Der renommierte Opernregisseur Peter Konwitschny flog vom Staatstheater Nürnberg wegen einer Lappalie, die ihm als rassistisch ausgelegt wurde. Seine Rechtfertigungsversuche erinnern an Moskau im Jahr 1937.
In Ray Bradburys SF-Klassiker „Fahrenheit 451“ löscht die Feuerwehr keine Brände, sondern legt sie, um Bücher zu verbrennen, die die Untertanen jenes fürsorglichen Staates in Zweifel stürzen oder gar zu eigenständigem Denken anstiften könnten. Und die dazugehörigen Medien informieren nicht, sondern liefern statt Hintergrundberichten nur schwachsinnige Zerstreuung und Kurzmeldungen „in einfacher Sprache“, etwa von einem Krieg, von dem niemand weiß, warum er überhaupt geführt wird. Alles, was die Menschen wissen müssen, ist: Dem Staat muss man gehorchen, und seine Medien verkünden stets die reine Wahrheit, auch wenn sie heute A und morgen B sagen.
Am Staatstheater Nürnberg ist was passiert, meldet die Süddeutsche Zeitung am 17. November. Genaueres darf oder will sie – vermutlich mit Rücksicht auf Daten- oder Opferschutz – nicht preisgeben. Sofort fallen einem die häufigen Meldungen aus deutschen Innenstädten ein, in denen „Männergruppen“ mit einzelnen „Personen“ in Streit geraten und diese niederstechen. Genaueres erfährt man auch da meist nicht. Aus Nürnberg wird immerhin bekannt, dass infolge des mysteriösen Vorfalls die Theaterleitung ihre Zusammenarbeit mit dem renommierten Regisseur Peter Konwitschny quasi über Nacht beendet hat. Auf Nachfrage des Blattes erklärt Intendant Jens-Daniel Herzog:
„In einer Probensituation hat sich Herr Konwitschny in einer Art geäußert, die von Beteiligten als unangemessen und diskriminierend wahrgenommen wurde. Die Theaterleitung kam nach Gesprächen mit mehreren beteiligten Personen zu derselben Einschätzung und hat unmissverständlich klargestellt, dass es am Staatstheater Nürnberg für Diskriminierung keinen Platz gibt.“
Ende der Durchsage.
In Nürnberg ist was passiert
Was da Entsetzliches gesagt worden sein mag, bleibt der galoppierenden Phantasie der Leserschaft überlassen. Hat der Regisseur die „beteiligte Person“ beleidigt, in ihrer Menschenwürde verletzt, sie gar mit dem Tode bedroht? Glücklicherweise gibt die „Süddeutsche“ einen weiteren Hinweis: In der 3sat-Sendung „Kulturzeit“ habe Konwitschny geschildert, wie er jemandem vom Ensemble bei einer Probensituation Regieanweisungen gegeben und seine Vorstellungen mit einer Metapher zu illustrieren versucht habe, die die betreffende Person anscheinend als diskriminierend empfunden habe.
Etwas mehr verrät die Neue Zürcher Zeitung: In einer Szene, in der eine Choristin das Erschrecken vor einer auf sie gerichteten Pistole spielen sollte, wollte Konwitschny ihr vermitteln, warum sie sich nicht abwenden, sondern weiterhin starr vor Angst in die Pistolenmündung blicken müsse. Deshalb habe er zu ihr gesagt: „Das ist wie in Afrika, wenn Ihnen ein Löwe entgegenkommt, dann können Sie auch nicht weggucken.“ Was daran Empörung auslöste? Die besagte Choristin war schwarz. Schockschwerenot!
In der 3sat-Kulturzeit gibt es tatsächlich einen ausführlichen Bericht samt Interview mit Peter Konwitschny, der sich beklagt, dass die Betroffene sich hinter seinem Rücken gleich an die Leitung gewandt habe. Aufgewühlt habe er seinem Intendanten geschrieben, wenn es am Theater Leute gebe, die ihm Diskriminierung und Rassismus vorwürfen, wolle er dort nicht mehr arbeiten. Postwendend erhielt er seinen Aufhebungsvertrag. „Da hatte ich dann gehofft, dass der Intendant sagt: Konwitschny, kommen Sie her, das ist doch Blödsinn, natürlich arbeiten Sie weiter, und wir klären das jetzt!“, erzählt der Regisseur. Aber da kam nichts mehr.
