen wollte. Eigentlich also eine Geschichte ganz im Gender-Zeitgeist, zumal auch die Klägerin, die Unternehmerin Gina Miller, zum inzwischen vorpreschenden Geschlecht gehört. Dass sie über einen Migrationshintergrund verfügt, macht das Bild noch schöner.

Aber werden wir eine Spur geschlechtsneutraler: Unterstützt bei ihrer Klage gegen Boris Johnson wurde Gina Miller vom früheren konservativen Premierminister und Margaret-Thatcher-Nachfolger John Major. Dem hat es offenbar einige Freude bereitet, dem Vorstürmer Johnson einen Stolperstein in den Weg zu legen. Schließlich hatte ja auch Boris Johnson Freude daran, seine Vorgängerin Theresa May über die von ihm zubereiteten Intrigen stolpern zu sehen. Diese wiederum ist nun nach innen schmunzelnde Augenzeugin des scheiternden Johnson-Sprints. Dessen Stolper-Sprint lässt ihren eigenen dreijährigen Lauf als Premierministerin im Vergleich geradezu als Langstrecke erscheinen. Auch dass Johnson unter ihren Augen einen rekordverdächtigen Mehrheitsverlust hingelegt hat, als über zwanzig seiner Abgeordneten die Seite wechselten, dürfte sie tief im Inneren, wenn nicht amüsiert, so doch befriedigt haben. 

Dieses Spektakel ist kaum noch unter dem Gender-Zeitgeist zu betrachten. Es macht eher den Eindruck des altbekannten, nicht nur in England traditionsbewährten politischen Intrigen-Stadels. Im übrigen hat Gina Miller nicht nur Boris Johnson ein Bein gestellt, sie hatte zuvor schon ihre Geschlechtsgenossin Theresa May juristisch gezwungen, das Mitentscheidungs-Recht des Parlaments bei den Brexit-Verhandlungen zu akzeptieren. Mrs. May wollte als Premierministerin nämlich auch einen kleinen Boris wagen und das Parlament zunächst einmal ignorieren. 

Die Demokratie hat einen grandiosen Sieg errungen

Ergänzend sollte noch erwähnt werden, dass der oberste Gerichtshof in London auch kein Quoten-Monster ist: Von den insgesamt elf entscheidenden Richtern waren nur drei Frauen. Aber immerhin, eine von ihnen, die Spider-Lady, ist die Präsidentin. So, jetzt aber endgültig weg vom Geschlechterkampf und noch kurz die Frage: Was nun? Dazu zwei Versuche zu antworten: 

Erstens hat die alte britische Demokratie einen grandiosen Sieg errungen. Die Rechte des Parlaments gegenüber dem Premierminister wurden – um das Modewort zu benutzen – nachhaltig gestärkt. Kein Regierungschef wird in Zukunft in der Lage sein, das gewählte Kontrollorgan beliebig in den Zwangsurlaub zu schicken, wenn es ihm unbequem wird. In der Tradition der ungeschriebenen britischen Verfassung hat das Urteil der Lady Brenda Hale of Richmond und ihrer zehn Mitstreiter, die ja einstimmig entschieden, Verfassungsrang. Da wurde also ein Stück Geschichte gemacht.

Die zweite Antwort: Wie es mit Boris Johnson und dem Brexit weitergeht, weiß zur Zeit kein Mensch, wahrscheinlich wissen es nicht mal die Betroffenen selber. In der Computersprache würde man sagen: Wenn sich nichts bewegt, ist die Default-Einstellung, dass Großbritannien am 31. Oktober um Mitternacht ohne ein Abkommen die Europäische Union verlässt.

Alles andere ist fröhliche Spekulation: Johnson-Rücktritt? Doch noch ein Deal mit der EU? Überlebt er dann doch das Chaos? Neuwahlen? Oder eine neue Regierung ohne Neuwahlen? Wenn ja, was für eine? Ohne Boris Johnson? Ohne den Labour-Linken Jeremy Corbyn? 

