Es gibt Aufgaben, die wünscht man nicht einmal seinem Feind: Trainer bei Hertha BSC, Fliege bei Obama, Zahnarzt beim Weißen Hai oder Vorsitzender der SPD: Sigmar Gabriel wagt Letzteres und man darf gespannt sein, ob er länger als die üblichen zwei Jahre auf diesem Feuerstuhl der Republik aushält. Gabriel wird bereits die Nummer 10 in der bunten Riege der SPD-Vorsitzenden seit Willy Brandt. Denn die Sozialdemokraten haben sich angewöhnt ihre Vorsitzenden so häufig auszuwechseln wie andere Leute ihre Badezimmermatten.
Immerhin wählen sie diesmal eine Person, die vor allem eines ist: robust. Sigmar Gabriel nennen sie wahlweise „den roten Rambo“, „den Roland Koch der SPD“ oder „die Dampframme“. Nicht ohne Respekt achten alle seine Steher-Qualitäten. Er hat eine Mallorca-Flugaffäre ebenso überstanden wie einen VW-Beratungsgeld-Skandal, er hat Wahlniederlagen als Ministerpräsident weggesteckt und Demütigungen in der Partei ebenso. Sigmar Gabriel ist unkaputtbar, und genau das braucht die SPD jetzt mehr als andere. Wendig und tatkräftig, schnell im Kopf und noch schneller mit dem Mundwerk. Er ist nie um einen guten Spruch verlegen und ein Meister der Verblüffungs-Metaphorik. Er verkörpert einen bissigen Selbstbehauptungswillen und ein Kämpferherz, das er im Wahlkampf laut pochend hat schlagen lassen. Ein sprunghafter Kraftprotz mit losem Mundwerk. Kurzum: Er ist so etwas wie der Lothar Matthäus der deutschen Politik.
Dass gerade ihm die Macht jetzt zufällt, hat also habituelle Gründe. Wie ein Bulldozer soll er die Sturmschäden einer zerzausten SPD beseitigen. Diese Eigenart ist aber auch sein Problem. Denn wenn die Gewitter einmal verflogen sind, dann braucht es wieder kühle Köpfe, substantielle Richtungsweiser und vor allem Sympathen. All das ist Gabriel nicht.
Die Parteilinke hält ihn nach wie vor für einen VW-Tui-Schröder-Agenda-Industriefreund. Die Helmut-Schmidtianer in der SPD verachten ihn hingegen als einen Proleten, die Links-Intellektuellen sehen in ihm einen lebensdrallen Hallodri. Und in der Wirtschaft hat er sich den Ruf eines Öko-Ideologen erministert. An allem ist etwas dran, und doch auch wieder nicht. Genau diese Indifferenz macht ihn zum Mann der Stunde. Denn er steht nicht für eine klare Richtung, sondern für die Machterhaltung an sich.
Dabei leidet die SPD gerade an einem Richtungsdilemma. Die eine Hälfte der Sozialdemokratie denkt und fühlt wie Oskar Lafontaine. Sie will nach links und fordert eine Revision der Agenda-Politik von Gerhard Schröder. Die andere Hälfte der Partei denkt mittig wie Angela Merkel. In diesem Spaltungsdrama werden die Schröderianer jetzt kalt verjagt, Müntefering und Steinbrück sind entmachtet. Doch mit welchem Effekt? Der bürgerliche Teil der Wählerschaft wird nun vollends vergrätzt. Vor allem die Art, wie der allseits respektierte Peer Steinbrück abserviert wird, schockiert das mittige Milieu der SPD.
Man fühlt sich an die Jakobiner während der Französischen Revolution erinnert, die immer repressiver gegen moderate Revolutionsgenossen vorgingen. Der Akt von Jakobinertum schadet der SPD in jeder Beziehung. Peer Steinbrück gehört zum Besten, was die SPD zu bieten hat. Er gilt über Parteigrenzen hinweg als ein Mann mit Staatsräson, Wirtschaftsexpertise und Bürgersinn. Nun muss er weichen. Damit deutet sich an, dass die SPD ihren bürgerlichen Flügel amputiert. Gerade die Schmidt-Schröder-Clement-Steinbrück-SPD ist es aber gewesen, die Mehrheiten in der Mitte der Gesellschaft erringen konnte.
Fazit: Sigmar Gabriel wird – getrieben von der angsterfüllten Stimmung in der Partei – die Achse der Macht nach links verschieben und die Revision der Agenda-Politik organisieren. Er wird die Metamorphose zum Linkspartei-Double einleiten, und wenn das irgendwann grandios scheitert, dann kann er die SPD mit der legendären Lothar-Matthäus-Weisheit trösten: „Wir dürfen jetzt nur nicht den Sand in den Kopf stecken!“