Vorab: Wenn Sie Joost mit Doppel-O heißen und Liedermacher sind – bitte verklagen Sie mich nicht. Ich habe Ihren Namen frei erfunden, und Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zwar nicht beabsichtigt, liegen aber durchaus im Bereich des Möglichen. Ich will das nur anmerken, weil „sozialkritische Liedermacher“ sehr selbstempfindlich sind, wenn sie auf Zurück-Kritik stoßen. Also, liebe Joosts dieser Republik: Lest jetzt nicht weiter, okay? Danke!
Ich war nämlich im guten Renno-Diesel unterwegs von A nach B, als sich irgendwie die Sender im Autoradio mit Rauschen und Rascheln verstellten. Und wie weiland in den 90ern, wenn nachts der Hund (den ich nie hatte) irgendwie auf die Fernbedienung kam und plötzlich „Tutti-Frutti“ statt „Hitlers heimlicher Hamster mit Guido Knopp“ lief, landete ich bei dem Kultursender „Antenne Gleiwitz“. Auf gerade verklingende Töne einer Wandergitarre folgte die sanfte Stimme eines Moderators: „Ja, das war ja wirklich ein sehr bewegendes Lied. Bei mir heute zu Gast im Studio ist der Liedermacher Joost Panneslowski aus Leipzig. Herr Panneslowski …“, „Joost bitte …“, „…ja, Herr Panneslowski, Du bist ja einer der progressiven neuen deutschen Liedermacher. Wie kam es dazu?“
Einschub: Wenn ich das Wort „Liedermacher“ schon höre, dann kräuseln sich mir die Fußnägel. „Liedermacher“ ist so ziemlich das erste Woke-Wort der deutschen Sprachgeschichte. Ich bin mir nicht sicher, ob Hannes Wader, Volker Lechtenbrink oder Reinhard Mey für sich in Anspruch nehmen können, die ersten offiziellen „Liedermacher“ Anfang der 70er Jahre gewesen zu sein.
Morgens in seiner Liedermacherwerkstatt
Ein Typ, der sich ein Lied ausdenkt, ist ein Komponist. Einer, der es mit Text versieht, ist ein Texter. Und der, der es singt, ist der Sänger oder, wie es so schön hochtrabend heißt, der „Interpret“. Auf Schallplatten stand früher: „Musik: XY, Text: YZ.“ Niemals, wirklich niemals stand da „Gemacht von XY.“ Und genau hier kommt der Liedermacher ins Spiel. Der Liedermacher ist sozusagen der Allrounder in der Unterhaltungsbranche. Nicht nur, dass er nicht komponieren kann, er kann auch sehr selten mit Worten umgehen und singen kann er schon gar nicht. Er redet eher so über die handgeklöppelte Musik drüber. Aber, wichtig, es muss irgendwie „sozialkritisch“ sein. Sonst gilt es nicht.
Außerdem habe ich bei dem Wort „Liedermacher“ diese Vorstellung, wie der Liedermacher morgens in seine Liedermacherwerkstatt geht. Da hat er dann einzelne Töne und Akkorde und Wortfetzen herumliegen und steht dann so erst einmal ratlos vor seiner Wandergitarre:
„Hmmm, ich hatte doch gestern noch so ein paar hübsche Worte herumliegen … Wo hab´ ich denn … Ah, da: 'Rassist', 'Willi', 'Ausländer'… Wenn ich jetzt hierzu noch diese beiden hübschen A-Moll-Akkorde … Ah, passt nicht … Nehmen wir noch 'Blumen' dazu und 'Umwelt'… Mist. Reimt sich nicht. Aber muss ja auch nicht. Vielleicht hier noch den E-Dur … Doch, ja, es wird, es wird …“
Und zum Schluss hat er dann ein Lied gemacht, der Liedermacher. Und dann „homs den Willi derschlogn“… Zu recht!