Das Parlament war nie im Urlaub 

Erst einmal geht es fröhlich weiter. Das Parlament tagt schon wieder, denn die Spider-Lady hat den von Boris Johnson befohlenen Zwangsurlaub nicht nur für illegal erklärt, sondern für null und nichtig. Mit anderen Worten: Das Parlament, war rechtlich betrachtet, nie im Urlaub. Es war da, auch als es nicht da war.

Ganz nebenbei: Zu den brisantesten, wenn auch weltpolitisch nicht so erregenden Fragen gehört im Königreich nun die, ob Boris Johnson seine Königin angelogen hat. Sie musste ja auf sein Ansinnen hin die Beurlaubung des Parlaments mit ihrer Unterschrift beglaubigen. Nach dem Urteil des Obersten Gerichts besteht nun der Verdacht, dass er von der Queen mit falschen Gründen den Urlaubsschein für die Abgeordneten erwirkt hat. Es war eben nicht nur die bevorstehende Regierungserklärung, also die Queen's Speech, sondern ein Versuch, das Parlament bei seiner Brexit-Politik, für die er keine Mehrheit hat, kalt auszubooten. 

O je. Ein Macho-Premier, um doch noch mal kurz aufs Gender-Thema zurück zu kommen, überfährt die Königin, die oberste Lady des Landes, mit einer Lüge? Das wäre nun wirklich ein Skandal von historischem Ausmaß. Geradezu ein Buckinghamgate. Ganz abgesehen davon, dass ein Gentleman so etwas nicht tut. Einfach shocking.        

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Leserpost

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Hans-Peter Dollhopf / 26.09.2019

Da nicht Regierungen vom Volk gewählt werden, sondern Parlamentarier, sind die Siege der Demokratie immer, all die aktuellen Parlamentarier zum Teufel zu jagen. Da nun in der EU allen nationalen Parlamenten nur noch Umsetzungsarbeit bereits vordiktierter EU-Richtlinien gestattet ist, kann es doch überhaupt keine Siege der Demokratie innerhalb dieser EU mehr geben! Und ein Parlament wie das derzeitige britische, das die Neuwahl ablehnt, sodass dem Volk die Möglichkeit abhanden geht, es davonzujagen, weil dieses Parlament offen die Absicht hat, die Demokratie für immer dieser schändlichen Diktatur Brüssels zu opfern, und wozu es den Auftrag zum Brexit laufend hinausschiebt, bis es kein Zurück mehr gibt, das ist in Wahrheit jetzt schon ein totes Parlament. Und die Symbolik der Spinnenbrosche sagt uns einfach nur, dass die Lady gaga ist.

Dr. Freund / 26.09.2019

Habe mir gestern live auf Sky einige Minuten die Fortsetzung von” Das einst so wichtige Britannien macht sich endgültig vor aller Welt zum unbedeutenden Affenzirkus”,angetan. Ob sich die Brexit-Gegner mit der Fortsetzung des Unterhaus-Dramas einen Gefallen getan haben,ich habe da meine Zweifel.

Frank Dieckmann / 26.09.2019

Der Demokratie wurde ein Bärendienst erwiesen. Wie man auch bei unserem Bundrsverfassungsgericht feststellen kann, haben höchste Richter nicht die Weisheit gepachtet. Es war und ist ein Skandalurteil. Richter maßen sich politische Entscheidungshoheit an. Das ist eine Verletzung der Gewaltenteilung. Offenbar sind sämtliche Personen dieses Gerichts Remainer. Der Oktober wird spannend. Wenn Bojo den Verschiebungsantrag nicht stellt, wird dann auch dieses Gericht eingreifen? Mit welcher Maßnahme wollte man ihn dazu zwingen? Wenn die Handlungsfreiheit eines PM derart eingeschränkt wird, wenn der PM zum Botenjungen des Parlamentes degradiert wird, braucht man dann überhaupt noch einen PM und eine Regierung? Von Anfang an haben viele Parlamentarier versucht, den Brexit-Beschluß des eigenen Volkes zu hintertreiben und scheitern zu lassen. Diese Parlamentarier sind es, die eine Schande für die Demokratie sind. Ein Haufen Feiglinge, die sich aus Angst vor dem Souverän nicht einer Wahl stellen wollen. Und der Surpreme Court? Er ist noch nicht sehr alt und hat sich selbst seine Kompetenz erweitert. Es wird Zeit, ihn nach einer Neuwahl entweder die Flügel zu stutzen oder schlicht wieder abzuschaffen.