„Das sind alles keine Beweise dafür, dass ich nicht rassistisch bin“
Was nun folgt, mutet an wie eine Zeitreise ins Moskau der Jahre 1937/38. Nachdem er aufgrund einer offensichtlichen Lappalie wie ein Hund vom Hof gejagt wurde, übt Konwitschny vor laufender 3sat-Kamera ausgiebig Selbstkritik. Und man muss es im O-Ton hören, um die Verzweiflung eines Künstlers nachvollziehen zu können, der von einem Tag auf den anderen öffentlich hingerichtet wird und gar nicht versteht, warum:
„Ich hätte sehr gerne weitergemacht und alles getan, dass ich das aus der Welt räume. Ich muss einfach lernen: Es ist empfindlicher, die Menschen reagieren empfindlicher. Ich bin eben anders großgeworden, kein Mensch hätte damals daran gedacht. Ich bin mir aber bewusst, dass heute die Welt sich verändert hat und dass das verletzt hat. Ich habe ihr gesagt, dass ich sie nie und nimmer rassistisch diskriminieren wollte und wenn es so angekommen sein sollte bei ihr, wenn es sie verletzt hat, dann möchte ich mich dafür entschuldigen. Und sie hat auch gesagt: Jawohl, ich nehme Ihre Entschuldigung an.
Ich habe immer gerne mit ausländischen Menschen gearbeitet, Sänger sind von überallher gekommen. Und ich bin auch gerne in anderen Ländern, und meine Frau ist übrigens Koreanerin. Das sind alles keine Beweise dafür, dass ich nicht rassistisch bin, aber wenn Sie mich so fragen, sage ich ganz knallhart: Mit Rassismus habe ich nichts zu tun und hatte auch nie was zu tun!“
„Doch der Konflikt bleibt ungelöst“, kommentiert die 3sat-Stimme aus dem Off. „Muss Konwitschny jetzt bangen, als alter weißer Mann zu gelten, der einen gesellschaftlichen Umbruch nicht mitbekommen hat?“
„Menschenskind!“, meldet sich ein letztes Mal der Regisseur mit einem Ausruf, der allein schon beweist, dass seine Zeit vorbei ist. „Ich könnte – das dauert allerdings eine Weile, bis ich beweisen kann, aus meinen Arbeiten, aus meinen Interpretationen, aus meinem Leben schlechthin, dass ich alles andere tue, als rassistische Meinungen zu unterstützen. Ganz im Gegenteil, ich bin immer auf der Seite der Opfer!“
Im Namen der Buntheit dröges Einheitsgrau
Alles vergebliche Liebesmüh, armer alter weißer Mann, aus deiner Haut kommst du nicht raus! Die „Woken“ mit deinem Intendanten Herzog an der Spitze interessieren sich nicht für deine „Verdienste“. Es kratzt sie nicht, dass du immer zu den „Guten“ gehört hast und gern auch weiterhin gehören möchtest, dass du abschwörst und wiedergutmachen willst, so wenig wie es ihre geistigen Väter in den Moskauer Schauprozessen gekümmert hat, wenn die willkürlich Angeklagten Schuldbekenntnisse ablegten und Reue gelobten. Die wurden trotzdem hingerichtet. Dein „Mea culpa“ nehmen die „Woken“ kalt zur Kenntnis, aber es wird dir nichts nützen, denn sie wollen an dir ein Exempel statuieren. Zur Abschreckung für andere alte weiße Männer. Und nicht zuletzt zur eigenen Aufwertung.
Denn deine Theaterleitung hat sich vor zwei Jahren wie viele andere dem deutschlandweiten Bündnis „Die Vielen e.V.“ angeschlossen, das sich mit all jenen solidarisiert, die von rechter Hetze an den Rand gedrückt werden. Und da kann sie dir nicht durchgehen lassen, wenn du eine dunkelhäutige Frau mit „Afrika“ assoziierst. Zumal da diese sich dadurch rassistisch diskriminiert fühlt. Ihr Gefühl ist heilig, deine Gefühle spielen keine Rolle. Außerdem startet das Staatstheater Nürnberg – nach der Durchquerung der Coronawüste – jetzt hoffnungsfroh endlich wieder in eine neue Spielzeit, mit dem Schwerpunkt „Beschäftigung mit den Kontinuitäten von Rassismus und rechter Gewalt in unserer Gesellschaft“. Und so kann dein Intendant mit seinem konsequenten Durchgreifen gegen dich gleich schon mal richtig Publicity machen.
Auf öffentliche Unterstützung brauchst du auch nicht zu hoffen, wie dieser feige Kommentar beweist, der mit den Sätzen endet: „Wir wissen nicht, was in besagter Probe genau passiert ist. Es wäre sicher interessant, die Version der Betroffenen zu hören. Es ist aber ihr gutes Recht, sich dazu nicht zu äußern.“
Die Bücherverbrenner von heute löschen im Namen der Meinungsfreiheit missliebige Meinungsäußerungen aus dem Internet, schaffen im Namen der Buntheit dröges Einheitsgrau, bestrafen Abweichler im Namen der Demokratie mit sozialer Vernichtung. Bradburys Dystopie endet damit, dass die letzten lesekundigen und denkfähigen Menschen mit ihren Büchern in unzugängliche Sümpfe flüchten, um dort auf bessere Zeiten zu warten. Was wird Peter Konwitschny nun tun? Und was können wir anderen tun?