Es ging garantiert nicht um die Schönheit des Kapitalismus
Aber zurück zu Joost. Eigentlich hätte ich wieder den Sender wechseln sollen, denn wenn das schon so losging, dann konnte auch nichts Besseres nachkommen. Aber es war wie bei einem Streit in der Nachbarschaft: Man will nicht hinhören, tut es aber dann doch. Deswegen lauschte ich dann Joost mit Doppel-O, wie es zu dieser Katastrophe kommen konnte:
„Ja, also, das Singen und Liedermachen ist mir ja eigentlich schon in die Wiege gelegt worden (wo es besser geblieben wäre), mein Vater war Minnesänger im Arbeiter-Chor des Maschinenbaukombinats Ernst-Thälmann-und-Rosa-Luxemburg-und-Wilhelm-Pieck-und-außerdem-Otto-Grotewohl und meine Mutter wollte unbedingt, dass ich im Thomaner-Chor singe …“ „Was dann aber nicht geklappt hat…“, ergänzte der sanftstimmige Moderator und hakte nach: „Hatte das politische Gründe?“ „Nein“, entgegnete der Joost erschreckend ehrlich, „ich hatte keine schöne Stimme. Ich aber beschloss, Liedermacher zu werden.“
Es gibt Dinge, die sind unverzeihlich. Ich schwor mir, „die schönsten Weihnachtslieder des Thomanerchores“ nie wieder anzuhören. „Eine gute, eine prägende Entscheidung“, bemerkte der Sanftstimmenmoderator, „denn das ermöglichte Dir ja das Sich-Selbst-Entdecken und führte schließlich zu Deiner Karriere …“ „Oh ja“, ohjate der Joost, „… vor allem konnte ich Gesellschaftskritik ohne die Einschränkungen durch Arbeit- oder Auftraggeber üben!“
Ich sah durch die Lachtränen nichts mehr
„… und ohne die Einschränkung durch Verkaufszahlen“, ergänzte ich laut im Auto. Ich war neugierig, worüber der Joost denn so schröcklich gesellschaftskritisch Lieder machen würde, obwohl ich es mir denken konnte. Es ging garantiert nicht um die Schönheit des Kapitalismus. Und ich hatte Glück! „Wir hören mal in Dein mit der Christian-Klar-Gedächtnismuffe ausgezeichnetes Miststück 'Wenn ich in die Sonne seh...'“, drohte der Moderator. Und ehe der Joost oder ich ihn hindern konnte, erklangen zwei schätzungsweise E-Moll-Akkorde und Joost hob an zu knödeln:
„Wenn ich in die Sonne seh, und wenn ich auf dem Radweg geh, dann frag ich mich auf Wald und Wiesel, warum fahren alle Diesel“ oder so. Der zweite Vers, ähnlich subversiv und knackig gereimt: „Wo sind alle Blumen hin, im Westen und in Ostberlin, wir wollten Freiheit, keine Deppen, jetzt stehen sie auf Reichstagstreppen“, leitete dann über zu einem schmissigen Refrain in Marschtempo. „Es tut so weh. So weh wie Schnee, sie wählen heute CDU („Na klar hast Du da den Reim verkackt, Du Null!“, brüllte ich dazwischen), die, die damals mit uns sangen und um den Sozialismus rangen...“ und dann musste ich anhalten, weil ich durch die Lachtränen nichts mehr sah. Joost konnte tatsächlich nicht singen und ich werde es den Thomanern nie verzeihen, dass sie den Joost lediglich abgelehnt und nicht auf der Stelle gelyncht haben.
Ich habe dann umgeschaltet, in der Hoffnung, auf irgendeinem Sender einen Nachbarschaftsstreit zu empfangen, weil ich das gegenseitige Anbiedern der beiden schwer intellektuellen Weihrauchfass-Schwenker nicht mehr mitanhören konnte. Drüben, auf der Kulturwelle, lief Bachs „Italienisches Konzert“ in der Version des Schreckenskammerorchesters Wildeshausen, umgeschrieben für zwei Panflöten, drei Arschgeigen und ein Schifferklavier unter der Leitung von Erwine Hoppenstedt-Halmackenreuther nach dem fünften Korn. Allemal besser als das, was Joost je geliedermacht hat.
Von Thilo Schneider erschien soeben in der Achgut-Edition eine Satire für dunkle Zeiten: The Dark Side of the Mittelschicht.