Stefan Riedel / 26.09.2019

Sehr geehrter Herr Bonhorst, glauben Sie wirklich, die Gerichtsentscheidung wäre unter einem Premierminister Tony Blair genauso ausgefallen. Ich glaube nicht mehr an das Märchen vom unabhänigen obersten Richter. Die Richter sind einstimmig der Meinung, das die Mitgliedschaft von GB in der EU a l t e r n a t i v l o s ist. ( woher kommt es nur, dass bei mir alle Alarmglocken schrillen, wenn ich alternativlos höre?).

Jens Richter / 26.09.2019

Seltsam, sehr seltsam. In einem Ihrer (vor-?)letzten Artikel hat Johnson alles richtig gemacht, und der Sieg der Demokratie spiegelte sich im “vollkommen üblichen” Aussetzen des Parlaments, denn merke: wer aus der EU raus will und ihr vielleicht sogar Schaden zufügt, hat immer Recht. Und ganz plötzlich ist Johnson ein “Vorprescher-Macho”, der von einer brillanten Juristin in seine Schranken verwiesen wird. Und auch das ist heute(!) ein grandioser Sieg der Demokratie. Ich bin gespannt, was da noch für grandiose Erfolge der Demokratie von Ihnen präsentiert werden. Spannend.

beat schaller / 26.09.2019

Ja, Herr Bonhorst, ich würde heute mal nicht von anlügen der Königin sprechen, denn, ich gehe mal davon aus, dass diese sehr wohl in der Lage sein wird, die Geschehnisse genau zu verfolgen, zumal sie sich ja bestimmt mit genügend Beratern umgibt und sie wird auch nicht Spontan-entscheide treffen. Für den Rest bin ich mit Ihnen einverstanden, dass “Orakeln” uns nicht weiter bringt. Einzig wirkliche Tatsache ist und bleibt, dass die Briten für den Austritt gestimmt haben und damit die Politik für die Umsetzung zu sorgen hat! Dabei wünsche ich den Briten einmal mehr alles Gute und damit auch den EU Staaten, damit sie sich dann etwas leichter auch selber von diesem Monster befreien können. So könnte sich dann Mutti plötzlich als “Rest-EU-Pleitestaaten-Cheffin” fühlen. Wär doch mal eine echte Steigerung in Richtung Abgrund? Oder eine Befreiung aus der Geisterhaft? b.schaller

Hartmut Schilling / 26.09.2019

Na, wenn sich Herr Bonhorst da mal nicht kräftig täuscht. Ob im übrigen die Demokratie einen “grandiosen Sieg errungen” hat, wage ich zu bezweifeln: Die Briten wollten raus und haben ihrer Regierung als Souverän diesen Auftrag erteilt. Die Politiker vor Johnson haben sich nicht daran gehalten und mit allen Tricks und Finten gearbeitet, um das auf die lange Bank zu schieben. Natürlich tatkräftigst (unter der Decke) unterstützt von den Unsäglichen der EU. Cui bono? Nun will Boris Johnson diesen Auftrag umsetzen. Was könnte demokratischer sein? Übrigens: Ich gehe davon aus, daß die EU ein mehr als schändliches Spiel treibt. Hoffentlich kommt das eines Tages raus. Und hoffentlich kommt (möglichst bald) der Dexit. Ich kann diese Bevormundung aus Brüssel ebensowenig ertragen wie das sinn- und inhaltslose Gefasel der deutschen Blockpartei.

Thomas Weidner / 26.09.2019

Den Passus “die Demokratie hat wirklich einen grandiosen Sieg errungen” halte ich angesichts eines Parlaments, welches sich einen Dreck um Volkes Willen schert, für eine Aussage, die durchaus aus einem Wahrheitsministerium gekommen sein könnte…

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